Wimmelbild
Ein Wimmelbild ist ein großflächiges Bild, das sehr viele verschiedene Elemente, Figuren und Handlungen auf einem Bild zeigt.[1]
Charakteristik
Aufgrund der Gleichzeitigkeit und der Fülle an Details kann das Auge, während es auf das Kleine blickt, nicht zugleich das große Ganze der Bildkomposition wahrnehmen. Die visuelle Überwältigung ist zentral für das Genre der Wimmelbilder.[2] Auf Wimmelbildern sind Paradoxien der Zeitlichkeit darstellbar, ein teilweise bezugsloses Nebeneinander und gleichzeitiges Nacheinander von kontinuierender Darstellung und viele augenblickshaft eingefrorene Handlungen zugleich.[3]
Geschichte
„Wimmelbild“ als Begriff hat sich in der kunsthistorischen Forschung etabliert.[1]
Im Allgemeinen geht man davon aus, dass das Genre mit den Gemälden von Hieronymus Bosch im 15. Jahrhundert einsetzte,[2] dessen bekanntestes Wimmelbild Der Garten der Lüste ist. Ein weiteres Werk dieses Genres von Bosch ist Der Heuwagen.[1] Wimmelbildartige Darstellungen lassen sich aber in vielen Epochen finden. Auch die Trajanssäule (1. Jahrhundert) lässt sich als Wimmelbild beschreiben.[4]
Die Ebstorfer Weltkarte (um 1300) mit ihren zahllosen Ortsnamen, bildlichen Darstellungen und Erläuterungen stellt geradezu ein enzyklopädisches Wimmelbild dar.[5]
Weitere Beispiele aus der Kunstgeschichte sind die Anbetung der Könige von Gentile da Fabriano (14. Jahrhundert)[6] und Jan van Eycks Diptychon mit Kreuzigung und jüngstem Gericht (15. Jahrhundert).[7] Bilder, die als Wimmelbild bezeichnet werden können, gibt es auch von Hans Memling (15. Jahrhundert) und Albrecht Altdorfer (16. Jahrhundert).[8]
Pieter Bruegel der Ältere (16. Jahrhundert) schuf eine Reihe von Wimmelbildern,[9] unter anderem Der Kampf zwischen Karneval und Fasten, Die niederländischen Sprichwörter[10] und Die Kinderspiele.[11]
Der Kampf zwischen Karneval und Fasten |
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Pieter Bruegel der Ältere, um 1559 |
Öl auf Eichenholz |
118 cm × 164,5 cm |
Kunsthistorisches Museum, Wien |
Gegenwart
Wimmelbilder erscheinen in den letzten Jahrzehnten häufig in Wimmelbilderbüchern für Kinder.[12] Oft sind sie vom erhöhten Standpunkt aus gemalt, sodass der kindliche Blick über bunt angefüllte Landschaften schweifen kann. Sie sind auf Abwechslungsreichtum hin angelegte Szenerien, die die kindliche Aufmerksamkeit fesseln.[3]
Aber auch in der Kunst der Gegenwart lassen sich zahlreiche Künstler finden, deren Werke als Wimmelbilder bezeichnet werden. So gilt das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke als wahrscheinlich größtes Wimmelbild.[13]
Es gibt auch Fotoinstallationen, die Wimmelbildern ähneln, wie zum Beispiel von Geoffrey Farmer.[14] Die Gemälde von Ali Banisadr sind oft mit Wimmelbildern verglichen worden,[15] wie auch die Bilder von Jonas Burgert[16] und die Werke von Jake und Dinos Chapman.[3] Auch von Keith Haring gibt es Werke, die als Wimmelbilder beschrieben werden.[17][18]
Wimmelbilder finden sich zahlreich bei Cartoonisten und Comiczeichnern der Gegenwart. Bekannt für Arbeiten in diesem Genre sind insbesondere Gerhard Seyfried, der sie erstmals auch als Wahlplakate entwarf,[19] und Tomas Bunk.[20] Weitere Wimmelbildkünstler aus diesem Bereich sind Ivo Kircheis[21], Marian Meinhardt-Schönfeld[22] und Hannes Mercker.[23]
Wimmelspiele sind eine Variante von Computerspielen, die nach dem Prinzip eines Wimmelbildes funktionieren.
Ein Wimmelbild ist auch die Grundlage des Rätselspiels MicroMacro: Crime City.
Weblinks
Einzelnachweise
- Nils Büttner: Hieronymus Bosch. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-63336-2, S. 102 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Thomas Linden: Sven Nordqvist. „Spaziergang mit Hund“. Pettersson, Findus und die abendländische Malerei. In: Deutschlandfunk. 18. Mai 2019, abgerufen am 17. August 2019.
- Christian Janecke: Maschen der Kunst. Hrsg.: Anne Hamilton. 1. Auflage. zu Klampen, Springe 2014, ISBN 978-3-86674-426-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Die Trajanssäule. Ein Wimmelbild für den Kaiser. In: Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie (RGZM). Abgerufen am 17. August 2019.
- Gerhard Wolf: Deutschsprachige Reiseberichte des 14. und 15. Jahrhunderts. Formen und Funktionen einer hybriden Gattung. In: Wolfgang Achnitz (Hrsg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter. Reiseberichte und Geschichtsdichtung. Band 3. De Gruyter, Berlin / Boston 2012, ISBN 978-3-598-24992-1, S. 25 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Norbert Schneider: Kunst der Frührenaissance in Italien. Exemplarische Interpretationen. Malerei (= Norbert Schneider [Hrsg.]: Karlsruher Schriften zur Kunstgeschichte. Band 13). Band 2. Lit Verlag, Berlin / Münster 2018, ISBN 978-3-643-13928-3, S. 12–13 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Renate Prochno: Konkurrenz und ihre Gesichter in der Kunst. Wettbewerb, Kreativität und ihre Wirkungen. Akademie Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-05-004230-3, S. 70 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Susanna Partsch: Schau mir in die Augen, Dürer! Die Kunst der Alten Meister. C.H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71206-7, S. 102 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Götz Pochat: Bild-Zeit. Zeitgestalt und Erzählstruktur in der bildenden Kunst des 16. Jahrhunderts (= Ars Viva. Band 12). Band 3. Böhlau Verlag, Köln / Wien 2015, ISBN 978-3-205-20183-0, S. 349 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Norbert Schneider: Von Bosch zu Bruegel. Niederländische Malerei im Zeitalter von Humanismus und Reformation (= Norbert Schneider [Hrsg.]: Karlsruher Schriften zur Kunstgeschichte. Band 10). Lit Verlag, Berlin / Münster 2015, ISBN 978-3-643-13092-1 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Jürgen Müller: Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels d. Ä. Wilhelm Fink, München 1999, ISBN 3-7705-3191-4, S. 40.
- Susanne Utsch: Wimmelbild-Ausstellung. Menschen, Tiere, Sensationen. In: Deutschlandfunk Kultur. 12. Dezember 2014, abgerufen am 17. August 2019.
- 333 Freizeittipps für Thüringen (83): Deutschlands größtes Wimmelbild. In: Thüringer Allgemeine. 26. Januar 2016, abgerufen am 16. August 2019.
- Simone Reber: Geoffrey Farmer bei der Berlin Art Week. Wimmelbild und Welttheater. In: Der Tagesspiegel. 14. September 2017, abgerufen am 17. August 2019.
- Anne Kohlick: Künstler Ali Banisadr im Interview. „Ein Maler ist heutzutage so etwas wie ein Dinosaurier“. In: Monopol. 7. Oktober 2018, abgerufen am 17. August 2019.
- Daghild Bartels: Dieser Künstler malt mit ungeheurem Furor. Jonas Burgert choreografiert in seinen apokalyptisch anmutenden Wimmelbildern ein surreales Welttheater. In: Neue Zürcher Zeitung. 11. Juni 2018, abgerufen am 17. August 2019.
- Amna Frazke: Kein Underdog. In: Taz. 23. März 2018, abgerufen am 19. August 2019.
- Bettina Steiner: Ausstellung in Albertina. Harings harmlose Schrecken. In: Die Presse. 18. März 2018, abgerufen am 19. August 2019.
- Katrin Heise: Der Comic-Zeichner aus der Sponti-Szene. In: Deutschlandfunk Kultur. 21. März 2018, abgerufen am 17. August 2019.
- Gerhard Seyfried: Tomas Bunk. Mad in Germany. In: Der Tagesspiegel. 5. Juni 2015, abgerufen am 18. August 2019.
- Ivo Kircheis: Vielseitiger Allrounder mit Lust am Neuen. In: Goethe-Institut – Comics / Deutschsprachige Comics. Abgerufen am 18. August 2019.
- Henry Berndt: Dresdens Herr der Wimmelbilder. In: Sächsische.de. 16. Mai 2020, abgerufen am 3. Februar 2021.
- Stephan Onnen: Cartoonist zeichnet Stadt. Oldenburg wimmelt. In: Nordwest-Zeitung. 15. November 2015, abgerufen am 17. August 2019.