Wannsee-Institut
Das Wannsee-Institut, unter dem Decknamen Institut für Altertumsforschung gegründet, war eine getarnte Dienststelle des Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) mit Sitz in Berlin-Wannsee, Zum Heckeshorn 38. Es unterstand dem Amt II des SD und war seit Januar 1937 im Landhaus Oppenheim untergebracht. Wegen der zunehmenden Bombardierungen wurde das Institut 1943 auf Schloss Plankenwarth bei Graz verlegt.
Geschichte und Aufgaben
Das Wannsee-Institut war ein geheimes Ostforschungs-Institut des SD mit der Aufgabe, eine gezielte nachrichtendienstliche Länderforschung in Richtung der östlichen Länder mit dem Schwerpunkt Sowjetunion aufzubauen. Erste Schritte seiner Bildung waren bereits 1935/1936 eingeleitet worden. Durch die Beschaffung, Auswertung, Erstellung regelmäßiger Monatsberichte sowie Sonderberichte zu Einzelfragen in Form von Denkschriften wurde damit die Kriegsvorbereitung in Richtung Osten unmittelbar unterstützt. Ab 1938 wurde zusätzlich das Personal als Mitglieder der Einsatzgruppen des SD mit besonderen „Forschungsaufträgen“ in die jeweiligen Regionen kommandiert. Anfang 1937 setzte Franz Alfred Six, Inlandchefs des SD, den aus Georgien stammenden Landwirtschaftsexperten Michael Achmeteli als Leiter des Instituts ein. Für das Institut war der Bereich des Amtes II „Weltanschauliche Auswertung“ unter Martin Wolf zuständig. Achmeteli hatte zugleich, wegen des „Spiegeleffektes“ zur Gewinnung von Wissenschaftspersonal, eine Stelle als Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin.[1] Die Mitarbeiter des Instituts gehörten der SS an und viele von ihnen waren Auslandsdeutsche, zumeist aus dem Baltikum oder aus Russland.
Die erste große Auftragsarbeit, eine Studie über „Die katastrophalen Verhältnisse auf dem Gebiet der Ostwissenschaften“, wurde zum Jahreswechsel 1937/1938 herausgegeben. Sie diente vor allem der klaren Feldbestimmung der zukünftigen Arbeit und der Begründung der Monopolstellung des SD für diesen Wissenschaftsgegenstand. Neben der intensiven Beschaffung und Auswertung von Informationen sammelte das Institut Karten und Luftbildmaterial, um den militärischen Vormarsch der Wehrmacht und den Einsatz von Bombern vorzubereiten. Das Wannsee-Institut war bereits im Vorfeld in den Überfall auf Polen als auch in den Unternehmen Barbarossa involviert, schließlich in die gesamte Kriegführung im Osten. Wirtschaftliche Zentren, Brücken, entscheidende Verkehrswege und Eisenbahnnetze wurden ausgespäht. Für die besetzten Gebiete erarbeitete das Institut Empfehlungen zur Machtsicherung und zur möglichen Einbeziehung in die NS-Strukturen. Eine weitere Aufgabe für das Personal bestand ab 1938 in der aktiven Mitwirkung innerhalb der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD mit speziellen Aufträgen. Das waren vor allem die Durchsuchung von Ministerien und Regierungsdienststellen zur Beschaffung von wichtigen Beutedokumenten zur weiteren Kriegsführung und die Errichtung eines Besatzungsregimes, daneben auch die Beschlagnahmung bedeutsamen wissenschaftlichen Materials sowie von Kunst- und Wertgegenständen. Zunehmend wurden ab 1942 auch vor Ort Informationen durch die Gefangenenbefragung beschafft.
Anfang 1940 wurde das Wannsee-Institut offiziell in ein Sonderreferat des Amtes VI im Reichssicherheitshauptamt umgewandelt und dem Bereich Ausland C (Russisch-Japanisches Einflussgebiet Osten) unter der Leitung von Heinz Gräfe unterstellt.[2] Auf Grund des immer schwieriger werdenden Kriegsverlaufes kam es ab Mitte 1943 zu einer deutlichen Straffung der Arbeitsinhalte, im Mittelpunkt standen nunmehr ausschließlich kriegswichtige Aufgaben; zahlreiche frühere Projekte wurden aufgegeben. Zur Konzentration und Bündelung der für die Kriegsführung benötigten Informationen wurde im Reichssicherheitshauptamt Amt VI ein wissenschaftlich-methodischer Forschungsdienst mit dem Tarnnamen Reichskuratorium für Länderkunde als Gruppe VI G eingerichtet. Als Leiter wurde Wilfried Krallert eingesetzt und das Wannsee-Institut, wie auch die anderen ähnlichen nachrichtendienstlich tätigen Forschungsgruppen, ihm unterstellt. Die Zuständigkeit für den japanischen Raum wurde dem 1942 gebildeten Ostasieninstitut unter Walter Donat zugeordnet. Von diesem Zeitpunkt an war die vordergründige Aufgabenstellung des inzwischen auf Schloss Plankenwarth ausgelagerten Wannsee-Instituts die nachrichtendienstliche Bearbeitung der Sowjetunion. Das beinhaltete nunmehr auch die Ausarbeitung von Unterlagen für antibolschewistische Aufstände und Sabotageakte. Im Februar 1945, mit dem Herannahmen der Roten Armee, erfolgte die Evakuierung der Institution nach Hof.[3]
Die Zimmer im Gebäude in Berlin-Wannsee, in denen früher die Sommergäste der Familie Oppenheimer logierten, waren arisiert und zu Büros umfunktioniert worden. Das Gebäude am Stadtrand Berlin bot eine bessere Tarnung als eine Lage im Zentrum. Die Angehörigen der SS, die grundsätzlich im Dienst Uniform trugen, arbeiteten in Zivil, um die Tarnung des Institutes zu wahren.[4] Um die Pflege der Villen und Gärten, die in den Händen der SS sind, kümmerten sich jüdische Zwangsarbeiter. Auf dem Gelände des „Landhauses Oppenheim“ gab es eine Gartenbauschule. Heute beherbergt es eine Montessorischule.[5]
Literatur
- Gideon Botsch: „Geheime Ostforschung“ im SD. Zur Entstehungsgeschichte und Tätigkeit des „Wannsee-Instituts“ 1935-1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 48, 2000, S. 509–524.
Weblinks
- Das Wannsee-Institut auf ghwk.de
Einzelnachweise
- Gideon Botsch: „Geheime Ostforschung“ im SD. Zur Entstehungsgeschichte und Tätigkeit des „Wannsee-Instituts“ 1935–1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 48, 2000, S. 511f.
- Geschäftsverteilungsplan des Reichssicherheitshauptamtes (Stand: 1. Januar 1941)
- Gideon Botsch: „Geheime Ostforschung“ im SD. Zur Entstehungsgeschichte und Tätigkeit des „Wannsee-Instituts“ 1935–1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 48, 2000, S. 521f.
- Geheimnisvolle Orte: Am Wannsee. Ein Film von Karin Reiss; Copyright: RBB, ab min 15:21. Quelle ADDX-Archiv: Videos & Fernsehmitschnitte (http://www.addx.de/textarchiv/archiv-index-zl.php), Dok. Nr. V046.
- Das Landhaus Oppenheim: Vom Sommersitz zur Montessorischule (Memento vom 3. Juli 2016 im Internet Archive)