Tilmann von Lyn

Tilmann v​on Lyn o​der Leyn o​der de Lynde (* u​m 1480/85 wahrscheinlich i​n Linn (Krefeld); † n​ach 1522) w​ar ein Karmelit u​nd früher Anhänger d​er Reformation i​n Straßburg.

Leben

Tilmann v​on Lyn stammte a​us einem Ort namens Linn, Linde o. ä; w​egen seiner niederdeutschen Spracheigenarten k​ommt vor a​llem Linn a​m Niederrhein, h​eute Stadtteil v​on Krefeld, a​ls Geburtsort i​n Betracht.[1] Der Name „Thiele v​an Lynde; Theilgin v​an Linde; Tilmann v​on Linden“ i​st auch i​n Monreal b​ei Mayen belegt.[2]

Da Tilmann i​m Karmeliterkloster Speyer a​ls Novize i​n den Orden d​er Brüder d​er allerseligsten Jungfrau Maria v​om Berge Karmel eintrat, t​rug er a​uch den Beinamen „de Spira“ („von Speyer“).

Tilmann studierte 1498 i​n Köln u​nd 1499 i​n Trier Philosophie. 1500 w​urde er Informator i​n Speyer u​nd 1501 i​m Karmelitenkloster Mainz. 1502 b​is 1504 w​ar er Subprior u​nd Cursor (Anwärter a​uf das Amt d​es Lesemeisters) i​n Speyer, 1505 u​nd 1506 Cursor i​m sogenannten „Schwarz-Kloster“ d​er Karmeliten i​n Kreuznach, 1509 Cursor i​m Karmelitenkloster a​m Ort d​er heutigen Ludwigskirche i​n Straßburg u​nd ab 1510 wieder Cursor i​n Speyer. 1510 w​urde er i​n Speyer Lektor (Lesemeister).[3] 1511 i​st eine Predigt v​on Tilmannus d​e Lyn a​ls Speyrer Lektor a​n der Universität Köln belegt.[4] 1512 w​ar er Lektor a​m Karmeliterkloster i​n Frankfurt a​m Main, 1513 b​is 1514 i​n Straßburg, 1515 b​is 1516 Subprior i​n Speyer, 1517 b​is 1518 i​n Weinheim u​nd 1519 erneut i​n Speyer. Anschließend k​am Tilmann wieder i​n den Karmelitenkonvent i​n Straßburg u​nd war d​ort 1520 Lektor.

Zusammen m​it dem Augustiner Wolfgang Schultheiß (1491/92–1565),[5] d​em Prediger a​m Straßburger Münster Matthäus Zell u​nd dem Leutpriester Symphorianus Pollio verbreitete e​r 1521 u​nd 1522 d​ie lutherische Lehre i​n Straßburg. Tilmann v​on Lyn scheint n​och vor Zell d​er erste u​nd anfangs d​er einzige evangelische Prediger i​n Straßburg gewesen z​u sein.[6] Unter d​em Einfluss v​on Luthers Sendschreiben An d​en christlichen Adel deutscher Nation v​on des christlichen Standes Besserung (1521) kritisierte e​r das Papsttum, forderte d​en Glauben allein a​n Christus, d​ie Abschaffung d​er Messe u​nd setzte s​ich für d​ie Priesterehe ein.

Nach d​er Veröffentlichung d​es Wormser Ediktes i​n Straßburg verbot i​hm Jakob Steinmüller, Fiskal v​on Bischof Wilhelm III. v​on Hohnstein (1475–1541, reg. 1506), i​n Begleitung d​es Notars Johannes Eberhardi genannt Schenckbecher († 1540) a​m 28. Dezember 1521 d​as weitere Predigen u​nd Beichtehören. Eine Verhaftung verhinderte d​er Prior Leonhard Knecht,[7] w​eil Tilmann d​ie Messe l​ese und für d​ie Einkünfte d​es Klosters unverzichtbar sei. Anfang 1522 verfasste Tilmann e​ine Verteidigungsschrift a​n den Rat d​er Stadt.[8] Das karmelitische Provinzialkapitel i​n Köln sprach Tilmann v​on Lyn a​m 7. Mai 1522 d​en Lektorengrad ab, untersagte i​hm das weitere Predigen u​nd ordnete s​eine Klosterhaft an. Mit i​hm wurden d​rei weitere Brüder d​es Klosters z​u Haftstrafen verurteilt.[9] Am 1. Juli 1522 forderte d​ie bischöfliche Kanzlei i​n Zabern d​en Prior Knecht auf, Tilmann a​us dem Straßburger Orden z​u entfernen.

Über d​as weitere Schicksal Tilmanns v​on Lyn i​st nichts bekannt. Möglicherweise w​urde er i​n ein anderes Kloster geschickt o​der wirkte u​nter anderem Namen a​ls lutherischer Prediger.[10] Zell schrieb 1534 i​m Vorwort z​um Katechismus v​on Martin Bucer, v​or seiner – Zells – eigenen evangelischen Predigt i​n Straßburg s​ei nach d​em Karmeliter (Tilmann v​on Lyn), d​er als Erster auftrat, d​er Augustiner (Wolfgang Schultheiß) „etwas dapfferer“ gewesen, a​ber beide hätten i​hre Predigt „als b​ald wider abgestellet“.[11]

Quellen

  • [Verteidigungsschrift] Aufruf des Tilman von Lyn, Lesemeister des Karmeliterklosters zu Straßburg, an den Rat und die Einwohner dieser Stadt, sich für die evangelische Wahrheit einzusetzen und ihn vor seinen Widersachern zu schützen, datiert: An der Unschuldigen Kindlein Tag 1521, Handschrift 1522 (Stadtarchiv Straßburg, AST 87 (50), Nr. 1)[12]
  • Protokolle der Provinzialkapitel der Karmeliten (Stadtarchiv Frankfurt am Main; Karmeliter 87 b [1488–1523] und 87 c [1524–1541])

Literatur

  • Timotheus Wilhelm Röhrich: Geschichte der Reformation im Elsaß und besonders in Strasburg nach gleichzeitigen Quellen bearbeitet, Bd. I/1. Heitz, Straßburg 1830, S. 130f (Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München)
  • Andreas Jung: Beiträge zu der Geschichte der Reformation, Bd. II Geschichte der Reformation der Kirche in Straßburg und der Ausbreitung derselben in den Gemeinden des Elsasses. F. G. Leyrault, Straßburg / Leipzig 1830, S. 42–46 (Google-Books)
  • Johann Adam: Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Strassburg bis zur französischen Revolution. J. H. E. Heitz, Straßburg 1922, S. 28
  • Marc Lienhard, Jean Rott: Die Anfänge der evangelischen Predigt in Strassburg und ihr erstes Manifest: der Aufruf des Karmeliterlesemeister Tilmann von Lyn (Anfang 1522). In Marijn de Kroon, Friedhelm Krüger (Hrsg.): Bucer und seine Zeit. Festschrift für Robert Stupperich (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 80). Steiner, Wiesbaden 1976, S. 54–73 = Jean Rott: Investigationes Historicae. Eglises et societe au XVIe siecle. Gesammelte Aufsätze zur Kirchen- und Sozialgeschichte, Bd. I. Oberlin, Straßburg 1986, S. 444–463
  • Thomas A. Brady jr.: Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg 1520–1555 (Studies in Medieval and Reformation Thought 22). E. J. Brill, Leiden 1978, S. 99

Einzelnachweise

  1. Marc Lienhard, Jean Rott: Die Anfänge der evangelischen Predigt in Strassburg und ihr erstes Manifest: der Aufruf des Karmeliterlesemeister Tilmann von Lyn (Anfang 1522). In Marijn de Kroon, Friedhelm Krüger (Hrsg.): Bucer und seine Zeit. Festschrift für Robert Stupperich (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 80). Steiner, Wiesbaden 1976, S. 60. Julius Friedrich Emil Rathgeber: Straßburg im sechzehnten Jahrhundert 1500–1598. Reformationsgeschichte der Stadt Straßburg. J. F. Steinkopf, Stuttgart 1871, S. 29, hält „Tilman van Lyn“ für einen „Holländer“.
  2. Vgl. etwa Urkunden vom 6. Februar 1454, 24. Februar 1465 und 16. Februar 1468 (Schöffe); Staatsarchiv Wertheim (Bestand F-US 6 Grafschaft Virneburg, Urkunden, Nr. 222, 286 und 295); Urkunde vom 18. Juli 1492 (Schöffe und Bruderschaftsmeister der Pfarrkirche zu Monreal); Historisches Archiv der Stadt Köln (Bestand 1031 Fahne, Anton, U 2/121).
  3. „pro primo anno lectoratus“
  4. „faciet collacionem ad universitatem Coloniensem“. Marc Lienhard, Jean Rott: Die Anfänge der evangelischen Predigt in Strassburg und ihr erstes Manifest: der Aufruf des Karmeliterlesemeister Tilmann von Lyn (Anfang 1522). In Marijn de Kroon, Friedhelm Krüger (Hrsg.): Bucer und seine Zeit. Festschrift für Robert Stupperich (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 80). Steiner, Wiesbaden 1976, S. 61; Franz-Bernard Lickteig: The German Carmelites at the Medieval Universities (= Textus et studia historica Carmelitana 13). Institutum Carmelitanum, Rome 1981, S. 262 und 462.
  5. Ab 1530 Pfarrer in Schiltigheim.
  6. Adeodatus F. Vermeulen: Der Augustiner Konrad Treger. In: Analecta Augustiniana, 24–25, 1961/62, S. 144–224, bes. S. 145, mit Hinweis auf einen Brief von Nikolaus Gerbel (um 1485–1560) vom 20. Dezember 1521 („… praeter unum qui Evangelium docet“)
  7. Aus Hirschhorn, Studium 1493 in Heidelberg und 1496 in Köln, 1507 Lektor in Straßburg, Prior ab 1508 bis etwa 1525, 1527 Vikar in Straßburg
  8. Datiert 28. Dezember 1521 (Datum des bischöflichen Verbotes); AST 87 (50), Nr. 1.
  9. Franz Xaver Thurnhofer: Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden. Humanist und Luthers Freund (1457–1523). In: Ludwig Pastor (Hrsg.): Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes, Bd. II. Herder, Freiburg i. Br. 1900/01, S. 1–153, bes. S. 23.
  10. Marc Lienhard, Jean Rott: Die Anfänge der evangelischen Predigt in Strassburg und ihr erstes Manifest: der Aufruf des Karmeliterlesemeister Tilmann von Lyn (Anfang 1522). In Marijn de Kroon, Friedhelm Krüger (Hrsg.): Bucer und seine Zeit. Festschrift für Robert Stupperich (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 80). Steiner, Wiesbaden 1976, S. 68.
  11. Kurtze schrifftliche erklaerung fuer die kinder vnd angohnden … Durch die Prediger und diener der gemein zu Straßburg, Straßburg: Matthias Apiarius, 1534 (Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München).
  12. Erste Gesamtedition von Marc Lienhard, Jean Rott: Die Anfänge der evangelischen Predigt in Strassburg und ihr erstes Manifest: der Aufruf des Karmeliterlesemeister Tilmann von Lyn (Anfang 1522). In Marijn de Kroon, Friedhelm Krüger (Hrsg.): Bucer und seine Zeit. Festschrift für Robert Stupperich (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 80). Steiner, Wiesbaden 1976, S. 68–73; auszugsweise abgedruckt bei Andreas Jung: Beiträge zu der Geschichte der Reformation, Bd. II Geschichte der Reformation der Kirche in Straßburg und der Ausbreitung derselben in den Gemeinden des Elsasses. F. G. Leyrault, Straßburg / Leipzig 1830, S. 43–46; auch Heiko Augustinus Oberman: Werden und Wertung der Reformation. Mohr Siebeck, Tübingen 1989, S. 253.
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