Reformhaus
Ein Reformhaus ist ein Unternehmen des Einzelhandels, das in seinen Handelspraktiken und Sortiment auf den Ideen der Lebensreform geprägten Reformhausbewegung basiert. Die Reformhäuser in Deutschland sind im Handelsverbund Reformhaus e. G.,ehemals neuform zusammengeschlossen.
Reformhaus | |
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Rechtsform | e. G. |
Sitz | Zarrentin, Deutschland |
Leitung | Carsten Greve, Rainer Plum (Vorstand) |
Umsatz | 690,7 Mio. Euro (2019)[1] |
Branche | Naturkost, rezeptfreie Naturarzneimittel, Körperpflegeprodukte |
Website | www.reformhaus.de |
Stand: 2019 |
Das Angebot dieser Fachgeschäfte umfasst unter anderem Lebensmittel, pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel, rezeptfreie Naturarzneimittel sowie Artikel für Körperpflege und Naturkosmetik. Die angebotenen Produkte sollen die Kriterien einer umweltschonenden und natürlichen Herstellung erfüllen, sie sollen beispielsweise keine synthetischen Konservierungsstoffe enthalten und dürfen nicht gentechnisch verändert worden sein.
Geschichte
Entstehung
Die Entstehung der Reformhäuser geht aus der so genannten Lebensreform Mitte des 19. Jahrhunderts hervor, insbesondere aus dem Streben nach einer naturnahen Lebensweise, ökologischer Landwirtschaft, Vegetarismus, Reformkleidung, Naturheilverfahren usw. Die Lebensreformer suchten unter anderem nach Alternativen zu allgemeinen konventionellen Produkten, daher umfasst der Warenkatalog der Reformhäuser Waren wie Heilkräuter, Lebensmittel auf Pflanzenbasis, Fleischersatz, Getränke ohne Alkohol und natürliche Kleidung. So entstand ein alternatives Produktangebot, welches in den Reformhäusern erhältlich war. Dieses ist inzwischen weit verbreitet und ein normaler Bestandteil des täglichen Konsums, zum Beispiel Vollkornbrot, Pflanzenmargarine, alkoholfreie Fruchtsäfte, Stärkungsmittel, Öle für die Körperpflege, Naturheilmittel oder Naturkosmetik.
Entwicklung
Vorbild für die Reformhäuser war die 1887 eröffnete „Gesundheitszentrale“ des Kaufmanns Carl Braun in Berlin. Im Zusammenhang mit der Reformhausbewegung entstanden – vor allem in Großstädten – auch vegetarische Restaurants. Das erste Geschäft mit der Bezeichnung Reformhaus wurde 1900 von Karl August Heynen in Wuppertal-Barmen eröffnet. Sein Einzelhandelsgeschäft hatte den Namen „Reformhaus Jungbrunnen“ und wurde zum Leitbild nachfolgender Gründungen. Im Jahre 1909 gründeten 18 Unternehmer die „Vereinigung Deutscher Reformhausbesitzer“.[2] Der Name „Reformhaus“ setzte sich durch, und 1925 schlossen sich die bestehenden Reformhäuser zur „Vereinigung deutscher Reformhäuser“ zusammen, die reformerische Individualität blieb jedoch bestehen. 1927 gründeten die Reformhaus-Inhaber in Berlin eine Genossenschaft, die seit 1930 als „neuform Vereinigung Deutscher Reformhäuser e.G.“ firmiert. Die Mitgliedschaft ist für jeden Reformhaus-Inhaber zwingend, er bleibt aber ein selbständiger Unternehmer. Die Wortmarke „Reformhaus“ ist eine eingetragene Marke der Genossenschaft und darf auch nur von den eingetragenen Mitgliedern verwendet werden.
Das Produktangebot wurde im Laufe der Jahre an die ökologischen und wirtschaftlichen Erfordernisse des Marktes angepasst. So wurden ab den 1990er Jahren Schuhe oder Kleidung aus dem Sortiment genommen; Kräuter und Tees sind nur noch fertig verpackt erhältlich und es wird nur noch selten Mohn oder Getreide gemahlen. Einige Reformhäusern bieten seit den 2000er Jahren auch mehr regionale Lebensmittel an und arbeiten mehr mit Vollwert-Bäckereien zusammen. Dadurch sind die Unterschiede zum Bio- oder Naturkostladen geringer geworden. Kennzeichnend ist nach wie vor das einheitliche Leitbild mit dem Schwerpunkt auf vegetarischer Ernährung.[3]
Reformhäuser in dieser Geschäftsform gibt es nur in Deutschland und Österreich. In den Niederlanden gibt es ebenfalls Reformhäuser (Reformhuis), die nach denselben Prinzipien handeln und auch ein ähnliches Angebot haben; sie müssen jedoch nicht einer Genossenschaft angehören, um diesen Namen zu benutzen oder bestimmte Produkte verkaufen zu können.
„Reformhaus der Zukunft“
Die Anzahl der Reformhäuser in Deutschland hat sich zwischen 1999 und 2019 von 2.800 auf 1.200 Geschäfte verringert, wobei von den verbliebenen 1.200 Reformhäusern nur 900 reine Reformhäuser sind, während es sich bei 300 Geschäften um anderen Formen von Verkaufseinrichtungen handelt, z. B. um Apotheken mit Sortimentserweiterung um Reformhausprodukte.[4]
Thorsten Winter von der FAZ konstantierte 2009, der "Bio-Boom" sei an den Reformhäusern vorbei gegangen. Während die Bioläden und Biosupermaktketten prosperierten, schrumpften von 2002 bis 2008 die Erlöse der Refomhausgenossenschaft von 671 Millionen Euro auf 587 Millionen Euro. Die Zahl der Filialen verringerte sich. Neuform reagierte mit einem neuen Laden-Konzept und ließ durch die Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner, Leitlinien für das „Reformhaus der Zukunft“ erarbeiten. Die Ladengeschäfte sollten moderner, heller und geräumiger werden. Die Agentur sah 2009 ein „Zukunftsmarktpotential“ von rund einer Milliarde Euro, was zum Stand 2008 ein Plus von rund 70 Prozent bedeutet hätte.[5]
Sortiment
Reformhäuser sind Fachgeschäfte für Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, diätetische Lebensmittel, Körperpflege, Naturkosmetika sowie Naturarzneimittel. Der Schwerpunkt des Angebots liegt bei den Lebensmitteln auf der Vollwerternährung. Es werden auch Bücher, Trinkwassersprudler, Wasserfilter, Getreidemühlen und Salzlampen angeboten. Je nach Größe des Ladenlokals umfasst das Angebot zwischen 2000 und 9000 Produkte. Einige Reformhäuser führen auch Fleischprodukte aus ökologischer Landwirtschaft, bevorzugt aus der Region.
Zudem finden sich in Reformhäusern Nahrungsergänzungsmittel, die in Bioläden nicht oder nur in geringer Auswahl verkauft werden. Ferner werden auch frei verkäufliche Naturarzneimittel angeboten. Ein weiterer Schwerpunkt des Angebotes sind spezielle Produkte für Menschen mit verschiedensten Lebensmittel-Unverträglichkeiten, Allergien oder Gluten-Unverträglichkeit.
Die erste rein pflanzliche Margarine, die nach einem neuartigen Emulsionsverfahren ohne chemische Zusätze und Hilfsmittel hergestellt ist, wurde 1952 von der Firma Vitaquell in Eidelstedt produziert und nur im Reformhaus verkauft.[6] Zur Produktpalette gehören insbesondere Marken mit anthroposophischem Hintergrund wie Weleda, Wala und Demeter.
Seit August 2018 werden vermehrt Produkte unter der Eigenmarke Reformhaus lanciert.[7]
Abgrenzung zum biologischen Handel
Im Gegensatz zu Reformhaus sind Bezeichnungen wie Bio- oder Naturkostladen nicht gesetzlich geschützt. Aufgrund der Richtlinien der „Vereinigung Deutscher Reformhäuser e.G.“ soll das Angebot Artikel der gesunden und ernährungsphysiologisch wertvollen Ernährung und Körperpflege umfassen, deren Wirkstoffe aus natürlichen Quellen stammen. Hierfür wurde das neuform-Qualitätssiegel entwickelt.[8] Die Produkte im Reformhaus stammen traditionell aus der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Zudem finden sich in Reformhäusern sogenannte Nahrungsergänzungsmittel (Vitamintabletten, Omega3-Fettsäure-Kapseln etc.), die in Bioläden normalerweise nicht verkauft werden oder zumindest nur in geringer Auswahl vorhanden sind, sowie zahlreiche Produkte, die nicht den Grundsätzen der Vollwerternährung entsprechen. Da viele aus der Lebensreformbewegung auch den Genuss von Alkohol ablehnen, sind entsprechende Produkte in Reformhäusern gewöhnlich nicht zu finden. In Bioläden dagegen werden meistens auch alkoholische Getränke wie Bier und Wein angeboten.
Reformhaus e.G.
Die Reformhäuser sind seit 1930 in einer Genossenschaft der Reformhaus-Inhaber organisiert.[9] Zunächst als neuform Vereinigung Deutscher Reformhäuser e.G. firmiert der Händlerzusammenschluss heute einfach Reformhaus e.G. Heute bietet der Zusammenschluss auch Dienstleistungen wie Marketing und Fortbildungen an. Der Schwerpunkt des Angebots liegt aber auf dem sogenannten „neuform-Vertragswarensortiment“; das Sortiment umfasst Lebensmittel, Naturarzneimittel, Körperpflegeartikel und Kosmetik. Diese von Vertragspartnern gelieferten Produkte müssen die Qualitätskriterien der neuform erfüllen. Produkte mit dem neuform-Warenzeichen sind nur in Reformhäusern, Reformwaren-Depots oder Partner-Reformhäusern erhältlich. Ein Reformwaren-Depot ist die Kombination aus einer Apotheke mit einem Reformhaus. Partner-Reformhäuser sind Geschäfte, die in Kombination z. B. mit Parfümerien und Drogerien geführt werden können.
Bei der Qualitätskontrolle aller Vertragswaren wird geprüft, ob die verwendeten Rohmaterialien hochwertig, natürlich und rückstandsarm sind. Sie sollten vorrangig aus ökologischem Anbau stammen. Die weitere Verarbeitung soll schonend und weitgehend werterhaltend sein. Tierische Produkte müssen aus artgerechter Tierhaltung stammen. Substanzen von toten Tieren werden bis auf wenige Ausnahmen (Gelatine, Muschelpulver) abgelehnt. Körper- und Schönheitspflegemittel dürfen nicht im Tierversuch getestet worden sein. Bei der Verpackung gilt, so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Chemisch-synthetische Zusatzstoffe sowie gehärtete Fette in Lebensmitteln, Substanzen und Rohstoffe aus genmanipulierten Pflanzen und Tieren sowie radioaktiv bestrahlte Lebensmittel werden strikt abgelehnt.
Aus- und Weiterbildung
Fachverkäufer/in – Reform- und Diätwaren ist ein Lehrberuf aus dem Feld der Fachverkäufer/innen.[10] Aufgrund des Warenangebotes sind für die Reformhausfachverkäufer/innen detaillierte Produkt- und physiologische Kenntnisse nötig. Diese Kenntnisse sind auch für eine Kundenberatung von Bedeutung. Die Grundlagen werden in der Berufsausbildung und in Schulungen der Reformhaus-Fachakademie in Oberursel vermittelt.[11] Eine beispielhafte tarifliche Bruttogrundvergütung für Fachverkäufer/in – Reform- und Diätwaren bewegt sich zwischen ca. 2.300 und 2.700 € im Monat (in Bayern).[12] Die Reformhaus-Fachakademie bietet verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten an, die auch von anderen Berufsgruppen genutzt werden können. Für die Berechtigung zum Verkauf von frei verkäuflichen Arzneimitteln muss ein Kurs mit Abschluss vor der Industrie- und Handelskammer, der Sachkundenachweis, abgelegt werden.
Literatur
- Florentine Fritzen: Gesünder leben. Die Lebensreformbewegung im 20. Jahrhundert. Steiner-Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-515-08790-7.
Weblinks
- 100 Jahre Reformhausgeschichte. In: natürlich vegetarisch. Nr. 6, 2000 (Memento vom 13. Februar 2012 im Webarchiv archive.today)
- reformhaus.de Seite von neuform – Vereinigung deutscher Reformhäuser e.G.
- reformhaus.ch Reformhaus in der Schweiz
Einzelnachweise
- Datenblatt der Reformhaus e.G. reformhaus.de (PDF; 75 kB).
- Judith Baumgartner: Vegetarismus: Besser essen, besser sein. In: zeit.de. 24. Juli 2013, abgerufen am 8. Dezember 2014.
- Archivierte Kopie (Memento vom 6. Juli 2015 im Internet Archive)
- Öko-Pioniere in der Krise: Anzahl der Reformhäuser hat sich halbiert Bericht auf Spiegel Online vom 11. September 2019, abgerufen am 12. September 2019.
- Thorsten Winter: Reformhäuser: Mehr Platz im Geschäft. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 9. November 2020]).
- reformhaus-blunck.de (Memento vom 31. Oktober 2014 im Internet Archive)
- Auftakt des großen Release der Produktmarke Reformhaus® - ReformKontor präsentiert erntefrische Trockenfrüchte. In: openpr.de. 12. November 2018, abgerufen am 12. November 2018.
- Archivierte Kopie (Memento vom 6. Juli 2015 im Internet Archive)
- Raus aus der Oase. In: Der Spiegel. Nr. 10, 1978 (online).
- Berufenet der Bundesagentur für Arbeit
- Stiftung Reformhaus-Fachakademie
- BERUFENET - Berufsinformationen einfach finden. Abgerufen am 9. November 2020.