Stiftskirche St. Materniani et St. Nicolai
Die evangelisch-lutherische ehemalige Stiftskirche St. Materniani et St. Nicolai in Bücken, im Volksmund auch „Bücker Dom“, ist eine romanische Basilika mit Doppeltürmen aus dem 12. Jahrhundert.
Baugeschichte
Über die älteste, im Zusammenhang mit der Gründung des Stifts im 9. Jahrhundert vorauszusetzende, vermutlich aus Holz gebaute Kirche wissen wir nichts sicheres. An der heute bestehenden Stiftskirche sind vier Bauperioden abzulesen:[1]
Im 11. Jahrhundert errichtete man eine gewölbelose Pfeilerbasilika, deren Reste am kleinteiligen Feldsteinmauerwerk, zum Beispiel an der Lisenengliederung des Sockelgeschosses der Ostapsis, erkennbar sind. In diese Zeit gehören auch die vier östlichen Langhausjoche.
Das 12. Jahrhundert baute mit Portasandstein weiter: die Untergeschosse der Türme und die beiden westlichen Langhausjoche. Die Baunaht ist durch den Profilwechsel am fünften Pfeiler von Osten gut zu erkennen. In die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts werden das westliche Südportal (Hl.Petrus und Agnus Dei) und die beiden figürlichen Konsolen (nördlich: Baumeister ?) unter der Orgelempore datiert.
Ein Ablass von 1248[2] zugunsten der baufällig gewordenen Kirche ermöglichte den Beginn der zum Teil in Backstein ausgeführten dritten Bauphase. Ihr werden zugerechnet: die Turmobergeschosse, die halbrunden Abschlüsse (Konchen) der Querhäuser, die Erhöhung der Ostapsis als Voraussetzung für die großen Glasfenster.
Vielleicht erst nach etwa 1350 erfolgte die Einwölbung des Langhauses mit Vergrößerung der Fenster und der Einbau einer steinernen Westempore zwischen den Türmen.
1802 wurde der Nordturm bis auf die beiden unteren Geschosse abgerissen. Die vereinfachenden Umbauten des 18. Jahrhunderts wurden rückgängig gemacht, als 1863 bis 1868 der aus Bücken gebürtige Architekt Adelbert Hotzen eine umfassende historistische Restaurierung (Südturm, Obergeschosse des Nordturms, Westvorhalle und -giebel) durchführte, bei der er sich so gut wie möglich an den erhaltenen Resten orientierte und bei der die Stiftskirche weitgehend ihre heutige Gestalt erhielt. Auch die Ausstattung wurde in diesen Jahren restauriert und das Innere neu ausgemalt. Weitere Außen- und Innensanierungen erfolgten 1963–1971. Die Glasfenster des 13. Jahrhunderts wurden 1975 konserviert, 1976 die Orgel erneuert, 1981–1982 und 1991 der Südturm saniert.
Ausstattung
Zur vereinheitlichenden Restaurierung von 1863–1868 gehört der Bild- und Ornamentschmuck des Kirchenmalers Heinrich Ludwig Schröer, dessen Lehrer Michael Welter die Ergänzungen der Farbfenster entworfen hatte. Aus der gleichen Zeit stammt der Estrichfußboden im Chor, ein schönes und seltenes Beispiel dieser wenig beachteten Handwerkstechnik des Historismus. Noch bedeutender ist die mittelalterliche Ausstattung:
Triumphkreuzgruppe
Vor dem Querhaus, im westlichen Vierungsbogen, überspannt ein Apostelbalken als Träger eines überlebensgroßen Triumphkreuzensembles das Mittelschiff. Obwohl die verwendeten Hölzer dendrochronologisch um einige Jahrzehnte älter bestimmt sind und der Gekreuzigte noch im altertümlicheren Viernageltypus gestaltet ist, wird die Gruppe aus stilgeschichtlichen Gründen meist um 1260/70 datiert. Sie gehört zu den bedeutendsten Holzbildwerken der Zeit in Norddeutschland und kann mit ihren mitteldeutschen Pendants in Halberstadt und Wechselburg verglichen werden. Auf den Kreuzenden sind oben Gottvater und die Taube des Hl. Geistes, seitlich Engel und unten die drei Frauen vor dem Engel am leeren Grab des auferstandenen Christus dargestellt. Maria (1868 erneuert) und Johannes, die üblicherweise das Triumphkreuz begleiten, stehen auf den am Boden liegenden Personifikationen des Juden- und Heidentums, weiter außen die Kirchenpatrone Maternianus (erneuert) und Nikolaus (Kopf erneuert). In den 15 Nischen des Balkens sitzen neben Christus und Maria 13 Apostel.[3]
Altar
Das geschnitzte Flügelretabel entstand am Ende der Spätgotik um 1515. Entsprechend figurenreich ist der Kalvarienberg des Mittelschreins ausgestaltet. Ihn flankieren wieder die beiden Kirchenpatrone. Auf den Flügeln sind die Apostel angeordnet, in den Aufsätzen darüber die Heiligen Katharina und Magdalena, in der Predella die vier Kirchenväter. 1868 stark restauriert.
Glasgemälde
Die drei über 4 m hohen Farbfensterbahnen der Ostapsis enthalten die qualitativ und ikonographisch bedeutendsten Glasfenster des 13. Jahrhunderts in Norddeutschland, auch wenn sie 1867 von Michael Welter stark restauriert und zum Teil gänzlich erneuert wurden. Der ikonographische Zusammenhang des Zyklus ist jedenfalls ungestört erhalten, wofür es in Deutschland aus dieser Zeit sonst kaum Beispiele gibt. Das Mittelfenster enthält eine Bildfolge aus dem Leben Jesu, das mit Darstellungen von Stationen der Messliturgie auf den Außenbahnen in Beziehung gesetzt werden kann (die drei unteren und fünf oberen Scheiben erneuert). Die Mittelbahn des südlichen Fensters ist der Vita des Kirchenpatrons Maternian gewidmet, ihr sind Könige und Propheten des Alten Testamentes an die Seite gestellt (Randstreifen links unten und Mitte rechts erneuert, am besten erhalten das Mittelmedaillon). Im nördlichen Fenster Darstellungen aus der Legende des Hl. Nikolaus, am Rand begleitet von den klugen und törichten Jungfrauen (erneuert: fünf obere Scheiben und zwei Randstreifen rechts unten). Während die Palmettenborten noch romanischen Dekorkonventionen folgen, ist die Körperlichkeit der Figuren bereits ausgesprochen gotisch stilisiert und auch die inhaltliche Programmatik ist ohne Vorbilder aus der französischen Kathedralkunst kaum denkbar. Wo die Fenster allerdings gefertigt wurden (Minden[4] oder Bremen?) muss einstweilen ungeklärt bleiben.[5]
Weitere Kunstwerke
- Die steinerne Kanzel aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zeigt mit ihren Kapitellen und Kleeblattbögen Architekturformen aus der Übergangszeit zwischen Romanik und Gotik, vergleichbares findet sich in Westfalen, aber auch in der Bremer Liebfrauenkirche.
- Das Chorgestühl, nach 1337, ist stark ergänzt, enthält aber auch originale figürliche Teile.
- Christus in der Rast (Christus im Elend), Andachtsbild, Holzfigur des 15. Jahrhunderts.
- Links neben dem Altar ragt das filigrane Sakramentshaus aus Kalksandstein vom Ende des 15. Jahrhunderts ins Gewölbe.
- Schrankförmiger Opferstock, datiert 1675.
- Ein barockes Taufbecken hat einen geschnitzten Deckel von 1677 und ein neuromanischer Taufstein stammt aus der Restaurierungszeit 1863/67.
- Epitaphe für Hinrich Behse († 1561) und Achatz von der Wense († 1605).
Orgel
Die Hillebrand-Orgel der Kirche von 1976 hat Schleifladen mit mechanischer Spiel- und Registertraktur. Beim Bau wurde Pfeifenmaterial aus mehreren Vorgängerinstrumenten durch Nachbauten im historischen Sinne ergänzt. Fast alle Register im Hauptwerk sind historischen Ursprungs. Das unmittelbare Vorgängerinstrument baute der Hannoversche Hoforgelbauer Meyer unter Verwendung von Pfeifen aus dem 17. Jahrhundert, die Harmen Kröger für das Instrument davor hergestellt hatte. Eventuell lässt sich durch auffallende Herstellungsmerkmale sogar auf einen noch älteren Bestand aus dem 16. Jahrhundert schließen.[6]
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- Koppeln: II/I, I/P, II/P
- Blocktremulant für alle Werke
Geschichte des Stiftes
Bereits 860 wurde der heutige Ort Altenbücken erwähnt. Der Name ging nach Gründung des Stifts auf den Ort über, der sich um die Kirche bildete. Der Bremer Erzbischof Rimbert gründete 882 das Kollegiatstift Bücken als Missionszentrum für Sachsen und Skandinavien. Die Stiftskirche wurde dem heiligen Maternian, Erzbischof von Reims (gest. 368) geweiht. Später kam zusätzlich Nikolaus als Namenspatron hinzu. Das Stift wurde von einem Propst geleitet, der aus dem Bremer Domkapitel in sein Amt gewählt wurde, geleitet und verwaltet. Gleichzeitig war er Archidiakon des Bannes Bücken. Das Stiftskapitel bestand aus sieben Stiftsherren, die für die Gottesdienste zuständig waren. Jedem Stiftsherrn wurde ein Stiftshof (Siebenmeierhof) als Pfründe zugewiesen. Diese befanden sich in Bücken, Essen, Stendern, Mehringen, Mahlen, Wührden und Magelsen. Anfang des 11. Jahrhunderts war Bücken Zufluchtsort der Bremer Bischöfe, um sich vor Raubwikingern in Sicherheit zu bringen. Mitte des 11. Jahrhunderts begann der Bau der heutigen Kirche. Das Gebiet des heutigen Kirchspiels entstand um 1000. Zum Kirchspiel gehörten die Orte Altenbücken, Bücken, Calle, Dedendorf, Duddenhausen, Helzendorf, Holtrup, Nordholz, Warpe und Windhorst. Bis um 1400 gehörten auch Teile Hoyas dazu. Durch zahlreiche Schenkungen erlebte das Stift eine große Blütezeit und war um 1200 einer der reichsten Steuereinnehmer im norddeutschen Raum. Die Reformation wurde 1532 eingeführt und die Kirchengüter von den Grafen von Hoya eingezogen. 1648 wurde das Stift aufgelöst.
Gründungslegende
Mönche, die die Kirche bauen und den Standort der Kirche bestimmen sollten, baten Gott um ein Zeichen. Dort, wo der mitgeführte Esel sich „bücken“ würde, um zu fressen, da wollten sie die Kirche bauen. Als das Tier sich aber in der „Wüsteney“ (Helzendorf) niederlassen wollte, zogen sie es weiter bis zu der Stelle, wo sich heute die Stiftskirche „Bücken“ befindet.
Literatur
- Hans-Herbert Möller: Die Stiftskirche in Bücken. München/Berlin 1986 (5. A.), 16 S. m. 11 Abb.
- Hans-Herbert Möller u. Cord Meyer: Die Stiftskirche zu Bücken. [Aufnahmen: Wolfgang Heising]. 8., neu bearb. Aufl., Dt. Kunstverlag, München / Berlin 2008 (DKV-Kunstführer Nr. 207), ISBN 978-3-422-02168-6, 23 S. m. zahlr. Ill.
- Dietrich Studer: Die Stiftskirche in Bücken. Königstein/Ts. o. J., 52 S. m. 64 Abb.
- 1100 Jahre Bücken (882-1982). (Hrsg.: Festausschuß 1100 Jahre Bücken), o. O. 1982, 287 S. m. zahlr. Abb.
- Nicolaus Heutger: 1100 Jahre Bücken – Das Stift Bücken in Geschichte und Kunst (Im Auftrage der Hoya-Diepholzschen Gesellschaft bearbeitet von Nicolaus Heutger), Verlagsbuchhandlung August Lax Hildesheim 1982, 64 Seiten und 80 Bildtafeln.
- Ernst Andreas Friedrich: Die Stiftskirche in Bücken, S. 133–135, in: Wenn Steine reden könnten, Band I, Landbuch-Verlag, Hannover 1989, ISBN 3-7842-03973.
- Werner Kloos und Jürgen Wittstock: Alte Kirchen in und um Bremen. Bremen 1982, S. 88–95.
Einzelnachweise
- Die im Folgenden referierte Chronologie orientiert sich an der Darstellung in: Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler - Niedersachsen Bremen, München 1992, S. 315–318.
- Bremisches Urkundenbuch, Bd. 1, 1863, Nr. 241. Es folgten weitere Ablässe bis 1256.
- Die 13-Zahl ergibt sich durch Einbeziehung von Paulus in dioe Darstellung der 12 Apostel. Vgl. Dietmar Assmann: Darstellungen der „13 Apostel“ in Oberösterreich, Ein Beitrag zur Ikonographie der Apostel. In: Oberösterreichischer Musealverein - Gesellschaft für Landeskunde (Hrsg.): Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines. 149a (= Festschrift Gerhard Winkler zum 70. Geburtstag). Teil I: Abhandlungen. Linz 2004, S. 513–524 (zobodat.at [PDF] betrifft Linz (Stadtpfarrkirche und Herz Jesu), Aspach und Lauffen / Bad Ischl).
- So vermutet Reiner Haussherr in: Die Zeit der Staufer, Ausstellungskatalog Stuttgart 1977, Kat. Nr. 416, weil Wedekind I. von Minden aus dem Geschlecht der Landesherren, den Grafen von Hoya, während der fraglichen Jahre Propst in Bücken (1244) und Bischof in Minden (1253–1261) war.
- Hans Wentzel: Die Farbfenster des 13. Jahrhunderts in der Stiftskirche zu Bücken an der Weser. in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 1, 1961, S. 57–72; Bd. 2, 1962, S. 131–151; Bd. 3, 1964, S. 195–214.
- Informationen zur Orgel
Weblinks