Zeidlerei
Die Zeidlerei (auch Zedlerei) ist das gewerbsmäßige Sammeln von Honig wilder oder halbwilder Bienenvölker, das vom Zeidler, einem Waldimker, betrieben wird. Bereits im Mittelalter wurde es auch in Deutschland ausgeübt. Es gibt Bestrebungen, diese Form der Honigernte auch in Deutschland wieder aufleben zu lassen.
Tätigkeit
Das Sammeln des Honigs wilder Bienen durch den Menschen ist für die Zeit seit 9000 Jahren belegt. Der Begriff des Zeidlers oder Zeitlers bezeichnet einen besonderen Beruf des Honigsammlers, wie er sich in Europa seit dem Frühmittelalter ausgebildet hat. Der Zeidler hielt, anders als der Imker im heutigen Sinne, die Bienen nicht in gezimmerten Bienenstöcken oder Bienenkörben. Man hieb alten Bäumen künstliche Höhlen (Beuten) in etwa sechs Meter Höhe ein und versah den Eingang mit einem Brett, in das ein Flugloch eingebracht war. Ob eine Beute von Bienen beflogen wurde oder nicht, hing ganz vom natürlichen Umfeld ab und wechselte jedes Jahr. Auch entwipfelte man die Bäume, um dem Windbruch vorzubeugen.
Für ihre Arbeit benötigten die Zeidler ein Beil und ein Kletterseil.[1]
Verbreitung
Überaus günstig, wenn nicht sogar Voraussetzung für die Zeidlerei, waren Nadelholzgebiete. Wichtige Standorte der Zeidlerei waren im Mittelalter Gebiete im Fichtelgebirge und im Nürnberger Reichswald. In Bayern etwa ist eine Waldbienenhaltung bereits für das Jahr 959 in der Gegend von Grabenstätt nachgewiesen. Aber auch auf dem Gebiet von Berlin gab es ausgedehnte Zeidlerei, insbesondere im damals noch viel größeren Grunewald.
Vor allem im Nürnberger Umland gibt es immer noch zahlreiche Hinweise auf das dort früher blühende Zeidlerwesen (wie das Zeidlerschloss in Feucht oder das Wappen der Gemeinde Schwaig). Der Honig war wichtig für die Nürnberger Lebkuchenproduktion; der Nürnberger Reichswald („Des Heiligen Römischen Reiches Bienengarten“) lieferte genug davon. In Feucht befand sich von 1296 bis 1808 das Zeidelgericht.
Der deutsche Ortsname Zeidler des heutigen Brtníky in Tschechien geht auf die dortige historische Waldimkerei zurück. Zeidler heißt außerdem eine ehemalige Gemeinde im Ortsteil Fördergersdorf der sächsischen Stadt Tharandt am Tharandter Wald.
Geschichte
Der älteste Nachweis eines Zeidlers in Bayern stammt aus dem Jahr 748 und dokumentiert diesen Beruf am Donauufer und in Schwarzach. Karl der Große förderte in dieser Zeit die häusliche Bienenhaltung. Die Bienen gehörten dem Kaiser, doch die Nutzungsrechte an ihren Produkten überließ er den Zeidlern.[2][3][3]
Im 10. Jahrhundert wurde der Honig aus Waldbienenwirtschaft gewonnen und stellte die einzige Quelle für Süßstoff dar. Das Bienenwesen hatte vor der Einführung des Rohrzuckers eine ganz zentrale Bedeutung. Bienen lieferten das Süßungsmittel (Honig), darüber hinaus Wachs als eine verbesserte Grundlage zur Beleuchtung und Basisstoffe für die Medizin (Propolis, Kittharz der Bienen, Honig und Gelée royale).
Der „Zeidler“ entwickelte die Bienenwirtschaft durch eine planmäßige Weiterentwicklung der Waldbienenhaltung. Neue Nistplätze wurden für die Bienen angelegt, die Bienenvölker dadurch vermehrt und der Ertrag gesteigert.[4]
Der Bienenstock war in der Regel in hohlen Bäumen im Wald untergebracht, bis zu mehrere Meter hoch, mehrere übereinander. Wenn ein Zeidler im Wald ein wildes Bienenvolk fand, durfte er in den zugehörigen Baum sein Zeichen einschlagen – dann durfte der das Volk nutzen.[2][3][5]
Zeidler höhlten die Bäume unterhalb des Wipfels, den sie oft beseitigten, aus. Sie verschlossen die so gewonnene Bienenwohnung, die Beuten, mit einem Brett, während eine kleine Öffnung als Flugloch diente. Diese Baumbienenwohnungen wurden von schwärmenden Bienen besetzt oder der Zeidler brachte selbst einen Schwarm hinein. Neben der Waldbienenpflege wurde auch Bienenfang betrieben. Die Zeidler durften wilde Bienen fangen und im Wald schwärmen lassen. Zur Erntezeit wurden die Beuten geöffnet und Honig und Wachs entnommen. Durch das Anlegen der Beuten starb der Baum ab, was zu großen Verlusten des Baumbestandes führte.
Zwar gab es auch die Heimbienenhaltung, in denen Bienen in eigens für sie gebauten Stöcken auf Bauernhöfen lebten. Doch konnte sich diese Form der Bienenhaltung auf Grund der großen Bedeutung der Waldbienenhaltung in den großen Wäldern um Nürnberg nicht etablieren.
Die Zeidler hatten schon im 11. und 12. Jahrhundert ein gewisses Pfändungs- und Rügerecht, waren also in den Rang niederer Waldbeamter erhoben worden. Außer dem Forstmeister und den Patrizierfamilien Waldstromer und Koler durften nur die Zeidler Honigwirtschaft betreiben. Die Zeidler waren formal den Erbförstern gleichgestellt. Sie waren freie und unabhängige Lehensleute. Dem Kaiser waren sie zu Kriegsdiensten verpflichtet.[4][6]
Schon seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren die Rechte und Pflichten der Zeidler in dem großen Privileg Kaiser Karls IV. zusammengefasst. Ihre Eigenschaft als Bienenzüchter wurde beschrieben und ihre Funktion als Zeidler ausdrücklich von anderen Berufsgruppen abgegrenzt. Sie waren neben den Förstern allein berechtigt, in den Nürnberger Wäldern Bienen zu halten. Alles hierzu nötige Holz, ebenso das Bauholz für ihre Wohn- und Wirtschaftsgebäude, musste ihnen unentgeltlich überlassen werden. Sie waren in allen Städten des Reiches zollfrei.
Für ihre Güter mussten sie seit 1427 ein gewisses Quantum Honig, später eine Vergütung in Geld, das so genannte Honiggeld bezahlen. Im Jahr 1606 mussten von Zeidlern im Lorenzer Wald zum Beispiel 411 Maß (1 Maß = 1,069 Liter) Honig erbracht werden, was einem Wert von 40 Gulden, sechs Pfund und 20 Pfennigen entsprach.[4] Die Zeidler bildeten Zünfte mit bestimmten Rechtsbräuchen, die in Form der „Zeidelweide“ Niederschlag in Zeidelordnungen (etwa bis ins 16. Jahrhundert im Markgraftum Bayreuth)[7] fanden.
Privilegierung
Das wichtigste Privileg der Zeidler war ihre eigene (niedere) Gerichtsbarkeit. Sie war im Nürnberger Reichswald notwendig geworden, da die intensive Nutzung des Waldes zu dessen Lasten ging: Die Anwohner trieben ihre Schweine zur Fütterung hinein, Nürnberg bezog sein Brennholz daraus. Diese Nutzung ging so weit, dass Kaiser Karl IV. sich nach seinem Satz „Mein Wald geht mir vor die Säue“ zu einer Regelung des Gebrauchs genötigt sah. Er legalisierte die Aufforstungsversuche der Nürnberger Familie Stromer (später „Waldstromer“ genannt; dies waren die Vorboten der heutigen Monokultur an Föhren im „Reichswald“ um Nürnberg) und er übertrug dieser Familie „waldpolizeiliche“ Ordnungsaufgaben. Im Zuge dieser Neuorganisation versah Karl IV. die Zeidler mit dem umfassenden Privileg von 1350.
Bereits 1296 lässt sich für die Zeidler in Feucht die eigene Gerichtsbarkeit und ein eigener Zeidelmeister nachweisen.[8] Im 13. Jahrhundert war das Zeidelwesen bereits voll ausgebildet. Die Zeidler hatten ihren eigenen Gerichtsstand und ihr Gericht hatte seinen Sitz in Feucht. Sie wurde in der reichsunmittelbaren Privilegierung durch König Karl IV. in seinem „Zeidel Fryheit Brieff“ aus dem Jahre 1350 niedergeschrieben. Darin wurden die Zeidler mit der eigenen Gerichtsbarkeit belehnt. Als äußeres Zeichen dieser Privilegierung führten ihre Vorsteher (Starosten) einen weißen Stab, die Zeidler erhielten die (in den damaligen Wäldern durchaus nötige) Erlaubnis zur Führung einer Waffe (der Armbrust) und trugen eine spezifische grüne Tracht mit der typischen langen Zipfelmütze (siehe hierzu das Zeidlerwappen am Zeidelschloss in Feucht). Dafür mussten die Zeidler den Kaiser sicher durch den Nürnberger Reichswald geleiten und einige Zentner Wachs pro Jahr an den Stephansdom in Wien liefern und einige Dinge mehr.
Den Vorsitz im Zeidlergericht führte ursprünglich der von den Zeidlern gewählte Zeidelmeister, später der Waldamtmann. Das Gericht bestand aus Oberrichter, Unterrichter, Schöffen und Ratsschöffe, den Vierern, den Waldherren und dem Waldamtmann. Im Hochmittelalter gab es in jedem Dort ein Ortsgericht, in dem der jeweilige Grundherr als Richter Recht sprach. In Feucht war es die Ministerialenfamilie der Feuchter. Es ist aber anzunehmen, dass bereits 1470 das Ortsgericht Feucht nicht mehr existierte, sondern dass das Zeidelgericht auch allgemeines Ortsgericht geworden war. Die räumliche Zuständigkeit erstreckte sich auf den Lorenzer Wald mit Ausnahme von Brunn.
Gewöhnlich tagte das Zeidelgericht dreimal im Jahr. Im 17. und 18. Jahrhundert tagte es nur noch selten. Die letzte Sitzung fand 1779 statt. Der Hauptgrund für diesen Rückgang lag im Niedergang der Zeidlerei sowie der weitgehenden Überschneidung rechtlicher und sachlicher Zuständigkeiten des Zeidelgerichts mit denen des Forstgerichts Lorenzi bzw. des Land- und Bauerngerichts in Nürnberg. Dazu kamen die hohen Kosten, die mit der im 16. Jahrhundert sehr aufwendigen konstituierenden Eröffnungssitzung verbunden waren. Die preußischen Behörden hoben schließlich das Zeidelgericht 1796 auf.[9] Interessanterweise wurde dieses Privileg (das Zeidelrecht) nie eigens aufgehoben. Ein rechtlicher Nachhall dieses Privilegs findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch mit seinen Bienenparagraphen.
Niedergang
In der Antike war Honig ein wichtiges Handelsgut. Die Römer nutzten Kerzen aus Wachs für ihre religiösen Feste; später die Kirche bei zahlreichen Zeremonien. Als der Bedarf an Bienenwachs für die Beleuchtung in Burgen, Kirchen, Klöstern und Städten stark anstieg, bekam die Imkerei Auftrieb. Es wurde vermehrt Wachs produziert, während Honig eher ein Nebenprodukt war. Im Zuge der Reformation wurde allerdings von den Kirchen weniger Kerzenwachs benötigt.
Der schleichende Niedergang der Zeidlerei verlief in Europa von West nach Ost. Der Niedergang wurde eingeleitet durch die Einfuhr von Rohrzucker, der aber noch im 17. Jahrhundert so teuer war, dass ihn sich nur reichere Leute leisten konnten. Erst der Anbau von Zuckerrüben in Europa im 19. Jahrhundert änderte die Situation grundlegend.
In der Lausitz, dem Baltikum und Russland konnte sich die Waldimkerei bis ins 19. Jahrhundert als ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor erhalten. Heute ist die Zeidlerei, zumindest in Deutschland, als Wirtschaftsfaktor völlig bedeutungslos. Im Rahmen des Naturschutzes gibt es in Mitteleuropa vereinzelte Versuche, Bienenvölker im Wald anzusiedeln und die Zeidlerei wieder aufzunehmen.[10]
Ausblick
Während in anderen Ländern die Zeidlerei nie aufgegeben wurde[11][12], gibt es in Mitteleuropa Bestrebungen, diese wieder, auch zur Förderung der Biodiversität, zu betreiben.[13]
Siehe auch
Literatur
- Max Wagner: Das Zeidelwesen und seine Ordnung im Mittelalter und in der neueren zeit : ein Beitrag zur Geschichte der Waldbenutzung und Forstpolitik, München : Kellerer, 1895 (Digitalisiert in der ZB MED).
- Eva Crane: The world history of beekeeping and honey hunting. Duckworth, London 2000, ISBN 0-7156-2827-5 (englisch).
- Karl Hasel, Ekkehard Schwartz: Forstgeschichte. Ein Grundriss für Studium und Praxis. 2., aktualisierte Auflage. Kessel, Remagen 2002, ISBN 3-935638-26-4.
- Richard B. Hilf: Der Wald. Wald und Weidwerk in Geschichte und Gegenwart – Erster Teil [Reprint]. Aula, Wiebelsheim 2003, ISBN 3-494-01331-4.
- Klaus Baake: Das Zeidelprivileg von 1350. München 1990.
- Adam Gottlob Schirach: Wald-Bienenzucht. Wilhelm Gottlieb Korn, Breslau 1774 (Digitalisiert in der BSB München).
- Johannes E Bischoff: Die Zeidelhuben und Bienenpflege im Sebalder Reichswald zwischen Erlangen und Nürnberg in siedlungs- und waldgeschichtlicher Sicht. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, 1956.
Weblinks
- Andere Projekte
- Sonstige
- Videos
Einzelnachweise
- Süddeutsche Zeitung: Vergessene Professionen: Diese Jobs gibt es nicht mehr. Abgerufen am 9. Mai 2020.
- Bayerischer Rundfunk: Geschichte der Imkerei : Von Zeidlern und hohlen Bäumen. 28. September 2017 (br.de [abgerufen am 15. Februar 2020]).
- Die Geschichte der Imkerei - Das Geschäft mit der Biene: am 2. Oktober 2017 um 9:05 Uhr und am 23. Oktober 2017 um 15:05 Uhr, radioWissen, Bayern 2
- Zeidelwesen - Markt Feucht. Abgerufen am 15. Februar 2020.
- Zeidler-Honig - Bienen in Baumhöhlen: am 14. Juli 2017 um 19 Uhr, Unser Land, BR Fernsehen
- Lotter, JM: Das alte Zeidelwesen in den Nuernbergischen Reichswaldungen. Fachbuchverlag-Dresden, 2015, ISBN 978-3-95692-038-7.
- Max Döllner: Entwicklungsgeschichte der Stadt Neustadt an der Aisch bis 1933. Ph. C. W. Schmidt, Neustadt a.d. Aisch 1950. (Neuauflage 1978 anlässlich des Jubiläums 150 Jahre Verlag Ph. C. W. Schmidt Neustadt an der Aisch 1828-1978.) S. 455.
- W. Schwemmer: Alt-Feucht. Feucht 1977, S. 9.
- Max Wagner: as Zeidelwesen und seine Ordnung im Mittelalter und in der neueren zeit : ein Beitrag zur Geschichte der Waldbenutzung und Forstpolitik. Kellerer, 1895, ISBN 978-3-95770-460-3.
- Zeidlerei. FREETHEBEES, abgerufen am 30. Juni 2019.
- Anforderungen an eine bienenfreundliche Kulturlandschaft. Deutscher Imkerbund, abgerufen am 29. Juli 2019.
- Traditional hunter honey bees forest in Nepal. Abgerufen am 29. Juli 2019 (englisch).
- André Wermelinger: Pilotprojekt zur Wiedereinführung der Zeidlerei in der Schweiz. Abgerufen am 29. Juli 2019.