Rachel Corrie
Rachel Aliene Corrie (* 10. April 1979 in Olympia, Washington, USA; † 16. März 2003 in Rafah (Gazastreifen)) war eine US-amerikanische Aktivistin des pro-palästinensischen International Solidarity Movement (ISM). Sie wurde bei einer von den israelischen Streitkräften vorgenommenen Hauszerstörung tödlich verletzt. Ihre Todesumstände, insbesondere ob ein Tötungsdelikt bestand, blieben umstritten.[1]
Schule und Studiumszeit
Rachel Corrie entstammt einer vierköpfigen Familie, ihr Vater ist Versicherungsangestellter und die Mutter Musikerin. Nach ihrem Abschluss an der Capital High School in ihrem Heimatort Olympia studierte sie in derselben Stadt am Evergreen State College liberal arts, einen Studiengang zur Förderung von Allgemeinbildung und grundlegender intellektueller Fähigkeiten.
Während ihres Studiums arbeitete Corrie ehrenamtlich beim Washington Conservation Corps, einer Einrichtung des Umweltministeriums und Teil des AmeriCorps-Programms im Staat Washington zum Schutz und zur Aufwertung der Umwelt. Andere ehrenamtliche Tätigkeiten umfassten drei Jahre lang Patientenbesuche in einem Krankenhaus.[2] Vor ihrer Reise nach Gaza organisierte Corrie außerdem ein Brieffreundschafts-Programm zwischen Kindern aus Olympia und Rafah.
Umstände des Todes
Reise in palästinensische Gebiete
2003 meldete sich Corrie von ihrem Studium vorübergehend ab und reiste im Januar in das Westjordanland und den damals israelisch besetzten Gazastreifen, um an verschiedenen Solidaritätsaktionen der ISM für Palästinenser teilzunehmen.[3] Einer Mitstudentin teilt sie mit, sie wolle die Privilegien eines US-Bürgers nutzen, um Palästinensern gegen die Besatzung zu helfen.[4] Sie nahm zuerst an einem Trainingskurs der ISM im Westjordanland teil, wo unter anderem gelehrt wurde, wie man die Armee auf sich aufmerksam macht, um Unfälle zu vermeiden.[5][6]
Bei ihren Protestaktionen wandte sie sich gegen Hauszerstörungen in palästinensischen Gebieten durch das israelische Militär. Die Aktionen waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt, die Zerstörungen konnten nicht verhindert werden.[5] Zudem wurden die Aktivisten von einigen Palästinensern skeptisch betrachtet, da das Gerücht verbreitet wurde, sie seien Spione. Bei einer Demonstration gegen den Irakkrieg am 15. Februar wurden Corrie Bilder einer US- und einer israelischen Flagge zum Verbrennen gegeben. Sie weigerte sich die israelische Flagge zu verbrennen, verbrannte aus Protest gegen die US-Außenpolitik allerdings das US-Bild, was in den USA auf Kritik stieß und nach ihrem Tod oft gegen sie verwendet wurde.[5] Außerdem nahm Corrie an einem kanadischen Hilfsprojekt zur Reparatur von Brunnen teil, die vom israelischen Militär zerstört wurden.[7]
Tod und Angaben zum Verlauf
Corrie starb am 16. März 2003 beim Versuch, die Zerstörung eines palästinensischen Hauses durch eine gepanzerte Planierraupe der israelischen Streitkräfte aufzuhalten. Aktivisten waren schon zuvor einige Male verletzt worden. Corrie war jedoch das erste Todesopfer unter den ISM-Mitgliedern.[4] Nach Armeeangaben war der Bereich zuvor für Zivilisten gesperrt worden.
Mit ihr waren sieben weitere britische und amerikanische Aktivisten vor Ort. Das israelische Militär sah die Aktivisten und gab Warnschüsse ab.[8] Corrie trug eine leuchtende orange Jacke. Zum genauen Ablauf der darauffolgenden Geschehnisse, durch die Corrie tödlich verletzt wurde, gibt es unterschiedliche Aussagen:
Nach mehrfacher Darstellung der israelischen Streitkräfte handelte es sich um einen Unfall. Der Planierraupenfahrer habe Corrie überhört und übersehen,[5] anschließend hätten herabfallende Trümmerteile ihren Tod verursacht.[9][10] Der Sprecher des israelischen Militärs warf ISM vor, ihre Aktivisten selbst in Gefahr zu bringen, wenn diese sich mutwillig in ein Kampfgebiet begäben.[4]
Die anwesenden ISM-Aktivisten Tom Dale, Richard Purssell und Joe Carr gaben an, dass Corrie, als die Planierraupe immer näher rückte, einen Erdhügel hinaufgestiegen sei, um vom Fahrer gesehen werden zu können. Dabei sei ihr Fuß eingeklemmt worden, woraufhin sie überrollt worden sei. Sie hielten es für unmöglich, dass der Fahrer Corrie nicht gesehen hätte.[5][11][12] Zudem hätten die Aktivisten versucht, den Fahrer durch Winken und mit einem Megaphon auf die Gefahrensituation aufmerksam zu machen.[4]
ISM-Mitglieder brachten Corrie in ein nahe gelegenes Krankenhaus, wo man nur noch ihren Tod feststellen konnte.[4] Die Obduktion durch den israelischen Pathologen Yehuda Hiss ergab, dass der Tod Corries durch „Druck auf die Brust (Asphyxie), Knochenbruch von Rippen und Wirbeln rückenseits von Wirbelsäule und Schulterblatt und Risswunden in der rechten Lunge mit Blutungen der Pleura“ verursacht worden war.[8]
Reaktionen
Human Rights Watch kritisierte in einem Bericht von 2005, der israelische Militäruntersuchung habe es an Transparenz, Unabhängigkeit und Durchdachtheit gemangelt.[8]
Ein Sprecher der US-Regierung erklärte, sie bedauere den Tod von Rachel Corrie.[13]
Im März 2010 erhoben Corries Eltern gegen Israel Schadenersatzklage vor dem Bezirksgericht in Haifa. In einem erstinstanzlichen Urteil vom 28. August 2012 wurde die Klage mit der Begründung, es habe sich um einen bedauerlichen Unfall in einem Krisengebiet gehandelt und jeder denkende Mensch hätte sich nach den Aufforderungen des Militärs aus dem Gebiet entfernt, abgewiesen. Die Mutter Corries warf Israel in dem Zusammenhang vor, über ein gut geschmiertes System zum Schutz seiner Militärs zu verfügen.[14] Während des Prozesses waren auf Intervention der USA vier zuvor ausgewiesenen ISM-Aktivisten Einreisevisa erteilt worden, sodass sie als Zeugen aussagen konnten. Einem Antrag der Kläger auf Vernehmung eines Arztes aus Rafah, der Corries Leiche untersucht und ihren Tod festgestellt hatte, wurde hingegen nicht stattgegeben.[15] Die Gerichtsentscheidung wurde vom Sondergesandten des UN-Menschenrechtsrates für die Palästinensischen Autonomiegebiete Richard A. Falk kritisiert.[16] Das israelische Oberste Gericht bestätigte 2015 im Berufungsverfahren das Urteil der ersten Instanz.[17]
Rezeption und Andenken
Während Corrie nach ihrem Tod von der politischen Linken zur Märtyrerin hochstilisiert wurde, versuchten sie rechtskonservative Kreise als Terrorunterstützerin zu dämonisieren.[18] In einer Karikatur des Studentenmagazins der University of Maryland, College Park wurde das Sitzen vor einer Planierraupe zum Schutz einer „Terrorbande“ im Stile eines Wörterbucheintrages als Regelbeispiel für „Dummheit“ dargestellt. Rund 60 der etwa 35.000 Studierenden der Hochschule protestierten gegen diese Karikatur.[19]
Im Frühjahr 2005 wurde das auf Corries Tagebuchaufzeichnungen und E-Mails basierende Stück My Name Is Rachel Corrie der The-Guardian-Journalistin Katharine Viner in London unter der Regie von Alan Rickman uraufgeführt. Es thematisiert die Arbeit Corries im Gazastreifen und ihre dortigen Erfahrungen. Die deutsche Fassung wurde am 8. April 2008 als Hörspiel Mein Name ist Rachel Corrie mit Birgit Minichmayr in der Hauptrolle erstmals ausgestrahlt.[20] Nachdem die New Yorker Premiere des Theaterstücks auf unbestimmte Zeit verschoben worden war,[21] erfolgte im Oktober 2006 die US-Uraufführung in einem Off-Broadway-Theater.
Billy Bragg verfasste einen neuen Text zum Lied The Lonesome Death Of Hattie Carroll von Bob Dylan, der Corries Tod thematisierte.[22] Der Film Rachel von Simone Bitton zeigt in einer Mischung aus Interviews und Spielfilm die Aktionen Corries und der israelischen Soldaten sowie die Untersuchungen zu den Umständen des Todes von Rachel Corrie. Er wurde auf der Berlinale 2009 uraufgeführt.[23][24]
Nach Rachel Corrie benannt wurden unter anderem das Free-Gaza-Movement-Schiff MS Rachel Corrie[25] und eine Straße in Ramallah, die an ihrem siebten Todestag in Anwesenheit ihrer Eltern und von ISM-Mitgliedern eingeweiht wurde.[26]
Literatur
- Let Me Stand Alone, W. W. Norton & Company, 2008
- My Name Is Rachel Corrie. Nick Hern Books, London 2006, ISBN 1-854598783.
Weblinks
Einzelnachweise
- Profile: Rachel Corrie. In: BBC News. 28. August 2012 (Online [abgerufen am 20. August 2020]).
- Pat and Samir Twair: Southern California Chronicle: Hundreds Salute International Solidarity Movement, Rachel Corrie’s Parents. In: Washington Report on Middle East Affairs. Februar, S. 62–64.
- Tomas Alex Tizon, Lynn Marshall: Activist Had Soft Spot for Underdogs. 18. März 2003. Abgerufen am 2. Februar 2011.
- New York Times: Israeli Army Bulldozer Kills American Protesting in Gaza. In: The New York Times. vom 17. März 2003.
- Joshua Hammer: The Death of Rachel Corrie. In: Mother Jones. Februar.
- Gegendarstellung zu Mother Jones Artikel, Counterpunch, 20. September 2003.
- Overview of events in Gaza since Feb 14th von Rachel Corrie aus Gaza, 28. Februar 2003.
- Promoting Impunity: The Israeli Military's Failure to Investigate Wrongdoing re-published at the UNHCR website.
- Kurzbericht vom April 2003: Israeli report clears troops over US death. In: The Guardian. vom 14. April 2003.
- Abschlussbericht der Untersuchung des israelischen Militärs vom Juni 2003: Israel calls Corrie death accident. In: BBC News. vom 27. Juni 2003.
- Raji Sourani: Impunity for US Peace Activist’s Death. Palestinian Centre for Human Rights (PCHR). 30. Juni 2003. Archiviert vom Original am 3. März 2011. Abgerufen am 2. Februar 2011.
- American peace activist killed by army bulldozer in Rafah. In: Ha’aretz, 18. März 2003.
- Israeli bulldozer kills American protester. Auf: CNN, 25. März 2003.
- Spiegel Online vom 28. August 2012,Jerusalem Post vom 28. August 2012
- Akiva Eldar: Israel grants visas to witnesses in suit over Rachel Corrie death. (Memento des Originals vom 18. April 2010 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Haaretz, 23. Februar 2010.
- UN human rights expert speaks out on Israeli ruling on Rachel Corrie verdict. The United Nations. 30. August 2012. Abgerufen am 1. September 2012.
- Peter Beaumont: Rachel Corrie's family loses wrongful death appeal in Israel's supreme court., The Guardian vom 13. Februar 2015
- Andrew O'Hehir: Rorschach "Rachel". In: Salon. 3. Mai 2009, abgerufen am 30. März 2018.
- Students protest cartoon of Rachel Corrie: Newspaper's editors refuse to apologize for running it. In: Associated Press. Seattle Post-Intelligencer, 21. März 2003, abgerufen am 13. Februar 2021.
- Hörspiel Mein Name ist Rachel Corrie, produziert vom Deutschlandfunk.
- Too Hot for New York In: The Nation, 3. April 2006
- |The lonesome death of Rachel Corrie, The Guardian vom 28. März 2006
- Rachel. Von Simone Bitton (PDF; 175 kB), Filmarchiv der Berlinale 2009
- Rachel Corrie in der Internet Movie Database (englisch)
- Israeli Military Boards Gaza-Bound Aid Ship
- Ramallah to name street after U.S. activist Rachel Corrie (Memento des Originals vom 22. März 2010 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Haaretz, 17. März 2010.