Zehn kleine Negerlein
Zehn kleine Negerlein ist ein Lied in Form eines Zählreims, das in seinen zahlreichen Varianten in der Regel zehn Strophen enthält, in denen jeweils ein „Negerlein“ stirbt oder verschwindet. Es basiert auf dem amerikanischen Lied Ten Little Injuns aus dem Jahr 1868.
Da der Begriff „Neger“ ungefähr seit den 1980er Jahren als abwertend und rassistisch empfunden wird, steht der Zählreim seither den Konventionen von politischer Korrektheit entgegen.[1]
Geschichtlich stand am Anfang die Liedform, gefolgt von Kinderbüchern und später von abgeleiteten Liedern. Den Text des Zählreims gibt es in zahlreichen Versionen, die nicht immer von „Negerlein“ handeln. Zudem gibt es auch Variationen des Endes: In manchen sind am Schluss alle zehn verschwunden, in anderen sind sie, in der Regel durch Heirat, wieder vollzählig.
Geschichte
Das Lied Zehn kleine Negerlein geht auf das amerikanische Lied Ten Little Injuns von Septimus Winner (1827–1902) aus dem Jahr 1868 zurück. Das Wort Injuns ist eine Verballhornung des englischen Worts Indians für Indianer, von denen das Lied ursprünglich handelte.
Beide Lieder wurden ab 1868 bzw. 1869 in Form von Kinderbüchern auf den Markt gebracht. Die ältesten deutschen Ausgaben erschienen erst eine Generation später ab 1885. Durch das zeitliche Zusammenfallen mit der Berliner Kongokonferenz um die Aufteilung Afrikas werden die kleinen Negerlein oft mit dem deutschen Kolonialismus in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht.
Schon 1869 wurde es, möglicherweise von Frank J. Green, zu Ten Little Niggers umgereimt. Diese Fassung wurde zum Standardrepertoire der US-amerikanischen Blackface-Minstrel-Shows, in denen Weiße mit dunkel bemaltem Gesicht Schwarze nachspielten. Eine bekannte Blackface-Gruppe der Zeit, die Christy’s Minstrels, brachten die Ten Little Niggers nach Großbritannien, von wo sie europaweite Verbreitung fanden. Auch im Song Sweet Black Angel (1972) der englischen Band The Rolling Stones ist das Lied rezipiert („Ten little niggers sittin’ on wall […]“).
Bekannt wurde das Lied als Grundlage für den Roman Und dann gab’s keines mehr von Agatha Christie. (siehe hierzu den Artikel zum Roman.)
Texte
Der Text der ersten englischen Version von Septimus Winner (1868) ist unter dem Titel Ten Little Injuns bekannt. Hier ist die bekanntere Version von Frank Green (1869) dokumentiert.
Erste deutsche Version von F. H. Benary (1885)Zehn kleine Negerknaben schlachteten ein Schwein; |
Version von Frank GreenTen little Niggers going out to dine, |
Rezeption
Kinderbücher
Zehn kleine Negerlein ist ein Kinderbilderbuch, das sich über mehr als 100 Jahre weltweit ausbreitete; es erschien in mindestens 345 Editionen in 16 Ländern; nach der Zahl der Editionen am stärksten verbreitet in GB (104), Deutschland (96), USA (54), Niederlande (50), Österreich (13), Schweden (8), Schweiz (6), Australien (4), Frankreich (3), Neuseeland, Kanada, Palästina, Dänemark, Island, CSR, China (je 1). In Deutschland handelt es sich um das verbreitetste jemals gedruckte Kinderbuch.[3]
Nur einige der ältesten deutschen Fassungen zwischen 1890 und 1920 weisen 12 Szenen auf; dies geschah in Anlehnung an die Münchener Bilderbogen und die Fliegenden Blätter. Eine undatierte Darstellung von vermutlich 1890 aus dem Robrahn-Verlag Magdeburg wurde als Bilderbogen mit drei Reihen und je Reihe vier Szenen gestaltet, um ein rechteckiges Format zu gewährleisten. In den 1960er Jahren erschienen neben den zehn auch sechs, fünf und vier kleine Negerlein.
Lieder (Auswahl)
- Bill Haley: 10 Little Indians. 1953
- The Beach Boys: Ten Little Indians. 1962
- The Yardbirds: Ten Little Indians. 1967
- MTS: 10 böse Autofahrer. 1974
- Georg Danzer: Zehn kleine Fixer. 1979
- Leila Negra: Zwölf kleine Negerlein.
- Time to Time: 10 kleine Negerlein. 1991[4]
- Heiter bis wolkig: 10 kleine Nazischweine. 1993
- Onkel Hotte: Zehn kleine Glatzenköpp. 1993
- Fredrik Vahle: Zehn kleine Fledermäuse.
- Die Toten Hosen: Zehn kleine Jägermeister
Aus dem Album Opium fürs Volk. 1996 - Die Streuner: Zehn Orks.
- Dieter Süverkrüp: Ein rotes Kleberlein.
- Otto Waalkes: Zehn kleine Ottifanten.
- Die Gerd Show: Zehn kleine Flaschen Bier.
- B-Tight: 10 kleine Negerlein. Aus dem Album Neger Neger. 2007
- Ohrbooten: 10 kleine Menschlein. 2007
- Bligg: 10 Chlini Appenzeller. Aus dem Album 0816. 2008
- Feuerschwanz: 10 kleine Ritterlein. 2009
- Coni Allemann: 10 kleine Subaru. 2011 (als Bartli Valär)
- Swiss und die Andern: 10 Kleine Punkah. 2020
Verhältnis zum jiddischen Lied Tsen Brider
Ein jiddisches Volkslied von 1901 aus Sankt Petersburg behandelt die Tsen Brider (Zehn Brüder), die beim Handel mit zehn verschiedenen Waren nacheinander umkommen, weil sie – wie erst in der letzten Strophe offenbart wird – zu wenig zu essen haben. Die Melodie von Tsen Brider weicht von der Melodie zu Zehn kleine Negerlein ab. Sie ist melancholisch und der Refrain fehlt. Weiterhin konnten keine Verbindungen zwischen den Liedern nachgewiesen werden, weshalb ein direkter Zusammenhang als „möglich, aber unwahrscheinlich“ gilt.[5] Die Tsen Brider wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von einer ganzen Reihe deutscher Liedermacher neu bearbeitet und aufgeführt.[5]
Literatur
Literatur
- Vera Ferra-Mikura: Die zehn kleinen Negerlein. 1958
- James Krüss: Zehn kleine Negerlein. Eine musikalische Reise durch die Welt und das Einmaleins. 1963
- Thomas Freitag: Fällt ein Negerlein vom Dach herab. Das ganze Elend im Kinderlied. Regia Verlag, 2009, ISBN 978-3-939656-84-5
Fachbücher, Aufsätze
- Wulf Schmidt-Wulffen: Die „Zehn kleinen Negerlein“. Zur Geschichte der Rassendiskriminierung im Kinderbuch. LIT-Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-643-10892-0 (englisch: Wulf Schmidt-Wulffen: ‘Ten Little Niggers’ and ‘Zehn kleine Negerlein’. Racism in a Globalised Children’s Book: A German Point of View. LIT-Verlag, Zürich 2012)
- Juliane Kaune, Insa Hagemann: Der Professor und die „Negerlein“. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 24. Februar 2014, S. 11
Weblinks
- Ten little Injuns, Originalnoten von Septimus Winner. Abgerufen am 18. März 2015.
- Die Geschichte eines umstrittenen Kinderbuches. Peter Lukasch, abgerufen am 18. April 2012.
- Verschiedene Fassungen und Nachdichtungen von Zehn kleine Negerlein chronologisch
- Variante: …schlachteten ein Schwein (Benary-Fassung). Gerd Fahrenhorst, abgerufen am 18. April 2012.
- Variante: …die schliefen in der Scheun. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 12. September 2014; abgerufen am 21. Juli 2016.
- Variante: …die fuhren übern Rhein. Frank Petersohn, abgerufen am 18. April 2012.
- Variante: …die saßen einst beim Wein (DDR-Fassung). Henrik Petzold, abgerufen am 18. April 2012.
- Tsen brider sajnen mir gewesn. Wolfgang Martin Stroh, abgerufen am 18. April 2012.
Einzelnachweise
- Ulrike Kramer: Von Negerküssen und Mohrenköpfen. Begriffe wie Neger und Mohr im Spiegel der Political Correctness – Eine Wortschatzanalyse. Diplomarbeit, 2006. PDF, S. 11 ff.
- Dorothee Kreusch-Jacob: Ravensburger Lieder-Spielbuch für Kinder: über 70 Lieder und Verse zum singen und spielen. Otto Maier, Ravensburg 1978, ISBN 3-473-37409-1.
- Wulf Schmidt-Wulffen: Die „Zehn kleinen Negerlein“. Zur Geschichte der Rassendiskriminierung im Kinderbuch. LIT-Verlag, Münster 2010.
- Time To Time - 10 Kleine Negerlein. Abgerufen am 6. September 2020.
- Wolfgang Martin Stroh: „Tsen brider sajen mir gewesen“ – Der besondere Humor jiddischer Musik und dessen Erscheinungsformen in Deutschland. In: Ares Rolf, Ulrich Tadday (Hrsg.): Martin Geck. Festschrift zum 65. Geburtstag. Klangfarben Musikverlag, Dortmund 2001, ISBN 3-932676-07-6, S. 371–392.