Wilma Conradi
Wilma Conradi (* 13. Mai 1905 in Hannover; † 27. Oktober 1992 ebenda) war eine sozialdemokratische Kommunalpolitikerin[1] und Zeitzeugin der Arbeiterbewegung.[2]
Leben
Geboren zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs in Hannover, wuchs Wilma Conradi ab dem ersten Lebensjahr in der seinerzeit selbständigen Industriestadt Linden[3] auf,[1] wo ihr Vater bei der Hanomag arbeitete. Zeitlebens blieb Wilma Conradi in dem später hannoverschen Stadtteil wohnen.[1] 1912 wohnte die Familie nahe dem Deisterplatz, als Wilmas Vater nach der Reichstagswahl 1912 aus dem Wahllokal der Familie entgegenlief mit den Worten „Wir haben gesiegt! Wir haben gesiegt! Die Rote Fahne weht über Linden.“[4][Anm. 1]
Conradis Eltern waren Mitglieder der SPD, ihr Vater las der Familie regelmäßig aus der SPD-Zeitung Volkswille vor. Als Conradis Vater im August 1914 als Soldat in den Ersten Weltkrieg zog, arbeitete ihre Mutter als Schneiderin, um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Wilma Conradi ging zunächst auf eine Volksschule, durfte aufgrund ihrer guten Leistungen dann aber eine sogenannte „Selectaklasse“ besuchen. Im Anschluss erhielt sie eine Freistelle in der städtischen Handelsschule für Mädchen.[1]
Conradis Vater kam im September 1914 schwerverwundet in französische Kriegsgefangenschaft und kam erst im Februar 1920 mit einem lahmen Bein zurück.[5] Ein Jahr lang fand er keine Arbeit, und so musste Wilma Conradi schon als Jugendliche und Älteste ihrer Geschwister ins Büro und auch abends arbeiten gehen, damit ihre jüngeren Brüder weiter die Schule besuchen konnten und die Familie versorgt war. So wechselte Conradi oft den Arbeitgeber und arbeitete zuletzt bei Kaffee Grote.[1]
Zwei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter fing sie erneut bei Grote zu arbeiten an. Durch das hohe Arbeitspensum fand Wilma Conradi nie die Zeit, sich in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend zu engagieren.[1]
Im Alter von 21 Jahren – seinerzeit der Beginn der Volljährigkeit – trat Wilma Conradi 1926 in die SPD ein und aus der Kirche aus.[1] Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nahm Wilma Conradi an heimlichen Zusammenkünften ihrer SPD-Genossen teil.[1]
Nach Kriegsende war Conradi Frauenleiterin in der hannoverschen SPD.[6] Sie ließ sich von August Holweg überreden, sich im Rat der kriegszerstörten Stadt zu engagieren.[1] Als sie am 13. Oktober 1946 – ebenso wie Elfriede Döler – als eine der ersten Frauen nach der Zeit des Nationalsozialismus und noch zur Zeit der Britischen Besatzungszone in den Stadtrat einzog,[7] war Wilma Conradi 41 Jahre alt, geschieden und alleinerziehend. Während der Sitzungen kümmerte sich Conradis Mutter um ihre Tochter.[1]
Von 1952 bis 1965 arbeitete Conradi im SPD-Bezirksbüro für Hermann Schönleiter und Hans Striefler. Sie war vor allem im Werks-, Schul- und Bauausschuss tätig. Der Werksausschuss befasste sich mit der Versorgung der Stadt mit Wasser, Strom und Gas, da in zerstörten Stadt nur wenige Wohnungen funktionierende Leitungen hatten. Im Werksausschuss war Conradi mit der Planung und Koordination der Reparaturen befasst. Sie engagierte sich insbesondere für das Heizkraftwerk Linden. Nachdem die Stadtwerke Hannover in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden waren, konnte der Werksausschuss 1970 aufgelöst werden.[1]
1964 wurde Wilma Conradi mit dem Ehrenring des Rates der Landeshauptstadt Hannover ausgezeichnet.[6]
„Die Liebe zu ihrem Stadtteil Linden“ zeigte sich auch durch Conradis Einsatz für das Freizeitheim Linden,[1] das 1961 als erstes seiner Art in Deutschland errichtet wurde.[8]
Auch an der Durchsetzung der IGS Linden,[1] der ersten Integrierten Gesamtschule der Landeshauptstadt[9] und 1971 eine von nur sieben Versuchsschulen in Niedersachsen[10] beteiligte sich die Ratsfrau, die sich – zuletzt als Vorsitzende des Schulausschusses[11] – für ein modernes Schulwesen einsetzte.[1]
1972 – mehr als ein Viertel Jahrhunderts in ehrenamtlicher Tätigkeit – schied Wilma Conradi aus ihrem Amt als Stadträtin aus. Sie starb zwei Jahrzehnte später.[1]
Wilma-Conradi-Weg
Nach dem Beschluss der hannoverschen Ratsversammlung von 1999, zukünftig verstärkt Straßen, Wege, Plätze und Brücken nach weiblichen Persönlichkeiten zu benennen, die Bedeutendes in Hannover geleistet haben[12] ehrte die Landeshauptstadt ihre langjährige Ratsfrau posthum durch die Namensgebung des Wilma-Conradi-Weges im Jahr 2003 im Stadtteil Linden-Mitte.[13]
Literatur
- Susanne Döscher (Red.): Zeitzeugen der Arbeiterbewegung. Von Kindesbeinen an ... Hrsg.: Freizeitheim Linden der Landeshauptstadt Hannover, Hannover: Landeshauptstadt Hannover, Der Oberstadtdirektor, 1985, DNB 860208818, passim.
Anmerkungen
- Im 8. hannoverschen Wahlkreis (Stadt und Landkreis Hannover sowie die Stadt Linden) hatten die Wähler mit 53 Prozent für die SPD gestimmt, vergleiche Dieter Brosius: Die Industriestadt. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.): Geschichte der Stadt Hannover. Band 2: Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 1994, ISBN 3-87706-364-0, S. 346. (online über Google-Bücher)
Einzelnachweise
- Jasmin Straßburger, Frank Straßburger: Wilma Conradi auf der Seite des SPD-Stadtverbands Hannover in der Version vom 21. März 2016.
- Susanne Döscher (Red.): Zeitzeugen der Arbeiterbewegung ... (siehe Literatur)
- Klaus Mlynek: Linden. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.) u. a.: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 406ff.
- Elke Oberheide: „... und unsere Fahne ist rot.“ Ein Freizeitheim in Hannover erforscht die Geschichte des Arbeiterstadtteils Linden. In: Gerhard Paul, Bernhard Schossig (Hrsg.): Die andere Geschichte. Geschichte von unten, Spurensicherung, ökologische Geschichte, Geschichtswerkstätten. Bund-Verlag, Köln 1986, ISBN 3-7663-0946-3, S. 190. (Vorschau über Google-Bücher)
- Peter Schulze: Die hannoversche Arbeiterbewegung und der 1. Weltkrieg. Ausstellung. Deutscher Gewerkschaftsbund Niedersachsen-Mitte, 2014.
- Projekt Straßennamen: Liste der beizubehaltenden Straßennamen. Städtische Erinnerungskultur: "Wissenschaftliche Betrachtung namensgebender Persönlichkeiten". (PDF), hannover.de, 29. September 2015.
- Georg Barke: Fortschritte 1960–1964. Hannover - 4 Jahre Ratsarbeit. Hrsg. von der Landeshauptstadt Hannover. Steinbock Verlag, Hannover, S. 143.
- Helmut Knocke, Hugo Thielen: in dies.: Hannover Kunst- und Kultur-Lexikon. 1961, S. 20.
- Bärbel Hilbig: Vor 40 Jahren startete die erste Gesamtschule in Hannover. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung. 6. Juni 2011.
- Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.): Hannover Chronik. Von den Anfängen bis zur Gegenwart: Zahlen, Daten, Fakten. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 1991, S. 267.
- Der Städtetag. Band 25, 1972, S. 448.
- Bedeutende Frauen in Hannover. Eine Hilfe für künftige Benennungen von Straßen, Wegen, Plätzen und Brücken nach weiblichen Persönlichkeiten. Red. Christine Kannenberg und Sabine Poppe, hrsg. von der Landeshauptstadt Hannover, Referat für Frauen und Gleichstellung, Fachbereich Planen und Stadtentwicklung, Stand Juni 2013, Hannover o. J., S. 67; online als PDF-Dokument
- Helmut Zimmermann: Hannovers Straßennamen - Veränderungen seit 2001. In: Hannoversche Geschichtsblätter. Neue Folge Band 57/58, 2003/2004, S. 284.