Qamischli
Qamischli, auch Kamischli, Qamischlo (kurdisch قامشلۆ Qamişlo, arabisch القامشلي al-Qāmischlī, DMG al-Qāmišlī, aramäisch ,ܩܡܫܠܐ armenisch Կամիշլի), ist eine multiethnische Großstadt im Gouvernement al-Hasaka im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei.
قامشلۆ Qamişlo القامشلي / al-Qāmišlī Qamischli | |||
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Koordinaten | 37° 3′ N, 41° 14′ O | ||
Basisdaten | |||
Staat | Syrien | ||
al-Hasaka | |||
Höhe | 455 m | ||
Einwohner | 200.000 (2003) | ||
Hauptstraße im Geschäftszentrum |
Als Folge des syrischen Bürgerkriegs liegt Qamischli in einem von Kurden beherrschten Gebiet mit dem kurdischen Namen Rojava, in dem sich de facto eigenständige politische Strukturen entwickelt haben. Qamischli wurde zum Hauptort von Cizîrê, einem der drei Kantone Rojavas, erklärt.[1]
Lage und Verkehr
Qamischli liegt am Fluss Dschaghdschagh, der in der Türkei entspringt und bei al-Hasaka etwa 80 Kilometer südlich in den Chabur mündet. Die Grenze zum Irak liegt in derselben Entfernung im Osten. Die Region gehört zum landwirtschaftlich intensiv genutzten, syrischen Teil der Dschazīra. Im Regenfeldbau werden in der Umgebung großflächig Weizen und Baumwolle angepflanzt, auf einem Teil der Felder geschieht dies auch in den trockenen Sommermonaten mit künstlicher Bewässerung durch Dieselpumpen aus dem Grundwasser.
Zwei Kilometer südwestlich des Stadtzentrums liegt der nationale Flughafen Qamischli mit Verbindungen nach Damaskus.
Wortherkunft
Die ersten Siedler nannten den Ort in syrischer Sprache Bet Zalin („Haus aus Schilfrohr“), vielleicht nach der Vegetation an den Ufern des Dschaghdschagh.[2] Der arabische Name Qamischli ist mutmaßlich aus dem türkischen Wort kamış mit dem Suffix -li gebildet und bedeutet „mit Schilf bewachsen“.
Bevölkerung
Qamischli war mit knapp 190.000 Einwohnern zum Zensus 2004 etwa so groß wie die Distrikthauptstadt Al-Hasakah.[3] Die Bevölkerung setzt sich aus Kurden, Arabern, Armeniern und einer relativ hohen Zahl von Assyrern/Aramäern zusammen.
Im Jahr 1920 bestand an der Stelle von Qamischli eine französische Garnison. Anfang der 1920er Jahre siedelten sich die ersten Aramäer/Assyrer aus Anatolien an, die dem Völkermord an ihrer Bevölkerungsgruppe während des Osmanischen Reichs entkommen waren. In den folgenden Jahren übersiedelten etwa zwei Drittel der Einwohner von Nusaybin, der heute auf türkischer Seite liegenden Nachbarstadt, nach Qamischli. Der Ort wurde (1926)[4] 1928 zu einer Station an der Eisenbahnstrecke von Mosul nach Aleppo, einem Abschnitt der Bagdadbahn.[5] Im Jahr 1929 kamen rund 4000 armenische Flüchtlinge aus der Türkei, die zunächst in Lagern rund um Qamishli, al-Hasaka und Aleppo untergebracht wurden. Die meisten armenischen Ankömmlinge waren Landarbeiter. 1932 gab es 8000 Einwohner.[6]
Weitere armenische und kurdische Flüchtlinge trafen in den folgenden Jahrzehnten ein. 1970 hatte die Stadt nach Eugen Wirth etwa 35.000 Einwohner.[5] Dem World Gazetteer zufolge ergab die Volkszählung von 1960 eine Einwohnerzahl von 34.198 und 1970 von 47.714. Bis 1981 hatte sich diese Zahl auf 92.990 mehr als verdoppelt.[7]
Die kurdisch sprechenden Juden von Qamischli bildeten nach den jüdischen Einwohnern von Damaskus und Aleppo eine der drei größeren jüdischen Zentren in Syrien.[8] Die meisten Juden verließen zwischen 1947 und 1970 das Land. Die letzte organisierte Ausreisewelle fand von 1992 bis 1994 statt. Danach verblieben nur noch rund 300 Juden in Syrien.[9] Die Jerusalem Post berichtet, dass im Jahr 2006 noch drei Juden in der Stadt lebten.[10]
Stadtbild
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Anfang der 1920er-Jahre das französische Mandatsgebiet des heutigen Syrien vom Osmanischen Reich abgeteilt. Die Grenze zur heutigen Türkei verläuft in diesem Bereich entlang der Bahnlinie. Damit wurden Qamischli und Nusaybin getrennt. Die Entfernung vom Stadtzentrum bis zum offiziellen Grenzübergang beträgt etwa einen Kilometer, auf der anderen Seite liegt unmittelbar die türkische Stadt.
Qamischli hat sich seit den 1980er-Jahren durch seine zunehmende Bedeutung als Grenzübergangsort stark verändert. In noch stärkerem Maß wurde der wirtschaftliche Aufschwung durch die sich seit den 1970er-Jahren intensivierende Ausbeutung der Ölfelder von Qarah Shuk und Rumaylan an der irakischen Grenze im äußersten Nordosten des Landes befördert.[11] Entlang und in der Umgebung der Hauptstraße ar-Ra’is Hafiz al-Assad sind seither mehrere Hotels gebaut worden, weitere Hotels waren 2009 vor der Fertigstellung. Das geschäftige moderne Stadtzentrum wird im Osten durch den Fluss begrenzt, auf dessen östlicher Seite das Viertel einer informellen Siedlung einen Kontrast bildet. Nach allen Richtungen, abgesehen von Norden, wächst die Stadt schnell durch zwei- bis viergeschossige Reihenhäuser oder freistehende größere Wohneinheiten, mit denen teilweise ältere dörfliche Strukturen überbaut werden.
Politik
Nach einem Fußballspiel war Qamischli im März 2004 Ausgangspunkt landesweiter kurdischer Unruhen. Nach dem Zusammentreffen von arabischen und kurdischen Fans im Stadion, als das Spiel zu einem politischen Konflikt eskalierte, griffen bewaffnete Sicherheitskräfte ein. In der Folge kam es zu 30 Todesopfern und 160 Verletzten.[12] Die kurdischen Opfer dieser Unruhen gelten seither als weitere Märtyrer der kurdischen Nationalbewegung.[13]
Seit dem Krieg steht der größte Teil der Stadt unter Kontrolle kurdischer Milizen. Die Regierungstruppen kontrollieren die Hauptstraße, den Flughafen und den Grenzübergang zur Türkei.
Bei einer Anschlagserie Ende Dezember 2015 kamen nach Angaben der Opposition mindestens 16 Menschen ums Leben. In drei Restaurants in einem christlichen Stadtviertel explodierten Bomben.[14]
Am 27. Juli 2016 gab es einen doppelten Bombenanschlag (mit Sprengstoff beladener LKW, zweiter Attentäter auf einem Motorrad) mit etwa 50 Toten, zu dem sich der IS bekannte.[15]
- Siehe auch: Kurden in Syrien
Bildung
Im Jahr 2003 eröffnete die private syrische Mamoun-Universität einen Campus in Qamischli.[16] Im September 2014 wurde in Qamischli mit der Mesopotamischen Akademie für Sozialwissenschaften eine koedukative Universität eröffnet.[17][18]
Klimatabelle
Im Sommer ist es heiß und trocken mit Tagestemperaturen über 40 °C. Die niedrigste gemessene Temperatur im Januar und Februar war −6 °C und die höchste gemessene Temperatur im Juli und August war 46 °C.[19] Die Winter sind kühl und regnerisch mit durchschnittlichen Minimaltemperaturen bis knapp über dem Gefrierpunkt.
Qamischli | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Klimadiagramm | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Monatliche Durchschnittstemperaturen und -niederschläge für Qamischli
Quelle: WMO; wetterkontor.de |
Städtepartnerschaften
Söhne und Töchter der Stadt
- Aram Tigran (1934–2009), armenischer Sänger
- Sepuh Sargsjan (* 1946), armenischer Erzbischof von Teheran
- Seîd Yûsiv (1947–2020), kurdischer Sänger
- Gregorios Johanna Ibrahim (* 1948), aramäischer Erzbischof
- Mihemed Şêxo (1948–1989), kurdischer Sänger
- Selîm Berekat (* 1951), kurdischer Schriftsteller und Dichter
- Maschaal Tammo (1957–2011), kurdisch-syrischer Politiker
- Ciwan Haco (* 1957), kurdischer Sänger
- Kévork Assadourian (* 1961), armenisch-katholischer Weihbischof in Beirut
- Xêro Abbas (* 1962), kurdischer Sänger
- Ignatius Ephräm II. Karim (* 1965), syrisch-orthodoxer Patriarch
- Kevork Mourad (* 1970), Performancekünstler
- Mani Hussaini (* 1987), norwegischer Politiker
- Mohammed Osman (* 1994), Fußballspieler
- Aias Aosman (* 1994), deutsch-kurdischer Fußballspieler
Weblinks
Einzelnachweise
- Qamishli to be capital city of Jazeera Canton in Syrian Kurdistan. Ekurd.net, 26. Januar 2014 (abgerufen am 15. Oktober 2014)
- Sabr Darwish: Cities in Revolution. Al-Qamishli: The Syrian Kurdish Rebellion. Syria Untold, Berlin o. J., S. 4
- cbssyr.org/General census/census 2004 (Memento vom 10. März 2013 im Internet Archive). Dagegen berechnet [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Defekte_Weblinks&dwl=http://bevoelkerungsstatistik.de/wg.php?x=&men=gpro&lng=de&des=wg&geo=-202&srt=npan&col=abcdefghinoq&msz=1500&pt=c&va=&geo=457330123 Seite nicht mehr abrufbar], Suche in Webarchiven: [http://timetravel.mementoweb.org/list/2010/http://bevoelkerungsstatistik.de/wg.php?x=&men=gpro&lng=de&des=wg&geo=-202&srt=npan&col=abcdefghinoq&msz=1500&pt=c&va=&geo=457330123 World Gazetteer] 101.041 Einwohner für 2012
- Al-Qāmishlī. In: Encyclopædia Britannica
- Eugen Wirth: Syrien, eine geographische Landeskunde. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971, S. 428
- Ellen Marie Lust-Okar: Failure of Collaboration: Armenian Refugees in Syria. In: Middle Eastern Studies, Band 32, Nr. 1, Januar 1996, S. 53–68, hier S. 56
- [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Defekte_Weblinks&dwl=http://bevoelkerungsstatistik.de/wg.php?x=&men=gpro&lng=de&des=wg&geo=-202&srt=npan&col=abcdefghinoq&msz=1500&pt=c&va=&geo=457330123 Seite nicht mehr abrufbar], Suche in Webarchiven: [http://timetravel.mementoweb.org/list/2010/http://bevoelkerungsstatistik.de/wg.php?x=&men=gpro&lng=de&des=wg&geo=-202&srt=npan&col=abcdefghinoq&msz=1500&pt=c&va=&geo=457330123 al-Qāmišlī.] World Gazetteer
- Jaqueline Shields: Jewish Refugees from Arab Countries. (Memento des Originals vom 19. April 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Jewish Virtual Library, 2010, S. 2
- Israel Reveals Immigration of over 1,200 Syrian Jews. Associated Press, 18. Oktober 1994; Syrian Jews migrated to Israel in secret. The Milwaukee Journal, 18. Oktober 1994, S. 3
- Sasha Troy: The last three Jews of Qamishli. Jerusalem Post, 2. September 2006
- Syria Industry. Country Studies, US Library of Congress
- Syria: Address Grievances Underlying Kurdish Unrest. HRW, 19. März 2004
- Jordi Tejel: The Qamishli Revolt, 2004. The marker of a new era for the kurds in Syria. In ders.: Syria’s Kurds: History, Politics and Society. Routledge Chapman & Hall, London 2008, S. 108–132, ISBN 0-415-42440-2
- „Bombenexplosionen in Restaurants. Tote und Verletzte bei Anschlägen in Syrien“, in: tagesschau.de, 31. Dezember 2015.
- N24, 27. Juli 2016: IS-Anschlag in Kamischli in Syrien: Dutzende Tote bei Detonation von Autobombe
- Selbstvorstellung auf Facebook. Die Website der Universität (Memento des Originals vom 15. September 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ist z. Zt. nicht abrufbar.
- Elke Dangeleit: Das Modell Rojava. Telepolis, 12. Oktober 2014, abgerufen am 15. Oktober 2014
- A Dream of Secular Utopia in ISIS’ Backyard. New York Times. 29. November 2015. Abgerufen am 10. Mai 2016.
- Al Qamishli, Syria. Weatherbase