Simplex (Mathematik)
Als Simplex oder n-Simplex, gelegentlich auch n-dimensionales Hypertetraeder, bezeichnet man in der Geometrie ein spezielles n-dimensionales Polytop.
Dabei ist ein Simplex die einfachste Form eines Polytops. Jedes -dimensionale Simplex besitzt Ecken. Man erzeugt ein -Simplex aus einem -Simplex, indem man einen affin unabhängigen Punkt (s. u.) hinzunimmt und alle Ecken des niedrigerdimensionalen Simplex mit diesem Punkt in Form einer Kegelbildung durch Strecken verbindet.[1] Somit ergibt sich mit zunehmender Dimension die Reihe Punkt, Strecke, Dreieck, Tetraeder. Ein -Simplex ist die Fortsetzung dieser Reihe auf Dimensionen.
Definitionen
Affine Unabhängigkeit
Sei und seien endlich viele Punkte eines -Vektorraums . Man nennt diese Punkte affin unabhängig,[2] falls für die Skalare gilt, dass aus mit folgt, dass .
Anders ausgedrückt, es gibt keinen -dimensionalen affinen Unterraum , in dem die Punkte liegen. Eine äquivalente Formulierung ist: Die Menge ist linear unabhängig.[3] In diesem Falle ist jeder der Punkte von den übrigen Punkten affin unabhängig und genauso von dem durch die aufgespannten affinen Unterraum.
Eine Menge von Punkten eines -dimensionalen Vektorraums über () nennt man in allgemeiner Lage, wenn jede aus höchstens Punkten bestehende Teilmenge affin unabhängig ist.[2]
Simplex
Sei und seien affin unabhängige Punkte des (oder eines n-dimensionalen Vektorraums über ) gegeben, so ist das von aufgespannte (oder erzeugte) Simplex gleich folgender Menge:
- .[4]
Die Punkte werden Eckpunkte von und baryzentrische Koordinaten genannt. Die Zahl ist die Dimension des Simplexes. Ein Simplex der Dimension wird auch kurz -Simplex genannt. Ein Simplex ist also nichts weiter als die konvexe Hülle von endlich vielen affin unabhängigen Punkten im ,[5] welche dann die Eckpunkte dieses Simplexes sind.
Seitenflächen und Rand
Es sei ein Simplex. Jedes in enthaltene Simplex, welches durch eine nicht leere Teilmenge der Eckpunkte von aufgespannt wird, heißt Seite (seltener Facette oder Untersimplex) von . Die nulldimensionalen Seiten (Facetten) sind gerade die Eckpunkte oder Ecken, die 1-Seiten (oder 1-Facetten) sind die Kanten und die -Seiten oder -Facetten heißen Seitenflächen. Die Vereinigung der Seitenflächen heißt der Rand des Simplexes :
Die Anzahl der -Seiten (oder -Facetten) des -Simplex ist gleich dem Binomialkoeffizienten .
Das -Simplex ist das einfachste -dimensionale Polytop, gemessen an der Anzahl der Ecken. Nach dem Simplex ist das Simplex-Verfahren aus der linearen Optimierung und genauso das Downhill-Simplex-Verfahren in der nichtlinearen Optimierung benannt.
Beispiel
- Ein 0-Simplex ist ein Punkt.
- Ein 1-Simplex ist eine Strecke.
- Ein 2-Simplex ist ein Dreieck.
- Ein 3-Simplex ist ein Tetraeder (vier Ecken, vier Seitenflächen aus Dreiecken, sechs Kanten); er wird erzeugt aus einem Dreieck (2-Simplex), zu dem ein Punkt, welcher nicht in der Dreiecksebene liegt, hinzugenommen und mit allen Ecken des Dreiecks verbunden wird.
- Ein 4-Simplex heißt auch Pentachoron.
- Ein Beispiel eines -Simplex im (und zwar eines mit rechtwinkliger Ecke im Ursprung) ist durch
- gegeben. Dieses Simplex heißt Einheitssimplex. Es wird vom Nullvektor und den Einheitsvektoren der Standardbasis des aufgespannt und hat mit der Länge der Einheitsvektoren das Volumen .
Volumen
Das Volumen des Einheitssimplex des beträgt . Sind Punkte des , so lautet die affine Abbildung, die das Einheitssimplex auf das von aufgespannte Simplex transformiert
und das Volumen des Simplex ist gegeben durch .
Standard-Simplex
In der algebraischen Topologie, insbesondere der Definition der singulären Homologie, spielen die sogenannten Standard-Simplexe eine wichtige Rolle.
Der -dimensionale Standardsimplex ist der im von den Einheitsvektoren , also von den Ecken
aufgespannte -Simplex.[6] Der -Standardsimplex entspricht damit der größten Seitenfläche eines -Einheitssimplex.
Ein singulärer -Simplex ist per Definition eine stetige Abbildung des Standard-Simplex in einen topologischen Raum , siehe singuläre Homologie.
Simplexe mit einer rechtwinkligen Ecke
Eine rechtwinklige Ecke bedeutet hier, dass je 2 in dieser Ecke zusammenlaufende Kanten einen rechten Winkel bilden. Oder anders ausgedrückt, das -Simplex hat eine Ecke, an der seine an ihr anliegenden -dimensionalen Hyperflächen zueinander orthogonal sind. Ein solches Simplex stellt eine Verallgemeinerung rechtwinkliger Dreiecke dar und in ihm gilt eine -dimensionale Version des Satzes von Pythagoras.[7]
Die Summe der quadrierten -dimensionalen Volumen der an der rechtwinkligen Ecke anliegenden Hyperflächen ist gleich dem quadrierten -dimensionalen Volumen der der rechtwinkligen Ecke gegenüberliegenden Hyperfläche. Es gilt also:
Hierbei sind die Hyperflächen paarweise orthogonal zueinander aber nicht orthogonal zu der Hyperfläche , die der rechtwinkligen Ecke gegenüberliegt.
Im Falle eines 2-Simplex entspricht dies einem rechtwinkligen Dreieck und dem Satz des Pythagoras und bei einem 3-Simplex einem Tetraeder mit einer Würfelecke und dem Satz von de Gua.
Grundlegende Homöomorphieeigenschaften
- Zwei Simplexe und gleicher Dimension sind stets homöomorph. Eine solche Homöomorphie liegt also genau dann vor, wenn die Eckpunktmengen beider Simplexe identische Anzahl haben.[8]
- Ein -Simplex im ist stets homöomorph zur abgeschlossenen k-dimensionalen Einheitskugel . Folglich ist jedes Simplex eines euklidischen Raumes eine kompakte Menge.[9]
Euklidischer simplizialer Komplex
Ein euklidischer simplizialer Komplex (engl. Euclidean simplicial complex[10]), in der deutschen Literatur meist simplizialer Komplex genannt,[11][12] ist eine Familie von Simplexen im mit folgenden Eigenschaften:
- Mit jedem Simplex gehört auch jede Seite von zu .
- Der Schnitt von zwei Simplexen von ist leer oder gemeinsame Seite beider Simplexe.
- Jeder Punkt eines Simplex aus hat (bzgl. der Standardtopologie des ) eine Umgebung, welche höchstens endlich viele Simplexe aus schneidet (Lokalendlichkeit).[13]
Die Vereinigung , gebildet über alle Simplexe von und versehen mit der vom herrührenden Unterraumtopologie, heißt das zu gehörige Polyeder. Die zugehörige Familie nennt man dann auch eine Triangulation oder simpliziale Zerlegung[14] von . Falls ein solches existiert, heißt triangulierbar.[15]
Ein Polyeder, welches durch einen endlichen simplizialen Komplex trianguliert wird, ist stets eine kompakte Teilmenge des .[16]
Abstrakter simplizialer Komplex
Ein abstrakter simplizialer Komplex (engl. abstract simplicial complex[17]) ist eine Familie von nichtleeren, endlichen Mengen, welche (abstrakte) Simplexe genannt werden, und die folgende Eigenschaft erfüllt:[18]
- Mit ist stets auch jede nichtleere Teilmenge von in enthalten.[19]
Jedes Element eines Simplex heißt Ecke und jede nichtleere Teilmenge heißt Seite (oder Facette). Die Dimension eines (abstrakten) Simplex mit Ecken ist definiert als . Die Dimension eines Simplizialkomplexes ist definiert als das Maximum der Dimensionen aller darin vorkommenden Simplexe, sofern dieses Maximum existiert. In diesem Falle bezeichnet man den Simplizialkomplex als endlichdimensional und besagtes Maximum als seine Dimension. Falls die Dimensionen der Simplexe des Simplizialkomplexes über alle Grenzen wachsen, so heißt der Simplizialkomplex unendlichdimensional.
Anwendung
Eine Anwendung findet sich im Downhill-Simplex-Verfahren. Das ist ein Optimierungsverfahren, bei dem man Parameterwerte finden will, indem man sie so lange variiert, bis die Abweichung zwischen Messwerten und einer Theoriefunktion, die von diesen Parametern abhängt, minimal wird. Dazu wird im -dimensionalen Parameterraum ein Simplex aus Parametersätzen aufgespannt, für jeden Punkt des Simplex die Fehlerfunktion berechnet und dann im Laufe des Algorithmus der jeweils „schlechteste“ dieser Punkte durch einen (hoffentlich) „besseren“ (mit kleinerem Fehlerwert) ersetzt, so lange, bis ein Konvergenz- oder sonstiges Abbruchkriterium erfüllt ist. Als Anfangskonfiguration wird meistens ein Simplex mit einer rechtwinkligen Ecke (wie oben erläutert) verwendet.
Simplexe, simpliziale Komplexe und Polyeder finden darüber hinaus eine breite Anwendung in der Topologie. Als eines der herausragenden Anwendungsbeispiele ist hier der Fixpunktsatz von Brouwer zu nennen, von dem Bronisław Knaster, Kazimierz Kuratowski und Stefan Mazurkiewicz im Jahre 1929 gezeigt haben, dass dieser Satz und verwandte Sätze der Topologie im Rahmen der Simplextheorie mit elementaren kombinatorischen Methoden, insbesondere unter Benutzung des Spernerschen Lemmas, ableitbar sind.[20][21]
Literatur
Artikel
- Bronisław Knaster, Casimir Kuratowski, Stefan Mazurkiewicz: Ein Beweis des Fixpunktsatzes für n-dimensionale Simplexe. In: Fundamenta Mathematicae. Band 14, Nr. 1, 1929, S. 132–137 (online).
Monographien
- Egbert Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie (= Die Mathematik. Einführungen in Gegenstand und Ergebnisse ihrer Teilgebiete und Nachbarwissenschaften). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1978, ISBN 3-534-07016-X (MR0533264).
- John M. Lee: Introduction to Topological Manifolds (= Graduate Texts in Mathematics, 202). 2. Auflage. Springer-Verlag, New York u. a. 2011, ISBN 978-1-4419-7939-1.
- Horst Schubert: Topologie. 4. Auflage. B. G. Teubner Verlag, Stuttgart 1975, ISBN 3-519-12200-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 20 ff.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 4.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 5.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 26.
- H. Schubert: Topologie. 1975, S. 165.
- I. M. James: Handbook of Algebraic Topology. Elsevier Science, 1995, ISBN 978-0-08-053298-1, S. 3.
- A. K. Austin, R. J. Webster: 3147. A Note on Pythagoras’ Theorem. In: The Mathematical Gazette, Band 50, Nr. 372, 1966, S. 171, doi:10.2307/3611958 (JSTOR).
- H. Schubert: Topologie. 1975, S. 165.
- H. Schubert: Topologie. 1975, S. 166.
- J. M. Lee: Introduction to Topological Manifolds. 2011, S. 149.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 34.
- H. Schubert: Topologie. 1975, S. 167.
- Oft, wie etwa bei Harzheim, S. 34, oder bei Schubert, S. 167, wird sogar gefordert, dass nur endlich viele Simplexe in dem simplizialen Komplex auftreten.
- H. Schubert: Topologie. 1975, S. 167.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 26.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 37.
- J. M. Lee: Introduction to Topological Manifolds. 2011, S. 153.
- J. M. Lee: Introduction to Topological Manifolds. 2011, S. 153 ff.
- Bei Schubert, S. 169, ist hier die Rede von einem „simplzialen Schema“. Ein abstraktes Simplex nennt Schubert ausgezeichnete Menge. Zudem fordert er noch, dass jedes Element der Grundmenge in einer ausgezeichneten Menge, also einem abstrakten Simplex, enthalten ist.
- E. Harzheim: Einführung in die Kombinatorische Topologie. 1978, S. 56–65, 317.
- B. Knaster, C. Kuratowski, S. Mazurkiewicz: Ein Beweis des Fixpunktsatzes für -dimensionale Simplexe. 1929, S. 132 ff.