Sevim Dağdelen
Sevim Dağdelen (* 4. September 1975 in Duisburg) ist eine deutsche Politikerin der Partei Die Linke. Sie ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages.
Herkunft und Studium
Dağdelen wuchs als Tochter kurdisch-alevitischer[1] Eltern mit fünf Geschwistern in der Dieselstraße in Duisburg-Bruckhausen auf.[2] Seit 1991 ist Dağdelen Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Von 1993 bis 2001 war sie Mitglied der Bundesjugendkommission der Jugendorganisation der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF).[3] Von 1996 bis 1998 gehörte sie dem Vorstand der Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen bzw. der Bundesschülervertretung an. Im Jahr 1997 absolvierte sie das Abitur an einem Duisburger Gymnasium. Von 1997 bis 2005 studierte Dağdelen Rechtswissenschaft an den Universitäten in Marburg, Adelaide und Köln. Sie brach das Studium ab. Seit 2003 gehört sie dem geschäftsführenden DIDF-Bundesvorstand an. 2005 zählte Dağdelen zu den Mitbegründern des Bundesverbandes der Migrantinnen in Deutschland. Sie ist journalistisch für verschiedene türkische und deutsche Publikationen (zum Beispiel für Evrensel) und als Übersetzerin tätig.[4]
Bundestagsabgeordnete seit 2005
Nach der Bundestagswahl 2005 zog Sevim Dağdelen erstmals in den Bundestag ein. Sie kandidierte 2005 direkt im Wahlkreis Krefeld II – Wesel II sowie 2009, 2013 und 2017 im Wahlkreis Bochum I und zog jedes Mal über die Landesliste Nordrhein-Westfalen der Partei Die Linke (bis 2007 Linkspartei.PDS) in den Bundestag ein. Im 19. Deutschen Bundestag ist Dağdelen Obfrau im Auswärtigen Ausschuss. Zudem gehört sie als stellvertretendes Mitglied dem Ausschuss für Inneres und Heimat, dem Ausschuss für Energie und Wirtschaft, sowie dem Verteidigungsausschuss an.[5]
Von 2017 bis 2019 war sie stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion.[6] Zuvor hatte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, zu deren Vertrauten Dağdelen zählt, mit Rücktritt gedroht, falls Dağdelen nicht gewählt werde. Nach dem Rückzug von Wagenknecht 2019 kandidierte Dağdelen nicht wieder für den Posten der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.[7]
Dağdelen gehört dem linken Parteiflügel an[8] und war eine der ersten Unterzeichnerinnen des Gründungsaufrufs der diesem Flügel nahen innerparteilichen Strömung der Antikapitalistischen Linken.[9]
Nach der Rede des israelischen Präsidenten Schimon Peres vor dem Bundestag am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus 2010 schloss sie sich, ebenso wie Sahra Wagenknecht und Christine Buchholz, nicht dem stehenden Applaus der übrigen Abgeordneten an. Das Verhalten der drei Abgeordneten wurde auch von Klaus Lederer und Michael Leutert vom reformorientierten Flügel der Partei scharf kritisiert.[10][11]
2010 lehnte Dağdelen die Einladung des türkischen Premierministers Erdoğan zu einer Veranstaltung der türkischen Regierung nach Istanbul ab, die türkischstämmige Politiker in ihrer neuen Heimat zu mehr politischer Aktivität im Interesse der Türkei ermuntern sollte. Sie bezeichnete solche Versuche der Einflussnahme als „Nebenaußenpolitik“ des türkischen Staates und erklärte: „Daran möchte ich mich nicht beteiligen. Ich finde es bedauerlich und bedenklich, dass dies andere deutsche Politiker offenbar tun.“[12]
Im September 2012 besuchte sie Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London.[13]
Während einer Debatte im Deutschen Bundestag am 20. Februar 2014 über die Eskalation der Gewalt in der Ukraine schrieb Dağdelen, die selbst an der Sitzung nicht teilnahm, auf Twitter: „Unerträglich diese verwelkten Grünen, die die Faschisten in der Ukraine verharmlosen, die antisemitische Übergriffe begehen. Ein Tabubruch!“ Die Grünen-Abgeordnete Britta Haßelmann verlas diesen Tweet und nannte ihn unerträglich.[14]
Am 4. Juni 2014 zitierte Dağdelen in einer Bundestagsdebatte über die Krimkrise mit Bezug auf die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt Bertolt Brecht: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ In einer gemeinsamen Erklärung distanzierten sich die Linken-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi von der Bezichtigung Göring-Eckarts durch Dağdelen, nicht aber von ihren Feststellungen zur Beteiligung von Faschisten an der Regierung der Ukraine.[15] Dağdelen erklärte daraufhin ihre Verwunderung über die Partei- und Fraktionsspitze, da Heiner Geißler 1983 dasselbe Zitat benutzt habe,[16] was folgenlos geblieben sei. Der Tagesspiegel titelte dazu: Keine Einsicht nach Entgleisung trotz des ungewöhnlichen Vorgangs einer Rüge durch die Parteivorsitzenden.[17]
Am 7. Juli 2014 wurde das Bochumer Wahlkreisbüro von Dağdelen mit einem roten Hakenkreuz beschmiert und mit weißen Farbbeuteln beworfen.[18]
Am 29. Mai 2016 bekundete Sevim Dağdelen in der Sendung bei Anne Will ihre Unterstützung für die von Deutschland, den USA und der EU als Terrororganisation eingestufte PKK. Sie sagte, diese sei keine Terrororganisation, sondern eine „politische Organisation“. Dafür wurde sie von den anderen Diskussionsteilnehmern scharf kritisiert.[19]
Noch vor deren offizieller Gründung erklärte Dağdelen im August 2018 in einem zusammen mit Marco Bülow und Antje Vollmer verfassten Gastkommentar für den Spiegel ihre Unterstützung für die Sammlungsbewegung Aufstehen.[20]
2017 sorgte Dağdelen für einen Eklat im Bundestag, als sie die Fahne der syrischen Kurdenmiliz YPG zeigte.[21]
Seit 2019 ist Sevim Dağdelen Mitglied der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.
Verurteilung wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten
Am 29. November 2012 hob der Bundestag aufgrund einer Vorlage des Immunitätsausschusses die Politische Immunität von Sevim Dağdelen und drei weiteren Abgeordneten der Linken auf. Sie hatten sich 2010 beim Castor-Transport in Niedersachsen an einem Aufruf zum Schottern beteiligt. Im April 2013 wurde sie deshalb wie auch Inge Höger und Christel Wegner wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einer Geldstrafe verurteilt.[22]
Mitgliedschaften
Ehrungen
- 2007 erhielt sie den Deutsch-Türkischen Freundschaftspreis.
- 2017 erhielt sie den Menschenrechtspreis des Bündnisses für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde (BüSGM)[24]
Schriften
- Der Fall Erdogan: Wie uns Merkel an einen Autokraten verkauft, Frankfurt, Westend, 2016, ISBN 978-3-86489-156-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- Von Erdogans Liebling zur türkischen Staatsfeindin. In: Die Welt. 7. Januar 2017.
- Zeit Schule & Erziehung, Nr. 45, Oktober 2016, S. 35.
- Über mich. Abgerufen am 14. September 2020 (deutsch).
- Mechthild Küpper: Aus dem Reich der Schattengewächse. In: FAZ.net. 13. Februar 2014, abgerufen am 13. Oktober 2018.
- Deutscher Bundestag - Abgeordnete. Abgerufen am 25. April 2020.
- Alle wollen sich vertreten sehen: Linksfraktion präsentiert neues Personaltableau
- Alte Feindschaften aufgewärmt
- Stefan Reinecke: Die Angst der Linken vor der Linken. In: Die tageszeitung. 23. Januar 2010, abgerufen am 10. März 2010.
- Unterzeichnerliste (Memento vom 8. Januar 2013 im Internet Archive) auf der Webseite der Antikapitalistischen Linken; abgerufen am 29. Dezember 2011
- Markus Wehner: Die Zeit der Lügen ist vorbei. In: F.A.S. faz.net, 30. Januar 2010, abgerufen am 10. März 2010.:
- Stefan Reinecke: Linkspartei zofft sich wegen Israel. In: Die tageszeitung. 2. Februar 2010, abgerufen am 10. März 2010.
- Aufregung um Treffen in Istanbul – Erdogan umgarnt deutsch-türkische Politiker. Spiegel Online, 17. März 2010
- Bundestagsabgeordnete besucht Julian Assange; Heise Online, 3. September 2012.
- Oliver Klasen: Grüne und Linke streiten über Ukraine. In: sueddeutsche.de, 20. Februar 2014.
- zeit.de Juni 2014
- Geißler: Jauche über den Kopf. In: Der Spiegel. Nr. 52, 1983 (online).
- tagesspiegel.de
- Erneuter Anschlag auf Bochumer Wahlkreisbüro der LINKE-Abgeordneten Sevim Dagdelen. Russische Staatliche Rundfunkgesellschaft STIMME RUSSLANDS, 8. Juli 2014.
- Franziska Hein: Talk bei Anne Will: „Die Türkei ist auf dem Weg zu einem autoritären Staat“. In: RP online. Abgerufen am 26. August 2016.
- Marco Bülow, Sevim Dağdelen, Antje Vollmer: Raus aus der Wagenburg. In: Spiegel Online. Abgerufen am 28. August 2018.
- Zeit Online, 21.11.2017. Abgerufen am 14. September 2020.
- Linken-Politikerinnen wegen Aufruf zum „Schottern“ verurteilt. In: Spiegel Online. 23. April 2013, abgerufen am 19. März 2014: „Wegen eines Aufrufs zum ‚Schottern‘ bei einem Castor-Transport sind die beiden Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Inge Höger zu Geldstrafen verurteilt worden. Auch die frühere niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner muss wegen des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten zahlen, entschied am Dienstag das Amtsgericht Lüneburg. Höger soll 4500 Euro zahlen, Dagdelen wegen ihres Geständnisses nur die Hälfte. Wegner wurde zu 750 Euro verurteilt.“
- [http://www.rote-hilfe.de/news/bundestagsabgeordnete_der_fraktion_die_linke_im_bundestag_treten_der_roten_hilfe_bei Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die.LINKE im Bundestag treten der Roten Hilfe bei] (Link nicht abrufbar)
- BüSGM-Preis für Sevim Dagdelen. In: Junge Welt, 26. Juni 2017