Protokoll von Tschugutschak
Das Protokoll von Tschugutschak[1] von 1864,[2] das im Chinesischen unter dem Begriff Chinesisch-russischer Vertrag über die Demarkation der Nordwest-Grenze bekannt ist (bzw. als Tacheng-Protokoll oder Tacheng-Grenzvertrag) und im Englischen als Treaty of Tarbagatai (nach der kasachischen Bezeichnung des Ortes) u.a., war einer der ungleichen Verträge, der zwischen dem Russischen Kaiserreich und dem Qing-Reich unterzeichnet wurde, um Gebiete im Nordwesten Chinas[3] abzutreten. Mit dem am 7. Oktober 1864 unterzeichneten Vertrag wurden 440.000 Quadratkilometer Land nördlich des Pamir-Plateaus und westlich des Gebiets Tannu Uriankhai an die Russen abgetreten. Infolge der Auflösung der Sowjetunion sind die meisten der abgetretenen Gebiete an die zentralasiatischen Länder zurückgegeben worden.
Hintergrund
Ursprünglich stand das Gebiet vor mehr als hundert Jahren unter der Kontrolle des Qing-Hofes, nachdem der Qianlong-Kaiser 1755 eine Armee zur Zerstörung des Dsungarische Khanat entsandt hatte, woraufhin der Dsungaren-Klan ausgerottet und das Gebiet von Ausländern besiedelt wurde. Im Jahr 1851 unterzeichneten China und Russland in Ili (Kuldscha) und Tarbagatai (Tacheng) den chinesisch-russischen Handels- und Gewerbevertrag (den Vertrag von Kuldscha[4]). Das zaristische Russland erhielt sowohl in der Region Ili (Kuldscha) als auch in der Region Tarbagatai Handelsrechte. Die wichtigsten Privilegien waren Steuerbefreiungen für den Handel, das Recht auf konsularische Zuständigkeit und umfangreiche Zugeständnisse, die den Zugang zu China vom Nordwesten aus auf dem Landweg eröffneten.
Geschichte
Am 7. Oktober 1864[5] beriefen sich u. a. die zaristischen Vertreter Babkow[6] und Sacharow auf die grundsätzlichen Bestimmungen der chinesisch-russischen Pekinger Konvention[7] (von 1860) über den Verlauf des westlichen Abschnitts der chinesisch-russischen Grenze, wobei sie die Grenze in deren Text nach den Karun (Militärstationen) als ständige Karun betrachteten und sich ausschließlich nach diesen richteten (während die Chinesen die Grenze nach den naturgegebenen geographischen Gegebenheiten über die karun hinaus sahen)[8] und der Qing-Gesandte Mingyi[9], der die nordwestliche Grenze vermessen hatte, war wegen des Ausbruchs der Ili-Krise gezwungen, in Tarbagatai (dem heutigen Tacheng) die insgesamt 10 Artikel zu unterzeichnen. Es legte insbesondere die Grenze vom Shabindabaha-Gebirgspass[10] bis zur Grenze des Khanats Kokand fest. Sogar der Temurtu Noor (der heutige Issyk-Kul), der im chinesisch-russischen Vertrag von Peking als Grenzsee festgelegt worden war, wurde als Binnensee des zaristischen Russlands bezeichnet, womit 440.000 Quadratkilometer Territorium östlich und südlich des Balchaschsees und nördlich und südlich des Saisan Noor (des heutigen Saissansees) im äußersten Nordwesten abgetreten wurden. Mit der Unterzeichnung des Vertrages wurde die moderne Nordgrenze Chinas weitgehend festgelegt, mit Ausnahme der Grenze zwischen China und der Äußeren Mongolei. Die Kasachen, die in dem nun verlorenen Gebiet als Nomaden lebten, waren damit Russland zugesprochen worden. Der größte Teil des chinesischen Kasachenstammes der Keraiten[11] schloss sich zu dieser Zeit des Hui-Aufstands der Tongzhi-Ära in Xinjiang[12] China an.[13]
Unterverträge
Im Rahmen des Protokolls von Tschugutschak gab es später verschiedene Unterverträge (nach verschiedenen Orten benannt):
Siehe auch
Literatur
- Yuan Tongli (Hrsg.): Zhong-E Xibei tiaoyue ji 中俄西北條約集 (Sammlung der chinesisch-russischen Verträge zum Nordwesten). Xinjiang yanjiu congkan 新疆研究叢刊 (Sinkiang Collectanea) No. 4. Hong Kong, Xinhua yinshua gufen gongsi, 1963
- Bobo Lo: China and Russia: Common Interests, Contrasting Perceptions. In: CLSA Asia–Pacific Markets Special Report. Nr. May, 2006.
- S. C. M. Paine: Imperial rivals. M.E. Sharpe, 1996, ISBN 978-1-56324-724-8 (archive.org [abgerufen am 9. Februar 2022]).
- Michael Weiers: Geschichte Chinas: Grundzüge einer politischen Landesgeschichte. 2009 (Online-Teilansicht)
- Моисеев В. А. Россия и Китай в Центральной Азии (вторая половина XIX в. — 1917 гг.) [Russland und China in Zentralasien (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 1917)]. Барнаул, 2003.
- Gerald Mund: Ostasien im Spiegel der deutschen Diplomatie: Die privatdienstliche Korrespondenz des Diplomaten Herbert von Dirksen von 1933 bis 1938. (Historische Mitteilungen, Beihefte, Band 63). 2006 (Online-Teilansicht)
Weblinks
Einzelnachweise und Fußnoten
- Protokoll von Tschugutschak (russisch Чугучакский протокол / Tschugutschakski protokol, wiss. Transliteration Čugučakskij protokol) oder Vertrag von Tarbagatai vom 7. Oktober 1864, das auf Chinesisch unter der Bezeichnung Zhong-E kanfen Xibei jieyue ji 中俄勘分西北界約記 (Chinesisch-russischer Vertrag über die Demarkation der Nordwest-Grenze) und auch als Tacheng yidingshu 塔城议定书 (Protokoll von Tacheng) bzw. Tacheng jieyue 塔城界約 (Grenzabkommen von Tacheng) und auf Englisch als Treaty of Tarbagatai (nach der kasachischen Bezeichnung des Ortes) oder Treaty of Chuguchak, Protocol of Chuguchak bzw. last not least Tacheng Protocol on the Delimitation of Sino-Russian Boundary bekannt ist.
- Dem Jahr des Endes des langjährigen Taiping-Aufstandes (1851–1864).
- Die heute in China unter dem Begriff Wai Xibei 外西北 (etwa: Äußere Nordwest-Territorien) bekannt sind.
- Im Chinesischen bekannt unter dem Begriff Zhong-E Yili Ta'erbahatai tongshang zhangcheng 中俄伊犁塔爾巴哈臺通商章程, Zhōng-É Yīlí Tǎ'ěrbāhātái tōngshāng zhāngchéng – „etwa: Chinesisch-russischer Handelsvertrag von Ili und Tarbagatai“.
- Dem 3. Jahr der Tongzhi-Ära.
- Iwan Fjodorowitsch Babkow / Иван Фёдорович Бабков (1827—1905)
- vgl. Zhong-E Beijing tiaoyue 中俄北京条约
- Im Lehrbuch der allgemeinen Geographie wurde darauf hingewiesen, dass die Grenzlinie, die sich aus den Verträgen von Nertschinsk (1689), Kjachta (1727) und vor allem aus dem Vertrag von Peking (1860) mit dem Protokoll von Tschugutschak (1864) bis zum Vertrag von Petersburg (1881) entwickelt hatte, "von Anfang an viel Ähnlichkeit mit den Aufteilungsgrenzen in Afrika" hatte. (Martin Schwind, Erich Obst (Hrsg.): Allgemeine Staatengeographie. 1972, S. 143).
- Mingyi (Ming-i) 明誼/明谊 (1792-1868)
- chin. Shabindabaha shankou 沙宾达巴哈山口
- chin. Kelie bu 克烈部
- chin. Tongzhi Xinjiang Huiluan 同治新疆回乱 / Tongzhi Xinjiang Huibian 同治新疆回变
- vgl. die Angabe in Hasakezu jianshi 哈萨克族简史 (Kurze Geschichte der Kasachen). 2008 oder in Hasakezu 哈萨克族. 米尔扎汗贾合甫, 纳比坚·穆哈穆德罕, 何星亮. 1989, Seite 34 .
- chin. Kebuduo jieyue 1869 nian 8 yue 13 ri 科布多界约 1869年8月13日
- chin. Wuliyasutai jieyue 1869 nian 9 yue 4 ri 乌里雅苏台界约 1869年9月4日
- chin. Ta'erbahatai jieyue 1870 nian 8 yue 12 ri 塔尔巴哈台界约 1870年8月12日