Rastafari
Rastafari (deutsche Aussprache [ˌʁastaˈfaːʁi], in Jamaika meist [ˌɹastafaˈɹaɪ], häufig zu Rasta abgekürzt; auch Rastafarianismus) ist eine in Jamaika in den 1930er Jahren entstandene und weltweit verbreitete Glaubensrichtung, die dem Christentum entsprungen ist und viele alttestamentliche Bezüge aufweist. Die Bewegung lehrt die Göttlichkeit Haile Selassies.
Begriffsherkunft
Der Begriff Rastafari leitet sich vom Prinzennamen des äthiopischen Kaisers Haile Selassie, nämlich Lija Ras Täfärí Mäkonnen (ልጅ ራስ ተፈሪ መኰንን) ab. „Ras“ bedeutet in der amharischen Landessprache Äthiopiens „Kopf“ und war einer der höchsten Titel am äthiopischen Kaiserhof. Er stand damals nur den Verwaltern der größten Provinzen zu und war der höchste militärische Dienstgrad, den nur der Kaiser verleihen konnte. Auch einigen hohen Würdenträgern der koptischen Kirche stand das Recht zu, den Titel eines Ras zu führen. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Titel häufiger verwendet. Ein Ras hatte das Recht, 24 Zeremonientrommeln (Negarits) zu führen. Der Titel ist in der Bedeutung ungefähr einem Herzog vergleichbar.
Bewegung
Die Rastafari sind eine typische Heilserwartungsbewegung und soziale Bewegung.[1] Ihre Hauptmerkmale sind: Die Anerkennung Haile Selassies als wiedergekehrter Messias und lebendiger Gott auf Erden, die Ablehnung des westlichen politischen Systems (das sie als Babylon-System oder Babylon bezeichnen und als korrupt und diskriminierend ansehen) sowie der Kampf für die Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung. In Zusammenhang mit der Gründung der Rastafari-Bewegung in Jamaika steht Marcus Garvey, der Gründer der Back-to-Africa-Bewegung. Garvey sagte in den 1920er Jahren die Krönung eines mächtigen schwarzen Königs in Afrika voraus. Die Krönung Haile Selassies (amharisch für „Macht der Dreifaltigkeit“) zum Kaiser von Abessinien im Jahr 1930 wurde als Erfüllung dieser Prophezeiung gewertet, auch wenn er selbst stets abgelehnt hat, der Messias zu sein. Einige Rastafaris ließen später die Idee von der Göttlichkeit Haile Selassies fallen und wandten sich der christlichen Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche zu.
- Hauptquartier der Twelve Tribes of Israel in Shashemene
Unter den Rastafaris gibt es verschiedene Strömungen, von denen sich manche zu sogenannten „Houses“ zusammengeschlossen haben, z. B. Nyahbinghi, Bobo Ashanti oder die Zwölf Stämme (Twelve Tribes of Israel, 1968 gegründet von Vernon Carrington). Heute bekennen sich etwa 24.000 der drei Millionen Jamaikaner zum Rastafari-Glauben.[2] Weltweit gab es im Jahr 2007 etwa 600.000 Rastafaris.[3] Der Sondergruppe der „Freeminds / House of Nyabinghi“ wurden 2009 zwischen 500 und 2000 Anhänger zugerechnet, und 170 Personen gehörten 2003 den „Twelve Tribes of Israel“ an.[4]
Symbole
Die Farben der Rastafari-Bewegung sind Rot, Gold (bzw. Gelb) und Grün, wie die Farben der äthiopischen Nationalflagge in umgekehrter Reihenfolge.
Sie haben für die Rastas symbolische Bedeutungen:
- Rot für das Blut der Märtyrer
- Gold für den Reichtum Afrikas
- Grün für die Vegetation Äthiopiens und die Hoffnung auf Rückkehr[5]
Eine zusätzliche Symbolik erhalten die Farben durch ihre Verwendung als Panafrikanische Farben seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Heilige Schriften
Wichtigste Quelle der Rastafari-Bewegung sind verschiedene Abschnitte der christlichen Bibel, vor allem die Offenbarung des Johannes im Neuen Testament. Manche Rastas schätzen aber auch die besonderen Bücher der äthiopischen Bibel, darunter das Äthiopische Henochbuch, das Buch der Jubiläen und das Kebra Negest. Außerdem spielen einige Texte der ersten Rastas wie The Promised Key von Leonard P. Howell oder die Holy Piby von Robert Athlyi Rogers eine wichtige Schlüsselrolle in der Entstehung der Rastafari-Bewegung.
Religion
Unter den Rastafari herrscht die Auffassung, dass Gott drei Mal in Gestalt eines Menschen auf der Erde erschien: Die erste Inkarnation in der Gestalt des Melchisedek, die zweite als Jesus Christus und die dritte und letzte als Haile Selassie I., der die Sieben Siegel öffnet und das Armageddon (bei Rastas auch Armagideon genannt) einleitet. Haile Selassie gilt den Rastas als die in der Bibel angekündigte Wiederkehr Jesu Christi. Im Gegensatz zu Juden, Christen und Muslimen warten die Rastas demnach nicht mehr auf das (gegebenenfalls erneute) Erscheinen des Messias, sondern sehen dieses bereits durch die Krönung Haile Selassies als erfüllt an. Die oft benutzten Ausdrücke „Auserwählter Gottes“ und „Siegreicher Löwe von Juda“ sind jedoch nicht, wie oft angenommen, die Krönungstitel Selassies, sondern Teil eines Glaubensbekenntnisses, mit dem die äthiopischen Kaiser traditionell ihre Briefe eingeleitet haben.[6]
Ein weiterer Grundsatz ist die Forderung nach Repatriierung, also der Rückkehr in die afrikanische Heimat ihrer Vorfahren, die als Sklaven nach Amerika verschleppt wurden. Inzwischen wurde die körperliche Rückkehr nach Afrika in eine „spirituelle Rückkehr“ umgedeutet; dennoch sind einige Rastafari nach Afrika übergesiedelt und haben dort eigene Gemeinden gegründet, beispielsweise im äthiopischen Shashemene. Viele Rastafari akzeptieren allerdings ihr Leben auf Jamaika oder anderen Ländern und streben nach einer „geistigen Rückkehr“ in die afrikanische Heimat. Es geht hierbei darum, den kulturellen Bruch, der durch die Versklavung ihrer Vorfahren entstand, zu überwinden, und sich positiv mit ihrer afrikanischen Herkunft zu identifizieren.
Kultur
Patriarchat, Sexismus
Prinzipiell wird der Mensch als Individuum verstanden und somit auch die freie Meinung akzeptiert. Andererseits berufen sich manche Gruppierungen auf die strengen Reinheitsvorschriften des Alten Testaments. Es finden sich auch patriarchalische Strukturen; so wird z. B. der Frau die Pflicht auferlegt, ihren Kopf zu bedecken, ihren Mann zu umsorgen und ihm treu zu sein – auch wenn er es selbst nicht ist.
Schwulen- und Lesben-Feindlichkeit
Homosexualität wird von vielen Rastafarians mit Bezug auf die Bibel abgelehnt. Die Musik einiger Rastafari-Künstler gerät seit Anfang der 2000er Jahre wegen homophober Texte, sogenannter Battyman-Tunes, in die Kritik.
Ernährung
Grundsätzlich lehnen die Rastafarians Alkohol sowie Tabak ab und ernähren sich möglichst ohne tierische Produkte und Salz (I-tal). Sie glauben, dass sich der Mensch im Anfang der Schöpfung ausschließlich von Kräutern und Früchten ernährte. Dabei berufen sie sich auf 1 Mos 1,29 : „Und Gott sprach: Siehe, ich habe euch alles samentragende Kraut gegeben, das auf der Fläche der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem samentragende Baumfrucht ist: es soll euch zur Nahrung dienen.“
Viele von ihnen, aber nicht alle, konsumieren gemeinsam auf rituelle Weise Cannabis (Ganja), das sie zum Meditieren oder zum „Reasoning“, d. h. nachdenken oder mit anderen debattieren, nutzen. In Anlehnung an Offb 22,2 , „die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker“, wird Hanf auch als healing of the nation, „Heilung der Völker“, bezeichnet. Konsumiert wird das Rauschmittel häufig mit einer Chalice.
Körper
Einige Rastafaris tragen Dreadlocks und ungestutzte Bärte als Ausdruck ihrer Verbundenheit mit Gott. Die Dreadlocks sind außerdem ein Symbol für Naturverbundenheit und erinnern an die Mähne des Löwen von Juda. Sie wurden ebenfalls als Symbol der Abgrenzung zu der westlichen Ästhetik der „weißen Unterdrücker“ und somit als Zeichen des Widerstands verstanden. Einige Rastafaris haben auch das Gelübde des Nasiräers abgelegt, was die charakteristischen Dreadlocks und die langen Bärte zur Folge hat.
Einige Rastas lehnen das Tragen von Körperschmuck (Piercings und Tattoos) ab.
Weiße Rastas
Die Bewegung hat ihren Ursprung in der schwarzen Bevölkerung. Dabei kann die im Rastafari-Glauben fest verankerte Rückkehr ins Mutterland – nach Äthiopien bzw. Afrika allgemein – den weißen Rastafarians ebenfalls als Ziel gelten, da Äthiopien lange Zeit als Wiege der Menschheit galt. Inzwischen sind jedoch ältere Überreste des Homo sapiens aus Djebel Irhoud in Marokko bekannt. Eine übergeordnete, umfassende Institution bzw. Kirche, die z. B. Glaubensgrundsätze festlegen könnte, fehlt im Rastafari-Glauben, so dass die Voraussetzungen für eine Zugehörigkeit zur Bewegung nicht klar festgelegt sind.
Reggae-Musik
International bekannt wurden die Rastafaris seit den 1970er Jahren hauptsächlich durch die Reggae-Musik, zum Beispiel von Bob Marley, Peter Tosh, Bunny Wailer und Dennis Brown. Auch im populären Dancehall-Reggae finden sich einige Musiker, die der Rastafari-Religion angehören, z. B. Capleton. Gleichzeitig stehen jedoch viele Rastas, z. B. bis vor kurzem die Bobo Ashanti, der Reggaemusik kritisch gegenüber oder lehnen sie kategorisch ab.
Rastas verwenden für Gott die Bezeichnung „Jah“ (in englischer Aussprache Dschah), eine Kurzform des hebräischen Gottesnamens JHWH.
Sprache
Die jamaikanischen Rastafari sprechen das auf der Insel übliche Patois, allerdings mit einer ganzen Reihe Rastafari-spezifischer Wörter versetzt, die von anderen Patois-Sprechern nicht gebraucht werden. Diese Wörter werden auch teilweise ins Englische eingesetzt.
Hauptmerkmal dieser Begriffe ist, dass sie mit einem meist großgeschriebenen „I“ verfremdet wurden, das sowohl das englische Wort „ich“ als auch die Ziffer „eins“ des römischen Zahlensystems symbolisiert, die im Titel Haile Selassies vorkommt. Die Rastafari-spezifische Sprache wird von Rastafarians selbst „Iyaric“ genannt.
Bekannte Beispiele sind „I and I“ für „ich“ bzw. „wir“. Durch die Vermeidung des Ausdrucks „du“ (also „me and you“) soll die Einheit der einzelnen Individuen untereinander und mit Gott ausgedrückt werden.
Einzelne Anhänger der Bewegung oder gemeinhin einzelne Personen nennt man dementsprechend Bredren bzw. Idren („Brüder“), bei weiblichen Rasta Sistren, Sister („Schwestern“), Daughter bzw. Iawata („Tochter“).
Viele Wörter oder Wortteile wurden auch durch ihr Gegenteil ersetzt. Das auffallendste Beispiel ist das Wort „verstehen“ – englisch „to understand“ – das von den Rastafarians durch „to overstand“ ersetzt wurde, da sie das ursprüngliche Wort als Atavismus aus der Sklaverei sehen und daher als erniedrigend empfinden. Ein weiteres Beispiel ist das Wort „cigarette“, das in englischer Aussprache als „see-garette“ verstanden werden kann. Da das Tabakrauchen als negativ und die Sicht trübend gilt, wird stattdessen „blindgarette“ verwendet. Auch werden Worte dahingehend verändert, dass sie ihren „wahren Charakter“ offenbaren. Aus „television“ wird so „tell-lie-vision“ oder aus „Israelite“ „His-real-light“.
Eine geregelte Rechtschreibung für diese Begriffe existiert nicht, so dass unterschiedliche Schreibweisen gebräuchlich sind.
Iyaric | Englisch | Deutsch |
---|---|---|
I and I | I, we | ich, wir |
Irie | free, happy, good | frei, glücklich, gut |
Ites | heights | Höhen (spirituell; auch im Sinne von „high“ durch Cannabiskonsum) |
I-tal | vital | „ökologisch“ gekocht nach bestimmten Rasta-Regeln |
Ises | praises | Lobpreisungen |
most I | most high | Allerhöchster = Gott |
politricks | politics | Politik |
baldhead | baldhead | Kahlkopf = jemand ohne Dreadlocks = Unterdrücker |
to overstand (Iverstand) | to understand | verstehen |
downpressor | oppressor | Unterdrücker |
blindgaret | cigarette | Zigarette |
truebrary | library | Bibliothek |
Literatur
- Volker Barsch: Rastafari. Von Babylon nach Afrika. Ventil-Verlag, Mainz 2003, ISBN 978-3-930559-97-8.
- Boris Lutanie: Introduction au Mouvement Rastafari. Esprit Frappeur, Paris 2000, ISBN 978-2-84405-116-5.
- Lloyd Bradley: Bass Culture. Der Siegeszug des Reggae. Hannibal, Höfen 2003, ISBN 978-3-85445-209-6.
- Girma Gebre-Selassie: Babylon muss fallen. Die Rasta-Bewegung in Jamaica. Raymond Martin Verlag, Markt Erlbach 1989, ISBN 3-88631-207-0.
- Helene Lee: Der erste Rasta. Hannibal, Höfen 2000, ISBN 978-3-85445-178-5.
- Peter M. Michels: Rastafari. Trikont, München 1979, ISBN 3-88167-057-2.
- Moise Cul: Zion. La foi des rastas. Editions L’Harmattan, Paris 2003, ISBN 978-2-7475-2949-5.
- Werner Zips (Hrsg.): Rastafari. Eine universelle Philosophie im 3. Jahrtausend. Promedia, Wien 2007, ISBN 978-3-85371-265-8.
Siehe auch
Weblinks
- Heinz-Jürgen Loth: Ras Tafari – eine religiöse Heilsbewegung aus Jamaika: Geschichte und Religion der Rastas. (pdf; 233 kB) Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, 1991 .
- Christian Röther: Rastafari in Deutschland und Österreich – Die antikoloniale Religion. In: Deutschlandfunk-Sendung „Tag für Tag“. 1. Oktober 2020 (auch als mp3-Audio; 12 MB; 13:10 Minuten).
Einzelnachweise
- Stephen A. King, Barry T. Bays, Peter Rene Foster: Reggae, Rastafari, and the Rhetoric of Social Control. In: The Journal of Popular Culture. University Press of Mississippi, Jackson, 2002, ISBN 1-57806-489-9 (Vorschau auf Google Books).
- Länderinformationen zu Jamaika. Auswärtiges Amt, abgerufen am 30. März 2011.
- Selected worldwide adherents of religions. In: remid.de. 16. August 2018, abgerufen am 4. Oktober 2020.
- Selected worldwide adherents of religions: Rastafarians. In: remid.de. 30. Mai 2014, abgerufen am 4. Oktober 2020.
- Nathaniel Samuel Murrell, William David Spencer, Adrian Anthony McFarlane (Hrsg.): Chanting Down Babylon: The Rastafari Reader. Temple University Press, Philadelphia, 1998, ISBN 1-56639-584-4 (Vorschau auf Google Books).
- Asfa-Wossen Asserate: Vor allem brauchen wir Vorbilder. In: Die Tagespost. 2008, abgerufen am 4. Oktober 2020.