Nasiräer
Ein Nasiräer (von hebräisch נָזִיר nasir[1], etwa mit „Asket“ zu übersetzen) ist im Judentum ein Mensch, der Gott gegenüber freiwillig einen besonderen Eid leistet.[2] Ursprünglich bestand das Nasiräat wahrscheinlich auf Dauer. In nachexilischer Zeit konnten sich sowohl Männer als auch Frauen durch ein Gelübde zu einem zeitweisen Nasiräat verpflichten.
Bedeutung
Bestandteile des (asketischen) Eides sind:
- auf alkoholische Getränke wie Wein und Bier völlig zu verzichten, ebenso auf Weintrauben, Rosinen und Essig,
- sich keiner Leiche und keinem Grab[3] zu nähern, selbst wenn es sich um einen nahen Verwandten handeln sollte,
- sich nicht die Haare und den Bart zu schneiden.
Diese Bestimmungen finden sich in Num 6,1–21 . Haare und Bart des Nasiräers werden vor Beginn der festgesetzten Zeit abrasiert.
Im antiken Judentum brachte der Nasiräer nach Ablauf dieser Zeit zum Abschluss ein Tieropfer im Jerusalemer Tempel dar und Haare und Bart wurden noch einmal abgeschnitten. Wenn der Nasiräer doch in die Nähe einer Leiche kam, etwa wenn in seinem Beisein ein Mensch plötzlich verstarb, war die bisherige Zeit ungültig und die Zählung der Tage begann von neuem.
Gewöhnlich wurde der Eid auf Zeit geleistet, üblich waren der jüdischen Überlieferung nach zwischen dreißig und hundert Tage. Es gab aber auch Nasiräer auf Lebenszeit, die vor ihrer Geburt von JHWH, dem Gott der Juden und Christen, für diesen Lebensweg erwählt worden waren. Die bekanntesten unter den letzteren waren der israelitische Held und Richter Samson, der Prophet Samuel und Johannes der Täufer.
Vom christlichen Apostel Paulus wird angenommen, dass er diesen Eid zumindest einmal auf Zeit ablegte, und dass auch andere Judenchristen in der Jerusalemer Urgemeinde diesen Eid noch leisteten.
Zeitgenössischer Bezug
Im heutigen Judentum, nachdem es durch die Zerstörung des Tempels unmöglich wurde, den Eid mit dem vorgeschriebenen Opfer abzuschließen, ist dieser Brauch weniger üblich. Ein prominentes Beispiel eines Nasirärers der Moderne ist der litauisch-israelische Rabbiner David Cohen (1887–1972), ehrend Rav haNasir genannt.
Außerdem gibt es heutzutage manche Rastafari, die ebenfalls das Gelübde eines Nasiräers abgelegt haben, was die charakteristischen Dreadlocks (Haare; „Filzlocken“) und die langen Bärte zur Folge hat. Rastafari ist eine heute weltweit verbreitete Bewegung, die aus dem Christentum entsprungen ist und daher viele alttestamentliche Bezüge aufweist.
Die Ansichten über die Bedeutung des Eides (jenseits des religiösen Gehorsams) gehen in der Forschung auseinander; manche sehen darin eine Art Therapie gegen Alkoholkrankheit und Depression, andere eine Art zweite, freiwillige Priesterschaft, wieder andere eine Art von Magie, die mit übermenschlichen Kräften assoziiert war.
Siehe auch
Weblinks
- Ludwig Schmidt: Nasiräer. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.
Einzelnachweise
- Nasir ist von der Wurzel nzr (נזר) abgeleitet, in welcher die Grundbedeutung „dem üblichen Gebrauch entziehen / aussondern“ steckt.
- Ludwig Schmidt: Nasiräer. Erstellt: März 2009, auf www.bibelwissenschaft.de
- Jüdische Bestattung