Mithraismus und Christentum

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden von Religionswissenschaftlern Parallelen zwischen dem Mithraismus und dem Christentum sowie zwischen der Figur des Mithras und Jesus Christus in diesen beiden Religionen gesehen. Es wurde dabei auch geäußert, das Christentum habe Teile seiner Lehren und Bräuche vom Mithraskult übernommen. Beim Weihnachtsfest ist dies weitgehend unbestritten, bezüglich anderer Punkte herrscht Uneinigkeit.[1][2] Der römische Kult um den Mithras geht auf den Gott Mithra (avestisch Miθra und Miθrō) aus der iranischen Mythologie zurück. Hierbei wies der ‚römische Mithras‘ große Unterschiede zum ‚iranischen Mithra‘ auf. Trotz eines gemeinsamen Ursprungs können beide Gottheiten nicht gleichgesetzt werden.

Mithras-Darstellung (Sol Invictus), 2. Jahrhundert, British Museum
Christus-Darstellung aus Hinton St Mary, 4. Jahrhundert, British Museum
Mosaik des Christus als Sol Invictus in der vatikanischen Nekropole, 3. Jh.
Das Römische Reich 60 n. Chr. Dies entspricht ungefähr dem Verbreitungsraum des römischen Mithraismus

Argumentationen

Die Ansichten s​ind unter Religionswissenschaftlern, Historikern u​nd Theologen geteilt. Manche meinen, d​er Mithraismus s​ei einer d​er Hauptkonkurrenten d​es Christentums gewesen. Nach Ernest Renans Werk v​on 1882 (Marc Aurèle o​u la f​in du m​onde antique, Seite 390) wäre d​ie westliche Welt mithrasgläubig geworden, w​enn das Christentum aufgrund zufälliger Ereignisse i​n seiner Ausbreitung gehemmt worden wäre. Andere Religionshistoriker s​ehen rückblickend i​m Mithraismus n​icht nur e​inen Konkurrenten, sondern a​uch einen Wegbereiter d​es Christentums i​m Römischen Reich. Zeitgenössische Kirchenväter wiederum w​ie Tertullian o​der Hieronymus h​aben den Mithraskult a​ls Nachahmung d​es Christentums bezeichnet.

Heutige Autoren g​ehen davon aus, d​ass der Mithraskult k​eine starke Konkurrenz für d​as Christentum darstellte. Die seltenen Erwähnungen i​n Texten d​er Kirchenväter lassen n​icht auf e​ine wirkliche Auseinandersetzung zwischen d​en beiden Religionen schließen, a​uch hat s​ich der Mithraskult gerade i​n den s​chon früh christlich geprägten Gegenden w​ie Kleinasien, Nordafrika u​nd Griechenland k​aum verbreitet. Die Organisation i​n kleinen Kultgemeinden u​nd die Beschränkung n​ur auf Männer a​ls Mitglieder lassen e​her an esoterisch gestimmte Männerbünde a​ls an e​ine wirkliche Gemeindereligion w​ie das Christentum denken; b​eide sprachen e​ine völlig verschiedene Zielgruppe an. Der Mithraskult g​ing demnach e​her im Wandel d​er gesellschaftlichen Strukturen zugrunde a​ls aufgrund gesetzgeberischer Maßnahmen. Auch soziologisch w​ar der Mithraskult i​n anderen Schichten verbreitet a​ls das Christentum. Reinhold Merkelbach vermutet, d​ass der Mithraismus a​ls Religion d​er Loyalität z​um Kaiser m​it dessen Hinwendung z​um Christentum einfach s​ein Fundament verloren habe.

Postulierte Parallelen

Von d​en religiösen Inhalten d​es Mithraskults u​nd der Bedeutung d​er Rituale i​st sehr w​enig überliefert. Da e​s ein Geheimkult war, g​ibt es k​aum schriftliche Zeugnisse. Von d​aher sind d​iese Parallelen i​n vielen Fällen n​icht historisch gesichert, sondern moderne Interpretationen d​er mithräischen Bildwerke u​nd Kultgegenstände s​owie Berichte v​on außenstehenden römischen Chronisten. Die v​on heutigen Verfechtern dieser Parallelen hauptsächlich verwendeten Quellen s​ind Ernest Renans Marc-Aurèle e​t la f​in du m​onde antique v​on 1882 u​nd Franz Cumonts Textes e​t monuments figurés relatifs a​ux mystères d​e Mithra v​on 1896–99, hingegen n​icht neuere Werke über d​en Mithraskult beispielsweise v​on Manfred Clauss o​der Walter Burkert.

  • Mithras wurde von einem Vatergott ausgesandt, um als Weltretter das Dunkle und Böse in der Welt zu überwinden.
  • Mithras wurde aus einem Felsen heraus „geboren“: Er stürmte als Erwachsener mit Fackeln in beiden Händen heraus, daneben standen Hirten und Tiere.
  • Mithras hielt mit zwölf seiner Anhänger ein letztes Abendmahl, bevor er starb, begraben wurde und auferstand von den Toten.
  • Als „Sol invictus“ wird Mithras in der Ikonografie mit einem Strahlenschein um den Kopf dargestellt (vgl. Aureole)
  • Die Mithraisten glaubten (ähnlich wie bereits zuvor die Anhänger des Zoroastrismus) an Himmel und Hölle, an ein Jüngstes Gericht, eine Auferstehung der Toten und eine Wiederkehr Mithras zur endgültigen Überwindung des Bösen.
  • Da Mithras als Sonnengott angesehen wurde, war der Sonntag („dies solis“) der ihm geweihte Tag.
  • Das Kreuz war ein wichtiges mithräisches Symbol.[3]
  • Die Mithraisten feierten ein Untertauch-Ritual oder eine Besprenkelung mit Stierblut zur Aufnahme in die Kultgemeinschaft (vgl. Taufe). Die Taufe mit Wasser als mögliche Vorlage für den christlichen Kult gab es aber bereits im Alten Ägypten, wie zahlreiche Tempelreliefs belegen.
  • Die Mithraisten feierten einen Ritus mit Brot, Fleisch und Wasser oder Wein (vgl. Abendmahl Jesu).[4]
  • Die vier größten Mithraischen Feste fanden zur Sommer- und Wintersonnwende und zur Frühlings-Tagundnachtgleiche und Herbst-Tagundnachtgleiche statt (vgl. Weihnachten, Ostern).
  • Der höchste Priester des Mithrakults wurde „Papa“ genannt und trug als Amtszeichen eine rote phrygische Mütze (die „Mitra“, der Vorläufer der Bischofsmütze), ein rotes Gewand, einen Ring und einen Hirtenstab.
  • Bedeutungen des aus dem altpersischen Mithra (Miθra) abgeleiteten mittel- und neupersischen Begriffs Mihr (مهر): „Licht, Liebe, Barmherzigkeit, Freundschaft/Freundlichkeit, Mitgefühl“.
  • Das mithraische Sonnensymbol » + « als gleichschenkliges Kreuz (vgl. auch Swastika).

Unterschiede

Unterschiede zwischen d​em Mithraismus u​nd dem Christentum s​ind u. a.:

  • Der Mithraismus basiert nicht auf dem Judentum.
  • Mithras erlebt keine Passion, sondern tritt als unbesiegter Held auf.
  • Zentrales Thema Opferung: Mithras opfert einen Stier, während Jesus „sich selbst“ opfert (vgl. Osiris).
  • Das Christentum ist kein astronomischer/astrologischer Kult.
  • Das Christentum ist kein Mysterienkult.
  • Das Christentum nimmt auch Frauen in die Gemeinschaft auf; allerdings dürfen Frauen in einigen christlichen Kirchen – Katholizismus und Orthodoxie – keine Weihe empfangen.

Heute allgemein anerkannte Punkte

  • Beide Religionen verbreiteten sich im zweiten und dritten Jahrhundert im Römischen Reich.
  • Der Mithraismus ist zwar in seinen Ursprüngen älter als das Christentum, ist aber innerhalb des Römischen Reichs erst ab dem Ende des 1. Jahrhunderts nachgewiesen, also zu einer Zeit, als die Hauptschriften des Christentums bereits in der heutigen Form existierten.
  • Da der Mithraskult nicht mit der Verehrung des Gottes Mithra identisch ist, sondern sich vermutlich daraus entwickelt hat, können Parallelen zwischen dem Mithraismus und dem Christentum auch durch Übernahme christlicher Riten oder Gedanken durch den Mithraismus erklärt werden. Die „Richtung“ der Übertragung muss für jedes Element einzeln anhand der Quellenlage geprüft und darf nicht pauschal behauptet werden.
  • Die Übernahme des Dies solis invicti (Geburtstag des Mithras) am 25. Dezember durch das Christentum und dessen Umdeutung zum Geburtstag Jesu, festgelegt durch einen Bischof von Rom im 4. Jahrhundert, ist weitgehend unbestritten. Es dauerte allerdings noch bis ins Mittelalter, bis das Weihnachtsfest das ältere Epiphaniasfest an Bedeutung übertraf. Außerdem gibt es schon Anfang des dritten Jahrhunderts erste Hinweise auf den 25. Dezember als Tag der Geburt Jesu.[5]
  • Das christliche Auferstehungsfest Ostern fällt zwar etwa in die Zeit der Frühlings-Tagundnachtgleiche, zu der auch das mithräische Fest gefeiert wurde. Jedoch ist hier eine Übernahme des Datums vom Mithraskult praktisch auszuschließen, da die Passion Jesu direkt mit dem vom Mithraskult völlig unabhängigen Datum des jüdischen Pessach verbunden ist.
  • Der Sonntag als der Wochentag, an dem die Christen Gottesdienste abhalten, wurde bereits von Justin dem Märtyrer im 2. Jahrhundert erwähnt, 150 Jahre bevor Konstantin der Große den dies solis als arbeitsfreien Tag einführte und 100 Jahre bevor Aurelian den dies solis invicti zum Feiertag erklärte. Dass die Christen den Sonntag wählten, hängt damit zusammen, dass die Auferstehung Jesu nach dem Bericht der Evangelien am Tag nach dem Sabbat stattgefunden hat.

Siehe auch

Literatur

  • David Ulansey: Die Ursprünge des Mithraskults. Kosmologie und Erlösung in der Antike. Theiss, Stuttgart 1998. ISBN 3-8062-1310-0.
  • Walter Burkert: Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt. 5. Auflage, Beck, München 2013, ISBN 3-4066-4368-X.
  • Manfred Clauss: Mithras. Kult und Mysterien. Beck, München 1990, 1990, ISBN 3-406-34325-2; aktualisierte Neuauflage: von Zabern, Mainz 2012, ISBN 978-3-8053-4581-1.
  • Franz Cumont: Die Mysterien des Mithra. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit. 1923, 5. Auflage, Teubner, Stuttgart 1993, ISBN 3-519-07204-1.
  • Karl-Heinz Garnitz: Dodicheus. Der Untergang der Mithrasreligion. epubli, Berlin 2009, ISBN 978-3-941071-88-9.
  • Sebastian Buck: Mithras. Geschichte einer Gottheit., Steinfurt 2021, ISBN 979-85-9149141-3.
  • Joseph Schumacher: Die Mystik im Christentum und in den Religionen. Vorlesungsskript WS 2003/2004 Universität Freiburg, Kapitel II: Das Wesen der Mystik, S. 123 ()

Einzelnachweise

  1. Hans Kloft: Mysterienkulte der Antike. Götter, Menschen, Rituale. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-73659-9, S. 69–81
  2. Adolf von Harnack: Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten. J.C. Hinrichs, Leipzig 1906, S. 351 ( auf archive.org)
  3. Karl Georg Wieseler: Untersuchungen zur Geschichte und Religion der Alten Germanen in Asien und Europa. Mit religionsgeschichtlichen Parallelen., J. Hinrichs, Leipzig 1881, S. 156–158
  4. In den Mithraskulten sollten ‚Brot‘ und ‚Wein‘ dem Initiierten die Kraft und Weisheit in seiner irdischen Existenz sowie die paradiesische Unsterblichkeit in einem jenseitigen Leben verleihen. Siehe hierzu Max Ortner: Griechisch-römisches Religionsverständnis und Mysterienkulte als Bausteine der christlichen Religion. Dissertationsschrift, Universität Wien, Oktober 2009 ( auf othes.univie.ac.at, S. 108)
  5. Beispielsweise hat Julius Africanus den 25. März als Tag der Empfängnis bezeichnet, was bei 9-monatiger Schwangerschaft eine Geburt am 25. Dezember ergibt.
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