Marienkirche (Husum)
Die Husumer Marienkirche, erbaut von 1829 bis 1833 nach Entwürfen des dänischen Staatsbaumeisters Christian Frederik Hansen, gilt als eines der Hauptwerke des Klassizismus im Lande Schleswig-Holstein.
Vorgängerbau
Husum war bis zum 14. Jahrhundert ein unbedeutendes Dorf im Kirchspiel Mildstedt. Nach der Großen Mandränke lag der Ort direkt am Meer und nahm langsam an Größe und Bedeutung zu. 1431 erhielt der Flecken das Recht auf eine eigene Kapelle.[1] Doch gehörte die 1436 fertiggestellte Heilig-Kreuz-Kapelle anfangs noch zum Kirchspiel Mildstedt und wurde erst 1448 selbständige Pfarrkirche mit dem Patrozinium der Gottesmutter Maria. Durch mehrere Ausbauten und Erweiterungen bis zur Fertigstellung des gotischen Chores 1510 wurde daraus einer der größten Sakralbauten des Landes. Der Herzog und spätere König Friedrich I. ließ auf seine Kosten den „fürtrefl.“ Turm errichten.[2] Die Turmspitze wurde mehrfach durch Sturm und Blitzschlag geschädigt und in neuer Form wiederaufgebaut.[3] Der zuletzt fast hundert Meter hohe Turm hatte einen steilen Achteckhelm und war mit einer barocken Laterne bekrönt.
Ende des 18. Jahrhunderts zeigte sich eine erhebliche Baufälligkeit: Der auf einer Endmoräne errichtete Bau wies wegen der unterschiedlichen Bodenverdichtungen der einzelnen Bauteile zunehmend Risse auf. Der Turm neigte sich nach Westen.[4] Trotz Plänen, die nach Abriss des Chores und des einsturzgefährdeten Turmes zumindest den Erhalt des ältesten, mittleren Teils der Kirche vorsahen, wurde sie 1807–1809 abgerissen, was als „einer der größten Verluste in der Architekturgeschichte Schleswig-Holsteins“ angesehen wird.[5] 1813 wurde der Magistrat deswegen von der Regierung in Kopenhagen gerügt.[6] Ein ähnliches Schicksal erlitt die Vicelinkirche in Neumünster, auch sie wurde 1828–34 durch einen von Hansen entworfenen, der Husumer Kirche eng verwandten Neubau ersetzt.
- Gotische Marienkirche, 1807 abgebrochen
- Detail vom Flügelalter
- Lautespielender Engel vom Sakramentshaus (Hans Brüggemann)
Ehemalige Ausstattung
Mit Ausnahme eines gemalten Epitaphs und des bronzenen Taufbeckens (siehe unten) wurde die Ausstattung der gotischen Kirche nach 1807 versteigert und verstreut. Ein spätgotischer geschnitzter Flügelaltar von etwa 1510[7] befindet sich seit 1834 in der St.-Jakobikirche in Schwabstedt. Die katholische St.-Knuds-Kirche in Friedrichstadt erhielt sechs barocke Schnitzfiguren von der im 17. Jahrhundert geschaffenen Kanzel.
Von Hans Brüggemann, einem der bedeutendsten gotischen Bildschnitzer, der zwischen 1514 und 1523 in Husum lebte, ist eine Skulpturengruppe des heiligen Georgs als Drachentöter aus der Marienkirche in das Dänische Nationalmuseum Kopenhagen gekommen. Vom ebenfalls von Brüggemann geschaffenen, signierten und auf 1520 datierten Sakramentshaus, „dessen Werth man aber verkannte“,[8] ist nur das Bildwerk eines Laute spielenden Engels[9] erhalten und in der Skulpturensammlung der Berliner Museen ausgestellt.
Architektur
Der ab 1812 von Hansen, dessen Vater aus Husum stammte, projektierte und 1829–33 realisierte Neubau ist nur etwa halb so groß wie sein gotischer Vorgänger, so dass vor der Westfassade Raum für den heutigen Marktplatz entstand. Durch Georadar-Messung 2006 wurde festgestellt, dass ihre Ausrichtung um etwa 3° nach Südwesten von der der alten Kirche abweicht. Trotzdem wurde teilweise das alte Fundament weiterverwendet.[10]
Aus dem rechteckigen, in gelbem Backstein aufgeführten Baukörper ragt auf der dem Markt zugewandten Westseite ein Turm auf, der in den Untergeschossen nur als rustizierter Risalit aus der Front vortritt. Durch seine Achse führt der mit Pilastern und Giebel gerahmte Haupteingang. Eine mit Kupfer gedeckte, zylindrische Kuppelhaube bekrönt den Turm. Die Zweigeschossigkeit der Durchfensterung an den Längsseiten ist durch den Emporeneinbau begründet.
Das Innere des flach gedeckten Saalbaus wird von der Doppelreihe dorischer Säulen bestimmt. Sie tragen ein schweres Gebälk, hinter dem sich die Emporen verbergen. Die Längserstreckung des ursprünglich ungestört klassizistischen Raumes wird heute durch die 1962 eingezogene Orgelempore im Westen reduziert.[11] Die Farbigkeit des Raumes hatte man 1984 entsprechend der ursprünglichen Fassung (warmes Beige, granitrote Säulen) rekonstruiert, doch bei der Renovierung 2021 ist man zu dem zwischenzeitlich bevorzugten reinen Weiß zurückgekehrt.[12]
Ausstattung
Die Säulenreihe im Inneren führt den Blick auf die Kanzel über dem Altar, der von einer ionischen Pilasterädikula gerahmt wird. Der monumentale, halbrunde Wandausschnitt darüber enthielt ursprünglich die Orgel. Aus der alten Kirche wurde, abgesehen von einem gemalten Pastorenepitaph (1576), nur die 1643 gestiftete Bronzetaufe in den Neubau übernommen.[13] Der vergoldete Bronzeguss des Rotgießers Lorenz Karsten nach Modellen, die der Husumer Snitger Berend Cornelissen schnitzte, erinnert in seiner Disposition an mittelalterliche Taufbecken. Vier sitzende Evangelisten bilden die Trägerfiguren des eigentlichen Beckens, dessen Wandung Reliefs der Taufe Christi und der Apostel sowie des Wappens des stiftenden Amtsverwalters Marcus Lüders bedecken.
- Kanzelaltar
- Bronzenes Taufbecken, 1643
- Inneres nach Westen, Blick auf die alte Kleuker-Orgel (2010)
Orgel
Eine Orgel befand sich ursprünglich über Altar und Kanzel. Diese wurde 1963 durch ein auf der neueingezogenen Westempore von dem Orgelbauer Detlef Kleuker (Brackwede) erbautes Instrument ersetzt. Die in Husum ansässige Orgelbaufirma Lothar E. Banzhaf erweiterte sie 1996 um ein Echowerk ohne eigene Klaviatur. Sie wurde Ende Oktober 2016 aufgrund umfangreicher technischer Defekte stillgelegt,[14] im März 2019 demontiert und zur Wiederaufarbeitung nach Warschau gebracht.
Zur Finanzierung einer neuen, 1,2 Millionen Euro teuren Orgel wurde eine Spendenaktion gestartet und der Auftrag der Firma Johannes Klais Orgelbau erteilt. Das Instrument mit 44 Registern (zuzüglich 2 Transmissionen und 1 Sammelzug) sowie 2430 Pfeifen (168 aus Holz und 2262 aus verschiedenen Zinnlegierungen)[15] erklang am 2. Advent 2021 zum ersten Mal.[16] Die großen Basspfeifen und die dahinter befindliche Windanlage stehen in der Turmkammer.[17] Die Disposition lautet wie folgt[18]:
|
|
|
|
- Koppeln:
- Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, Aux/I, Aux/II, I/P, II/P, III/P, Aux/P
- Superoktavkoppeln: II/I, II/II, Solo/Solo, Aux/Aux, II/P
- Suboktavkoppeln: II/I, II/II, Solo/Solo, Aux/Aux
- Spielhilfen: Solo Aequal ab, Aux Aequal ab
- Anmerkungen:
- Sammelzug.
Geläut
Im Turm der Marienkirche hängt ein mittelalterliches Geläut, welches unter Denkmalschutz steht; es besteht aus zwei gotischen Glocken aus dem Jahr 1506, einer barocken Glocke aus dem Jahr 1729 und zwei Uhrenglocken aus den Jahren 1604 bzw. 1606. Die Glocken hängen seit 2021 in einem neuen Holzglockenstuhl, vorher in einem Stahlglockenstuhl.[19]
Gemeinde
Die erst 1448 selbständig gewordene Gemeinde hatte nach der Reformation bis 1794 drei Prediger, danach nur noch zwei. Ab 1792 war die Marienkirche Sitz des Propsten der neugeschaffenen Propstei Husum. Bekannte Pastoren waren:
- Johann Melchior Krafft (1673–1751, ab 1709 Archidiakon, von 1712 bis zu seinem Lebensende Hauptpastor)
- Friedrich Wilhelm Wolfrath (1757–1812, 1795–1799 Hauptpastor und Propst)
Literatur (alphabetisch sortiert)
- Horst Appuhn: Sankt Marien in Husum, Husum 1953.
- Heinrich Brauer u. a.: Die Kunstdenkmäler des Kreises Husum, Berlin 1939, S. 103–115.
- Ulf von Hielmcrone: Die St.-Marienkirche zu Husum (DKV-Kunstführer Nr. 586). München/Berlin 2002.
- Uwe Iben: Die alte St.-Marien-Kirche in Husum. In: Häuser und Plätze in Husum, S. 1–8.
Weblinks
Einzelnachweise
- Thomas Friedrichsen: Husumer Geschichten. Husum 2005, S. 14.
- J. Laß: Sammlung husumischer Nachrichten. Zweyte Fortsetzung. Flensburg 1752, S. 14.
- J. Laß: Sammlung husumischer Nachrichten. Zweyte Fortsetzung. Flensburg 1752, S. 15f.
- Iben: Die alte St.-Marien-Kirche in Husum, S. 2–4.
- Dietrich Ellger, in: Heinz Rudolf Rosemann (Hrsg.): Niedersachsen, Hansestädte, Schleswig-Holstein, Baudenkmäler. Reclams Kunstführer, Deutschland, Band 5, 4. Auflage, Stuttgart 1971, S. 332.
- Iben: Die alte St.-Marien-Kirche in Husum, S. 5.
- Heinrich Brauer u. a.: Die Kunstdenkmäler des Kreises Husum, Berlin 1939, S. 239–241.
- Johannes von Schröder: Topographie des Herzogthums Schleswig. Schleswig 1837, Bd. 1 S. 425.
- Bild: Engel auf der Laute spielend. In: Bildwerke der Christlichen Epochen. Berlin 1966, Kat. Nr. 387, S. 78, Abb. 63.
- Iben: Die alte St.-Marien-Kirche in Husum, S. 1f.
- Die historischen Fakten zu den Abschnitten Vorgängerbau, Architektur und Ausstattung folgen der Darstellung bei Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Hamburg, Schleswig-Holstein. München 1994, S. 335–352.
- Die Aussagen zur ursprünglichen Farbigkeit beruhen auf den Angaben im Dehio-Handbuch von 1994. Ein neueres Faltblatt der Kirchengemeinde hält dagegen die aktuelle, nur minimal abgetönte Weißfarbigkeit für ursprünglich.
- Die Taufe. (Memento vom 14. Juli 2014 im Internet Archive)
- Stadtkirche in Husum wird umfangreich saniert.
- Spendenaufruf für die Orgel der Marienkirche. Abgerufen am 14. Dezember 2021.
- Marienkirche in Husum präsentiert sich mit neuer Orgel. In: NDR vom 5. Dezember 2021, abgerufen am 5. Dezember 2021.
- NDR: 2430 Pfeifen für ein Halleluja. 14. Dezember 2021, abgerufen am 15. Dezember 2021.
- Husum, St. Marien-Kirche. Abgerufen am 14. Dezember 2021.
- Informationen zum Geläut.