Zwiebelturm
Ein Zwiebelturm ist ein Turm mit einer Zwiebelhaube oder einem Zwiebelhelm, z. B. ein Kirchturm, dessen Spitze in Form einer Zwiebel gearbeitet ist. Der untere Teil der Spitze ist bauchig und läuft nach oben spitz zusammen, vergleichbar mit den Kirchtürmen der Moskauer Basilius-Kathedrale. Neben runden Bauformen werden auch Türme mit eckigen Turmhauben als Zwiebelturm bezeichnet.
Geschichte
Die ältesten gebauchten Zwiebelhauben im christlich-orthodoxen Kulturraum finden sich wahrscheinlich in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale (1475–1479) in Moskau.
Im Jahr 1486 erhielt die Haubenarchitektur in Deutschland wesentliche Anregungen durch den auf Deutsch veröffentlichten und illustrierten Reisebericht einer Pilgerreise ins Heilige Land von Bernhard von Breidenbach.
Die relativ flache Zwiebelhaube der Münchner Frauenkirche wurde um 1525 nach einem Entwurf von Jörg von Halspach gestaltet, der von der byzantinisch beeinflussten Kirche Madonna dell’Orto in Venedig inspiriert gewesen sein soll. Die späteren bayerischen Hauben waren steiler aufstrebend, stärker eingeschnürt und damit zwiebelförmiger. Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung dieser Form der Zwiebeltürme. Ein Vorbild könnte der osmanische Helm gewesen sein, die nach der Türkeninvasion 1529 in Europa bekannt wurden. Aber auch italienische Einflüsse, die auf die byzantinische Architektur zurückgingen, könnten sich darin niedergeschlagen haben.
Der erste derartige Zwiebelturm im süddeutschen Raum wurde von Hans Holl (1512–1594) im Jahr 1576 an der Kirche von Kloster Sankt Maria Stern in Augsburg errichtet.[1] Sein Sohn Elias Holl plante nachträglich die beiden Zwiebeltürme für das Augsburger Rathaus.
Nach den Schäden durch den Dreißigjährigen Krieg wurden zahlreiche Kirchen in Süddeutschland mit Zwiebeltürmen neu errichtet. Der Zwiebelturm wurde zum typischen Formelement des süddeutschen Barock.
1561 wurde die Basilius-Kathedrale vollendet, die eher den bayerischen Hauben als den Kuppeln in Konstantinopel ähnelt. Die steile Zwiebelform hat den Vorzug, dass sich Schnee leichter vom Dach löst.[2]
Ausführung
Das Dachgestühl von Zwiebeltürmen erfordert wegen der komplexen Form besonderes Geschick der Zimmerleute. Gedeckt werden Zwiebeltürme mit Kupferblech oder Schieferplatten.
Die traditionelle Bauweise eines Zwiebelturms sind mehrere Lagen aus gehämmertem Kupferblech; alte Zwiebeltürme erkennt man daher meist an der grünen Farbe (vgl. Kupferpatina, Kupferhydroxid, Kupfercarbonat) ihrer Dachhaube.
Verbreitung
Zwiebeltürme sind in den deutschsprachigen Ländern hauptsächlich in den südlichen Bundesländern von Deutschland, in Österreich und im zu Italien gehörenden Südtirol verbreitet, in denen der Katholizismus vorherrscht. Sie sind typische Merkmale barocker Kirchen. Weltweit bekannt sind Zwiebeltürme bei orthodoxen Kirchengebäuden in Ländern der ehemaligen UdSSR und Bulgarien. In internationalen Kur- und Badeorten, wo früher russische Adelige in Kur oder in die „Sommerfrische“ gingen, stehen häufig orthodoxe Kirchen mit Zwiebeltürmen, zum Beispiel:
- Russische Kapelle (Darmstadt)
- Bad Ems Kirche der Hl. Alexandra[3]
- Russische Kapelle (Bad Homburg)
- Russische Kirche (Baden-Baden)
- Kirche des Sergius von Radonesch (Bad Kissingen)
- Russisch-Orthodoxe Kirche (Wiesbaden) auf dem Neroberg
- Nizza oder
- Karlovy Vary (Karlsbad) St. Peter und Paul.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verbrachten Tausende von Russen in deutschen und westeuropäischen Kurorten die Sommermonate. Zunächst kamen russische Adelige und reiche Bürgerfamilien in Begleitung ihrer Verwandtschaft und Bediensteten. Durch den Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes zwischen 1860 und 1880 stieg die Zahl der Kurgäste sprunghaft an. Nach Bad Ems und Bad Kissingen kamen zum Beispiel seit der Jahrhundertwende jährlich zwischen 5000 und 8000 Kurgäste aus dem russischen Kaiserreich. Da sie in der Regel mehrere Wochen blieben, wurden in vielen dieser Orte russisch-orthodoxe Kapellen oder Kirchen gebaut.
Eine ganz eigene Konzeption und Verbreitung weist der Zwiebelturm im Bergischen Land auf, wo er sich unabhängig von den süddeutschen Zwiebeltürmen zu einem Hauptmerkmal der Evangelischen Kirchenbauten im Stile des Bergischen Barocks entwickelte. Hervorzuhebendes Merkmal der Bergischen Zwiebeltürme sind die stets vorhandenen Laternen, welche als ein besonderes Unterscheidungsmerkmal vom süddeutschen Stil angesehen werden können. Nennenswerte Zwiebeltürme im Stil des Bergischen Barocks besitzen unter anderem folgende Kirchen:
- Alte Kirche Wupperfeld
- Reformierte Kirche Cronenberg, sie gilt gerade aufgrund ihres Zwiebelturmes als eine der schönsten Kirchen im Bergischen Land
- Evangelische Stadtkirche (Remscheid)
- Evangelische Stadtkirche (Lennep)
- Evangelische Stadtkirche Lüttringhausen
- Evangelische Kirche Niedersprockhövel
- Evangelische Stadtkirche Wermelskirchen
Besonderheiten
- Der Martinsturm mit vierseitigem Zwiebelhelm mit Laterne, Wahrzeichen von Bregenz, gilt als der Turm mit der größten Zwiebel Mitteleuropas.
- Rundkirche St. Johann Baptist und Heilig Kreuz in Westerndorf mit runder Zwiebelkuppel (1691)
- barocke Pfarrkirche Mariä Hilf vom Stern in Železná Ruda mit zwölfseitiger Zwiebelkuppel und Zwiebelturm
- Noch größer ist die Kuppel der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau.
- Ein Beispiel für eine Barockkirche mit einem Zwiebelturm ist die evangelische Johanniskirche im Frankfurter Stadtteil Bornheim, die eine viereckige Turmhaube besitzt.
Der Zwiebelturm wurde zu einem „Markenzeichen“ von Friedensreich Hundertwasser.[4]
- Das Hundertwasserhaus in Wien hat einen Zwiebelturm.
- Das Hundertwasserhaus Magdeburg hat stilisierte Zwiebeltürme.
Zwiebelturm in den Medien
„Der Zwiebelturm“ ist auch der Titel einer 1983 erstmals ausgestrahlten Fernsehdokumentation (ORF, 3sat) von Christian Wallner über Kirche und Staat im Dritten Reich.
Einzelnachweise
- http://www.augsburger-gedenktage.de
- Christiana Schilig: Wie entstanden die bayerischen Zwiebeltürme? Monumente, 5 (2015), S. 21.
- Russische Kirche Bad Ems (Memento vom 24. Dezember 2010 im Internet Archive)
- faz.net