R101
Die R101 (damalige Schreibweise: R 101; Kennzeichen G-FAAW) war wie die R100 ein britisches Verkehrsluftschiff in den Jahren 1929 und 1930. Sein Absturz in Frankreich am 5. Oktober 1930 beendete den Bau großer Luftschiffe durch Großbritannien.
Überblick
Die R101 wurde von der staatlichen Royal Airship Works in Cardington in Starrluftschiffbauweise gefertigt und sollte unter anderem der Verbindung des Vereinigten Königreichs mit seinen überseeischen Kolonien dienen. Beim Absturz des Luftschiffs in der Nähe von Paris kamen in der Nacht vom 4. zum 5. Oktober 1930 durch die Feuerwalze der Wasserstoffexplosion 48 der 54 Personen an Bord ums Leben, darunter der damalige britische Luftfahrtminister Lord Thomson und der Konstrukteur der R101, Vincent Richmond. Beim Staatsbegräbnis der Opfer waren auch Hugo Eckener und Hans von Schiller als Vertreter der deutschen Luftschiffer anwesend. Hugo Eckener wurde bei den Untersuchungen zur Unglücksursache als Experte mit herangezogen.
Technik
Schon bei der Jungfernfahrt am 14. Oktober 1929 stellte man fest, dass das Schiff untermotorisiert und zu schwer war. Daraufhin wurde es im Winter 1929/30 von 224 m auf 237 m verlängert, um das Traggasvolumen um 16.000 m³ auf insgesamt 156.000 m³ zu erhöhen. Außerdem wurden Strukturteile entfernt, um das Gewicht zu reduzieren. Die Geschwindigkeit wurde von circa 100 km/h auf etwa 115 km/h gesteigert. Der Rumpfdurchmesser betrug 40 m.
Die R101 hatte als Antrieb fünf Dieselmotoren mit je 485 kW Leistung von Beardmore. Sie verfügte über Einrichtungen zum Transport von 100 Personen, darunter zwei Passagierdecks mit einem Speisesaal für 60 Personen und einem Raucherzimmer für 20 Passagiere. Damit übertraf die R101 das einzige weitere damals existierende Passagierstarrluftschiff, die LZ 127 Graf Zeppelin, in fast allen Belangen. Auch der deutsche Luftschiffkapitän Hugo Eckener besichtigte bei einem Besuch in England das Schiff.
Inbetriebnahme
Das überarbeitete Schiff wurde am 26. September 1930 mit Wasserstoffgas gefüllt und sollte noch am gleichen Tag ausgehallt werden. Der Wind war jedoch sehr stark, so dass das Luftschiff erst am 1. Oktober ausgehallt und an den Ankermast gelegt wurde.
Um 16:30 Uhr am 1. Oktober verließ die R101 den Ankermast für eine abschließende 24-Stunden-Testfahrt. Dabei sollten die Motoren und andere Systeme überprüft werden. Bei gut verlaufenden Tests sollte die Fahrt auch schon früher beendet werden. Das Schiff verließ Cardington in Richtung Süden nach London und steuerte dann nach Osten der Themse folgend. Die Nacht verbrachte das Schiff über der Nordsee. Durch den Ausfall eines Kühlers an der vorderen Steuerbordmaschine konnte kein Höchstgeschwindigkeitstest gefahren werden. Alle anderen Tests wurden als erfolgreich bewertet und es wurde notiert, dass die Flugeigenschaften sich durch die Verlängerung deutlich verbessert hätten. Das Schiff kehrte um 9:20 Uhr am nächsten Morgen nach etwa 17 Stunden bei ruhigem Flugwetter zu seinem Ankermast in Cardington zurück.
Die anschließende Auswertung ergab keine Mängel oder Lecks. Der notwendige Höchstgeschwindigkeitstest sollte während der anstehenden Indien-Reise nachgeholt werden.
Pläne einer transkontinentalen Verbindung
Das britische Empire benötigte ein zuverlässiges und möglichst schnelles Transportmittel, um zumindest Verwaltungsbeamte und Militärs rasch an die Brennpunkte der sich im Umbruch befindlichen Kolonialgebiete befördern zu können. Zudem waren Geschäftsreisende und Touristen als Zielgruppe der zu gründenden Luftfahrt- und Betreibergesellschaften im Gespräch.
Die Katastrophe
Am 4. Oktober 1930 um 18:24 Uhr startete die R101 unter Captain Raymond Hinchcliffe und Pilot H. Carmichael Irwin bei Nieselregen zu einer Demonstrationsfahrt mit Ziel Karatschi, das damals zur Kolonie Britisch-Indien gehörte. Nach der Kontinentalüberquerung (man wählte die Passage durch das Rhonetal, um die Alpen westlich zu umfahren) und der Mittelmeerüberquerung sollte in Ägypten ein Zwischenstopp zum Tanken eingelegt werden.
Unter den Passagieren befand sich der britische Luftfahrtminister Lord Thomson in Begleitung weiterer Luftschiffexperten, Major George Herbert Scott, der die Erprobungsfahrt der R100 nach Kanada vorgenommen hatte, und Air Vice-Marshal Sir Sefton Brancker, der als erfahrener Luftschiffer aus der Zeit des Ersten Weltkrieges galt und mit Hugo Eckener befreundet war. Die meisten der 50 Passagiere waren jedoch Zivilisten.
Kurz nach 20 Uhr überquerte das Luftschiff London. Bereits über dem Ärmelkanal wurde die Außenhülle durch einen Sturm beschädigt und ein Teil der 16 Gaszellen lag frei. Über die folgenden Ereignisse berichteten die europäischen Tageszeitungen ab dem 6. Oktober folgende Details: Nach dem Überqueren der französischen Kanalküste verschlechterte sich die Sicht zunehmend. Die Passagiere und die dienstfreien Crewmitglieder waren früh zu Bett gegangen, da man keine Sicht mehr hatte. Der Funker nahm mit dem französischen Flugplatz Le Bourget Funkkontakt auf, um sich ständig durch Kreuzpeilung über Position und Kurs des Schiffes zu informieren. Der letzte Funkkontakt durch den diensthabenden Funker Disley, der überlebte, fand 1:43 Uhr statt. Drei Minuten zuvor hatte das Schiff durch heftige Turbulenzen etwa 500 m an Höhe verloren, ein Fallwind riss das Schiff nach unten. Der diensthabende Bordingenieur Leech bestätigte die Angaben und ergänzte, dass starke Windböen das Schiff ergriffen hatten, die Sicht war minimal und der Pilot hatte keine Information mehr über die Flughöhe, daher befahl er die Zuschaltung aller Motoren, um mit maximalem Schub wieder an Höhe zu gewinnen. Der Aufstiegsversuch misslang, offenbar reagierte das Höhenruder nicht mehr. Der Bug des Luftschiffs hatte bereits einige Bäume am Boden gestreift, was die Passagiere weckte, gleichzeitig wurden die im Inneren des Schiffs laufenden Besatzungsmitglieder, darunter der Funker, aus der Takelage geworfen. Der Funker fiel aus dem Luftschiff, das sich in diesem Moment nur wenige Meter über Grund befand. Etwa 100 m bis 150 m weiter rammte das Heck des Luftschiffs einen Hügel, damit wurde die Explosion ausgelöst. Der Aufprall löste eine Druckwelle aus, die weitere Schäden im Schiff erzeugte. Ein geborstener Wassertank ergoss sich über eine mittlere Kabine und sicherte so das Überleben der dort befindlichen Passagiere, die allerdings dennoch schwere Verbrennungen und Brüche erlitten. Bordingenieur Leech gelang es, mit einem Messer die Kabinenwand zu durchtrennen; mit ihm konnten weitere Personen aus der Kabine entkommen. Die Flammen entzündeten die Treibstoffvorräte und alles Brennbare; das Luftschiff brannte noch zwei Tage, bis alle Flammen gelöscht waren.
Am Boden waren die Bewohner von Beauvais und den nördlich angrenzenden Ortschaften durch das laute Geräusch der unter Volllast laufenden Motoren aus dem Schlaf gerissen worden. Als das Luftschiff explodierte, rannten sofort Menschen zur Unglücksstelle, um zu helfen. Die Gendarmerie informierte den französischen Innenminister, dieser den französischen Luftfahrtminister Laurent Eynac, der in den frühen Morgenstunden aus Paris am Unglücksort eintraf. Ihm folgten in kurzem Abstand weitere Militärs und der britische Botschafter in Paris. Das Absuchen des Geländes hatte noch in den Nachtstunden begonnen, die Mehrzahl der Toten war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Anhand der Passagierliste galten auch nach Tagen noch drei Personen als vermisst, man vermutet ihre sterblichen Überreste in der Asche der völlig ausgebrannten Kabinen. Zumindest acht Überlebende konnten sofort geborgen und in das Spital der Stadt Beauvais gebracht werden, dort verstarben zwei Mitglieder der Crew. Nur sechs Personen überlebten die Katastrophe.
Am Vormittag des 7. Oktober fand in Beauvais eine Trauerfeier statt, an der zahlreiche hochrangige Persönlichkeiten teilnahmen, darunter der Joseph-Édouard Barès, Generalinspekteur der französischen Luftstreitkräfte, Luftfahrtminister Laurent Eynac sowie der französische Ministerpräsident André Tardieu. Die britische Regierung war unter anderem durch den Minister für Indien, William Wedgwood Benn, vertreten. Ein französisches Spahi-Infanterieregiment erwies den Opfern militärische Ehren, ebenso eine Fliegerstaffel. Unmittelbar nach der Zeremonie wurden die sterblichen Überreste der Todesopfer mit einem Sonderzug nach Großbritannien überführt.[1]
Der deutsche Luftschiffkonstrukteur Hugo Eckener wurde während eines Testflugs vom Bodensee nach Berlin über Funk von der Katastrophe informiert. Er brach den Flug in Leipzig ab, wo er interviewt wurde. Nach seiner Überzeugung führte eine Kombination von Zufällen und der ungünstigen Witterung zum Desaster: Eckener gab an, dass das Schiff zum Zeitpunkt der Katastrophe – gerade fünf Stunden in der Luft – noch volle Ballast- und Treibstofftanks hatte. Vermutlich war das Schiff überladen, denn man wollte möglichst wenige Unterbrechungen einlegen, um rasch in Ägypten anzukommen. Die Reise sollte zum Prestige der britischen Luftfahrtindustrie beitragen. Das überladene Luftschiff war für die vorherrschende böige Flugwetterlage zu träge und die Größe des Schiffes wurde ihm zum Verhängnis, als es in Bodennähe von starken Fallwinden erfasst wurde. Eckener sah die Hauptursache der Katastrophe in der fehlenden Information über die tatsächliche Flughöhe, denn sonst hätte der Aufprall durch Leeren der Ballasttanks verhindert werden können. Ob das Höhenruder bereits vor dem Aufprall defekt war, konnte nicht ermittelt werden, da dieser Bereich des Schiffs beim Bodenkontakt deformiert wurde.[2]
Das Wrack blieb bis 1931 an der Unglücksstelle liegen. Schrotthändler aus Sheffield, die auf Edelstahl spezialisiert waren, wurden engagiert, um es zu verwerten. In den Büchern der Firma Zeppelin ist der Kauf von 5000 kg Duraluminium verzeichnet.[3]
Nach diesem Ereignis gab England den Bau weiterer großer Luftschiffe auf.
Sonstiges
Das Vereinigte Königreich verlieh nach dem Unglück dem französischen Luftfahrtminister Laurent Eynac das Großkreuz des Order of the British Empire in Anerkennung der Verdienste Frankreichs um britische Staatsangehörige beim Absturz des R101.[4]
Die britische Heavy-Metal-Band Iron Maiden verarbeitete die Geschichte der R101 in ihrem Song Empire of the Clouds auf dem Album The Book of Souls aus dem Jahr 2015. Die darin enthaltene Strophe „She’s the biggest vessel built by man / A giant of the skies / For all you unbelievers / The Titanic fits inside“ ist allerdings ein lyrischer Kunstgriff: Während die R101 eine Länge von 237 m hatte, war die RMS Titanic 269 m lang. Interpretiert man das Wort „vessel“ jedoch als Hohlkörper, so lag der umbaute Raum der Titanic mit 46.329 BRT (ca. 131.000 m³) bereits deutlich unter dem Traggasvolumen der R101.
Nach ihrer Verlängerung war die R101 – als Nachfolgerin der LZ 127 Graf Zeppelin – tatsächlich das größte Luftschiff der Welt. Sie wurde aber später noch von vier Luftschiffen übertroffen: der USS Akron und deren Schwesterschiff USS Macon sowie der LZ 129 Hindenburg – die am 6. Mai 1937 bei der Landung in Lakehurst ein ähnliches Schicksal erlitt – und deren Schwesterschiff LZ 130 Graf Zeppelin II.
Literatur
- Rick Archbold, Ken Marschall: Luftschiff Hindenburg und die große Zeit der Zeppeline. Bechtermünz Verlag, Augsburg 1997, ISBN 978-3-86047-911-7, S. 81–101.
- Bill Hammack: Fatal Flight: The True Story of Britain’s Last Great Airship. Articulate Noise Books, 2017, ISBN 978-1-945441-01-1 (Homepage des Autors mit kostenlosem Hörbuch).
Weblinks
- Warum das englische Luftschiff „R 101“ abstürzte. Bericht der Frankfurter Zeitung vom 6. Oktober 1930 (aktualisiert am 6. Oktober 2020)
- The R101 disaster (Memento vom 11. Oktober 2018 im Internet Archive) bei century-of-flight.net (englisch)
- R.101 bei airshipsonline.com (englisch)
- British Airship R.101 bei currell.net, Papiermodell zum Ausdrucken (englisch)
Einzelnachweise
- Après la catastrophe : le suprême hommage de la France. In: L’Ouest-Éclair. 8. Oktober 1930 (französisch, Digitalisat auf Gallica).
- N.N.: R 101 durch Explosion vernichtet. „Das englische Luftschiff R101 auf der Indienfahrt bei Beauvais verbrannt – 50 Tote, darunter der englische Luftfahrtminister Lord Thomson“. In: Gothaer Tageblatt. Band 82, Nr. 234. Gotha 6. Oktober 1930.
- siehe century-of-flight.net.
- M. André Laurent-Eynac. In: The Times. Nr. 58050, 17. Dezember 1970, S. 12 (englisch, Nachruf).