Torste
Eine Torste oder Torsse[1] (aus spätlateinisch/kirchenlateinisch torqua, torca, torsa,[2] mhd. torze / tortsche[3] – „Fackel, lange Kerze“; vgl. frz. torche, engl. torch, ndl. toorts, mnd. tortse/torticie[4] „gewundene Wachskerze/Wachsfackel … für feierliche Gelegenheiten“) ist seit dem Mittelalter als eine solche lange, meist spiralig gewundene, mehrdochtige Lichtquelle aus Talg oder Wachs in vielen Gegenden Mitteleuropas bildlich überliefert.
Name und Gebrauch haben sich abgewandelt bis ins gegenwärtige Prozessionsbrauchtum in Teilen des Münsterlandes erhalten. Inzwischen handelt es sich heute meist um einen hölzernen Stab mit Blumengebinde, gelegentlich aber auch um einen Kerzenhalter. Die Torsten sind schmückendes Beiwerk und werden in der Fronleichnamsprozession von den männlichen Kommunionkindern mitgeführt. Sie haben eine Länge von rund 1,60 Meter, wobei etwa 60 cm auf die Blumengebinde entfallen. Nachgewiesen ist die heutige Verwendung von Torsten in Wettringen[5][6] und Schöppingen[7][8], in beiden Fällen hat sich die Torste weg vom Kerzenhalter zum reinen Träger des Blumengebindes entwickelt. In Schöppingen wurde das Torstentragen in den 1930er Jahren wiederbelebt, endete nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und wurde anlässlich der 1150-Jahr-Feier Schöppingens im Jahr 1988 erneut wiederaufgenommen.[9] Die Wettringer Torsten wurden früher von den 8- bis 14-jährigen Schuljungen getragen. Diese gingen in der Prozession unmittelbar vor dem Baldachin. Das Blumengebinde bestand traditionell überwiegend aus „Bickbeeren“-Zweigen (Blaubeere), aber auch aus Buchsbaum. Darin waren die Blumenblüten mitverarbeitet. Oben endete das Gesteck in einer „Krone“ aus den Blättern der Schwertlilie[10], die entsprechend eingekürzt waren. Die Anfertigung oblag in den einzelnen Nachbarschaften jeweils einer bestimmten Person(engruppe?). Die heutige Art der Torsten in Wettringen findet sich schon in den 1830er Jahren bzw. sogar bereits am Ende des 18. Jahrhunderts.[11] Für das Jahr 2019 wird in Wettringen (6) als auch in Schöppingen (1) die Anzahl der Torstenträger als rückläufig beschrieben.[12][13]
Die Wettringer Torsten waren zur Aufnahme in das „Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ vorgeschlagen. Nach Ablehnung ist ein erneuter Antrag beabsichtigt, da im Bescheid der Jury eine erweiterte Bewerbung empfohlen wurde.[14]
Das Tragen von Torsten in der Form des Blumengebindes war bis in die 1920er Jahre im Münsterland weit verbreitet.[15] So findet sich in Alstätte (heute Stadt Ahaus, Kreis Borken, Nordrhein-Westfalen; Münsterland) eine Fotografie einer Prozession aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im örtlichen Heimathaus. Diese zeigt ebenfalls die für Wettringen beschriebene Art von Blumenarrangements auf Stäben, die genauso von Schuljungen in der Prozession mitgetragen werden. Lediglich sind die Blumengebinde nicht so üppig, der Durchmesser geringer und die Schwertlilienblätter fehlen in Alstätte. Die Länge des Tragstockes ist ungefähr vergleichbar.[16] In Hiltrup (St. Clemens) hat es das Torstentragen ebenfalls gegeben. Beschrieben werden sie als „farbenfroh geschmückte Blumentorsten“[17].
Im Steinfurter Ortsteil Borghorst wurden im Heimatmuseum hölzerne Kerzenhalter vergleichbarer Länge, die in feierlichen Hochämtern der vorkonziliaren Liturgie während der Wandlung von Ministranten gehalten wurden, ebenfalls als Torsten bezeichnet.[18]
Ein weiteres Bezeichnen von Kerzen/Kerzenhaltern bzw. Fackeln als Torsten stammt aus dem Jahr 1821, wo vom Begräbnis (einer?) der letzten Stiftsdame(n) des Stiftes Metelen berichtet wird.[19]
Oberdeutscher Sprachraum – Tortsche
Im alemannischen und bairischen Sprachraum hat das Wort „Tortsche“ heute die Bedeutung „Kerze auf Kerzenhalter“. In Freiburg im Breisgau etwa ist es das Wort für die sonst Flambeaux genannten Kerzenhalter der Ministranten für feierliche Gottesdienste,[20] in Freiburg im Üechtland[21] für reichverzierte Kerzenhalter der Zünfte bei Prozessionen; ähnlich in Wien und in der Oberpfalz (Regensburg).[22]
Weblinks
- Prangerstange
- Prozessionsstange
- Bild von Torsten mit Blumengebinde bei der Fronleichnamsprozession in Wettringen auf www.st-petronilla-wettringen.de
- Artikel „Torch“ in der englischsprachigen Wikipedia; Abschnitt „Etymologie“
- Artikel „Torch“ in der englischsprachigen Wikipedia; Abschnitt „Uses of torches“; Unterabschnitt „In Roman Catholic liturgy“
Einzelnachweise
- „Die Torsse oder Torste ist ein[e] sehr typisch westfälische Entwicklung: auf eine meist kunstvoll gedrechselte Holzstan[g]e wird die besonders gezogene Wachskerze befestigt, so dass der optische Eindruck eines extrem langen und besonders schönen Lichtes entsteht.“ (St.-Antoni-Bruderschaft Nottuln) Abgerufen am 24. Januar 2014.
- Glossar (Memento des Originals vom 10. Juni 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Glossar
- Mittelniederdeutsches Wörterbuch
- „Kommunionkinder halten die traditionellen, bunt geschmückten Torsten und Mädchen werfen Blüten auf den Weg.“ (Münsterländische Volkszeitung (Memento vom 19. Februar 2014 im Internet Archive)).
- „Pastor Christoph Backhaus meinte humorvoll: ‚Ich habe zwar noch nie auf einer Kletterburg die Messe zelebriert, aber von hier oben ist es ein tolles Bild: die vielen bunten Fahnen, die festlichen Kleider der Kommunionkinder, die Torstenträger – der Tie-Esch ist schon ein besonderes Fleckchen Erde mit einem tollen Ambiente.‘“ (St. Petronilla Wettringen (Memento des Originals vom 1. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ) Abgerufen am 24. Januar 2014.
- „Dazu sind alle Kinder eingeladen, die aktuellen Erstkommunionkinder bereichern den Weg mit Blumenblättern und den traditionellen ‚Torsten‘.“ (Westfälische Nachrichten) Abgerufen am 24. Januar 2014.
- „Der neugestaltete Rathausplatz bot ein wunderbares Motiv, an dem auch die zahlreich erschienenen Erstkommunionkinder mit ihren Torsten und den Blumenblättern sehr viel Freude hatten.“ (Grenzland Post) Abgerufen am 24. Januar 2014.
- Bernd Dircksen: Traditionen und Geschichten aus Wettringen; ReckelsDruck Wettringen 2017; S. 110 Zitat aus dem Osterpfarrbrief 2006 (Artikelverfasser Clemens Voss, Zitat aus den Aufzeichnungen des Pfarrers Böcker)
- Brockpähler, Wilhelm: Wettringen. Geschichte einer münsterländischen Gemeinde; Wettringen, Selbstverlag der Gemeinde, 1970.
- Bernd Dircksen: Traditionen und Geschichten aus Wettringen; ReckelsDruck Wettringen 2017; S. 114 Zitat aus dem Bericht des Heimatforschers Franz Brüning an die Volkskundliche Kommission des LWL 1953 (Eine 1953 95-jährige Gewährsperson berichtet von Torsten seiner Jugend (folglich geb 1858; Jugend um 1870) die sein Vater (geb. 1820) für ihn fertigte. Dieser 1820 Geborene (Jugend 1830er Jahre) habe die Machart der Torsten bereits von seinem Vater übernommen (dessen Jugend etwa 1790–1800?))
- „Die Torstenträger und die „Engelchen“ – also die Mädchen in ihren weißen Kommunionkindern – marschierten zur Ehre Gottes mit. Allerdings war es in diesem Jahr deutlich sichtbar, dass ihre Zahl deutlich gesunken ist. Früher waren es wesentlich mehr.“ (6 Torsten sind auf Pressefoto. Offensichtlicher Druckfehler: Es muss „in ihren weißen Kommunionkleidern“ statt „Kommunionkindern“ heißen) ev-online.de (Lokales:Wettringen) Freitag, 21. Juni 2019
- „Im Jahre 2017 trugen die Kommunionskinder anlässlich der Fronleichnamsprozession noch zwölf Torsten in Wettringen. Im naheliegenden Schöppingen gab es nur noch einen Torstenträger“, schreibt Dircksen. (Quelle:Lokales:Wettringen, ev-online.de, abgerufen am 12. Juni 2020)
- „ „Eine Bewerbung zur Anerkennung als Immaterielles Kulturerbe müsste sich dementsprechend auf diese übergeordnete Kulturform beziehen“, heißt es in dem Schreiben. Deshalb könne die Bewerbung in der der aktuellen Auswahlrunde nicht berücksichtigt werden. „Dennoch möchte die Jury die Antragstellenden ermutigen, sich weiter zu vernetzen und eine ergänzte Bewerbung zu erarbeiten.“ “ev-online.de ev-online.de (Lokales:Wettringen) Freitag, 12. Juni 2020
- Bernd Dircksen: Traditionen und Geschichten aus Wettringen; ReckelsDruck Wettringen 2017; S. 110 Zitat aus dem Osterpfarrbrief 2006 (Artikelverfasser Clemens Voss, Zitat aus den Aufzeichnungen des Pfarrers Böcker)
- Vergrößerte Ansicht der Fotografie ausgestellt im Heimathaus Alstätte
- https://www.sankt-clemens-hiltrup.de/fileadmin/user_upload/pfarrei/Kirchen-Einrichtungen/Festschrift-75J-StClemens.pdf PDF der Festschrift 75 Jahre St.-Clemens-Kirche Seite 16 von 71
- Infotafel im Heimathaus Borghorst (Nota bene: Hinweistafel seit Umbauarbeiten entfernt)
- „Torsten, das sind Torschen oder Fackeln, wurden von 24 Männern getragen. Die Torsten wurden auch sechs Wochen lang nach dem Tode des Stiftsfräulein[s] in der Kirche zu allen „singenen Messen“ entzündet.“ (Damenstift (PDF) von Norbert Lammers S. 34/35) Abgerufen am 24. Januar 2014.
- http://www.muemis.de/start.php?nav=lexikon&subnav=special&art=tortschen
- https://www.fr.ch/tradifri/de/pub/gesellschaftliche_praktiken/fronleichnam_in_freiburg.htm
- http://www.onetz.de/grafenwoehr/kultur/glaeubige-vertrauen-auf-die-fuerbitte-des-heiligen-blasius-das-x-symbol-aus-dem-segen-mit-den-schraeg-gekreuzten-kerzen-d30347.html