Ulrich Hegerl
Ulrich Hegerl (* 5. Juni 1953 in München) ist ein deutscher Psychiater und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.
Leben
Ulrich Hegerl studierte Medizin in Erlangen und Rennes (Frankreich). Er erhielt 1978 seine Approbation als Arzt. Nach einer Tätigkeit als Stabsarzt in Bayreuth im Rahmen seiner Wehrpflicht war er von 1980 bis 1994 an der Freien Universität Berlin als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. 1981 promovierte er dort und 1987 erhielt er die Anerkennung als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. 1992 habilitierte er sich im Fach Psychiatrie zu dem Thema „Prädiktorforschung in der Psychiatrie“. Von 1996 bis 2006 war er Leitender Oberarzt und ab 1998 C3-Professor für Psychiatrie an der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2006 bis 2019 war er Direktor und Lehrstuhlinhaber der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig.[1] Seit Juni 2019 hat er die Johann Christian Senckenberg Distinguished Professorship mit Sitz in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Frankfurt inne.[2]
Hegerl war von 1999 bis 2008 Sprecher des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität“. Die Nachfolgeorganisation des Kompetenznetzes ist seit 2008 die Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die er als Vorsitzender leitet. Darüber hinaus leitet er das Deutsche Bündnis gegen Depression e. V. und die European Alliance against Depression e. V.
Seit 2013 ist Ulrich Hegerl Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer.[3]
Werk
Ulrich Hegerl setzt sich für die Erforschung der Neurobiologie psychiatrischer Erkrankungen und deren Prävention ein – mit dem Schwerpunkt Depression und Suizidalität. Er entwickelte u. a. einen 4-Ebenen-Interventionsansatz zur optimierten Versorgung von Menschen mit Depressionen und der Prävention suizidaler Handlungen. Grundüberlegung des 4-Ebenen-Ansatzes ist die Tatsache, dass die Mehrheit der jährlich ca. 10.000 Suizide in Deutschland vor dem Hintergrund einer insbesondere nicht erkannten oder nicht adäquat behandelten Depression erfolgt.[4] Das Suizidrisiko soll durch eine verbesserte Versorgung depressiv erkrankter Menschen und dem Abbau von Fehlwissen und Vorurteilen in der Bevölkerung gesenkt werden. Dafür werden folgenden Maßnahmen umgesetzt:
- Kooperation mit Hausärzten,
- Schulungen von Multiplikatoren (z. B. Pfarrer, Lehrer, Polizisten),
- Öffentlichkeitsarbeit und
- Schaffung von Angeboten für Betroffene und Angehörige.
Die Wirksamkeit hat sich in wissenschaftlichen Evaluationsstudien gezeigt, in denen eine Abnahme von suizidalen Handlungen (Suizide und Suizidversuche) bzw. Suizidraten in Regionen mit einem Bündnis gegen Depression im Vergleich zu Kontrollregionen und einem Ausgangsjahr ohne Aktivitäten verzeichnet werden konnte.[5] Der Ansatz stellt den weltweit am häufigsten implementierten Ansatz zur Suizidprävention dar. Die WHO und die EU würdigten ihn als Best practice.[6]
Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung Ulrich Hegerls ist die Analyse von Hirnwellen, welche mittels des Elektroenzephalogramms EEGs erfasst werden können. Ausgehend von der These, dass die Wachheitsregulation Vigilanz bei unipolar depressiven Erkrankungen eine Hyperstabilität aufweist, konnte er mit Hilfe seiner Leipziger neurophysiologischen Arbeitsgruppe mit Christian Sander und Sebastian Olbrich nachweisen, dass eine semi-automatisierte Erfassung der Vigilanzregulation (VIGALL) eine Unterscheidung zwischen depressiv erkrankten Menschen und gesunden Kontrollen ermöglicht. Die Grundlagen für diese Ergebnisse sind eng mit den Arbeiten der EEG-Pioniere D. Bente und B. Roth verknüpft. Im Gegenzug zu einer sehr stabilen Wachheitsregulation in der Depression wird von Hegerl eine instabile Wachheitsregulation bei manischen Syndromen postuliert. Entsprechend wird eine mögliche psychopharmakologische Behandlung manischer Syndrome mittels Stimulantien angenommen, ähnlich einer Medikation beim Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom. Hinsichtlich eines prädiktiven Wertes der EEG-Vigilanzregulation gehen die Meinungen von Ulrich Hegerl und seinem ehemaligen Mitarbeiter Sebastian Olbrich auseinander. Während Hegerl von einem positiven Ansprechen auf eine Medikation mit speziellen Antidepressiva (SSRIs) bei hyperstabiler Wachheitsregulation ausgeht, konnte Olbrich zeigen, dass in einer sehr großen Kohorte eine instabile Wachheitsregulation ein positives Ansprechen auf eine Medikation mit SSRIs vorhersagt.
Neben einer über drei Jahrzehnte gehenden, ununterbrochenen klinisch-psychiatrischen Tätigkeit veröffentlichte er über 600 wissenschaftliche Publikationen. Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit sind:
- Psychotherapeutische und pharmakotherapeutische Interventionen bei depressiven Störungen und Zwangserkrankungen
- Hirnfunktionsdiagnostik bei psychiatrischen Erkrankungen
- Suizidprävention durch gemeindebasierte Interventionsprogramme
- Regulation von Schlaf und Wachheit bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen.[7]
Auszeichnungen
- 2002: Klinikförderpreis der Bayerischen Landesbank für das Projekt „Nürnberger Bündnis gegen Depression“
- 2003: Hermann-Simon-Preis für Sozialpsychiatrie für das Projekt „Nürnberger Bündnis gegen Depression“
- 2007: „European Health Forum Award“ (1. Preis) für das Projekt „European Alliance Against Depression“
- 2011: Auszeichnung „Ideenpark Gesundheitswirtschaft“ der Financial Times für das „Deutsche Bündnis gegen Depression“
- 2012: Auszeichnung „Wirkt-Siegel“ des unabhängigen Analyse- und Beratungshauses PHINEO für das „Deutsche Bündnis gegen Depression“
- 2013: Deutscher Engagementpreis für das Deutsche Bündnis gegen Depression
- 2014: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt den 4-Ebenen-Ansatz in ihrem erschienen Suizidpräventionsbericht
- 2019: Das Magazin Cicero wählt Hegerl auf die Liste der 500 bedeutendsten Intellektuellen Deutschlands[8]
Weblinks
- Literatur von und über Ulrich Hegerl im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Vorsitzender Ulrich Hegerl. Stiftung Deutsche Depressionshilfe
- Suizid-Fachmann Ulrich Hegerl über Selbsttötung. FAZ
- Depressionen werden oft geheim gehalten. Spiegel Online
- Depressionen durch Langzeitarbeitslosigkeit. ZDF
- Lockdown und kein Ende - Psyche in Not. MDR
- Raus aus der Depression - Podcast zusammen mit Harald Schmidt Norddeutscher Rundfunk
Einzelnachweise
- Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl. (PDF; 143 kB) Lebenslauf bei der Bundesärztekammer
- Goethe-Universität Frankfurt: Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
- Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer
- Arsenault-Palierre et al.: Psychiatric diagnoses in 3275 suicides: a meta-analysis. In: BMC Psychiatry, 2004, PMID 15527502
- Székely et al.: How to Decrease Suicide Rates in Both Genders? An Effectiveness Study of a Community-Based Intervention. core.ac.uk (PDF; 278 kB)
- Preventing Suicide. (PDF; 5,1 MB) World Health Organisation
- Vorsitzender Ulrich Hegerl
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