Schlacht bei Villach
In einer Schlacht bei Villach sollen kaiserliche Truppen und ein innerösterreichisches Aufgebot im Jahr 1492 osmanische Streiftrupps besiegt haben. Die Historizität der Schlacht ist nicht belegt.
Türkeneinfälle in Krain, Steiermark und Kärnten (1469–1499)
Nach der Einnahme Konstantinopels hatten die osmanischen Türken trotz einer Niederlage vor Belgrad u. a. Serbien und Bosnien erobert. Während ihres Krieges gegen Venedig und Ungarn waren sie seit 1469 wiederholt durch (das zu Ungarn gehörende) Kroatien hindurch auch in die zum Heiligen Römischen Reich gehörenden habsburgischen Erblande Krain, Kärnten und Steiermark (Innerösterreich) eingefallen.[1][2][3][4] Um die österreichischen Erblande mussten der Habsburger-Kaiser Friedrich III. und sein Sohn und Nachfolger Maximilian I. zunächst auch mit revoltierenden steirischen Adligen, aufständischen Kärntner Bauern und dem ungarischen König Matthias Corvinus kämpfen.[4] Nachdem der Kaiser die Adelsrevolte und die Türken den Bauernaufstand niedergeschlagen hatten, besetzten die Ungarn die Steiermark, Krain, Kärnten, Niederösterreich und Wien. In den nach Corvinus’ Tod 1490 ausgebrochenen Erbfolgekrieg in Ungarn griff neben Friedrich und Maximilian auch der osmanische Sultan Bayezid II. ein. Gegen die „Türkennot“ hatten Friedrich und Maximilian (vergeblich) zur „Reichstürkenhilfe“ aufgerufen. Da Maximilian mehr mit den Ungarn beschäftigt war, blieb die Abwehr der Türken zunächst vor allem regionalen Adelsaufgeboten überlassen.[3][4] Vor allem dem regionalen Adel verbundene regionale Chronisten übertrieben fortan Anzahl und Ausmaß der Türkeneinfälle.[5][6] So wurde nicht nur die Rolle des geltungssüchtigen Regionaladels bei den tatsächlichen Türkeneinfällen ausgeschmückt und verherrlicht, sondern es wurden auch weitere Türkeneinfälle hinzuerfunden und hinzuaddiert – vor allem später während der Gegenreformation, als sich der bis dahin teilweise protestantische Adel der Region beim katholischen Kaiser hervorzuheben versuchte.[7][8][9][10]
Bei den oft als „Türken“ bezeichneten Angreifern handelte es sich zumeist nicht um reguläre Teile des osmanischen Heeres oder dem osmanischen Sultan direkt unterstehende Truppen und oft auch nicht um osmanische Türken, sondern um Akıncı. Diese Akıncı waren mehr oder weniger selbständig agierende und nur leicht bewaffnete Streiftrupps und Vorausabteilungen,[7] die sich auch aus muslimischen Vasallenvölkern wie griechischen und bulgarischen Konvertiten, Tataren, Bosniern und Albanern rekrutierten. Nachkommen griechischer Konvertiten waren beispielsweise die Akıncı-Beys Mihaloğlu Ali Bey und sein Bruder Mihaloğlu İskender Pascha.[11] Den auch als „Renner und Brenner“ überlieferten Akıncı ging es weniger um Glaubenskrieg oder Eroberung und Besiedlung von Gebieten als vielmehr um Streif- und Beutezüge sowie Verwüstung, Demoralisierung und Destabilisierung der gegnerischen Grenzgebiete. Bei ihren Überfällen verschleppten sie oft auch christliche Bewohner der verwüsteten Gebiete als Sklaven in das Osmanische Reich.[1][2][11] Bis zu 200.000 Gefangene sollen im 15. Jahrhundert aus Innerösterreich verschleppt worden sein.[12]
Schilderung der Schlacht
Obwohl z. B. der Kärntner Chronist Jakob Unrest, ein Zeitgenosse der Türkeneinfälle, für Kärnten die fünf realen Türkeneinfälle von 1473, 1476, 1478, 1480 und 1483 sowie für Krain und Steiermark auch Einfälle in den Folgejahren von 1491 bzw. 1494 bis 1499 zuverlässig dokumentiert hatte, erwähnte er für 1492 keinen weiteren Türkeneinfall in Kärnten und keine Schlacht bei Villach.[2][5][8] Dennoch schilderte der Geschichtsschreiber Hieronymus Megiser 1612 in seinen Annales Carinthiae den Türkeneinfall und die Schlacht ausführlich und berief sich dabei auf den protestantischen Prediger Gothard Christalnick, der schon 1588 im Dienste verschiedener Kärntner Adeliger eine Chronik geschrieben hatte.[5] Megiser schmückte seine Schilderungen mit den damals üblichen[6], aber historisch abwegigen[8] Schauergeschichten angeblicher türkischer Gräueltaten aus (aufgespießte Kinder, abgeschlagene Köpfe, ausgeweidete und gebratene Folteropfer und sogar Kannibalismus).[4][11]
Nach einem Angriff auf Krain 1491 sollen Türken im folgenden Jahr mit drei Marschkolonnen erneut eingefallen sein.[3][11] Eine der Kolonnen sei demnach in Krain bis Laibach vorgestoßen, eine weitere in der Untersteiermark bis Cilli. Die größte der drei Kolonnen soll Mihaloğlu Ali Bey durch das Weißenfelsertal[13] nach Kärnten geführt haben[11] (von Megiser als Hali Pascha bezeichnet). Nach kurzem Kampf plünderten und brandschatzten die Türken angeblich zunächst Tarvis und das Kloster in Arnoldstein. Auf ihrem Rückmarsch sollen sie 15.000 christliche Gefangene fortgeführt haben. Ihnen soll sich ein von Rudolf von Khevenhüller befehligtes Aufgebot aus mehreren Hundert oder einigen Tausend Kärntnern und Steirern[11][13] entgegengestellt haben, denen Maximilian weitere 5000 Landsknechte[13] und 2000 Reiter[8][14] zur Unterstützung geschickt habe. Als die mit Beute schwer beladenen Türken auf ihrem Rückmarsch vor Villach rasteten,[13] sollen sie zwischen Villach und dem Fluss Gail[7] von den kaiserlichen und innerösterreichischen Truppen angegriffen worden sein, woraufhin sich sofort auch die mitgeführten Gefangenen erhoben und in den Kampf eingegriffen hätten. In dem vermeintlichen Gemetzel seien 10.000 Türken[11][15] sowie 6000[8] bis 7000[11][15] Christen getötet worden und weitere 7000 verwundete Türken in Gefangenschaft geraten.[11][13] Die verwundeten Türken wurden vor allem deswegen gefangen, um sie später gegen Lösegeld eintauschen zu können.[16] Auch Mihaloğlu Ali Bey sei verwundet in Gefangenschaft geraten, bald aber seinen Wunden erlegen.[13][14][16] Nur wenige Türken sollen entkommen sein.[17]
Folgen
Der vermeintliche Sieg über die Türken hatte offenbar zumindest unmittelbar keinen nachhaltigen Erfolg; denn schon für 1493 und 1494 wurden in Krain und Steiermark sowie für 1496, 1497, 1498 und 1499 angeblich auch in Kärnten weitere (angebliche) türkische Angriffe überliefert.[2][8][11] Dennoch wurde der schließlich sogar Maximilian selbst zugeschriebene Sieg von Villach zu einer „Rettungsschlacht“ bzw. „Entscheidungsschlacht“ und zu einem ähnlichen Mythos[10] überhöht wie einst die Schlacht von Tours[18] – denn auch der (wenn überhaupt, dann wahrscheinlich eher) kleinere Streifzug der Türken auf einem eher unbedeutenden Nebenkriegsschauplatz wurde ebenso aufgebauscht wie der einst vor Tours gescheiterte Streifzug der Araber. Mihaloğlu Ali Bey habe angeblich bis an den Rhein[13] oder bis nach Rom[19] vordringen wollen, doch durch Maximilian sei Europa damals vor den Muslimen gerettet worden. Maximilian soll damals sogar Bayezid selbst geschlagen haben. Die Türken seien so vernichtend geschlagen worden, dass sie nie wieder zurückgekommen seien. (Zumindest kamen sie nicht wieder nach Kärnten, wohl aber eben nach Krain und in die Steiermark.[11][15]) Nach weiteren Abwehrkämpfen rief Maximilian 1494 sogar zu einem neuen Kreuzzug und zur Rückeroberung Konstantinopels auf, musste aber 1495 und 1499 Waffenstillstand mit Bayezid schließen, der Österreich dann tatsächlich rund drei Jahrzehnte relative Ruhe brachte.[15][20] Stattdessen rückten die Türken weiter nach Westen vor, beispielsweise 1499 unter İskender Pascha bis Vicenza.[1][11]
Historisch-kritische Zweifel
Nahezu alle Angaben zur vermeintlichen Schlacht gehen auf Megiser zurück.[8] Megisers Darstellungen sind von späteren Geschichtsschreibern wie z. B. Johann Valvasor und Aquilin Caesar unkritisch übernommen und auch noch 1828 von dem Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall nacherzählt worden,[3][4][21] doch ebenfalls noch im 19. Jahrhundert äußerten selbst Kirchenhistoriker wie Heinrich Hermann oder Regionalhistoriker wie Franz Ilwof starke Zweifel an Megisers „poetischem Gemälde“.[3][4][5][8] Für einen Türkeneinfall zu dieser Zeit gibt es keinen Beweis und auch ob 1492 Rudolf von Khevenhüller überhaupt noch gelebt habe[5][8] beziehungsweise ob Mihaloğlu Ali Bey wirklich 1492 umgekommen sei,[22] ist umstritten. Hermann hielt bestenfalls noch einen kleinen türkischen Streif- oder Durchzug für nicht völlig ausgeschlossen,[5] doch Wilhelm Neumanns Studien zu „Wahrheit und Dichtung in der Kärntner Geschichtsschreibung“ widerlegten 1955 auch das.[8]
Spätestens seit dem 20. Jahrhundert gilt die Schlacht von Villach als „reine Dichtung“, geschichtswidriger Unsinn und unhaltbare Erfindung Megisers.[3][7][9][10] Dennoch wurde die offensichtlich erfundene Schlacht auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einigen Nachschlagewerken als historisches Faktum erwähnt.[23][24][25][26]
Literatur
- Münchner DigitalisierungsZentrum: Digitalisierte Ausgabe der Annales Carinthiae des Michael Gothard Christalnick, herausgegeben von Hieronymus Megiser (1612)
Einzelnachweise
- David Nicolle: Die Osmanen - 600 Jahre islamisches Weltreich, S. 112 f. Tosa-Verlag, Wien 2008
- Donald Edgar Pitcher: An Historical Geography of the Ottoman Empire, S. 91 ff. Brill, Leiden 1972
- Franz Ilwof: Die Einfälle der Osmanen in die Steiermark, In: Mittheilungen des Historischen Vereins Steiermark, Zehntes Heft, S. 207–264. August Hesse, Graz 1861
- Fran Levec: Die Einfälle der Türken in Krain und Istrien, in: Jahresbericht der k.k. Staats-Oberrealschule in Laibach..., S. 9–58. Verlag der k.k. Staats-Oberrealschule, Laibach 1891
- Heinrich Hermann: Handbuch der Geschichte des Herzogthums Kärnten, II. Abteilung, S. 233 ff. J. Leon, Klagenfurt 1843
- Der Standard online vom 17. April 2020: Blutrünstige Türken und heldenhafte Steirer: Türkensagen in der Steiermark
- Dieter Neumann: Neues aus Alt-Villach - Beiträge zur Stadtgeschichte, 47. Jahrbuch, S. 1–6. Museum der Stadt Villach, Villach 2010
- Wilhelm Neumann: Die Türkeneinfälle nach Kärnten - Wahrheit und Dichtung in der Kärntner Geschichtsschreibung von Jakob Unrest bis zur Gegenwart (PDF). Leibnitz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschungen, Regensburg 1955
- Arno Strohmeyer: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, S. 242. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1999
- Hans-Åke Persson: Reflections on Europe - Defining a Political Order in Time and Space, S. 221. Peter Lang, Brüssel 2007
- Joseph von Hammer-Purgstall: Geschichte des Osmanischen Reiches, Zweiter Band, S. 79, 304 ff, 321f und 610 f. Hartleben, Pest 1828
- Dušan Nećak, Božo Repe: Slowenien, S. 40–44. Wieser Verlag, Klagenfurt 2006
- M. Unterweger: Viel "Ach…" in Villach, In: Urania - Wochenschrift für Volksbildung, Nr. 38 vom 20. September 1913, S. 620. Urania, Wien 1913
- Aquilin Julius Caesar: Staat- und Kirchengeschichte des Herzogthum Steyermarks, Sechster Band, S. 269. Weingand und Ferstl, Graz 1788
- M.A. Cook (Hrsg.): A History of the Ottoman Empire to 1730, S. 57 f. Cambridge University Press, Cambridge 1976
- Julius Franz Schneller: Staatengeschichte des Kaiserthums Österreich von der Geburt Christi an bis zum Sturze Napoleon Bonapartes, Dritter Teil, S. 423 f. Verlag Müller, Graz 1818
- Ausgerechnet diese verwundeten und versprengten Türken sollen sich auf dem längeren Weg über das Lavanttal in die Steiermark zurückgezogen und dabei noch die Pfarrkirche Kamp entweiht haben.
- Samuel Gosnell Green: Pictures from the German Fatherland, S. 165. William Clowes and Sons, London 1880
- James Jackson Jarves: Italian Rambles, S. 337 f. G.P. Putnam's Sons, New York 1883
- Manfred Hollegger: Die Zeit Maximilians I., in: Gerhard Pferschy (Hrsg.): Die Steiermark im Spätmittelalter, S. 81 ff. Böhlau Verlag, Wien 2018
- Ethbin Heinrich Costa: Rezension von Ilwofs Einfälle der Osmanen in die Steiermark, In: Mittheilungen des Historischen Vereins für Krain, Sechzehnter Jahrgang, S. 96 f. Verlag des historischen Vereins für Krain, Laibach 1861
- Türkische Chroniken erwähnten Mihaloğlu Ali Bey stattdessen 1492 und auch noch in den Folgejahren bei Feldzügen in Ungarn und Siebenbürgen, erst 1507 soll er gestorben sein.
- Hermann Kinder, Werner Hilgemann: dtv-Atlas zur Weltgeschichte, 37. Auflage, Band 1, ISBN 3-423-03001-1, S. 208. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004.
- Günter Kettermann: Atlas zur Geschichte des Islam, ISBN 978-3-534-14118-0, S. 100. Primus Verlag, Darmstadt 2001.
- Tony Jacques: Dictionary of Battles and Sieges, Teil 3 (P-Z), S. 1075. Greenwood, Westport 2007.
- Walter Leisering (Hrsg.): Putzger historischer Weltatlas, Seite 65. Cornelsen-Velhagen & Klasing, Berlin 1979.