Prozessionsstange

Prozessionsstangen o​der Prozessionsstäbe (auch Stangerlsitzerheilige, Engelstange, Heiligenstange, Zunftstange, Kerzenstange) s​ind kunsthandwerklich verzierte Stangen, d​ie bei Prozessionen d​er römisch-katholischen Kirche mitgetragen werden. Insbesondere i​m bayerischen Raum h​aben sich zahlreiche m​it Marien- u​nd Heiligenfiguren verzierte Stangen v​on Zünften u​nd Bruderschaften (deren Stangen werden a​uch als Bruderschaftsstangen bezeichnet) erhalten, d​ie häufig ganzjährig i​n der Kirche aufgestellt sind. Zunftkerzen (verzierte Kerzenhalter) s​ind ein Typ d​er Prozessionsstange, d​er vor a​llem von Handwerkszünften verwendet wurde.

Geschichte und Brauchtum

Mit der Entstehung der Zünfte entstanden die Zunftstangen, die als Demonstration des sich entwickelnden Selbstbewusstsein der Handwerker bei Prozessionen öffentlich gezeigt wurden. Erste Erwähnungen von Zunftstangen stammen aus den Jahren 1688 in Leuchtenberg, 1765 in Grafenwöhr[1], 1772 in Eslarn[2]. Die Bräuche, wann diese Zunftstangen auf Prozessionen mitgetragen wurden, unterschieden sich von Ort zu Ort. In Eslarn trugen zur Fronleichnamsprozession alle Zünfte ihre Zunftstangen mit. Wenn ein Familienmitglied eines Handwerkers, der einer Zunft angehörte, starb, wurden bei der Beerdigung die beiden Zunftstangen der jeweiligen Zunft mitgetragen. Jede Zunft hatte zwei Stangen.[2] In Wiesau wurden die Zunftstangen nicht bei der Fronleichnamsprozession getragen, sondern sie traten nur zum Zunftamt am 27. Dezember jeden Jahres in Aktion.[3]

Die Zunftstangen überdauerten die Kriege. Auf alten Fotografien sieht man sie in den Kirchen stehen. In früheren kunstgeschichtlichen Beschreibungen der Kirchen wurden sie meistens übergangen.[4] In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit fortschreitender Trennung von Kirche und normalem Alltagsleben empfand man sie oft als altmodisch, unpassend, profan und störend und verbannte sie aus den Kirchen oder entfernte zumindest die Zunftabzeichen.[5] Mancher konservative Mesner rettete sie vor seinem modernen Pfarrer auf den Dachboden.[4] Ab der 1980er Jahre erwachte ein neues Verständnis für die Kunst vergangener Zeiten und die Zunftstangen wurden, wo noch vorhanden, von den Dachböden geholt, restauriert und wieder in den Kirchen aufgestellt. Die seit dieser Zeit entstandenen kunstgeschichtlichen Kirchenführer würdigen ihren künstlerischen und historischen Wert.[6][7][8]

Beschreibung und Besonderheiten

Prozessionsstangen ist der Überbegriff für an einer oder auch mehreren Stangen befestigten Engels- und/oder Heiligenfiguren, oder Figurengruppen oder Zunftzeichen oder Laternen. Als Zunftstangen werden Prozessionsstangen bezeichnet, die mit einem Zunftzeichen gekennzeichnet sind. Man kann vermuten, dass ursprünglich alle Prozessionsstangen mit Zunftzeichen versehen waren, dass aber diese Zunftzeichen teilweise verloren gingen oder absichtlich entfernt wurden. Dies ist jedoch nicht immer nachweisbar. Diese Stangen ohne Zunftzeichen bezeichnet man als Prozessionsstangen.[9] Es gibt einfache Zunftstangen, ohne Engels- oder Heiligenfigur, die nur das jeweilige Zunftzeichen an ihrer Spitze haben.[10] Engelstangen tragen einen Engel, der meistens ein Zunftzeichen auf einem Schild in der Hand trägt.[11] Heiligenstangen tragen einen Heiligen, der von einer Zunft als Schutzheiliger angesehen wurde oder aber der aus anderen Gründen der Zunft angenehm war oder dem Stifter der Stange gefiel. Das Zunftzeichen ist entweder in die Heiligenfigur integriert oder es befindet sich als Kartusche an der Stange.[12] Kerzenstangen laufen in einen Kerzenleuchter an der Spitze aus. Das Zunftzeichen befindet sich unterhalb des Kerzenhalters. Teilweise tragen sie an der Spitze auch einen Engel oder eine Heiligenfigur, die den Kerzenleuchter in der Hand trägt.[13]

Oft treten die Zunftstangen paarweise pro Zunft auf, d. h. pro Zunft schmückten zwei Heilige oder Figuren, die als zueinander gehörig empfunden und aufeinander bezogen gestaltet wurden, jeweils eine Stange, so dass z. B. bei einer Beerdigung eines Zunftangehörigen links und rechts vom Grab jeweils ein Träger mit einer Stange seiner Zunft stehen konnte. In der Kirche standen sich diese beiden Stangen auf der Frauen- und Männerseite gegenüber, oft mit aufeinander deutenden Armen.[14]

Heilige und Zünfte

Zusammenhang v​on Heiligenfiguren u​nd Zünften:[15]

Heiliger/Figurengruppezugeordnete ZünfteOrte mit Zunftstangen
AmbrosiusSchmiedeBärnau
Andreas (Apostel)Bäcker, MüllerWinklarn
Barbara von NikomedienHolz- und FeuerwerkerWinklarn
BarnabasWeberWinklarn
Bartholomäus (Apostel)Schuhmacher, MetzgerMitterteich, Weiden i.d.OPf.
BonifatiusSchneiderLeuchtenberg
EligiusSchmiede, Flaschner, SpenglerTirschenreuth, Weiden i.d.OPf.
Elisabeth von ThüringenBäckerWeiden i.d.OPf.
Florian von LorchMüllerWiesau
GeorgSchneiderWinklarn
GlaubeSchreiner, Drechsler, KammmacherAuerbach
Gnadenstuhl, DreifaltigkeitZimmerer, HutmacherLeuchtenberg, Neustadt/WN
Heilige FamilieMaler, Bäcker, LebzelterLeuchtenberg, Neustadt/WN
Jakobus der ÄltereSchneider, Schuhmacher, Maler, SchreinerAuerbach, Mitterteich, Tirschenreuth, Windischeschenbach
Jesus ChristusMetzger, Müller, Melber, Schlosser, SchmiedeNeustadt/WN, Waldthurn, Windischeschenbach
Johannes der TäuferSchneider, ZeugmacherAuerbach, Neustadt/WN, Weiden i.d.OPf.
Johannes (Evangelist)Metzger, SattlerLeuchtenberg
Josef von NazaretZimmerer, Kaminkehrer, Maurer, Hafner, Sattler, Säckler, Tischler, Schreiner, Bäcker, Holz- und FeuerwerkerAuerbach, Neustadt/WN, Tirschenreuth, Waldthurn, Weiden i.d.OPf., Wiesau, Winklarn
Judas ThaddäusTuchmacherTirschenreuth
Katharina von AlexandrienSchmiede, WagnerTännesberg, Tirschenreuth
Laurentius von RomWeberWinklarn
LiebeSchreiner, Drechsler, KammmacherAuerbach
Lukas (Evangelist)MalerWeiden i.d.OPf.
Maria MagdalenaFriseureWeiden i.d.OPf.
Maria (Mutter Jesu)Weber, Schuhmacher, Maurer, MetzgerLeuchtenberg, Neustadt/WN, Winklarn
MartinWagner, Schmiede, SchneiderLeuchtenberg, Winklarn, Schongau
MichaelSchneider, Maurer, ZimmererNeustadt/WN, Winklarn
NoahZimmererTirschenreuth
Paulus von TarsusBinder, WeberNeustadt/WN, Waldthurn
ReinoldusSteinmetzeWeiden i.d.OPf.
Rochus von MontpellierMaurerWaldthurn
SchutzengelZimmerer, Kaminkehrer, Maurer, HafnerAuerbach
Simon PetrusSchmiede, Wagner, Maurer, Schlosser, Metallbau, Bäcker, MüllerNeustadt/WN, Waldthurn, Weiden i.d.OPf., Winklarn
Thomas (Apostel)BauWeiden i.d.OPf.
WendelinWeberWeiding
WolfgangWagner, Zimmerer, Tuchmacher, Weber, MaurerBärnau, Neustadt/WN, Tirschenreuth, Waldthurn, Weiding, Winklarn

Bilder von Prozessionsstangen

Prozessionsstangen i​n der Kirche St. Georg i​n Ellingen:

Prozessions- o​der Zunftstangen i​n der Kirche St. Jakobus d​er Ältere (Enchenreuth) i​m Dekanat Hof (Saale):

Zunftkerzen i​n der Kirche St. Martin i​n Gundelfingen a​n der Donau:

Zunftstangen i​n der Stadtpfarrkirche Mariae Himmelfahrt i​n Schongau:

Siehe auch

Commons: Prozessionsstange – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. Kreishandwerkerschaft Nordoberpfalz, Weiden 2000.

Einzelnachweise

  1. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 13.
  2. Hans Schlemmer: Geschichte des Marktes Eslarn in der Oberpfalz. Gemeindeverwaltung Eslarn, Eslarn 1960, S. 97, 98.
  3. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 105.
  4. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 20.
  5. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 5.
  6. Otto Schmidt: St. Martin Amberg (= Kleine Kunstführer. Nr. 695, ZDB-ID 51387-8). 2., neu bearbeitete Auflage. Schnell und Steiner, München u. a. 1977, S. 9, 14.
  7. Eugen Trapp: Kath. Pfarrkirche St. Laurentius Grafenkirchen und ihre Nebenkirchen. Fr. Ant. Niedermayr Grafische Kunstanstalt, Regensburg 2001, ISBN 3-9807545-3-7, S. 13.
  8. Richard Bierl, Bruno Servi, Elisabeth Huber: St. Vitus Tiefenbach. Verlag Ernst Vögel GmbH, Stamsried 2000, S. 37–39.
  9. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 5, 65–70.
  10. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 110.
  11. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 30–37.
  12. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 102, 116–124.
  13. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 80–88.
  14. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 19, 20.
  15. Horst Lambel: Zunftstangen in der Nordoberpfalz. 2000, S. 4–7.
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