Ubersitz
Der Ubersitz, auch Übersitz, ist ein Brauch im Haslital (Berner Oberland), bei dem am Jahresende böse Geister vertrieben werden sollen.
Der Brauch
In der Altjahrswoche werden im Haslital alljährlich die bösen Geister, Gespenster und Dämonen bis zum Jahresende mit dem Ubersitz vertrieben. Der Brauch stammt aus vorchristlicher Zeit. In den langen Winternächten um die Sonnenwende, wurden nach heidnischer Auffassung die Lebenden von den Toten heimgesucht. Man versuchte den Toten mit schaurigen Masken zu imponieren um sie fernzuhalten. Mit zusätzlich erzeugtem Lärm wurden die Toten dann endgültig aus dem Tal vertrieben und ins Jenseits verbannt. Dazu wurden unter anderem Harsthörner, Rällen und Ratschen benutzt.
Mit den ersten Trycheln, Schellen, Plumpen und Kuhglocken aus der Landwirtschaft formierten sich allmählich Trychelzüge. Insbesondere der Glocke wurde nachgesagt, dass sie Geister und Dämonen fernzuhalten vermag. Lange Zeit wurden nur Trycheln und Glocken benutzt. Aus Kostengründen wurden die Trycheln aus Stahlblech oftmals selbst hergestellt. Diese weisen eine flache und kantige Bauweise auf. Wenige Originale und Repliken können heute noch vereinzelt in Trychelzügen, insbesondere Meiringen (Sandli-Trychle) und Unterbach, beobachtet werden. Die Trycheln und Glocken sind heute erheblich grösser und schwerer. Die ersten Trommeln brachten vermutlich Söldner (Tambouren/Trommler) aus fremden Kriegsdiensten mit und begleiteten fortan die Trycheln und Glocken mit einem sich wiederholenden Trommelmarsch, dem Trychelmarsch.
Ungeschriebenes Gesetz
Die Trychelwoche erstreckt sich vom 26. Dezember bis zum Neujahr. Lange Zeit galt die Weihnachtsnacht vom 25. auf den 26. Dezember als heilig und es war verpönt, bereits um Mitternacht mit dem Trycheln zu beginnen. Aus Respekt und Rücksicht der Strenggläubigen, wurde die Altjahrswoche erst am Folgetag begonnen. Heute halten sich an dieses ungeschriebene Gesetz nur noch die Trychelzüge von Willigen und Eisenbolgen. Getrychelt wird in der Altjahrswoche jeden Abend bis in die frühen Morgenstunden. Die Nachmittage gehören den jugendlichen Nachwuchs-Trychlern, welche bereits ab Vorschulalter trycheln.
Der Höhepunkt am Ende der Trychelwoche ist der Ubersitz. Der Ubersitz darf jedoch nie auf einen Sonntag fallen. Dies ergibt je nach Wochentag im Kalender eine lange oder kurze Trychelwoche. Bei einer kurzen Trychelwoche darf nach dem Ubersitz nochmals unverkleidet bis zum Neujahr getrychelt werden. Das Gesetz wurde nie schriftlich festgehalten, sondern wird von Generation zu Generation mündlich weitergegeben.
Weiter galten früher:
- Frauen und Mädchen dürfen nicht am Ubersitz teilnehmen.
- Jeder Beteiligte muss ein Lärminstrument tragen. Es können sein: Glocken, Schellen, Rälli, Rätschi (einhändige und zweihändige), Harsthörner.
- Vermummte ohne eines dieser Instrumente werden vom Zuge weggewiesen.
- Zugsordnung: a. Trychelmeister, b. Trommler, c. Plumpi und Tschanggelleni (Schellen und Schellchen), d. Glocken, eingereiht nach Grösse des Durchmessers
- Kommt man an Häusern vorbei, wo sich Trauernde oder Schwerkranke befinden, da werden die Challen (Klöppel) verhalten.
Trychelmarsch
Woher der Marsch stammt, kann nicht abschliessend gesagt werden. Es wird vermutet, dass dieser ebenfalls durch Reisläufer oder später Söldner aus fremden Kriegsdiensten ins Haslital gebracht wurde. Schweizer Söldner, darunter viele Hasler, standen von 1400 bis 1848 in den Diensten von Königreich Frankreich, Österreich, Spanien, Königreich Sardinien, Königreich Neapel, Republik der sieben vereinigten Provinzen, Großbritannien, Preußen, Vereinigtes Königreich der Niederlande und der päpstlichen Garde in Rom. Erwähnt wird dabei immer auch der dreissigjährige Krieg von 1618 - 1648.
Nach einer anderen Überlieferung soll der Marsch aus der Zeit des Neuenburgerhandels von 1856 - 1857 oder der Grenzbesetzung des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 -1871 von zwei zurückkehrenden Meiringer-Tambouren stammen. In der alten schweizerischen Ordonnanzmarsch-Sammlung ist jedoch kein vergleichbarer Marsch bekannt. Die Ordonnanzmärsche wurden von 1819 bis 1845 überarbeitet und erneuert.
Für die Entwicklung des Trommelspiels in Europa war von Bedeutung, dass seit dem 15. Jahrhundert die zweifellige türkische Trommel ihren Siegeszug durch Europa antrat und in militärischer Funktion verwendet wurde – insbesondere in Frankreich. Auf eidgenössischem Gebiet entstand im Verlaufe des 15. Jahrhunderts das sogenannte Feldspiel, das für die eidgenössischen Heere typisch wurde. Die Trommel ist auch heute noch fester Bestandteil des Schweizer-Armee-Truppenspiels.
Der getrommelte 2/4 Takt wurde ursprünglich vermutlich schneller gespielt und auf die langsame Geschwindigkeit des Trychelzuges und Fähigkeiten der Tambouren angepasst. Diese Erneuerung drang allmählich in alle anderen Dörfer und soll das Ende des altüberlieferten Trychelschritts in Guttannen bedeutet haben.
Aufgrund der Überlieferung, dass das Trycheln früher ohne Trommeln stattgefunden habe, kann davon ausgegangen werden, dass die Trommeln erst seit dem 19. Jahrhundert die Trychelzüge mit dem Trychelmarsch begleiten.
Trychelzüge
Getrychelt wird in der Altjahrswoche in allen Dörfern des Haslitals. Nach Aufstellen der Formation eines Zuges (von zwei bis zu sechs Reihen) setzt sich dieser in langsamem und rhythmischem Gleichschritt in Bewegung und trychelt durch die Gassen des Dorfes. Voran die Trommeln, gefolgt von Trycheln und Glocken. Der getrommelte Marsch ist auf den Rhythmus der Trycheln und Glocken genau abgestimmt. Der Trychelzug legt jeweils nach einem Kehr (Trychel-Runde) in einem zuvor bestimmten Wirtshaus Pause ein. Treffen zwei Trychelzüge aufeinander, so wird durch die Reihen hindurch gekreuzt. Früher kreuzten die Züge nebeneinander, was aus Platzgründen dann oft zu Streitigkeiten und Tätlichkeiten führte. Ein Trychelzug besteht im Durchschnitt aus ca. 40 bis 180 Trychlern. Im Haslital gibt es derzeit neun Trychelzüge. Die Trychelzüge stammen aus den Dörfern Meiringen, Willigen, Hausen, Eisenbolgen, Unterbach, Innertkirchen, Hasliberg, Gadmen und Guttannen und unterscheiden sich durch Instrumentenwahl und Anzahl Trychler.
Die Trychelzüge Meiringen, Willigen, Hausen, Eisenbolgen, Innertkirchen und Guttannen formieren sich mit Trommel, Trychel und Glocke. Der Trychelzug Hasliberg Trommeln und Trycheln. Grundsätzlich führen die Tambouren von Meiringen, Willigen und Hausen die alten Schweizer-Armee-Ordonnanztrommeln mit. Eisenbolgen, Innertkirchen, Hasliberg und Guttannen hingegen benutzen die hohen Basler-Trommeln. Der Trychelzug Hasliberg führt am Ubersitz jedoch nur grosse Trycheln mit. Die Trychelzüge Unterbach und Gadmen Trycheln und Glocken. Die Trychelzüge Gadmen und Guttannen besuchen Meiringen in der Regel am Abend vor dem Ubersitz. Die Gadmer tragen dabei einheitlich das weisse Eintraghemd (Kaputzenhemd zum Eintragen von Heu). Während der Altjahrswoche sind im Dorf Meiringen hauptsächlich die Trychelzüge von Meiringen, Willigen und Hausen unterwegs.
Trychelmajor / Trychelmeister
Jeder Trychelzug besitzt einen Trychelmajor oder einen Trychelmeister. Dieser trägt die Verantwortung für den Trychelzug, schaut zu Recht und Ordnung und organisiert mit den anderen Trychelmajoren den Ablauf der Altjahrswoche.
Schniggeln, Botzelen und Heischen
Die schulpflichtigen Buben von Willigen gehen in der Altjahrswoche schniggeln. Es verkleiden sich jeweils die ältesten zwei Buben als Mann und Frau (Hans und Greti), in sogenannte Botzeni, gehen von Haus zu Haus und betteln um Geld, Lebkuchen, Mandarinen, Nüsse, Kekse und andere Süssigkeiten. Der Ertrag wird unter den Kindern schliesslich aufgeteilt. In Geissholz, einem Dorf oberhalb von Willigen wie auch in Guttannen Schniggeln alle Kinder. In Guttannen nennt man den Brauch jedoch Botzelen. Bis in die 1930er Jahre war das Schniggeln im ganzen Tal verbreitet. In den übrigen Gemeinden nannte man den Brauch auch Heischen. Die heischenden Schulbuben nannte man Gloiser.
In alter Zeit wurde in Willigen beim Schniggeln durch die Schulbuben jeweils folgender Spruch vorgetragen:
«Auf Geissholz hat’s viel Steine und auf Zaun viel Stöck. Hier metzget man die Schweine, am Hasliberg die Böck. Und in den kalten Nächten, da hat man keinen Durst. Drum wollen wir euch bitten und gebt uns eine Wurst.»
Memento mori – Gedenke den Toten
In einer Nacht in der Altjahrswoche, trychelt der Zug von Meiringen gegen Mitternacht zur Kirche. Direkt vor der alten Zeughauskapelle vor dem Friedhof hält der Zug an und trychelt zwei Marschdurchgänge im Stillstand, um den verstorbenen Trychlern zu gedenken.
Bei einem jüngst verstorbenen Dorfbewohner, wurde früher an dessen Haus aus Respekt jedoch nicht vorbei getrychelt.
Ubersitz
Am Ubersitz, dem Höhepunkt der Altjahrswoche, verkleiden sich die Trychler von Meiringen, Willigen, Hausen, Eisenbolgen, Innertkirchen und Guttannen in sogenannte Botzeni. Besonders beliebte Kostüme sind dabei junge und alte Frauen, Hexen und furchterregende Gestalten. Die Eisenbolgner verkleiden sich fast ausschliesslich mit Naturmaterialien. Der Trychelzug Unterbach trägt traditionell den Chüjermutz (Samtjacke mit Puffärmeln). Die Hasliberger und Gadmer trycheln unverkleidet. Die Innertkirchner, Gadmer und Guttanner verbringen den Ubersitz jeweils in den eigenen Dörfern. Der Trychelzug Innertkirchen kommt traditionsgemäss erst am Ubersitzmorgen ins Dorf Meiringen und zieht sich nach ein paar Kehren wieder nach Innertkirchen zurück. Das Wort Ubersitz entstand, weil man sich erst am nächsten Tag zur Ruhe begibt. In dieser Nacht bleiben die Wirtshäuser bis am nächsten Tag geöffnet. Die Strassen von Meiringen sind beim Auftritt eines nahenden Trychelzuges von Zuschauern dicht besiedelt. Leute von nah und fern, darunter viele in der Fremde wohnende Hasler, treffen sich hier und wohnen dem Ubersitz bei. Einige Trychelzüge trycheln bis am nächsten Abend. Hauptort am Ubersitz ist Meiringen.
Anders als alle anderen Trychelzüge, beginnt der Trychelzug von Guttannen am Abend des Ubersitzes unverkleidet mit trycheln. Danach begeben sich die Trychler nach Hause zu ihren Angehörigen. Um Mitternacht treffen sich die Trychler verkleidet als Botzeni erneut und trycheln weiter. Im Wirtshaus wird nicht gesprochen und die Masken nicht entfernt. Dorfbewohner erraten nun, wer unter der Maske steckt. Gewonnen hat der letzte Unerkannte.
Huttewybli
Die Züge Meiringen, Willigen und Hausen werden von einem sogenannten Huttewybli angeführt. Eine alte kleine Frau mit Hutte (Rückentragkorb), welche gekrümmt unter der Last ihres, in der Hutte sitzenden Mannes durch die Gassen läuft und den Weg für die Trychelzüge frei bahnt. Der Legende nach soll die betagte Frau ihren betrunkenen, leichtgewichtigen und nicht mehr gehfähigen Mann, jeweils aus dem Wirtshaus in der Hutte nach Hause getragen haben. In Wirklichkeit läuft der in der Hutte sitzende Mann. Beim Wybli handelt es sich um eine an der Hutte fixierte Puppe. Das erste und somit älteste bekannte Huttewybli besitzt der Trychelzug von Willigen. Es wurde in den 1950er Jahren eingeführt.
Schnabelgeiss
Die Trychelzüge Willigen, Hausen, Innertkirchen und zeitweise Guttannen, werden von einer Schnabelgeiss angeführt. Eine Schnabelgeiss besteht aus einem Holzgestell, welches auf den Schultern getragen wird und mit weissem oder schwarzem Leinentuch umhüllt ist. Auf dem Kopf sind Hörner oder grosse Ohren befestigt. Der grosse hölzerne Schnabel kann mit Hilfe eines Seil-Mechanismus durch den Träger geöffnet und geschlossen werden. Eine Schnabelgeiss misst je nach Grösse des Trägers ca. 2.5 - 3 Meter. Der Trychelzug Willigen führt am frühen Ubersitz-Abend zusätzlich eine kleinere Schnabelgeiss mit, welche von einem Schulbuben getragen wird. Eine Schnabelgeiss verscheucht liebend gerne die Kinder und versucht mit ihrem Schnabel derer Mützen zu stehlen. Ein Gerücht besagt, wenn eine junge Frau von der Schnabelgeiss gepickt wird, so werde diese im nächsten Jahr schwanger.
Eine Schnabelgeiss begleitete früher auch den Trychelzug Meiringen. Ein Zeitzeuge berichtete 1956, dass bereits vor dem Dorfbrand von 1891, die Schnabelgeiss bei den damals niedrigen Holzhäusern zum Schrecken der Kinder jeweils durch die offenen Fenster in die Stuben hinein schaute.
Harsthorn
Nachweislich führte der Trychelzug Meiringen bis in die 1950er Jahre ein Harsthorn mit. Eines der zuletzt verwendeten Harsthörner stammt aus Beständen der Feuerwehr Meiringen und überstand beide Dorfbrände von 1879 und 1891. Erst im Jahr 2016 wurden im Trychelzug Meiringen und Willigen zwei typengleiche Harsthörner wieder eingeführt. Das Horn wird sporadisch durch einen bestimmten Trychler, in der Regel ein Trychler oder Glockner, während des Trychelns geblasen und soll Angst und Ehrfurcht einflössen aber auch an vergangene Zeiten erinnern. Harsthörner wurden bereits bei den Kelten, Germanen und Wikingern verwendet, um sich in Kampf verständigen zu können, die Truppen zur Schlacht anzustacheln und den Feind mit einer Art akustischer Kriegsführung zu demoralisieren. Das Harsthorn zählt somit zu den ältesten Blasinstrumenten überhaupt.
Hori
Der Trychelzug Willigen führt zeitweise einen Hornschlitten, (winterliches Fuhrwerk um Heu oder Holz von abgelegenen Alphütten und Wäldern ins Tal zu transportieren) den sogenannten Hori, mit. Dieser wird von 4–5 Botzeni, welche nicht trycheln, hergezogen. Auf dem Hori wird in satirischer Weise ein Plakat mit Sprüchen und Reimen über eine Person, welche im vergangenen Jahr negativ aufgefallen ist, hergezogen. Eines der Botzeni erzählt belustigend von den Ereignissen. Die anderen schützen und verteidigen notfalls ihren Sprecher mit Holzknüppeln vor allfälligen Übergriffen der betroffenen Person.
Ubersitzler
Pünktlich zum Ubersitz erscheint alljährlich die Satirezeitung "Der Ubersitzler". In diesem werden unter anderem Missgeschicke und Verhalten von Talbewohnern vom vergangenen Jahr spottend und ironisch ans Licht gebracht. Der erste "Ubersitzler" erschien bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Neben oder anstelle des Ubersitzlers erschienen von 1897 bis Mitte der 1950er Jahre ähnliche Satirezeitungen wie die Bazarzeitung, Ds Geismeitli, Schützen-Zeitung und die Ubersitz-Zeitung.
Aus dem Ubersitzler oder der Schützen-Zeitung von 1897 stammt folgende ironische Trychelordnung:
Trychelordnung
- Von alters her ist jeder Staatsbürger vom 4. bis zum 50. Altersjahr trychelpflichtig. In Notfällen kann diese Dienstzeit bis auf das 60. Altersjahr ausgedehnt werden.
- Von dieser Dienstpflicht sind befreit: Schwerhörige, sowie alle diejenigen welchen das nötige Verständnis und Zartgefühl fehlt.
- Jeder Trychler hat sich mit einem entsprechenden Instrument rechtzeitig einzufinden. Verspätungen sind nachzuholen.
- Trychlen aller Grössen, Glocken und Plumpen zählen für ein Mannswerk, Tambouren und Bockhörner für zwei Mannswerke.
- Bei Wohnungen von solchen, denen das Trycheln nicht zu einer absoluten Notwendigkeit gehört, ist jeweilen ein langsamerer Schritt anzuschlagen, eventuell kurzer Anhalt, und die Instrumente sind mit mehr Gefühl und Nachdruck in Bewegung zu setzen.
- Das Trycheln beginnt am ersten Werktag nach Weihnachten und währt bis zum Silvester.
Singen
In den Wirtshäusern oder auf der Strasse vor einem Trychelkehr, singen die Trychler gemeinsam oft bekannte Jodel- und Heimatlieder. Das Singen trägt zum Zusammenhalt eines Trychelzuges bei. Ein im Tal besonders geschätztes Lied ist "Lengi Zyti". Komponiert wurde es von Johann Rudolf Krenger (1854–1925). Der Text stammt vom Meiringer Ediar Jaun (1854–1913) und handelt vom einfachen aber glücklichen Leben eines einheimischen Ziegenbauers. Das Lied wird jedes Jahr durch den Trychelzug von Willigen am Ende des Ubersitzes gemeinsam gesungen. Das Lied ist oft auch auf Beerdigungen von Dorfbewohnern zu hören.
Lengi Zyti
Wenn d'Stärnen wein erleschen, dr Heiterluft no geit,
ziehn' i mid mynen Geissen hinüs uf Trift und Weid.
Bir alten Wättertanne, dert ufem schmalen Grat,
mag i mys Hein erchennen, da stahn i friei und spat.
Mys Wybelti und d'Büzen, mier hei scho ihrer dry,
si losen wie n'i jüzen und syn ech zwäg derby.
Äs schwingt syn rote Lüder, zum Zeichen dass mi gherd,
und fahrt eis uber d'Öigen, wils a nem Tränli wehrd.
Im Herbscht wes afad chalten, d'Geiss nimme z'Frässen hein,
und fascht nid meh si z'bhalten, de ziehmer gägen hein.
Bin Wyb und Chind deheime, isch d'Lengi Zyti fir,
da bin i froh und glyckli, als armä Geissebüür.
Und chumen i am Aaben, de gsund und grächt em hein,
de chemes mer egägen, grad uber Stock und Stein.
Und d'Mööter stelld is ds Ässen gar frindli uf e Tisch,
da chamme bald vergässe, was eppen ungrads ischd.
Frauen
Früher wurde die Altjahrswoche und der Ubersitz in sämtlichen Trychelzügen von Männern betrieben. Frauen sind heutzutage in fast allen Trychelzügen vertreten. Der Trychelzug von Willigen besteht am Ubersitz jedoch ausschliesslich von männlichen Trychlern.
Traditionelle Speisen
Zum Trycheln und Ubersitz gehörte in alter Zeit ein traditionelles Essen. Im Mittelpunkt standen Schnätz und blahti Nidlen. Unter Schnätz verstehen die Hasler gehackte oder gnippet, d. h. mit einem Wiegemesser zerschnittene dürre Birnen und Nüsse. Blahti Nidlen ist geschwungener Rahm. Diese Speise galt am Ubersitz als Hauptmahl, wurde aber auch am Heiligabend gegessen und kam in der Altjahrswoche sporadisch bis Neujahr auf den Tisch. Zum Festmahl wurde vor allem Kaffee getrunken. Dieses Ubersitz-Mahl wurde ausnahmslos zu Hause zubereitet und verspeist und wurde in keinem Gasthaus aufgetragen. Zum Neujahr wurden zudem Acherchiechleni gebacken. Acherchiechleni sind im Fett gebackene, dünn ausgewallte Küchlein. Man nennt sie auch Fastnachtsküchlein. Getrunken wurde dazu Tee.
Altjahrssonntag
Bei einer kurzen Trychelwoche darf nach dem Ubersitz grundsätzlich bis zum Neujahr nochmals unverkleidet getrychelt werden. Seit den 1930er Jahren trychelt jedoch lediglich der Trychelzug von Willigen am Altjahrsonntag. Seit 1953 trychelt der Trychelzug traditionsgemäss nach Meiringen.
Neujahrstrycheln
Jeweils am Morgen des 1. Januars treffen sich die Trychler von Guttannen noch einmal zum Neujahrstrycheln. Der Brauch geriet lange Zeit in Vergessenheit. Seit einigen Jahren wird dieser wieder betrieben. Beim Neujahrstrycheln werden nur Glocken verwendet.
Kirche und Schulkommission
Der heidnische Brauch war der Kirche und Schulkommission damals seit jeher ein Dorn im Auge. Bemühungen der Schulkommission, namentlich derer Präsident, Pfarrer Ziegler, das Trycheln zu verbieten, scheiterten stets. Die Erziehungsdirektion, welche von den Vorfällen in Kenntnis gesetzt wurde, antwortete, sie teile das Urteil der Schulkommission über das Trycheln, könne sich aber des Eindrucks nicht verwehren. Man habe bei Eröffnung des Kampfes sich über die Zähigkeit derartiger, tiefeingedrungener Volksgebräuche nicht hinlänglich Rechenschaft gegeben und infolgedessen den Feldzug dagegen nicht behutsam genug eröffnet.
Um dem Trycheln ein endgültiges Ende zu setzen, soll 1877 der damalige Pfarrer Ziegler mit seinem Pferdeschlitten in eine Gruppe junger Trychler gefahren sein. Dabei seien mehrere Trychler verletzt worden. Zwei Abende darauf, sollen sich annähernd 200 Trychler aus dem ganzen Hasli versammelt und mehrere Stunden um das Pfarrhaus getrychelt haben. Pfarrer Ziegler soll dabei keinen Schlaf mehr gefunden haben und wurde darauf in eine andere Gemeinde versetzt. In Bern hiess es schliesslich: "Im Hasli sind Barbaren! Viel schlimmer als in Russland die Tataren!"
1920 soll ein damaliger Polizeikorporal ebenfalls erfolglos von Nachtlärm gesprochen und mit dem Richter gedroht haben. Die Hasler liessen sich ihren Ubersitz jedoch nie nehmen.
Literatur
- Das alte Meiringen, in: Aareschlucht 1888–1938, Kunstanstalt Brügger AG, Meiringen 1938
- Chronik denkwürdiger Begebenheiten aus der Lokalgeschichte des Haslethales insbesondere der Kirchgemeinde Meyringen 1818 - 1898, Kunstanstalt Brügger AG, Meiringen
- Triichlen und Ubersitz im Hasli, Arbeit von Willy Fankhauser, Burgdorf, 1979
- Schweizer Volkskunde, Korrespondenzblatt der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde, 26. Jahrgang – Heft 10/12 – 1936
- Schweizer Volkskunde, Korrespondenzblatt der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde, 46. Jahrgang – Heft 6 – 1957
- Meinrad Lienert: Sagen und Legenden der Schweiz, Erweiterte Neuausgabe, München 2011, ISBN 978-3-312-00992-3
- Max Jufer, Rudolf Baumann: Mit Trommel und mit Pfeife, Verlag Merkur Druck AG, Langenthal, ISBN 3-9070-1217-8
Weblinks
- Fritz Lehmann: Rhythmische Klänge gegen böse Geister. In: bernerzeitung.ch. 15. Dezember 2016 .
- Paul Schenk: Altjahrsbräuche im Bernbiet. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde. Band 13, 1951, doi:10.5169/seals-242188.