Marschenfieber
Das Marschenfieber (Marschenkrankheit, Marschkrankheit, Ernteseuche, Wechselfieber, Stoppelfieber, Drüddendagsfeber oder Dreitagefieber, Drei-Tage-Fieber resp. 3-Tage-Fieber; teilweise auch zu Unrecht: Morbus Ditmarsicus, Dithmarschen-Krankheit, Dithmarsische Krankheit etc. pp.)[1][2] ist die deutsche Bezeichnung für die Malaria tertiana, eine Form der Malaria, die auch in Deutschland vorkam. Die Krankheit wurde vor allem von Malariamücken der Art Anopheles atroparvus übertragen, die in den Marschen Norddeutschlands verbreitet war. Inzwischen sind diese Marschen weitgehend trockengelegt.
Geschichte
Malaria war in der Vergangenheit auch in Ländern mit gemäßigtem Klima, darunter in Deutschland, verbreitet. Bis zum Ende des Mittelalters waren die Berichte über auftretende Epidemien so ungenau, dass Malaria darin nur schwer von anderen Erkrankungen mit fiebrigem Verlauf zu unterscheiden ist. Als gesichert gilt, dass große Teile Europas in den Jahren 1557/58 unter einer Malariaepidemie litten. Bis ins 18. Jahrhundert gab es zahlreiche derartige Epidemien. Betroffen waren große Teile Deutschlands, vor allem aber die Marschen und Moore an der Küste sowie die Gebiete entlang der großen Flüsse. Während einer Epidemie im Jahre 1826 soll in Ostfriesland jedes zweite Kind an Marschenfieber erkrankt sein.[3] Aemil Storm (1833–1897), Theodor Storms jüngster Bruder, verfasste eine zwanzigseitige Arbeit über die Krankheit.[4]
In der Folgezeit wurden durch Flussbegradigungen und Moorkolonisierung zahlreiche Brutplätze für Mücken zerstört. Das zum Teil unter Meeresniveau liegende Gebiet an der Nordseeküste Deutschlands wurde mit viel technischem Aufwand bearbeitet. Sinn der Urbarmachung und der Moortrockenlegungen war es, weiteres Acker- und Weideland zu erhalten und durch zuverlässige Entwässerung den Ertrag der Marschflächen zu verbessern. In der entstehenden Kulturlandschaft verdrängte Anopheles maculipennis typicus die fieberübertragende Anopheles maculipennis messeae. Gleichzeitig verbesserte sich die Wohnsituation der Bevölkerung, so dass die Menschen seltener gestochen wurden. Demgegenüber hatten Medikamente oder die Anwendung von Insektiziden für den Rückgang des Wechselfiebers in Deutschland nur geringe Bedeutung.[3]
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Wechsel- oder Marschenfieber aus Deutschland fast verschwunden, lediglich um Emden und Aurich in Ostfriesland sowie um Breslau, Oppeln und den Kreis Pleß in Schlesien waren endemische Krankheitsherde übriggeblieben.[3]
In den 1940er Jahren bekämpfte der Hygieniker Ernst Rodenwaldt für die Wehrmacht erfolgreich, nach dem Vorbild der ab 1901 ergriffenen Maßnahmen Robert Kochss, das Marschenfieber in den Niederlanden.[5] Nach beiden Weltkriegen flammte die Krankheit kurzzeitig wieder auf, als viele Menschen unter schwierigen hygienischen Bedingungen in Notunterkünften leben mussten. In Emden kam es 1918 zu einer Epidemie mit etwa 4000 Erkrankungsfällen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg trat das Wechselfieber in Deutschland wieder auf. Es wurde durch die feucht-warmen Sommer 1945 und 1946 und die zahlreichen Mückenbrutplätze in den zerstörten Städten begünstigt. In Berlin wurden bis Ende 1947 651 Fälle gezählt, in Hamburg 88.[3]
Erreger
Bei dem in Deutschland einheimischen Wechselfieber handelte es sich in den allermeisten Fällen um Malaria tertiana. Die Übertragung von Malaria quartana und Malaria tropica kann im Prinzip auch durch einheimische Stechmücken geschehen, sie ist jedoch weniger wahrscheinlich.[3]
Die Entwicklungszeit des Erregers in der Mücke ist stark von der Temperatur abhängig, sie dauert in gemäßigten Breiten länger als in den Tropen. Fieberepidemien traten daher vor allem in heißen Sommern auf, während kalte Sommer sie zum Erliegen bringen konnten. Bei 20 °C benötigt Plasmodium vivax, der Erreger der tertiären Malaria, nur 17 Tage zur Entwicklung. Die Erreger der Malaria tropica brauchen bei derselben Temperatur 23 Tage, die Erreger von Malaria quartana sogar 35 Tage.[3]
Pl. vivax und Pl. ovale, die Auslöser der Malaria tertiana, können im Gegensatz zu anderen Plasmodien als Hypnozoiten in der Leber eines infizierten Menschen überdauern. Die Erkrankung bricht häufig nicht nach einer kurzen Inkubationszeit von 8 bis 16 Tagen aus, sondern erst nach einer „primären langen Latenz“ von mehreren Monaten. Auf diese Weise konnten die Erreger die „mückenlosen“ Wintermonate überstehen. Über das Jahr betrachtet traten die Erkrankungsfälle mit Wechselfieber vor allem im Frühjahr und im Spätsommer auf. Im Frühjahr waren viele Menschen jahreszeitlich bedingt geschwächt, was das latente Wechselfieber ausbrechen ließ. Im Spätsommer häuften sich die Fälle, in denen die Krankheit nach einer Neuinfektion mit kurzer Inkubation verlief.[3]
Literatur
- Stefanie Kaupa: Malaria in den Marschen Schleswig-Holsteins. In: Dominik Collet, Manfred Jakubowski-Tiessen (Hrsg.): Schauplätze der Umweltgeschichte in Schleswig-Holstein (= Universitätsdrucke). Universitätsverlag, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86395-041-5, S. 65–73, doi:10.17875/gup2013-477.
Weblinks
- Otto S. Knottnerus: Malaria around the North Sea. A Survey. 2002, abgerufen am 23. Februar 2015.
Einzelnachweise
- Heinrich August Pierer (Hrsg.): Pierer’s Universal-Lexikon. 4., umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Band 5. Verlagsbuchhandlung von H. A. Pierer, Altenburg 1858, S. 196 (zeno.org).
- Raphael Herder und Benjamin Herder (Hrsg.): Herders Conversations-Lexikon. 1. Auflage. Band 2. Herder’sche Verlagshandlung, Freiburg im Breisgau 1854, S. 409–410 (zeno.org).
- Margot Kathrin Dalitz: Autochthone Malaria im mitteldeutschen Raum. Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg 2005 (sundoc.bibliothek.uni-halle.de – Dissertation).
- Aemil Storm (Aemilius Storm): De febre sic dicta marchica. 1. Auflage. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Universitätsbuchhandlung), C. F. Mohr, Kiel 1857 (daten.digitale-sammlungen.de – Latein: De febre sic dicta marchica. Dissertation).
- Gundolf Keil: Robert Koch (1843–1910). Ein Essai. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 73–109, hier: S. 82.