William Fitz Osbert
William Fitz Osbert (* in London; † 6. April 1196 in Tyburn oder auf dem Smithfield) – auf Grund seines auffälligen Vollbartes auch Longbeard (englisch für Langbart) oder William cum barba (lateinisch für mit Bart) genannt – war ein englischer Rechtsgelehrter und Revolutionär, der einen der wenigen bürgerlichen Aufstände des Mittelalters im Königreich England anführte.
Er wurde in eine wohlhabende Beamtenfamilie hineingeboren. Um 1185 erbte er die Landflächen seines Vaters, die er jedoch teilweise wieder an seinen älteren Bruder Richard verpachtete. Mit den eingenommenen Pachtgebühren finanzierte er sich eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Anschließend war er einer der maßgeblichen Organisatoren und Koordinatoren der Londoner Teilnehmergruppe beim dritten Kreuzzug und partizipierte in dessen Verlauf unter anderem 1190 in Portugal im Kampf gegen die Mauren. Osbert wird von Chronisten als „bewandert mit Gesetzen“ beschrieben; sein Charisma und seine guten Kontakte verschafften ihm eine Arbeitsstelle entweder beim Londoner Richteramt oder in der Stadtverwaltung.
Quellenlage
Hauptquellen bezüglich Osberts Leben sind die Aufzeichnungen der vier zeitgenössischen Londoner Chronisten Wilhelm von Newburgh (* 1136; † 1198), Gervasius von Canterbury (* 1141; † 1210), Roger von Hoveden (bl. 1174–1201) und Radulfus de Diceto († 1202).
Wilhelm von Newburgh war Mitglied der Augustiner-Chorherren-Priorei von Coxwold, North Yorkshire, und erwähnt die Aufstände in seinem Hauptwerk Historia rerum Anglicarum (auch Historia de rebus anglicis, übersetzt: Geschichte der englischen Angelegenheiten), das er auf Bitten des Abts Ernald der Rievaulx Abbey verfasste und in dem er die Geschichte Englands zwischen 1066 und 1198 skizzierte. Seine Berichte über Unruhen sind am ausführlichsten und detailreichsten und basieren auf Aussagen eines Augenzeugen, der Osbert hat sprechen hören. Newburgh erwähnte zwar das Problem der Steuerungleichverteilung und den Unmut der Bevölkerung, war jedoch der Ansicht, dass Osbert dieses Argument als Vorwand zur Erlangung selbstsüchtiger Ziele benutzt habe. Die gleiche Meinung vertrat auch Radulfus de Diceto. Über diesen Chronisten, der über Osbert in seinen Ymagines Historiarum berichtete, sind vergleichsweise viele sichere biographische Informationen bekannt. So studierte er vermutlich in Paris, wurde 1152 zum Erzdiakon von Middlesex ernannt und war ab etwa 1180 Dekan der St Paul’s Cathedral. Bereits 1166 wählten ihn die englischen Bischöfe zum Gesandten, der in ihrem Namen gegen mehrere aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Exkommunikationen protestieren sollte, die der Erzbischof von Canterbury Thomas Becket ausgesprochen hatte. In London wurde er eine prominente Figur der Gesellschaft mit guten Kontakten zum königlichen Hof.
Viel Verständnis für die Sorgen der armen Bevölkerung Londons und die daraus resultierende Unzufriedenheit zeigte Roger von Hoveden, über dessen Person man heutzutage nur wenig weiß. Erstmalige Erwähnung fand er 1174, als er von Frankreich aus von König Heinrich II. auf eine Geheimmission zu den Lords der südschottischen Region Galloway entsendet wurde. Im Folgejahr tat er sich als Vermittler in Streitigkeiten zwischen dem König und mehreren klerikalen Häusern hervor. Um 1189 war er Forstverwalter in Yorkshire, Cumberland und Northumberland. Überliefert ist zudem, dass Hoveden am dritten Kreuzzug teilnahm und sich den Truppen Richards I. im August 1190 in Marseille anschloss. Ziemlich genau ein Jahr später begab er sich im Gefolge des französischen Königs Philipp II. auf die Heimreise nach Europa. Dort begann er 1192 seine Chronica, eine allgemeine Geschichtschronik Englands ab 732. Gänzlich zu Rogers Meinung entgegengesetzt schrieb Gervasius in seinem ebenfalls Chronica betitelten Werk, das er ab 1188 verfasste und das die Jahre von 1100 bis 1199 behandelt. So erwähnte er die Steuerproblematik mit keinem Wort und machte ausschließlich Osbert sowie die leichtgläubige Masse der Bevölkerung für die Unruhen verantwortlich. Er entstammte vermutlich einer Familie aus Kent und wurde am 16. Februar 1163 von Thomas Becket als Mönch an der Kathedrale von Canterbury ordiniert. Am 18. Juni 1178 notierte er die Aussagen von fünf Mönchen, die an der schmalen Mondsichel außergewöhnliche Lichtblitze und feurigen Auswurf beobachtet hatten. Heute nimmt man an, dass es sich dabei möglicherweise um den Einschlag jenes Meteoriten gehandelt haben könnte, der den mittlerweile als Giordano Bruno bekannten Strahlenkrater gebildet hat. Gervasius war maßgeblich in die Streitigkeiten mit dem Erzbischof Balduin von Exeter verwickelt und unter anderen 1189 Mitglied einer Delegation, die Richard I. die Meinungsverschiedenheiten erläutern sollte. Ab 1193 bekleidete er für etwa sieben Jahre das Amt des Küsters.
Die „Osbert-Krise“
Ausgangslage
Im ausgehenden 12. Jahrhundert war die englische Hauptstadt London beim Eintreiben der vom König geforderten Abgaben autark. Die politisch Verantwortlichen konnten also selbständig über die Verteilung der Steuerlast entscheiden – solange nur am Ende die benötigte Summe zusammenkam. Zu diesem Zweck war die Stadt in zwei Steuerbezirke eingeteilt, denen jeweils ein Alderman vorstand. Auf abgehaltenen Treffen gaben diese die Höhe der jeweils erwarteten Zahlungen bekannt, einigten sich mit anderen Anwesenden auf die Aufteilung und begannen mit der Organisation des Einsammelns. Sowohl der Prozess des Abwägens als auch das letztendliche Eintreiben der Abgaben war eine kommunale Aktivität, bei der nachbarschaftliche Gruppen zusammenarbeiten mussten. Bei jeder neuen Steuer musste die Aufteilung des Bürgervermögens auf diese Weise neu beschlossen werden. Mehr als jeder andere Aspekt der Zivilpolitik sorgte die Besteuerung auch auf Grund dieses Systems für Konflikte unter Nachbarn und verschärfte bereits bestehende Spannungen, speziell zwischen den armen und den reichen Gruppen der Bevölkerung.
In den ärmeren Schichten schwelte bereits längere Zeit Unmut über die abverlangten Steuern. Man empfand sie als ungerecht verteilt und sah sich gegenüber der bürgerlichen Elite benachteiligt. Zudem wurden die Abgaben regelmäßig erhöht. In den späten 1180er sowie der ersten Hälfte der 1190er Jahre forderten die Monarchen darüber hinaus die Zahlung diverser neu eingeführter Steuern. So erhob der englische König Heinrich II. beispielsweise im Februar 1188 einen Zehnt auf Mietzinsen und Fahrnisse. Mit dem eingebrachten Geld sollte eine Rückeroberung des fünf Monate zuvor an die Ayyubiden gefallenen Jerusalem finanziert werden. Da die Engländer diesem Manöver eher pessimistisch und misstrauisch gegenüberstanden, war im Volksmund auch die pejorative Bezeichnung „Saladin-Zehnt“ gebräuchlich. Heinrichs Sohn Richard I. (Richard Löwenherz) bürdete der Bevölkerung weitere Lasten auf, da er Geldmittel zur militärischen Aufrüstung in Hinblick auf den dritten Kreuzzug benötigte. 1193 waren die Einwohner des Reichs aufgerufen, ihren Beitrag zum Lösegeld für den von Heinrich VI. auf der Reichsburg Trifels festgesetzten Richard zu leisten. Diese Abgabe wurde vermutlich in zwei hohen Raten verlangt. Im Folgejahr wurde im April erstmals die Carucage erhoben, eine Steuer von zwei Shilling pro Carucata Besitz – wobei ein Carucate ungefähr einem Hide entsprach. Hinzu kamen die Abgaben, die ohnehin regulär zu leisten waren. In Verbindung mit den außergewöhnlichen Einforderungen der Krone rückte die Steuerpolitik so in den Vordergrund des gesellschaftlichen Diskurses.
Aufstand
Anfang des Jahres 1196 schwang sich Osbert zum Wortführer einer Gruppe unzufriedener Bürger aus den ärmeren Bevölkerungsschichten auf. Hauptkritikpunkt seiner bei öffentlichen Versammlungen vorgetragenen Ansprachen waren die aus seiner Sicht unausgewogene Verteilung der Steuerlast, die veralteten und undurchdringbaren Netzwerkstrukturen der Londoner Obrigkeit sowie die zwei Jahre zuvor verlangte Carucage, die zu Teilen auch in das Lösegeld für Richard geflossen war. Die Chronisten beschreiben Fitz Osbert allesamt als einen „mittelmäßig gebildeten, aber ungewöhnlich eloquenten“ Mann mit einem „wachen Geist“. Zudem soll er über eine sehr gute Rhetorik verfügt haben. Unter anderen war es diesen Umständen geschuldet, dass er innerhalb weniger Wochen stetig mehr Gleichgesinnte um sich sammeln konnte. Mit der Zeit kam es immer häufiger zu Großdemonstrationen durch die Straßen Londons. Mit emotionalen Brandreden in der St Paul’s Cathedral gelang es ihm, die Massen zu mobilisieren und auch zahlreiche Angehörige des Mittelstandes von seinen Ideen zu überzeugen. Er unterstellte die Demonstranten durch Eide seinen Befehlen und hatte bald knapp 52.000 ihm folgende Anhänger.[1]
Die Unruhen wurden zunehmend gewalttätiger. So wurden beispielsweise im gesamten Stadtgebiet Waffenlager aufgebrochen. Die derart ausgestatteten Revolutionäre plünderten Häuser der Oberschicht, errichteten Barrikaden und verwüsteten unter anderem das Kirchenschiff der St Paul’s Cathedral. Gervase of Canterbury und Roger of Howden schrieben, Osbert hätte im Frühjahr 1196 in London mehr Einfluss gehabt als der offizielle Mayor Henry Fitz-Ailwin de Londonestone. Osbert war allerdings keineswegs an einem Sturz der Monarchie interessiert. Im Gegenteil unternahm er – als die Lage immer angespannter wurde – sogar eine längere Reise zu einer Audienz bei Richard I. Das Treffen kam vermutlich auf Grund noch bestehender guter Kontakte aus der Zeit des Kreuzzuges zustande. Der König hielt sich zu jener Zeit in der Normandie auf und Osbert erläuterte ihm die Lage, woraufhin ihm und seinen Gefolgsleuten Straffreiheit zugesichert wurde. Gleichzeitig hatte der König jedoch auch administrativen Vertretern der Stadt seinen Segen und seine ideelle Unterstützung mitgeteilt – vermutlich in der Hoffnung auf eine gütliche Einigung.
„With joy shall ye draw water out of the wells of salvation. (Jes 12,3 ) I am the savior of the poor. Do ye, oh, poor! Who have experienced the heaviness of rich men’s hands, drink from my wells the waters of the doctrine of salvation, and ye may do this joyfully; for the time of your visitation is at hand. For I will divide the waters from the waters. The people are the waters. I will divide the humble from the haughty and treacherous. I will separate the elect from the reprobate, as light from darkness“
Mitglieder des Magistrats wandten sich an den Erzbischof von Canterbury Hubert Walter, der gleichzeitig auch englischer Oberjustiziar war und dem es oblag, während der Abwesenheit des Königs Recht und Ordnung im Reich zu garantieren. Sein Plan war zunächst, die Solidarität der kaufmännischen Gruppen mit Osbert zu lösen. Aus diesem Grunde erließ er den Befehl, Londoner Händler in Arrest zu nehmen, die Märkte außerhalb der Stadt in anderen Gemeinden bedienten. Diese Maßnahme sollte die Marktverkäuferschaft, die Osbert deckte und unterstützte, unter Druck setzen. Tatsächlich wurden beispielsweise in Stamford Hill einige Händler verhaftet. Die Initiative zeigte jedoch nicht die gewünschte Wirkung, weshalb Walter zu schärferen Methoden griff. Er berief seinerseits Versammlungen ein und verlangte von den einfachen Bürgern die Herausgabe von Geiseln. Diese würden von der Justiz bestraft werden, sollte die Bevölkerung sich dem König gegenüber nicht loyal verhalten. Osbert ließ sich vom Vorgehen Walters nicht beeindrucken und organisierte weiterhin Protesttreffen und Demonstrationen. Von Mal zu Mal wurden diese pompöser inszeniert und auch sein eigenes Auftreten und seinen Habitus änderte der Revolutionär, der sich von seinen Anhängern zunehmend als erhabener Führer feiern ließ. Anfang April entschloss sich der Erzbischof, die Unruhen notfalls auch mit Gewalt zu beenden. Er entsendete zwei Boten, die Osbert in einem unbeobachteten Moment festnehmen sollten. Beide wurden jedoch von den Demonstranten vertrieben. Die Stimmung wurde immer gereizter und als schließlich bewaffnete Männer – unterstützt von wohlhabenden Angehörigen der Oberschicht – ins Stadtzentrum einmarschierten, um Osbert festzusetzen, entwickelte sich eine Straßenschlacht. In deren Verlauf gelang es Osberts Mitstreitern, die Angreifer empfindlich zu schwächen, wobei er selbst einen der Anführer tötete.
Anschließend verbarrikadierte er sich mit einigen Gefolgsleuten im Turm der Kirche St Mary-le-Bow. Die Gruppe verfügte über ausreichend Waffen und Lebensmittel für mehrere Tage. Doch schon bald steckten magistratstreue Kämpfer das Gebäude in Brand und räucherten die Aufständischen aus. Diese flüchteten notgedrungen aus dem Kirchturm und wurden auf der Straße sogleich überwältigt. In dem Tumult wurde Osbert mit einem Messer angegriffen und im Bauchbereich verwundet. Zeitgleich bezogen immer mehr Soldaten im Stadtgebiet Stellung, um den Bürgern keine Möglichkeit zu neuerlichen Protesten zu geben. Man inhaftierte Osbert im Tower of London und unterzog ihn dort einer peinlichen Befragung. Nach einigen Tagen wurde er rasch verurteilt, hinter einem Pferd durch die Stadt geschleift und schließlich am Richtplatz im Dorf Tyburn[3] in Ketten gefesselt zusammen mit neun Demonstranten, die sich nicht von ihm lossagen wollten, gehängt. Osbert war somit der vermutlich erste Verurteilte, der an diesem bis 1783 genutzten offiziellen Exekutionsort der City of London starb. Einige Quellen sprechen auch von den Ulmen auf dem Smithfield im Stadtzentrum als Ort der Hinrichtung[4] oder geben an, dass er – bevor aufgehängt – gevierteilt wurde.[5]
Motive
Die gesellschaftlichen Probleme als vordergründige Ursachen der Proteste hinterfragend spekulierten die Chronisten auch über mögliche familiäre Motive Osberts, gegen das Establishment zu kämpfen. Besonders ein Konflikt mit seinem älteren Bruder Richard findet häufige Erwähnung. William entstammte zwar einer gut situierten Familie, war aber als jüngerer Sohn wohl finanziell sehr gut abgesichert, aber nicht ausgesprochen wohlhabend. Nach Newburgh – der William als undankbar seinem Bruder gegenüber charakterisiert – resultierte aus dieser Tatsache verbunden mit etwas Narzissmus eventuell Ärger über den Umstand, dass er sich von reicheren Personen sein Leben bestimmen lassen sollte und er nicht deren soziokulturelles Niveau erreichen konnte. Er berichtete, William habe Richard Betrug des Königs vorgeworfen. Dasselbe Argument griff auch Diceto auf, als er niederschrieb, der Demonstrantenführer habe auf den öffentlichen Massenversammlungen mehrfach den Tod seines Bruders und zweier weiterer angesehener Bürger gefordert, da sie angeblich den König betrogen hätten.
Zunächst wirken diese Vermutungen seitens der Chronisten wie konstruierte Anschuldigungen gegen William Fitz Osbert mit dem Ziel, die komplexe Thematik der politischen Krise zugunsten der Simplifizierung der Erzählung auf den Streit eines Brüderpaares zu reduzieren. Allerdings werden diese Behauptungen durch unabhängige Quellen bestätigt. Es handelt sich um Dokumente aus der Schriftensammlung der Curia Regis. Demnach wurde im November 1194 ein Fall vor Gericht verhandelt, in dem Osbert seinen Bruder Richard sowie die beiden Londoner Robert Brand und Jordan Tanner beschuldigte, im Haus des ersteren Treffen abgehalten zu haben, bei denen hochverräterische Gespräche geführt worden seien. William warf Richard vor, sich verärgert über die Pflichtabgabe königlicher Steuern geäußert zu haben. Tanner soll den Wunsch ausgesprochen haben, der König möge am besten nie von einem Auslandsaufenthalt nach England zurückkehren, während Brand – laut William Osbert – der Ansicht war, London werde niemals einen anderen König haben als den Bürgermeister.[6] Im Mikrokosmos der mittelalterlichen Londoner Politik konnte es durchaus passieren, dass familiäre Streitigkeiten und gesellschaftliche Auseinandersetzungen miteinander verflochten waren.
Wirkung und Nachleben
Die von William Fitz Osbert angeführten Unruhen und Demonstrationen hatten im London des ausgehenden 12. Jahrhunderts große Nachwirkungen auf verschiedensten Seiten. Eine Partei waren die Mönche von St Mary-le-Bow, die sich zutiefst enttäuscht zeigten, dass man nicht die Heiligkeit ihres Gebäudes geachtet habe. In den Flammen der Brandstiftung sahen sie ein schweres Sakrileg, das sie der Stadtverwaltung vorwarfen. Osbert war in den Augen vieler seiner Anhänger als Märtyrer gestorben und wurde postum fast noch leidenschaftlicher verehrt, als zu Lebzeiten. Die Bevölkerung versuchte – ähnlich wie bei Heiligen – möglichst viele Reliquien zu sammeln. Gegenstände, die mit der Hinrichtung in Verbindung gebracht werden konnten, erfreuten sich großer Beliebtheit. Newburgh erwähnt, dass sogar Osberts Galgen gestohlen und die Erde an dessen Standort von Zuschauern bröckchenweise eingesammelt worden sei. Der Rat der Stadt versuchte, dieser im Gedenken an Osbert aufkommenden Sympathiewelle gewaltsam entgegenzuwirken. Man installierte unter anderem einen Hinterhalt, zu dem seine Gefolgsleute des Nachts pilgerten, um zu beten. Jeder, der dort seine Unterstützung für den Hingerichteten zeigte, wurde mit Peitschenhieben bestraft. Ein Priester, der die Heiligenverehrung vorantreiben wollte, erfuhr die Exkommunikation. Nach seinem Tod ging Osberts Grundstück in London in den Bestand der englischen Krone über, wohingegen seine materiellen Besitztümer gemäß einer im gleichen Jahr ausgestellten so genannten Chancellor’s Roll an einen gewissen Richard Fitz John fielen.
Nicht einmal 100 Jahre später hatte sich auch die offizielle Meinung über Osbert geändert. So beschrieb ihn beispielsweise Matthew Paris 1259 in seinem Werk Matthaei Parisiensis, Chronica Majora nicht mehr als Verbrecher, sondern als Held. Die Chronisten gewähren mit ihren Aufzeichnungen einen wichtigen und raren Blick auf die Londoner Führung jener Zeit und die Mechanismen, die damals in der Gesellschaft des Mittelalters zu Gruppenentscheidungen und Gruppendynamik führten. Es zeigte sich, dass die armen und mittelständischen Mitglieder der Stadtbevölkerung sich nicht mehr wie bislang der Obrigkeit beugen würden, ohne deren Beschlüsse zu hinterfragen. Obschon die Interessenvertreter in den Organen der Stadt weiterhin nicht direkt gewählt wurden, hatten sie verstanden, dass sie den Menschen ihre Politik nicht ohne weiteres aufzwingen können.
Literatur
- Fitz Osbert, William. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Band 10: Evangelical Church – Francis Joseph I.. London 1910, S. 447 (englisch, Volltext [Wikisource]).
- G. A. Williams: Medieval London – From Commune to Capital. The Athlone Press, London 1963, ISBN 978-0-485-12011-0.
- G. W. S. Barrow: The Bearded Revolutionary. In: History Today, Jahrgang 19, 1969, S. 679–687.
- S. Reynolds: The Rulers of London in the Twelfth Century. In: History. The Journal of the Historical Society., Jahrgang 57, 1972, S. 350.
- C. N. L. Brooke, G. Keir: London 800–1216: The Shaping of a City. Secker & Warburg, London 1975, ISBN 978-0-436-06920-8.
Einzelnachweise
- Charles Dickens: A Child’s History of England, Band I: England from the Ancient Times, to the Death of King John. Bradbury and Evans, London 1852, Kapitel 13 (Wikisource)
- William of Newburgh: History of English Affairs. Buch 5, Kapitel 20, Abschnitt 6. Auf fordham.edu (Fordham University), abgerufen am 10. August 2011 (englisch)
- „Being hanged at Tyburn“ auf capitalpunishmentuk.org, abgerufen am 10. August 2011 (englisch)
- Abriss der Kirchengeschichte von St Mary-le-Bow auf ourpasthistory.com, abgerufen am 9. August 2011 (englisch); The Beauties of England and Wales: or Delineations – topographical historical and descriptive. Band III: Joseph Nightingale: London and Middlesex; or, an historical, commercial, & descriptive Survey of the metropolis of Great-Britain. London, 1815, S. 367.
- William of Newburgh: History of English Affairs, Buch 5, Kapitel 20, Abschnitt 7. Auf fordham.edu (Fordham University), abgerufen am 10. August 2011 (englisch)
- John McEwan: William Fitz Osbert and the Crisis of 1196 in London. In: M. W. Labarg, B. Rowland, D. J. Wurtele: Florilegium. Volume 21, Canadian Society of Medievalists, 2004, S. 18, ISSN 0709-5201; auf journals.hil.unb.ca, abgerufen am 9. August 2011 (englisch)