Sara Braun
Sara Braun Hamburger auch Hamburguer (* 16. Dezember 1862 in Talsi, Kurland, heute Lettland; † 22. April 1955 in Viña del Mar, Chile) war eine aus dem zaristischen Russland gebürtige und nach Südchile ausgewanderte Unternehmerin. Neben dem asturischen Kaufmann José Menéndez[1] und dem portugiesischen Wal- und Robbenfänger José Nogueira[1] war sie die mächtigste Unternehmerin der Region.
Leben
Die Tochter des Klempners[2] Elias Braun und Sofia Hamburger aus wahrscheinlich ursprünglich jüdischer Familie wanderte mit ihren Eltern und den Geschwistern Moritz (Mauricio), Anna und Fanny 1862 nach Chile aus. 1874 ließ sich die Familie im südchilenischen Punta Arenas nieder. Obwohl ursprünglich mittellos, gelang es ihr, durch Nutzung der damaligen staatlichen Landzuteilungen, der vorangegangenen Ausrottung der der Schafzucht im Weg stehenden und als Schafdiebe diffamierten Patagonier und durch wirtschaftliche Aktivitäten in verschiedenen Bereichen zu den wohlhaberen Kreisen der Boomstadt nahe dem Kap Hoorn aufzusteigen. Der Entzug der Lebensgrundlagen der Selk’nam wurde unter ihrer Verantwortung weitergeführt. Brauns Gesellschaft war in erheblichem Maß am Völkermord an den Selk'nam, einem Teil der indigenen Feuerländer, beteiligt.[3] Maßgeblichen Anteil hatte daran jedoch vor allem der argentinische Unternehmer Julio Popper.
Elías Brauns wirtschaftliche Zusammenarbeit mit José Nogueira, Reeder, Schafzüchter und Lederexporteur entstand 1880, weil Nogueira Analphabet war und im damals 15-jährigen lesekundigen Mauricio eine zuverlässige Stütze seines Geschäfts erkannte. Mauricio wurde bald dessen Bevollmächtigter. Die geschäftliche Verbindung beider Familien mündete 1887 in die Eheschließung von Sara Braun mit Nogueira. 1893 verstarb Noguera allerdings während eines Aufenthalts in Peru an der Lungentuberkulose. Mauricio heiratete 1895 in die Familie Menéndez ein und ehelichte dessen älteste Tochter Josefina. Aus der Vereinigung mit José Menéndez († 1918) entstand 13 Jahre später die Sociedad Anónima Importadora y Exportadora de la Patagonia. Ihre Geschäftsfelder waren Schiffslinien nach Europa und entlang den südamerikanischen Küsten, der Import und Export von Gütern, insbesondere aller Erzeugnisse der eigenen Schaffarmen, Großschlachthöfe und Kühlhäuser, sowie die Bereiche Versicherungsunternehmen, Banken, Telefon- und Telegrafendienste und Beteiligungen an Elektrizitätswerken im Cono Sur. Mauricio und Sara Braun verwalteten persönlich Ländereien im Umfang von geschätzten 1.375.000 Hektaren.[1]
1928 erhob der Journalist José María Borrero gegen sie und weitere Großgrundbesitzer schwere Vorwürfe. In seinem 125-seitigen Buch Tragisches Patagonien – Morde, Räuberei und Sklaverei[1] behandelte er Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Santa Cruz, einschließlich die Verschuldungs-Leibeigenschaft vieler peones und Gauchos. Lohn wurde ausschließlich in Form von Gutscheinen für die überteuerten betriebseigenen Läden ausbezahlt. Familiengründung war verboten.
Generalstreiks gegen das Unternehmenskonglomerat Braun-Menéndez im April und im Dezember 1918, ausgerufen in Puerto Deseado und Punta Arenas, wurden von Polizeikräften gewaltsam beendet. Tote und Verletzte waren die Folge. Danach erfasste die Streikwelle auch den argentinischen Teil Patagoniens, wo es ebenfalls Todesopfer gab. Mauricio Braun und weitere Großgrundbesitzer erwirkten 1921 eine Militärintervention unter dem Kommando von Oberstleutnant Héctor Varela[1] beim argentinischen Staatspräsidenten Hipólito Yrigoyen. Bei Zusammenstößen mit den Streikenden wurden rund 1500 Arbeiter getötet. Ein letztes Blutbad vor dem Ende des Arbeitskampfs ereignete sich im Dezember 1921 auf der Estancia Anita der Familie Braun-Menéndez, die am Lago Argentino zwischen den Torres del Paine und dem Fitzroy-Massiv liegt. Etwa 120[1] Arbeiter mussten ihre eigenen Gräber schaufeln und wurden dann erschossen. Etwa 300[1] Arbeiter wurden verschont, da die Estancia weiter produzieren wollte. Die getöteten Arbeiter, die zuvor einige ihrer Vorgesetzten als Geiseln genommen, sich dann ergeben hatten, waren fast alle Chilenen. Unter den Opfern befanden sich zudem zwei deutsche Anarchisten.[1] Der Kommandant wurde im Januar 1923[4] von einem anarchistischen Neueinwanderer[4] ermordet.
Die Familie Braun errichtete ein prächtiges Mausoleum im russisch-byzantinischen Stil auf dem Friedhof von Punta Arenas, wo auch der für Menéndez tätige Menschenschlächter Alexander McLennan[1] begraben liegt. Das luxuriöse Familiengrab umfasst einen eigenen kleinen Park, der mit Mauern und Gitterstäben eingefasst ist und gilt als das teuerste Grab auf dem Friedhof. Diese Extravaganz wurde Braun von der Friedhofsverwaltung erlaubt, weil sie ein bombastisches Jugendstil-Eingangstor für den Friedhof gespendet hatte.
Karitative und weitere Maßnahmen zur Aufbesserung ihres Ansehens waren finanzielle Beihilfen zur Gründung eines Zweigvereins des Roten Kreuzes, zu der Errichtung eines Magellan-Denkmals und zur Förderung des örtlichen Schulwesens. Für sich und ihren Bruder ließ sie 1905 eine Villa erbauen, deren Innenausbau vollständig aus Europa geliefert wurde. Sara Braun firmierte auch als Bauherrin eines 1895 errichteten Luxuswohnhauses im französischen Stil in Punta Arenas (heute Palacio Sara Braun genannt). Die kinderlose Unternehmerin zog sich in ihren späteren Jahren nach Viña del Mar zurück, wo sie 1955 starb. Das Palais im Stil der Beaux-Arts-Architektur dient heute nach langjährigen Turbulenzen als Hotel und Treffpunkt des Club de la Unión.[1] Es steht unter Denkmalschutz.
Literatur
- Mateo B. Martinic, Dante R. Baeriswyl: Palacio Sara Braun, Icono patrimonial de Punta Arenas. Prólogo de Patricio F. Gross, La Prensa Austral, Punta Arenas 2010.
Einzelnachweise
- Volker Skierka: Im Wilden Süden. In: Manfred Bissinger, Will Keller (Hrsg.): Merian – Chile – Patagonien. Nr. 2/49. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1996, ISBN 3-455-29602-5, S. 74–83.
- Sara Braun Hamburguer. In: Memoria Chilena (Chilenische Nationalbibliothek). Abgerufen am 20. Dezember 2020 (spanisch).
- Braun Menéndez: responsabilidad en la matanza Selk'nam. Abgerufen am 15. Dezember 2020 (spanisch).
- Alain Rouquié: Amérique latine – Introduction à l’Extrême-Occident. In: Points Essais. 2. Auflage. Nr. 373. Éditions du Seuil, Paris 1998, ISBN 978-2-02-020624-2, S. 177 (nouvelle édition revue et augmentée).