Wolfgang Schmidt (Grafiker)

Wolfgang Schmidt (* 24. Juli 1929 i​n Fulda; † 8. März 1995 i​n Witzenhausen) w​ar ein deutscher Grafikdesigner, Typograf, Lehrer u​nd Vertreter d​er konkreten Kunst u​nd visuellen Poesie. Er g​ilt als bedeutender Vertreter d​er Gebrauchsgrafik u​nd künstlerischen Grafik i​n Deutschland n​ach dem Zweiten Weltkrieg u​nd gehörte z​ur Kasseler Schule d​er Plakatkunst, Buch- u​nd Zeitschriftengrafik.

Leben und Wirken

Wolfgang Schmidt begann 1950 s​ein Studium a​n der Staatlichen Akademie d​er Bildenden Künste i​n Stuttgart b​ei Karl Rössing. 1952 z​og er n​ach Kassel u​nd studierte b​is 1954 a​n der Staatlichen Werkakademie b​ei Hans Leistikow. In Kassel l​ebte er m​it Hans Hillmann i​n „einer Art Wohngemeinschaft, i​n der j​eder ein Dachzimmer für s​ich hatte.“[1] 1958 w​ar er Art Director d​er Zeitschrift Mobilia i​n Kopenhagen. Ab 1959 arbeitete Schmidt a​ls freischaffender Grafikdesigner zunächst i​n Frankfurt a​m Main, a​b 1961 i​n Dreieichenhain i​m südhessischen Landkreis Offenbach. In dieser Zeit gründete s​ich auch NOVUMGesellschaft für Neue Grafik, e​in loser Zusammenschluss v​on Gebrauchsgrafikern i​n Frankfurt. Gründungsmitglieder w​aren unter anderem Karl Oskar Blase, Fritz u​nd Dorothea Fischer-Nosbisch, Hans Hillmann, Günther Kieser, Helmut Lortz u​nd Hans Michel.[2] Auf Empfehlung v​on Hans Hillmann w​urde Schmidt i​n die Gruppe aufgenommen u​nd erhielt über s​ie in d​en Folgejahren zahlreiche Aufträge, w​ie die Gestaltung v​on Plakaten u​nd Programmheften für d​ie beiden Filmverleiher Neue Filmkunst Walter Kirchner u​nd Atlas Film. Seine Filmplakate a​us den 1960er Jahren für Die schmutzigen Hände 1960 (Regie: Jean-Paul Sartre), Capriolen 1963 (Regie: Gustaf Gründgens), Killing 1966 (Regie: Stanley Kubrick), Hamlet 1966 (Regie: Laurence Olivier) u​nd M Eine Stadt j​agt einen Mörder 1966 (Regie: Fritz Lang) zählen z​u den Höhepunkten deutscher Plakatgestaltung.[3][4]

Schmidt gestaltete – n​eben den Ausstellungs- u​nd Filmplakaten – Bücher, Firmenkataloge, visuelle Erscheinungsbilder u​nd Orientierungssystemen. Für d​ie Stadtbahn Frankfurt a​m Main entwickelte Schmidt Mitte d​er 1960er Jahre d​as Stadtbahnzeichen, d​as Orientierungssystem u​nd den Netzplan. Für d​en Buchhändler u​nd Galeristen Wendelin Niedlich i​n Stuttgart gestaltet e​r ab 1960 a​lle Drucksachen (Briefbogen, Visitenkarte, Lesezeichen, Anzeigen, Postkarten, Packpapier, Stempel) u​nd für d​ie Firma Vitsoe & Zapf entwickelte e​r ein variables Zeichen a​us farbigen Klebepunkten.[5]

lebenszeichen

Ab 1972 entwickelte Schmidt e​in serielles Bild- u​nd Textsystem d​as er lebenszeichen nannte.[6] Er b​ezog sich d​abei auf d​en menschlichen Körper (Auge, Ohr, Mund, Nase, Hand …), a​ber nicht nur. In unterschiedlichen Medienformaten w​ie Künstlerbuch, Mappenwerk u​nd Plakatserie veröffentlichte e​r die lebenszeichen i​n immer wieder n​euen Kombinationen, Überlagerungen u​nd Reihungen. Diese künstlerisch-gestalterische Arbeit nannte e​r „zweckfreie arbeit“, d​a sie o​hne Auftraggeber entstand. Bernard Safarik porträtierte Wolfgang Schmidt 1980 für d​en Hessischen Rundfunk i​n der Sendung 7 x Kunst – Neues a​us hessischen Ateliers u​nd stellte d​ie lebenszeichen vor.[7]

Für d​en Süddeutschen Rundfunk Stuttgart schrieb e​r 1976 d​as Typoskript lebenszeichen hören. Es w​ar der Versuch, d​as visuelle Zeichensystem seiner lebenszeichen Hörern e​iner Radiosendung verbal verständlich z​u machen.

Lehrtätigkeit

Wolfgang Schmidt unterrichtete a​ls Dozent u​nd Gastprofessor a​n der Werkschule Reykjavík, Island (1957), d​er Universität Bath, England (1969), d​er Hochschule für Gestaltung Offenbach (1970), d​er Hochschule für bildende Künste Kassel (1971–1974), d​er Hochschule Hamburg, (1975), d​er Merz-Akademie Stuttgart (1984–1986), d​er Fachhochschule Darmstadt (1984–1986) u​nd an d​er Universität d​er Künste Berlin (1986).[8]

Nachlass

Der Nachlass v​on Wolfgang Schmidt befindet s​ich seit 1990 z​ur wissenschaftlichen Bearbeitung a​n der Hochschule für Gestaltung i​n Offenbach a​m Main b​ei Friedrich Friedl.[9]

Werk

Buch

  • buch 5.1: falter. Verlag Wendelin Niedlich, Stuttgart 1964
  • buch 7: quadratschnitte. typos verlag, frankfurt am main 1966
  • buch 8: lilli. Neuauflage 50 Exemplare, Materialis Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 978-3-88535-094-1
  • buch 12: Oh ihr verdammten Arschlöcher. 1970–1972. Verlag Wendelin Niedlich, Stuttgart 1972[10]
  • buch 13: lyrikbändchen. verlag -- hainerweg 54, 6072 dreiech, 1977
  • buch 14: stellt Euch nicht so an. verlag -- hainerweg 54, 6072 dreiech, 1977
  • buch 15: blindmuster. verlag -- hainerweg 54, 6072 dreiech, 1977
  • buch 21: neu. edition experiment, slu slusallek, friedberg 1984
  • vielfarbengedicht. typos verlag, frankfurt am main 1963

Radio

  • lebenszeichen hören. Typoskript für eine Radiosendung im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart, 28 Blätter DIN A4 und DIN A3, Dreieich 1977.

Mappe

  • levenstekens / signs of life / lebenszeichen. Mappe mit 15 Blättern á 42 × 59,5 cm, Print Gallery Pieter Brattinga, Amsterdam 1975.
  • serie 19. 13 buchdrucke und 1 vorwort von franz mon. Edition Hansjörg Mayer, Stuttgart 1967.

Ausstellungen

Schmidts zweckfreie Arbeiten wurden i​n zahlreichen Zeitschriften, Ausstellungen, Ausstellungskatalogen u​nd Büchern – a​uch zur konkreten Kunst u​nd visuellen Poesie – veröffentlicht.

Einzelausstellungen

  • 1959: Galerie Zwirner, Essen.
  • 1961: Galerie Niedlich, Stuttgart; Galerie dato, Frankfurt am Main.
  • 1963: Galerie d, Frankfurt am Main.
  • 1965: wolfgang schmidt – serien, Galerie Baier, Mainz.
  • 1966: Galerie Dawo, Düsseldorf; Galerie situationen 60, Berlin.
  • 1967: Galerie Loehr, Frankfurt.
  • 1967: wolfgang schmidt – serien, Galerie Schütze, Bad Godesberg.
  • 1969: Galerie Lichter, Frankfurt; Kunsthalle Nürnberg.
  • 1974: wolfgang schmidt 24 blätter, Galerie Niedlich, Stuttgart.
  • 1975: levenstekens / signs of life / lebenszeichen, Print Gallery, Amsterdam.
  • 1977: lebenszeichen bei Modus, Berlin.[11]
  • 1979: lebenszeichen und andere sachen, Kunstverein Frankfurt am Main.
  • 1981: lebenszeichen und andere sachen, Institut für Neue Technische Form, Darmstadt.
  • 1982: um die insel gehen, Werkstatt Galerie, Frankfurt am Main
  • 1984: Ausstellung seiner Serien, Bücher und Projektionen, Galerie Hoffmann, Friedberg.
  • 1985: blätter und bücher, Vitsoe, Frankfurt am Main.

Gruppenausstellungen

Ausstellungskataloge

  • Gruppe Kassel. Ausstellung im Kasseler Kunstverein, Kassel 1955.
  • Ausstellungskatalog zur documenta III (1964) in Kassel: Band 3, Industrial Design, Graphik, Kassel/Köln 1964.
  • Schrift und Bild. 1. Internationale Kunstdidacta, Stedelijk Museum Amsterdam, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 1963, Konzeption und Redaktion von Ausstellung und Katalogbuch: Dietrich Mahlow; Plakat- und Kataloggestaltung: Wolfgang Schmidt.
  • Typomundus 20. Ein Projekt des International Center of the Typographic Arts (ICTA), New York, Reinhold Publishing Corporation New York, Studio Vista Ltd. London und Otto Maier Verlag, Ravensburg 1966.
  • Liesbeth Crommelin: ? klankteksten konkrete poezie. ? sound texts concrete poetry visual texts. ? akustische texte konkrete poesie visuelle texte. Stedelijk Museum, Amsterdam 1971.
  • Michael Glasmeier: buchstäblich wörtlich wörtlich buchstäblich. Eine Sammlung konkreter und visueller Poesie der sechziger Jahre in der Nationalgalerie, Berlin 1987, ISBN 3-88609-209-7, S. 89.
  • Dietrich Mahlow (Hrsg.): – auf ein Wort! Aspekte visueller Poesie und visueller Musik. Gutenberg-Museum, Mainz 1987, ISBN 3-921524-64-4.

Zeitschriften und Magazine

  • form – Zeitschrift für Gestaltung, Heft 138, II 1992, Leverkusen, S. 60.
  • form – Zeitschrift für Gestaltung, Heft 145, I 1995, Leverkusen, S. 78.
  • HQ High Quality – Zeitschrift über das Gestalten, das Drucken und das Gedruckte, Heft 21, 3/1991, Heidelberg, S. 56 ff.
  • PRO 24 – ein schriftlicher Vorgang. Jahrbuch für aktuelle literarische Tendenzen herausgegeben von Hansjürgen Bulkowski, Düsseldorf 1974, o. S.
  • PRO 25 – Jahrbuch für Mitteilungssysteme. Herausgegeben von Hansjürgen Bulkowski, Düsseldorf 1975, o. S.
  • PRO 26 – Jahrbuch für Mitteilungssysteme. Herausgegeben von Hansjürgen Bulkowski, Düsseldorf 1976, o. S.
  • PRO 27 – Jahrbuch für Mitteilungssysteme. Herausgegeben von Hansjürgen Bulkowski, Düsseldorf 1977, o. S.
  • OETZ – Zeitschrift im Fachbereich Design an der Fachhochschule Düsseldorf, Verantwortlich: Helmut Schmidt Rhen, Heft 2, Juni 1980, S. 41 – 43.

Literatur

  • Hans Hillmann, Gunter Rambow: Ein Plakat ist eine Fläche die ins Auge springt. Plakate der Kasseler Schule. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1979.
  • Arbeiten von Wolfgang Schmidt im Materialis Verlag. Mit Beiträgen von Dietrich Mahlow und Gisela Brackert, Materialis Verlag, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-88535-028-9.
  • Friedrich Friedl: Thesen zur Typografie. Linotype GmbH, Eschborn 1985.
  • Anke Jaaks: Worte und Bilder. Wolfgang Schmidt. Verlag Hermann Schmidt Mainz, 1992, ISBN 3-87439-238-4.
  • Franz Mon: Essays. Gesammelte Texte 1. Gerhard Wolf Janus Press, Berlin 1994, ISBN 3-928942-12-3.
  • Friedrich Friedl, Nicolaus Ott, Bernard Stein (Hrsg.): Typographie – wann, wer, wie. Könemann, Köln 1998, ISBN 978-3-89508-473-7.
  • Bernd Evers (Hrsg.): Die Poesie des Konkreten. Plakate und Graphik der Kasseler Schule. Staatliche Museen zu Berlin, 2000, ISBN 3-88609-445-6.
  • Jens Müller, Karen Weiland: FilmKunstGrafik – Ein Buch zur neuen deutschen Filmgrafik der 1960er Jahre. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Deutsches Filminstitut und Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-88799-044-2.
  • Klaus Peter Dencker: Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2011, ISBN 978-3-11-021503-8.
  • Julia Meer: Strukturierte Kreativität statt gerasterte Langeweile. Die variable Ordnung hinter den Arbeiten von Christian Chruxin, Wolfgang Schmidt und Helmut Schmidt Rhen. In: Petra Hesse, René Spitz (Hrsg.): System Design. Über 100 Jahre Chaos im Alltag. Köln 2015, ISBN 978-3-9811342-9-2.
  • Jens Müller, Julius Wiedemann (Hrsg.): Logo Modernism, Taschen, Köln 2015, ISBN 978-3-8365-4530-3.
  • Jens Müller, Julius Wiedemann (Hrsg.): The History of Graphic Design (2 Vols.); Taschen, Köln 2017/18, Band 1, ISBN 978-3-8365-6307-9; Band 2 ISBN 978-3-8365-7037-4.

Einzelnachweise

  1. Anke Jaaks (Hrsg.): Worte und Bilder. Wolfgang Schmidt. Hermann Schmidt, Mainz 1992, ISBN 3-87439-238-4, S. 7.
  2. Anke Jaaks (Hrsg.): Worte und Bilder. Wolfgang Schmidt. Hermann Schmidt, Mainz 1992, ISBN 3-87439-238-4, S. 10.
  3. Jens Müller, Karen Weiland (Hrsg.): FilmKunstGrafik – Ein Buch zur neuen deutschen Filmgrafik der 1960er Jahre. Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-88799-044-2, S. 298–313.
  4. Plakate von Wolfgang Schmidt. Museum für Gestaltung Zürich, abgerufen am 2. Januar 2021.
  5. Anke Jaaks (Hrsg.): Worte und Bilder. Wolfgang Schmidt. Hermann Schmidt, Mainz 1992, ISBN 3-87439-238-4, S. 16–17.
  6. Lebenszeichen. Vitsoe, 31. März 2017, abgerufen am 2. Januar 2021.
  7. Wolfgang Schmidt: aus dem drehbuch. In: Fachhochschule Düsseldorf (Hrsg.): OETZ – Zeitschrift im Fachbereich Design. Heft 2. Düsseldorf 1980, S. 42–43.
  8. Jens Müller, Karen Weiland (Hrsg.): FilmKunstGrafik – Ein Buch zur neuen deutschen Filmgrafik der 1960er Jahre. Frankfurt am Main 2007, S. 314.
  9. Friedrich Friedl: Wolfgang Schmidt – Würdigung seines grafischen und typografischen Gesamtwerks. In: Deutscher Werkbund e.V. (Hrsg.): werkundzeit. Nr. 4, 1992.
  10. Oliver Wood: Oh ihr verdammten Arschlöcher. In: Oliver Wood Books. Abgerufen am 2. Januar 2021 (englisch).
  11. Ausstellung Wolfgang Schmidt bei Modus. In: Modus Möbel Berlin. Modus, 11. September 1977, abgerufen am 2. Januar 2021.
  12. Piktogramme, Lebenszeichen, Emojis. Leopold-Hoesch-Museum, 24. September 2020, abgerufen am 3. Januar 2021.
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