Ludwig Perlitius
Ludwig Perlitius (* 5. August 1872 in Bralin, Schlesien; † 16. November 1938[1] in Glatz) war ein deutscher Agrarwissenschaftler und Politiker (Zentrum). Perlitius gehörte von 1924 bis 1933 dem Reichstag an und amtierte von 1931 bis 1933 als Fraktionsvorsitzender seiner Partei.
Leben und Wirken
Ausbildung und Beruf
Perlitius Vater Johannes Perlitius war Kreischausseeaufseher, die Mutter Franziska war die Tochter eines Ackerbürgers. Er besuchte ein Gymnasium in Breslau. Zwischen 1894 und 1897 studierte er an der Universität Breslau katholische Theologie und Philosophie. Danach studierte er bis 1900 Agrarwissenschaften und Nationalökonomie. Er hörte dabei unter anderem bei Otto Auhagen, Oscar Brefeld, Ferdinand Pax, Werner Sombart und Julius Wolf.
Anschließend arbeitete er für drei Jahre auf einem Rittergut. Dort schrieb er seine Dissertation mit dem Thema Der Einfluss der Begrannung auf die Wasserverdunstung der Ähren und die Kornqualität. Er legte diese 1903 vor und promovierte damit zum Dr. phil. Nach den Bestehen auch des Staatsexamens arbeitete er zunächst als Aushilfslehrer bei der Landwirtschaftsschule in Herford. Kurze Zeit später war er Landwirtschaftslehrer in Tarnowitz. Ab 1906 war er Wanderlehrer für Landwirtschaft und Direktor der landwirtschaftlichen Winterschule in Glatz. Im Jahr 1914 wurde er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Er nahm am Ersten Weltkrieg zunächst als Soldat teil. Zwischen 1917 und 1919 war er Abteilungsleiter des Kriegswirtschaftsamt Breslau. Nach dem Krieg kehrte Perlitius in das landwirtschaftliche Bildungswesen zurück und wurde 1927 zum Landwirtschaftsrat ernannt.
Politik während der Republik
Im Mai 1924 wurde Perlitius als Kandidat des Zentrums für den Wahlkreis 7 (Breslau) in den Reichstag gewählt, dem er ohne Unterbrechungen bis November 1933 angehörte.
Perlitius war Vorsitzender des handelspolitischen Ausschusses. Er hatte 1925 maßgeblich Anteil für den Erfolg der interfraktionellen Verhandlungen über das für die Wirtschaftspolitik zentrale Zollgesetz.
Am Ende des Jahres 1927 wurde Perlitius zum zweiten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Reichstagsfraktion gewählt. 1928 wurde er auch Mitglied im Reichsvorstand sowie in den geschäftsführenden Vorstand des Zentrums gewählt.
Von Anfang an stand er dem „Kabinett der Persönlichkeiten“ unter Hermann Müller skeptisch gegenüber. Kurz nach der Bildung der neuen Regierung bezeichnete er die neue politische Ordnung als „Notlösung“.[2] Bei der Ausgestaltung der Regierung zu einer regelrechten Koalitionsregierung spielte Perlitius eine bedeutende Rolle. Er war mitbeteiligt am Rückzug von Theodor von Guérard und damit des Zentrums aus der Regierung um eine größere Zahl von Ministern durchzusetzen. Erst durch das Entgegenkommen der übrigen Parteien konnte die große Koalition gebildet werden.[3]
Durch die Berufung des bisherigen Fraktionsvorsitzenden Heinrich Brüning zum Reichskanzler übernahm er zusammen mit dem ersten stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden bereits die Leitung der Fraktion. 1931 wurde Perlitius mit dem Amt des Fraktionsvorsitzenden seiner Partei im Reichstag betraut. Perlitius unterstützte in den folgenden Jahren zuverlässig die Politik Brünings. Nach dem Ende der Reichskanzlerschaft von Brüning trat Perlitius zusammen mit dem Parteivorsitzenden Ludwig Kaas dafür ein, die NSDAP in die Regierungsverantwortung einzubinden. Er hoffte darauf, dass die NSDAP dabei entzaubert würde.
Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft
Am 31. Januar 1933 gehörte Perlitius zu den Zentrumsführern, mit denen Adolf Hitler, der einen Tag zuvor zum Reichskanzler ernannt worden war, über eine Beteiligung des Zentrums an seiner Regierung der „Nationalen Konzentration“ verhandelte. Da die Regierung Hitler zu diesem Zeitpunkt noch nicht über eine Mehrheit der Mandate im Reichstag verfügte musste sie entweder eine parlamentarische Erweiterung der Regierung (parlamentarische Regierung) erreichen oder sich auf die Unterstützung durch den Reichspräsidenten in Form von Notverordnungen stützen (Präsidialkabinett) oder aber eine Mehrheit der Mandate bei Neuwahlen gewinnen. Da Hitler Neuwahlen wünschte, ließ er die Verhandlungen mit Perlitius und seinen Kollegen gezielt scheitern. Gestützt auf die so nachgewiesene „Unmöglichkeit“, unter der bestehenden Reichstagszusammensetzung eine Mehrheit der Parlamentsmandate durch eine Erweiterung der Regierungskoalition zu erreichen, konnte er den Reichspräsidenten von Hindenburg nun dazu veranlassen, ihm die erhoffte Ermächtigung zur Auflösung des Reichstages und zur Ausschreibung von Neuwahlen zu geben.
Die Neuwahlen – in denen nur die NSDAP Wahlkampf betreiben durfte – erbrachten eine Mehrheit für die Regierung. Perlitius Partei erlitt indessen empfindliche Verluste auch wenn er selbst erneut ins Parlament einziehen konnte, dem er noch bis zum November des Jahres angehörte – nach der Auflösung seiner Partei durch die Nationalsozialisten im Frühsommer 1933 allerdings als parteiloser Abgeordneter der „Reichsliste“.
An den Verhandlungen des Zentrums mit der NSDAP über die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz und damit zur Selbstentmachtung des Parlaments war er kaum noch beteiligt. Dasselbe gilt für die Selbstauflösung des Zentrums im Juli 1933.
Letzte Jahre
Perlitius war einer der ersten Zentrumspolitiker die vom neuen Regime als Beamte entlassen wurden. Bereits Ende April wurde er vorläufig suspendiert und endgültig im November desselben Jahres entlassen. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, dem er angehörte, distanzierte sich von Perlitius. Wegen der angeblichen Unterstützung von antinationalsozialistischer Propaganda aus dem Ausland wurde Perlitius von der Gestapo überwacht.
Nach seinem Ausscheiden aus der Politik zog Perlitius sich ins Privatleben zurück, korrespondierte allerdings noch bis zu seinem Tod 1938 mit dem inzwischen im Exil lebenden Brüning.[4] Heute ist Perlitius, über den Rudolf Morsey urteilte, dass er selbst in seiner Zeit als Spitzenpolitiker eine „farblose“ Gestalt gewesen sei,[5] ein weitgehend vergessener Mann.
Schriften
- Der Einfluss der Begrannung auf die Wasserverdunstung der Ähren und die Kornqualität. (Beobachtungen über Korrelationserscheiningen an einigen Weizen- und Gerstensorten im Jahre 1901.), Merseburg 1903.
Literatur
- Karsten Ruppert: Perlitius, Ludwig. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 190 (Digitalisat).
Weblinks
- Ludwig Perlitius in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
- Ludwig Perlitius in der Online-Version der Edition Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik
Einzelnachweise
- Lebensdaten nach: Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte. Reform und Restauration, 1990, S. 1789.
- Heinrich August Winkler: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Der Schein der Normalität. 1924–1930. Dietz, Berlin/Bonn 1985. ISBN 3-8012-0094-9, S. 540.
- Winkler, Schein der Normalität, S. 475f.
- Jürgen Heideking, Gerhard Schulz: Wege in die Zeitgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Gerhard Schulz, 1989, S. 61.
- Rudolf Morsey: Der Untergang des Politischen Katholizismus, 1977, S. 36. Wörtlich der „farblose Fraktionsvorsitzende Perlitius“.