Torgauer Schlosskapelle
Die denkmalgeschützte Torgauer Schlosskapelle auf Schloss Hartenfels, auch bekannt als Torgauer Schlosskirche, wird oft als der erste evangelische Kirchenneubau der Welt bezeichnet, hat jedoch in der Schlosskapelle Neuburg an der Donau mit der Einweihung am 25. April 1543 eine bei Baubeginn noch für den katholischen Gottesdienst konzipierte Vorläuferin. Was sie in architektonischer und reformationsgeschichtlicher Hinsicht einzigartig macht, ist die Tatsache, dass hier erstmals ein neuer, dem Protestantismus eigener Kirchbau-Typ, die Querkirche, verwirklicht wurde. Torgau ist eine Große Kreisstadt im Landkreis Nordsachsen (Sachsen). Die Evangelische Kirchengemeinde Torgau nutzt die Kapelle.
Geschichte und Architektur
Torgau mit dem Residenzschloss wurde in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Zentrum der Reformation. Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige ließ 1544 einen Raum für Gottesdienste neu errichten, der in die Fassadengestaltung des Schlossflügels einbezogen war. Nur das Portal des Torgauer Bildhauers Simon Schröter lässt den Raum als sakralen Bau erkennen. Die Kapelle ist zwischen dem Hofstubenbau und dem mittelalterlichen Bergfried eingeschoben, sie sollte kein besonderes Haus sein. Luther sagte in seiner Predigt[1][2][3][4] zur Einweihung: als wäre sie besser denn andere Häuser, wo man Gottes Wort predigt.[5] In diesem protestantischen Kirchengebäude verwirklichte Martin Luther sein geistliches Programm der Reformation anschaulich in Kunst und Architektur.[6] Der Baumeister Nickel Grohmann setzte mit betonter Schlichtheit die Ideen um. Luther weihte die Kirche am 5. Oktober 1544 ein.[7] Die „Weihe“ geschah – Luthers liturgischen Vorstellungen folgend – ausdrücklich nicht durch das herkömmliche Zeremoniell der Konsekration (Kirchweihe, Altarweihe), die in der katholischen Kirche nur vom zuständigen Bischof oder seinem Vertreter vorgenommen wurde und wird, sondern allein durch die evangelischen Schwerpunkte Predigtwort, Lobgesang der Gemeinde und Gebet – wie Luther in der Torgauer Einweihungspredigt betont: „Es soll dies Haus dahin gerichtet sein, das nicht anderes darin geschehe, denn daß unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“. Aus dieser später so genannten Torgauer Formel ergibt sich, dass Gottesdienst für Luther aus Wort und Antwort, also aus Kommunikation, besteht und ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und dem Menschen ist.
Der Kantor der Reformation Johann Walter komponierte mit der Vertonung des 119. Psalm die Musik zur Einweihung.[8]
Bis in die heutige Zeit ist der Raum als Quersaalkirche mit der Kanzel an einer Längsseite und dem Altartisch an einer Schmalseite fast unverändert erhalten[9] – die lose Einzelbestuhlung wird meist jedoch in Altarausrichtung gestellt –, er diente vielen anderen protestantischen Gebäuden als Vorbild. Lucas Cranach der Ältere, der auch die Skizzen für die Bildmotive der Kanzel anfertigte, plante mit seiner Werkstatt die gesamte Farbgestaltung.[10] Der Baukörper der Kapelle hebt sich aus der Schlossanlage nur durch das Portal hervor, der Eindruck des Raumes ist geprägt von den liturgischen Erfordernissen mit Predigt, Gemeindegebet und Sakramentsliturgie.[11]
In dem Saal zu drei Geschossen stehen zwei umlaufende Emporen aus Stein. Die Gewölbe sind Stern- und Netzgewölbe.[7] Die Halle ist 23 Meter lang, 11 Meter breit und etwa 14 Meter hoch. Bevor die Kirche am 31. Oktober 1930 zur Luther-Gedächtniskirche gewidmet wurde, fand eine umfangreiche Renovierung statt.[12]
Ausstattung
- Die Bildhauer Simon Schröter und Steffan Hermsdorf schufen 1544 den ursprünglichen Altar, vier freistehende Putten tragen die Mensa. Im 16. Jahrhundert hatte der Altar noch ein Retabel mit der Darstellung des Gebetes im Garten Gethsemane, der Fußwaschung sowie des letzten Abendmahles von Lucas Cranach d. Ä. Im 17. Jahrhundert tauschte man das Retabel gegen einen skulptierten Aufsatz aus Alabaster. Dieser Aufsatz wurde 2017 wieder in der Schlosskapelle aufgestellt.[13][14]
- Die Kanzel hängt gegenüber dem Portal, der Korb aus dem 16. Jahrhundert ist eine Arbeit des Bildhauers Simon Schröter. Die Reliefdarstellungen zeigen Szenen aus dem Leben Jesu: Die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel, Jesus und die Ehebrecherin und der zwölfjährige Jesus im Tempel.[15][7]
- Die Dedikationstafel von 1545 gossen die Gebrüder Hillger in Freiberg, sie gilt als ein frühes Denkmal der Reformation. Das darauf zu sehende Lutherportrait mit Reliefwirkung ist eine der ausdrucksstärksten Darstellungen des Reformators. Die Verse des lateinischen Textes stammen von Johann Stigel aus Wittenberg.[16] Sie wurden in einer nicht mehr erhaltenen, aber gut bezeugten weiteren Inschrift in schlichter deutscher Reimfassung paraphrasiert: Diß Haus auffs new gebawet ist / Zu lob dem herren Jhesu Christ. […] Gott geb das es fort bleyb rein / Nichts hör dan Gottes wort allein. […] Doctor Martin der Gottes man | Die erste predigt darin that / Darmit das haus geweiet hat. / Kein Chrisssem / weiwasser er braucht / Kein Kertz / Kein fáan / noch weirauch. / Das Gödlich wort / vnd sein gebet / Sambt der gleubigen darzu thet.[17][18] Die Stadtkirche Göppingen erhielt im November 1619 diesen Text in angepasster Ausführung als Einweihungsinschrift, womit offensichtlich bewusst an das 75. Jubiläum der Torgauer Schlosskirche angeknüpft wurde. Auch frühere Predigten zur Einweihung einer evangelischen Kirche zitieren diesen Text.[19] Er war der von Caspar Cruciger d. Ä. 1546 erstmals in Druck gegebenen Torgauer Einweihungspredigt beigefügt.[20]
Orgel
Der Orgelbauer Gottfried Fritzsche stellte infolge einer indirekten Anweisung von Heinrich Schütz 1631 eine Orgel für die Schlosskapelle fertig.[21] Die jetzige Orgel wurde 1994 von dem Orgelbauer Martin Vier aus Friesenheim gebaut. Das Schleifladen-Instrument ist im Renaissance-Stil disponiert und mitteltönig gestimmt. Es hat 25 Register, darunter 4 Register auf Wechselschleifen (WS) und zwei Vorabzüge auf drei Manualen und Pedal. Die Spiel- und Registertrakturen sind mechanisch. Das Gehäuse ist aus massiver Fichte gefertigt, der Entwurf stammt vom Kantor Ekkehard Saretz in Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt in Dresden. Die weiße Fassung mit Grün- und Blautönen aus Malachit und Azurit ist eine Arbeit von Mechthild Noll-Minor.[22]
Die Organistin Christine Gevert spielte die CD „Dulcis Memoria von Schütz bis Rosenmüller“ (Label: Carpe Diem, CD 16251) an der Orgel ein.[23]
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- Koppeln: Manualschiebekoppel II/I, Pedalkoppeln I/P, II/P
Anmerkungen
- Im Prospekt.
Literatur
- Georg Piltz: Kunstführer durch die DDR. 7. Auflage, 1976, Urania Verlag, VLN 212-475/56/76, DNB 200721887
- Hans-Joachim Krause: Die Emporenanlage der Torgauer Schloßkapelle in ihrer ursprünglichen Gestalt und Funktion; in: Bau- und Bildkunst im Spiegel internationaler Forschung; Hg. vom Institut für Denkmalpflege der Deutschen Demokratischen Republik, Zentraler Bereich Dokumentation und Publikation; Berlin 1989, S. 233–245
- Hans-Joachim Krause: Die Schlosskapelle; in: Torgau – Stadt der Renaissance, erschienen aus Anlass der 2. Sächsischen Landesausstellung in Torgau; Dresden 2004, Seite 39–47
- Hans-Joachim Krause: Die Schlosskapelle in Torgau; in: Glaube & Macht – Sachsen im Europa der Reformationszeit – 2. Sächsische Landesausstellung Torgau, Schloss Hartenfels 2004; hg. Harald Marx und Cecilie Hollberg für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden; Dresden 2004, Seite 175–188
- Hans-Christoph Sens: Evangelische Schlosskirche Torgau. Verlag: Schnell und Steiner, 31. August 2007, ISBN 978-3-7954-6694-7
- Clemens Jöckle: Überlegungen zu einer Typologie evangelischer Schloßkapellen des 16. Jahrhunderts; in: Jan Harasimowicz (Hrsg.): Protestantischer Kirchenbau der Frühen Neuzeit in Europa. Grundlagen und neue Forschungskonzepte; Regensburg 2015, S. 36–43
- Katharina Rotté: Die Torgauer Schlosskapelle – der Idealtypus eines lutherischen Kirchenbaus?; in: Pro facultate – Mitteilungen der „Freunde der Evangelisch-Theologischen Fakultät Bonn e.V.“; Nr. 16, WS 2018/19; Bonn 2018, S. 12–20 (Digitalisat als PDF; 5,3 MB).
Weblinks
- Website der Kirchengemeinde
- Geschichte (Memento vom 7. April 2016 im Webarchiv archive.today)
- Architektur
- Informationen
- Bericht auf den Seiten der TU Dresden
- Gemälde Einweihung der Schlosskapelle
Einzelnachweise
- handschriftlich Martin Luther siehe Sammlung Rörer, Universität Jena
- D. Martin Luthers Werke, Weimarer Ausgabe; Kritische Gesamtausgabe Band 49, Weimar 1913, Seite 588–615 (Digitalisat)
- Doct. Martinus Luther: Einweyhung eines Newen Hauses zum Predigampt Göttlichs Worts erbawet/ Im Churfürstlichen Schloss zu Torgaw. Wittenberg 1546 – Reprint zum 450. Kirchweihjubiläum der Schloßkirche im Oktober 1994; hg. Ev. Kirchengemeinde Torgau, 1994
- Martin Luther: Einweihung eines neuen Hauses zum Predigtamt göttlichen Worts, erbaut im kurfürstlichen Schloss zu Torgau (1546), Notger Slenczka, Übertragung: Jan Lohrengel; in: Martin Luther: Deutsch-Deutsche Studienausgabe (DDStA), Band 2, Herausgegeben von Dietrich Korsch und Johannes Schilling; Leipzig 2015, S. 851–891
- Erscheinungsbild (Memento vom 8. April 2016 im Internet Archive)
- Torgauer Geschichtsverein e. V. und Evangelische Kirchengemeinde Torgau (Hg.): Die Schloßkirche zu Torgau. Beiträge zum 450jährigen Jubiläum der Einweihung durch Martin Luther am 5. Oktober 1544; Torgau 1994
- Georg Piltz: Kunstführer durch die DDR, 7. Auflage, 1976, Urania Verlag, VLN 212-475/56/76, S. 437.
- Vertonung des Psalmes 119 (Memento vom 8. April 2016 im Internet Archive). Walter gilt als einer der Begründer evangelischer Vokalmusik, noch heute findet in Torgau alljährlich eine Festwoche der Kirchenmusik statt
- Abbildung von 1675 in: Torgauischer Catechismus/ oder Fürstlicher und anderer Gottfürchtiger Kinder Hand-Buch/ : Darinnen zu finden Fragen und Antwort über D. Luth. Catechismum/ item Fest-Fragen/ Biblische Glaubens- wie auch Christliche Reim-Sprüche und Gebet/ [et]c. Erstlich A.C. 1594 ... zu Torgau gedruckt, Jetzo aber auff des ... Churfürstens zu Sachsen/ Hertzog Johan[n] Georgen des II. ... Befehl/ ... Auffs neue übersehen und vermehret/ mit schönen Kupffern gezieret/ und zum sechsten mal auffgelegt: Torgau 1675, S. 234 [Abb. XVI] (Digitalisat)
- Arbeiten von Lucas Cranach (Memento vom 7. April 2016 im Webarchiv archive.today)
- Baukörper
- Luther-Gedächtniskirche (Memento vom 8. April 2016 im Internet Archive)
- Altar
- Geschichte des Dresdener Altares
- Die Kanzel
- Dedikationstafel (Memento vom 8. April 2016 im Internet Archive)
- Textwiedergabe nach der Aufzeichnung von Tilemann Stella, Reisetagebuch, 1560 (Mecklenburgisches Landeshauptarchiv Schwerin, Altes Archiv, Fürstliche Reisen Nr. 57) und im Inventar von 1610 (Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Finanzarchiv, ehem. Magdeburg Rep. A 25a I,I Nr. 2343) – zitiert nach: Hans-Joachim Krause: Die Schlosskapelle; in: Torgau – Stadt der Renaissance, erschienen aus Anlass der 2. Sächsischen Landesausstellung in Torgau; Dresden 2004, Seite 39–47; und ders.: Die Schlosskapelle in Torgau; in: Glaube & Macht – Sachsen im Europa der Reformationszeit – 2. Sächsische Landesausstellung Torgau, Schloss Hartenfels 2004; hg. Harald Marx und Cecilie Hollberg für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden; Dresden 2004, Seite 175–188
- Katharina Frank: Die biblischen Historiengemälde der Cranach-Werkstatt: Christus und die Ehebrecherin als lehrreiche ›Historie‹ im Zeitalter der Reformation; Dissertation an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart 2016, als Band 2 der Stuttgarter Akademieschriften publiziert bei arthistoricum.net, Universitätsbibliothek Heidelberg 2018, S. 192 Anm. 324 (Digitalisat als PDF; 26 MB).
- Zum Beispiel 1554 in der Marktkirche Halle, 1582 in der Dorfkirche Schmolsin bei Stolp (Hinterpommern, heute Polen) und 1585 in St. Nicolai in der Magdeburger Neustadt.
- siehe Einleitung zu WA 49, S. XLI (Digitalisat)
- Helmuth Osthoff, Walter Serauky und Adam Adrio (Hrsg.): Festschrift Arnold Schering zum 60. Geburtstag. Georg Olms Verlag, 1973, S. 117 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)..
- Informationen zur Orgel auf der Website der Orgelbaufirma
- Organlive.com. Abgerufen am 12. Mai 2019.