Reichshofkanzlei
Die Reichshofkanzlei war seit 1559 die ständige Kanzlei des Heiligen Römischen Reiches. Sie ging auf ältere Vorgänger zurück. Nominell stand ihr der Erzbischof von Mainz als Reichserzkanzler vor. Faktischer Leiter war der Reichsvizekanzler.
Entwicklung
Im Mittelalter existierten in den germanisch-romanischen Reichen, die sich nach dem Untergang Westroms etabliert hatten (siehe Völkerwanderung), jeweils eigene Kanzleien. Trotz des Verfalls der ehemaligen römischen Verwaltungseinrichtungen (die noch in der ausgehenden Spätantike funktionsfähig waren) waren schriftliche Aufzeichnungen und Dokumentation des Schriftverkehrs weiterhin unverzichtbar. Im Frankenreich hatten die frühen Merowingerkönige auch schriftkundige Laien beschäftigt, die Karolinger mussten hingegen vollständig auf Geistliche zurückgreifen, da nur diese noch über die notwendigen Lese- und Schreibfähigkeiten verfügten. An diesem Grundsatz änderte sich auch im Ostfrankenreich und im daraus entstehenden römisch-deutschen Reich bis ins ausgehende Spätmittelalter nichts.
Die königliche Kanzlei war die wichtigste administrative königliche Einrichtung. Sie war insbesondere für die Ausfertigung der königlichen Urkunden und jeglichen Schriftverkehr des Herrschers zuständig. Im Frühmittelalter war die Kanzlei Teil der Hofkapelle und unterstand dem Erzkaplan. Dies war im römisch-deutschen Reich seit 965 der Erzbischof von Mainz, der seit dem 11. Jahrhundert den Titel Erzkanzler für den deutschen Reichsteil führte. Der Mainzer Erzbischof blieb auch nomineller Leiter der Kanzlei, als diese im 12. Jahrhundert von der Hofkapelle getrennt wurde. Allerdings war die königliche Kanzlei keine feste Institution, bis ins 15. Jahrhundert wurde sie bei jedem Herrschaftswechsel neu aufgestellt und auch erst seit dieser Zeit ist ein fortlaufend geführtes Archiv belegt. Das römisch-deutsche Reich war denn auch deutlich schwächer verwaltet, als dies in England und Frankreich der Fall war. Wenngleich der Erzbischof von Köln weiterhin Erzkanzler für Italien und der Erzbischof von Trier Erzkanzler für Burgund blieb, lagen die faktischen Dienstgeschäfte auch in der Hand des Kanzlers.
Der Einfluss der Behörde schwankte im Lauf der Jahrhunderte teilweise stark.[1] Seit dem 13. Jahrhundert verlor der Erzbischof von Mainz an Einfluss auf die Kanzlei, die Goldene Bulle von 1356 beschränkte ihn auf eine reine formale Rolle. Eigentlicher Leiter war seit dem 12. Jahrhundert ohnehin ein vom jeweiligen König ernannter Kanzler. Dieser stützte sich wiederum auf einen Protonotar, der in der Regel ein gelehrter Jurist war und die administrativen Abläufe regelte; er wurde daher seit dem späten 13. Jahrhundert auch als Vizekanzler bezeichnet. Unter Kaiser Friedrich III. wurden zwei Kanzleien geschaffen, die römische Kanzlei und die österreichische Kanzlei.[2] In der Zeit Maximilians I. gewann der Mainzer Erzbischof kurzzeitig wieder an Einfluss, da dieser bei der Königswahl 1486 das Anrecht gesichert hatte, wieder die Reichskanzlei führen zu können. 1498 wurde als Gegengewicht dazu von Maximilian eine Hofkanzlei geschaffen. Ursprünglich gedacht auch für Reichsangelegenheiten, wurde die Zuständigkeit wie unter seinem Vater Friedrich III. bald auf Angelegenheiten der österreichischen Erblande und Burgund beschränkt. Während des ersten Reichsregiments zwischen 1500 und 1502 war die Reichskanzlei die Kanzlei des Regiments. Nach dem Scheitern des Reichsregiments wurden die Kompetenzen wieder beschnitten. Sie verlor zeitweise die Führung des Reichssiegels, und die Hofkanzlei beanspruchte wieder die Zuständigkeit für Reichsangelegenheiten. De facto war der Hofkanzler auch Reichskanzler.
Reichshofkanzlei
Zur Zeit Ferdinands I. hat die Hofkanzlei zunächst weiterhin auch Reichssachen behandelt. Im Jahr 1559 wurden Hof- und Reichskanzlei vereinigt. Neben der Ausstellung von Urkunden und der Bewältigung des Schriftverkehrs bewahrte die Kanzlei das kaiserliche Siegel auf und war für das Reichsarchiv zuständig. Die noch im ersten Jahr erlassene Kanzleiordnung sah die Trennung von Angelegenheiten des Reiches und der Erbländer vor. Wirklich umgesetzt wurde diese Bestimmung indes nie.
Der Reichsvizekanzler gehörte nach 1669 auch der geheimen Konferenz an. Er spielte damit eine eigenständige politische Rolle bei den Geschäften des Reiches. Die tatsächliche Besetzung dieses Amtes war zwischen König und Erzbischof bis zum Ende des Reiches oft umstritten. Anfangs konnte der Erzbischof den Vizekanzler noch benennen, später zeitweise nur noch vorschlagen. Seit 1660 hat der Kaiser das Recht des Erzbischofs, den Reichsvizekanzler und das übrige Personal zu bestimmen, respektiert.
Die Kosten wurden aus Steuern bestritten, die von der Kanzlei selbst erhoben wurden. Angesiedelt war sie stets am Hof des Königs und Kaisers. In der Regel war ihr Sitz daher in Wien. Unter Rudolf II. war sie meist in Prag und zur Zeit Karls VII. aus dem Haus Wittelsbach in dessen Nähe angesiedelt.
Im Jahr 1620 wurde für die österreichischen Angelegenheiten und Fragen des Hauses Habsburg die österreichische Kanzlei ausgegliedert. In der Folgezeit verlor die Reichshofkanzlei in Konkurrenz mit der neuen Behörde allmählich an Einfluss. Unter Joseph I. wurden die Geschäftsgänge der österreichischen und der Reichskanzlei stärker getrennt. Über den Einfluss des Reiches auf die Wiener Politik in dieser Zeit bestehen unterschiedliche Ansichten. Max Braubach und andere gehen von einer Schwächung aus, während Johannes Burkhardt davon spricht, dass das Reich zumindest ausgewogen vertreten war. Folgt man diesem erreichte die Bedeutung der Reichspolitik einen Kulminationspunkt.[3] Während des Zwischenspiels des wittelsbachischen Kaisertums Karls VII. kam es zwangsläufig zu einer räumlichen Trennung von Reichsbehörden und der habsburgischen Verwaltung. Nach der Rückkehr mussten sich die Vertreter des Reiches in Wien ihren Platz neu suchen. Vizekanzler Rudolph Joseph von Colloredo beriet Franz I. Stephan. Für Colloredo war das Erzhaus ebenso auf das Reich, wie das Reich auf das Erzhaus angewiesen. Es gab weiterhin Vernetzungen zwischen beiden Ebenen. Allerdings hatte Maria Theresia und die Interessen Österreichs im Zweifel Vorrang.[4] Spätestens seit Joseph II. spielte sie etwa in Fragen der Außenpolitik keine Rolle mehr.
Reichserzkanzler
Reichsvizekanzler
- 1527–1531 Balthasar Merklin
- 1531–1541 Matthias von Held
- 1541–1547 Johann von Naves
- 1547–1558 Jakob von Jonas
- 1559–1563 Georg Sigmund Seld
- 1566–1570 Johann Ulrich Zasius
- 1577–1587 Siegmund Vieheuser
- 1587–1594 Jacob Kurz von Senftenau
- 1594–1597 Johann Wolfgang Freymann
- 1597–1606 Rudolf Coraduz von und zu Nußdorf
- 1606–1612 Leopold von Stralendorf
- 1612–1627 Hans Ludwig von Ulm
- 1627–1637 Peter Heinrich von Stralendorf
- 1637–1659 Ferdinand Sigismund Graf Kurtz von Senftenau
- 1660–1669 Wilderich von Walderdorff
- 1669–1694 Leopold Wilhelm Graf von Königsegg-Rothenfels
- 1694–1695 Gottlieb Amadeus Graf von Windisch-Graetz
- 1698–1705 Dominik Andreas I. von Kaunitz
- 1705–1734 Friedrich Karl von Schönborn-Buchheim
- 1734–1740 Johann Adolf Graf von Metsch
- 1742–1745 Johann Georg Graf von Königsfeld
- 1745–1788 Rudolph Joseph von Colloredo
- 1789–1806 Franz de Paula Gundaker von Colloredo
Literatur
- Peter Csendes u. a.: Kanzlei, Kanzler. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 5 (1999), Sp. 910–929.
- Gerhard Taddey: Reichshofkanzlei. In: Gerhard Taddey (Hrsg.): Lexikon der deutschen Geschichte. Personen, Ereignisse, Institutionen. Von der Zeitwende bis zum Ausgang des 2. Weltkrieges. 2. überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1983, ISBN 3-520-80002-0, S. 1023.
- Reinhold Zippelius: Kleine deutsche Verfassungsgeschichte. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart (Beck'sche Reihe Bd. 1041). 6. neu bearbeitete Auflage. Beck, München, 2002, ISBN 3-406-47638-4, S. 43.
Weblinks
Anmerkungen
- Vgl. Michael Kotulla: Kanzlei. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2. Auflage. Band 2 (2011), Sp. 1595–1597.
- Paul-Joachim Heinig: Der Hof Kaiser Friedrichs III. – Außenwirkung und nach außen Wirkende. In: Peter Moraw (Hrsg.): Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter. Stuttgart 2002, S. 137–161, hier: S. 152 f. (online); Paul-Joachim Heinig: Zur Kanzleipraxis unter Kaiser Friedrich III. In: Archiv für Diplomatik 31, 1985, S. 383–442.
- Johannes Burkhardt: Vollendung und Neuordnung des frühmodernen Reiches 1648–1763. Stuttgart 2006, S. 287f.
- Johannes Burkhardt: Vollendung und Neuordnung des frühmodernen Reiches 1648–1763. Stuttgart 2006, S. 393.