Palais Simon (Hannover)
Das Palais Simon in Hannover war ein im 19. Jahrhundert in den letzten Jahren des Königreichs Hannover errichtetes schlossähnliches Palais,[1] das in der Geschichte der Stadt Hannover eine städtebaulich[2] und kulturell[1] bedeutende Funktion einnahm – und dennoch in den 1950er Jahren abgerissen wurde.[2] Standort des neuromanischen Bauwerks war die seinerzeitige Brühlstraße 1[3] Ecke Escherstraße[1] in der Calenberger Neustadt[4] auf der Grenze zum hannoverschen Stadtteil Mitte.[5]
Geschichte
Das Palais war nach dem Bankier des hannoverschen Königs Georg V., Israel Simon, benannt, der sich vor den Toren der Residenzstadt des Königreichs von dem Architekten Christian Heinrich Tramm das Gebäude als eigenes Wohnhaus errichten ließ.[1]
Der Standort für den Wohnsitz Simons war keinesfalls zufällig gewählt: Sein schlossähnliches eigenes Palais lag in direkter Linie zwischen den historischen Regierungsresidenzen Leineschloss und Schloss Herrenhausen[3] sowie dem etwa zur gleichen Zeit und ebenfalls von dem Architekten Tramm errichteten, anfangs nur als Sommerresidenz der königlichen Familie bestimmten Welfenschloss.[6] Auf dem kürzestmöglichen Fahrweg zwischen der ehemaligen Residenz in der Altstadt von Hannover und den landesherrlichen Schlössern in den Herrenhäuser Gärten[3] demonstrierte der Privatwohnsitz des jüdischen Bankiers[1] auch städtebaulich ein neues Selbstbewusstsein. Gelegen außerhalb der Anlagen der ehemaligen Stadtbefestigung Hannovers am Clevertor, führte die Brühlstraße vorbei an der Clevertor-Wache und über die Clevertorbrücke zentral auf den Haupteingang zwischen den beiden Türmen am Mittelflügel des Simon'schen Palais zu.[7]
Besucher aus der Calenberger Neustadt passierten zunächst den nach dem Bankier des Königs benannten Simonsplatz mit der dort installierten Brunnenanlage, bevor sie zu dem Wohnsitz Simons kamen.[8] Das Palais auf dem Weg zum Königsworther Platz und weiter zur Herrenhäuser Allee präsentierte sich als dreiflügelige Haustein-Anlage aus Deister-Sandstein, die Heinrich Christian Tramm in neuromanischen Formen ausgestaltet hatte.[3]
Doch nur wenige Jahre nach der Fertigstellung des repräsentativen Wohngebäudes Israel Simons, nach dem Deutschen Krieg, der Schlacht bei Langensalza sowie der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen im Jahr 1866 und dem daher zu seinen Verwandten nach Wien exilierten König Georg V. folgte der welfentreue und bald verarmte Bankier seinem ehemaligen Landesherrn in das Zentrum der Habsburgermonarchie.[1]
Kurz zuvor war eine der letzten Amtshandlungen von König Georg V. in Hannover dessen Unterschrift am 12. September 1866 unter die Gründungsurkunde[9] der damaligen Handelskammer Hannover[10] deren Vertreter in diesen ersten Jahrzehnten der Industrialisierung sich ganz bewusst nicht als irgendein weiterer Verband organisieren wollten, sondern von Anfang an das Ziel einer staatlich anerkannten Kammer verfolgten.[9] In den späten Gründerjahren des Deutschen Kaiserreichs übersiedelte die spätere IHK 1896 in das Palais Simon über, wo sie bis nach dem Ersten Weltkrieg und zu Beginn der Weimarer Republik bis Herbst 1919 ihre Geschäftsstelle unterhielt.[10]
Ab Ende 1919 wurde das Palais Simon als Handels- und Industriemuseum der Industrie- und Handelskammer Hannover genutzt.[11][Anm. 1]
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde zwar rasch der Simonplatz und die nahegelegene Simonstraße umbenannt,[1] das Palais aber nach einer Neukonzeption durch Herbert Röhrig und 1937 nach einer kostenintensiven Neugestaltung zur Förderung der NS-Hochkonjunktur inhaltlich neu gestaltet. Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Exponate des Museums durch die Luftangriffe auf Hannover beim Bombenangriff am 9. Oktober 1943 durch Fliegerbomben vollständig,[12][Anm. 2] das Gebäude selbst jedoch nur leicht zerstört.[2]
In den frühen Wirtschaftswunderjahren nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde unter dem Stadtbaurat Otto Meffert, der im Wesentlichen den Planungen seines Vorgängers Karl Elkart folgte, die im Zuge der autogerechten Stadt geplante Entlastungsstraße am westlichen Ufer der Leine[2] realisiert durch die 1951 angelegte Straße Leibnizufer.[13] Während jedoch die 3. Fassung dieser Planungen die historisch bedeutsamen Bausubstanzen eher geschont hätte, setzten sich die radikaleren Vorstellungen des Stadtplaners Rudolf Hillebrecht durch, der „[...] eine 60 m breite Schneise durch die ehemalige Bebauung zwischen Goethestraße und Königsworther Platz“ bevorzugte. Dieser Lösung fiel nicht nur das 1952 abgerissene Palais Simon zum Opfer, sondern ebenso die schon 1951 abgebrochene „[...] Brückmühle durch die überdimensionierte Leineuferstraße an deren Einmündung in den Friederikenplatz.“[2]
Literatur
- Herbert Röhrig: Das Handels- und Industrie-Museum zu Hannover. Was es will und wie es werden soll In: Wirtschaftsblatt Niedersachsen. (Jahrgang 1934, Nummer 19/20), Handels- und Industrie-Museum der Industrie- und Handelskammer zu Hannover, Hannover [1934].
- N.N.: Handels- und Industrie-Museum Hannover der Industrie- und Handelskammer zu Hannover. Führer. Prospekt, IHK, Hannover 1938
- Albert Lefèvre: 100 Jahre Industrie- und Handelskammer zu Hannover. 1866–1966. Auftrag und Erfüllung. Verlag für Wirtschaftspublizistik Bartels, Wiesbaden 1966, S. 66 u.ö.
Siehe auch
- Villa Simon, die ab 1858 ebenfalls von Heinrich Christian Tramm erbaute, später denkmalgeschützte[14] und in städtebaulichem Zusammenhang stehende Villa für den Bruder von Israel Simon, dem Obergerichtsanwalt Eduard Simon.[15]
- Liste abgegangener Bauwerke in Hannover
- Geschichte der Juden in Hannover
Anmerkungen
- Davon abweichend wird das Jahr 1906 als Eröffnungsdatum des Museums genannt, vergleiche Thomas Schwark: Handels- und Industriemuseum. In: Stadtlexikon Hannover, S. 251f.
- Wörtlich ebenda: „[...] Zerstörung u. Totalverlust bei Bombenangriff [...]“, wodurch der Eindruck entstehen kann, nicht nur die Ausstellung, sondern auch das Palais wäre total zerstört worden
Einzelnachweise
- Waldemar R. Röhrbein: Simon, (1) Israel. In: Hannoversches Biographisches Lexikon. S. 335; online über Google-Bücher
- Friedrich Lindau: Planen und Bauen der Fünfziger Jahre in Hannover. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 1998, ISBN 3-87706-530-9. passim; großteils online über Google-Bücher
- Architekten- und Ingenieur-Verein Hannover (Hrsg.), Theodor Unger (Red.): 24. C4. Gewerbevereinshaus, in dies.: Hannover. Führer durch die Stadt und ihre Bauten. Festschrift zur fünften Generalversammlung des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine. Klindworth, Hannover 1882, S. 9, nebst dem der Schrift beigefügten Stadtplan Hannover, dort Planquadrat C4, Nummer 24
- Helmut Zimmermann: Brühlstraße, in ders.: Die Strassennamen der Landeshauptstadt Hannover, Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1992, ISBN 3-7752-6120-6, S. 49.
- Helmut Zimmermann: Escherstraße. in ders.: Die Straßennamen .... S. 74.
- Helmut Knocke, Hugo Thielen: Welfengarten 1. In: Hannover. Kunst- und Kultur-Lexikon. S. 214ff.
- Vergleiche beispielsweise das Digitalisat einer Fotografie der Situation aus dem Jahr 1884.
- Vergleiche den Abdruck einer im Besitz des Historischen Museum Hannover befindlichen Fotografie aus dem Jahr 1870 in Ludwig Hoerner: Simonsplatz und Clevertorwache, 1870, in ders.: Hannover in frühen Photographien. 1848–1910. Schirmer-Mosel, München 1979, ISBN 3-921375-44-4. (Mit einem Beitrag von Franz Rudolf Zankl), S. 182f.
- Lars Ruzik: Spät gezündet, schnell aufgeholt. Die Industrie- und Handelskammer feiert 150-Jähriges - und wählt am Montag ihren 23. Präsidenten. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 30. Januar 2016, S. 12.
- Rainer Ertel: Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover. In: Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.) u. a.: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 316.
- N.N.: Mitteilungen der Gauß-Gesellschaft, Ausgabe 27, 1990, S. 62; Vorschau über Google-Bücher
- Thomas Schwark: Handels- und Industriemuseum. In: Stadtlexikon Hannover. S. 251f.
- Leibnizufer. In: Helmut Zimmermann: Die Strassennamen der Landeshauptstadt Hannover. Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1992, ISBN 3-7752-6120-6, S. 157.
- Gerd Weiß, Marianne Zehnpfennig: Die nördliche Vorstadt Königsworth. In: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Hannover, Teil 1, Band 10.1, hrsg. von Hans-Herbert Möller, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt - Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege, Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/Wiesbaden 1983, ISBN 3-528-06203-7, S. 96–99; hier, S. 96.; sowie Calenberger Neustadt im Addendum zu Band 10.2: Verzeichnis der Baudenkmale gem. § 4 (NDSchG) (ausgenommen Baudenkmale der archäologischen Denkmalpflege) / Stand: 1. Juli 1985 / Stadt Hannover. S. 5f.
- Herbert Obenaus: Brühlstraße 27: Die Villa Simon. In: Die Universität Hannover. Ihre Bauten, ihre Gärten, ihre Planungsgeschichte. Hrsg. im Auftrag des Präsidenten der Universität Hannover von Sid Auffarth und Wolfgang Pietsch, Imhof, Petersberg 2003, ISBN 3-935590-90-3, S. 239–246.