Naive Kunst
Naive Kunst ist eine Sammelbezeichnung für künstlerische Arbeiten von Autodidakten, vorwiegend in der Malerei (auch Laienmaler genannt)[1], mit betont einfacher, unbekümmerter, fantasievoller Wahl der Bildmotive. Die Art der Darstellung ist ebenfalls oft einfach, beispielsweise ohne Schattenwürfe, mit vereinfachter Darstellung der Lebewesen und Gegenstände. Die Werke stellen oft die persönlichen Wunschträume der Urheber dar.
Geschichte
Ab dem späten 19. Jahrhundert wurde die Naive Kunst der Laien in Paris zuerst von modernen Künstlern, später von Kunstkennern, wie dem Kunsthistoriker Wilhelm Uhde, entdeckt: etwa 1885 der Zollangestellte Henri Rousseau, 1889 der Postbeamte Louis Vivin, 1912 die Putzfrau Séraphine Louis, 1915 der Zirkusathlet Camille Bombois, 1927 der Gärtner André Bauchant. Uhde präsentierte sie 1928 in Paris in einer ersten Ausstellung als Maler des Heiligen Herzens (Peintres du Coeur sacré).
Ende der 1920er Jahre benutzte der deutsche Kunstschriftsteller Wilhelm Uhde zum ersten Mal den Begriff „Naive Kunst“, als er in der Ausstellung Maler des heiligen Herzens Künstler wie den von ihm entdeckten Henri Rousseau, Louis Vivin, Séraphine de Senlis, Camille Bombois oder André Bauchant vereinte. Später förderte er den bekanntesten deutschen Naiven, Adalbert Trillhaase (1858–1936). Der Erfurter Kaufmann und Maler wurde in der NS-Zeit als entartet gebrandmarkt und durfte nicht mehr ausstellen. Von Trillhaase stammt eines der wichtigsten Bilder: Der barmherzige Samariter.Die Predigt am See oder Die Verspottung Christi sind aber auch Bilder, in denen sich einfache schicksalhafte Augenblicke für den einzelnen Menschen widerspiegeln. Trillhaase gilt heute als der bedeutendste Naive Maler Deutschlands. Er starb 1936 in Niederdollendorf (heute Stadtteil von Königswinter). Hier erinnert noch der Name des Parks Trillhase, in dem einst seine Villa (1959 abgebrannt) stand, an den bedeutenden Künstler.
Naive Kunst erlangte große Bekanntheit mit einer umfangreichen Wanderausstellung, die 1937 unter dem Titel Maîtres populaires de la réalités in der Salle Royale, Paris, und im Kunsthaus Zürich zu sehen war und 1938 als Masters of Popular Painting in der Galerie Arthur Tooths & Sons, London, sowie dem Museum of Modern Art in New York. Als späte Entdeckung gilt der georgische Maler der Jahrhundertwende Niko Pirosmani.
In der Nachkriegszeit gewann die Naive Malerei, insbesondere aus Serbien, aus dem Ort Kovačica, große Popularität.[2][3] Es wurden bereits mehrere Bildbände, in verschiedenen Sprachen, veröffentlicht und es fanden zahlreiche internationale Ausstellungen, unter anderem in Zusammenarbeit mit der UNESCO, statt.[4] Erwähnenswerte Künstler sind Zuzana Halupova (Zuzana Chalupová), Martin Jonaš, Jan Sokol, Zuzana Vereski, Ana Knjazović-Mijailović und viele weitere. Bilder von Zuzana Halupova (Zuzana Chalupová) wurden auch auf Grußkarten der UNICEF gedruckt und fanden in diversen Projekten Verwendung.[5][6] Noch heute gilt Kovačica als Mekka der naiven Kunst und genießt internationale Anerkennung.[7] Unter anderem kauften Lady Di und Montserrat Caballé Bilder von Künstlern aus Kovačica.[8] Abgesehen von Ölgemälden werden auch andere Kunstgegenstände in Kovačica angefertigt, wie kunstvoll bemalte getrocknete Kürbisse und handgearbeitete Püppchen.[9] Im Ort gibt es die Galerija Naivne Umetnosti, welche ihre Ausstellung monatlich wechselt.[10][11] Ein weiterer für diese Kunstgattung bekannter Ort in Serbien ist Jagodina. Die Exponate des ortsansässigen Museums wurden schon einige Male international ausgestellt, beispielsweise in Malta. Ein bekannter Vertreter der Naiven Kunst aus Jagodina ist Janko Brašić.[12]
Der Kroate Ivan Generalić gilt als der bekannteste Künstler dieser Stilrichtung in seiner Heimat. In Bulgarien ist es Radi Nedelchev. In Deutschland verfügt das Museum Charlotte Zander Bönnigheim und das Clemens-Sels-Museum Neuss über eine größere Sammlung Naiver Kunst. In Italien wurde die Naive Malerei von Antonio Ligabue wiederentdeckt. Grandma Moses ist die bekannteste US-amerikanische Naive Malerin. In Deutschland wirkten Petra Moll, Jörn Meyer und Maria Felder. In Polen wurde der gehörlose Maler Nikifor spät anerkannt. Im Arabischen Raum war Ibrahim Ghannam ein Pionier der naiven Malerei.
Begriff
Der Begriff naive Kunst steht in Konkurrenz zu Begriffen wie Art brut, Outsider Art und Zustandsgebundene Kunst, die sich – wenn auch aus jeweils etwas anderer Perspektive – ebenfalls auf Bildwerke von Autodidakten beziehen. Bei der Bezeichnung naive Kunst liegt der Akzent stärker auf der Darstellungsweise, auf formalen und thematischen Gesichtspunkten, während bei den drei anderen Begriffen die soziale Stellung der Künstler oder ihr geistiger Zustand ausschlaggebend sind. Eine klare Abgrenzung der genannten Begriffe ist aber kaum möglich; die meisten Bilder von Autodidakten lassen sich mehreren dieser Kategorien zuordnen.
Museen (Auswahl)
Belgien:
Brasilien:
- Museu do Sol in Penápolis
- Museo Internacional de Arte Naïf de Brazil in Cosme Velho, Rio de Janeiro[16]
- Galeria Jacques Ardies in São Paulo[17]
Deutschland:
- Kunstmuseum Sammlung Zander im Stadionschen Schloss in Bönnigheim
- Sammlung naiver Kunst im Vestischen Museum in Recklinghausen (seit seiner Schließung eingelagert)
- Abteilung für naive Kunst im Clemens Sels Museum Neuss in Neuss
- Sammlungsbereich zur naiven Kunst im Museum Europäischer Kulturen in Berlin
- Sammlung polnischer naiver Kunst (Sammlung Hans-Joachim und Christina Orth) in der Gemälde- und Skulpturensammlung der Stadt Nürnberg (als Dauerleihgabe bei den Berliner Museen)
- Museum Haus Cajeth in Heidelberg[18]
Frankreich:
- Musée International d’Art Naïf Anatole Jakovsky in Nizza[19]
- Halle Saint Pierre in Paris
- Musée d’art naïf de Vicq en Île-de-France in Vicq[20]
- Musée du vieux-château in der Burg Laval in Laval
- Musée municipal d'Art Naïf et Populaires in Noyer-sur-Serein
- LaM – Lille Métropole, musée d’art moderne, d’art contemporain et d’art brut in Villeneuve-d’Ascq
- M.A.N. Musée d'Art Naif in Béraut
Israel:
Italien:
- Museo Nazionale delle Arti NaÏves Cesare Zavattini in Luzzara
Kanada:
Kroatien:
- Kroatisches Museum für Naive Kunst in Zagreb
- Galerija naivne umjetnosti in Hlebine[23]
Polen:
Portugal:
- Museu De Arte Primitiva Moderna in Guimarães
Russland:
- Museum für russisches Lubok und naive Kunst (Музей русского лубка и наивного искусства) in Moskau[25]
Schweiz:
Serbien:
- Museum für naive Kunst und Grenzkunst (Muzej Naivne i Marginalne Umetnosti) in Jagodina[26]
- Galerie für naive Kunst in Kovačica (Галерија наивне уметности у Ковачици)[27]
Spanien:
- Museum für naive Kunst in Figueres
USA:
- American Folk Art Museum in New York City
- Anthony Petullo Collection in Milwaukee[28]
- Croatian Naive Art Gallery & Museum collection in Saint Petersburg, Florida
Literatur
- Masters of Popular Painting. Museum of Modern Art, New York 1938 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung).
- Eva Karcher: Die Maler des Heiligen Herzens. Museum Charlotte Zander, Bönnigheim 1996, ISBN 3-926318-23-6.
- Oto Bihalji-Merin: Die Kunst der Naiven. Themen und Beziehungen. München 1975 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Haus der Kunst, 1. November 1974 bis 12. Januar 1975).
- Oto Bihalji-Merin: Die Naiven der Welt. Rheingauer VG, Eltville 1986, ISBN 3-88102-071-3 (Nachdr. d. Ausg. Stuttgart 1971).
- Volker Dallmeier: Naive Kunst. Geschichte und Gegenwart. Bielefeld 1981 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Kulturhistorisches Museum, 8. März bis 10. Mai 1981).
- Otto A. Ehlers: Sonntagsmaler. Das Bild des einfältigen Herzens. Selbstverlag, Berlin 1956.
- Thomas Grochowiak: Deutsche naive Kunst. Verlag Bongers, Recklinghausen 1976, ISBN 3-7647-0253-2.
- Wilhelm Wartmann (Mitarb.): Les Maîtres populaires de la réalités. Salle Royale, Paris 1937 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, Musée de Grenoble, 4 bis 28. November 1937).
Weblinks
Einzelnachweise
- Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann; beyars.com
- Hamburger Abendblatt - Hamburg: Die Dörfer der malenden Bauern und Fischer. (abendblatt.de [abgerufen am 20. Dezember 2017]).
- Ruth Dirx: „Wenn ich auf dem Feld arbeite, sehe ich so viele Bilder“: Malen - ein aufregendes Spiel. In: Die Zeit. 21. November 2012, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 20. Dezember 2017]).
- Exhibition | Slovak naive painting in Serbia. 28. November 2014, abgerufen am 20. Dezember 2017.
- In memorijam Zuzana Halupova" | Lokal | 92.1 Info. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 22. Dezember 2017; abgerufen am 11. Januar 2022 (sr-YU).
- Kovačica - Svaka kuća atelje. Abgerufen am 8. August 2018 (sr-Latn).
- Fenomen kovačičkog slikarstva istrajava - Hlas ljudu. In: Hlas ljudu. 6. Mai 2015 (hl.rs [abgerufen am 8. August 2018]).
- MOJE SLIKE KUPOVALA JE PRINCEZA DAJANA: Ispovest naše slikarke iz Kovačice! (FOTO) (VIDEO). Abgerufen am 8. August 2018 (serbisch).
- Archivierte Kopie (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
- http://www.naivnaumetnost.com/
- Glassrbije.org. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 22. Dezember 2017; abgerufen am 11. Januar 2022.
- Srpska naivna umetnost na Malti | Kancelarija za saradnju sa dijasporom. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 22. Dezember 2017; abgerufen am 11. Januar 2022 (sr-RS).
- Website des Musée d'Art Spontané
- Website des Art et Marges Musée
- Website des MADmusée
- Website des Museo Internacional de Arte Naïf de Brazil
- Website der Galeria Jacques Ardies
- Website des Museum Haus Cajeth
- Website des Musée International d’Art Naïf Anatole Jakovsky
- Website des Musée d’art naïf de Vicq en Île-de-France
- Website der Gallery of International Naïve Art (gina)
- Website des Musée international d'art naïf de Magog
- Website der Galerija naivne umjetnosti
- Website der Galerie d'Art Naif (Memento vom 28. Dezember 2008 im Internet Archive)
- Museum für russisches Lubok und naive Kunst auf der Website www.russianmuseums.info
- Website des Muzej Naivne i Marginalne Umetnosti (Memento vom 22. Februar 2012 im Internet Archive)
- Website der Galerie für naive Kunst
- Website der Anthony Petullo Collection of Self-Taught & Outsider Art