Kraftwerk Wölfersheim
Das Kraftwerk Wölfersheim war ein Kohlekraftwerk bei Wölfersheim in Hessen. Es wurde von 1913 bis 1991 mit Braunkohle aus den Gruben des umliegenden Wetterauer Reviers betrieben.
Braunkohlekraftwerk Wölfersheim | |||
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Lage | |||
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Koordinaten | 50° 23′ 47″ N, 8° 49′ 46″ O | ||
Land | Deutschland | ||
Gewässer | Wölfersheimer See (als Abkühlbecken) | ||
Daten | |||
Typ | Kohlekraftwerk | ||
Primärenergie | Fossile Energie | ||
Brennstoff | Braunkohle (Wetterauer Braunkohlerevier) | ||
Leistung | max. 124 MW (elektrisch)[1] | ||
Betreiber | 1927–1930: HEFRAG ab 1930: PREAG (PreußenElektra)[1] | ||
Betriebsaufnahme | 1913[1] | ||
Stilllegung | 1991[1] | ||
Schornsteinhöhe | 1 × 100 m + 2 × 50 m |
Geschichte
Das Überlandwerk (1913–1927)
Der Abbau von Braunkohle in der wald- und somit brennholzarmen Wetterau reicht bis Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, allerdings wurde die Kohle zunächst nur als Hausbrand und für lokales Kleingewerbe benutzt. Mit der einsetzenden Elektrifizierung Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Kohle aber vor allem für die Verstromung interessant.
1913 ließ die großherzoglich hessische Regierung in Wölfersheim das erste Kraftwerk im Großherzogtum Hessen-Darmstadt errichten. Dieses Kraftwerk mit der für spätere Verhältnisse bescheidenen Leistung von nur 2,6 Megawatt[1] war die Keimzelle des Überlandwerks Oberhessen, der heutigen OVAG.[2] Zur Versorgung des Kraftwerkes wurden in Wölfersheim und Umgebung (bei Weckesheim und bei Gettenau) mehrere untertägige Gruben aufgeschlossen.[3]
Das Schwelkraftwerk (1927–1954)
Zum Zwecke der Finanzierung einer Erweiterung des Standortes gründete die Stadt Frankfurt 1927 zusammen mit der Preußischen Elektrizitäts AG (PREAG) ein Gemeinschaftsunternehmen, die Braunkohlen-Schwel-Kraftwerk-Hessen-Frankfurt AG (HEFRAG). Ziel war der Umbau des Kraftwerkes zu einem Schwelkraftwerk, einer Kombination aus Kraft- und Schwelwerk. Noch im selben Jahr begannen die Bauarbeiten und weniger als zwei Jahre später, 1929, ging das Schwelkraftwerk in Betrieb.[4]
Bereits nach einem Jahr Betrieb, 1930, übernahm die PREAG (später PreußenElektra) im Tausch gegen eigene Aktien alle Anteile an der HEFRAG von der Stadt Frankfurt[5] und betrieb das Werk nun in alleiniger Regie.
Um den steigenden Bedarf des deutlich größeren Kraftwerkes zu decken, wurden weitere Tiefbaugruben (bei Melbach, Wohnbach, Heuchelheim und Trais-Horloff)[3] und auch die ersten beiden Tagebaue (bei Wölfersheim und bei Trais-Horloff) aufgeschlossen.[6]
Der Großteil der Schwelprodukte (Schwelteer, Benzol, Mittel- und Leichtöl) aus dem Werk ging per Eisenbahn-Kesselwagen zur Weiterverarbeitung an die mitteldeutsche Petrochemie-Industrie[7], insbesondere an die Leunawerke. Mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg fiel Leuna als der wichtigste Abnehmer weg, so dass sich der Weiterbetrieb des Schwelkraftwerkes nicht lohnte und dieses 1954 stillgelegt wurde.[2]
Das Heizkraftwerk (1954–1991)
Der Standort wurde anschließend erneut umgebaut und erweitert, dieses Mal zu einem staubgefeuerten Heizkraftwerk. 1954 gingen zwei Blöcke mit je 27 MW (elektrisch), 1962 ein weiterer Block mit 58 MW in Betrieb[1], so dass es das Kraftwerk auf eine effektive Spitzenleistung von 112 MW brachte (124 MW installiert[2]), wobei einer der beiden kleineren Blöcke immer in Reserve gehalten wurde, so dass die tatsächlich genutzte Leistung nur etwa 85 MW betrug.[4]
Ab 1962 wurde die Kohle für das Kraftwerk nur noch im Tagebau gewonnen, die Tiefbauschächte wurden abgeworfen. Hierfür wurden nach und nach neue Felder (I bis VII) aufgeschlossen und ausgekohlt. In den 1980er-Jahren waren die wirtschaftlich gewinnbaren Vorräte langsam erschöpft. 1981 und 1984 wurden die beiden kleineren Blöcke (27 MW) außer Betrieb genommen. Am 30. September 1991 rollte der letzte Kohlezug und nachdem die auf Halde liegenden Vorräte aufgebraucht waren, wurde Ende Oktober 1991[8] auch der letzte Block (58 MW) für immer abgeschaltet.[4]
Nach der Außerbetriebnahme wurde das Werk Mitte der 1990er-Jahre vollständig abgerissen. Die 100 und 50 Meter hohen Schornsteine, die über 40 Jahre als höchste Bauwerke Wölfersheims das Stadtbild dominiert hatten, wurden im Januar 1996 gesprengt und das Betriebsgelände wurde rekultiviert.
Heute erinnern nur noch Überreste der Kühlwasserverregnungsanlage im Wölfersheimer See, einige als Denkmal aufgestellte Bahnfahrzeuge und das zum Kraftwerk gehörige, heute als Museum genutzte Schalthaus an den langjährigen Kraftwerksbetrieb (siehe unten). Daneben existiert noch ein Freiluft-Umspannwerk der OVAG südlich zwischen Bahnhof und ehemaligem Kraftwerksgelände, das heute auch nur noch durch zwei Hochspannungsleitungen mit zusammen zwei 110-Kilovolt-Systemen angebunden wird.
Der Wölfersheimer See als Kühlteich
Zur Kühlung, die jedes Wärmekraftwerk zwangsweise benötigt, wurde beim Wölfersheimer Kraftwerk eine in Deutschland recht selten anzutreffende Methode gewählt: Der Wölfersheimer See wurde als Abkühlbecken genutzt. Diese Art der Kühlung ist normalerweise nicht zulässig, da der Abwärmeeintrag zu einer Aufheizung des Gewässers führt, was eine massive Veränderung des natürlichen Ökosystems zur Folge hat. Im Falle des Wölfersheimer Sees wurde die Nutzung genehmigt, da es sich nicht um ein natürliches Gewässer, sondern um einen Restsee des ehemaligen Tagebaus Wölfersheim handelt, der nur eingeschränkt dem Gewässerschutz unterlag.
Eine Kuriosität: Durch die eingetragene Wärme war der See so warm, dass dort ausgewilderte subtropische Zierfische aus Aquarien wie Guppys[9], Goldfische, Buntbarsche sowie verschiedene Wasserschildkröten als Neozoen dauerhaft überlebten. Nach der Leistungsreduzierung (1984) und sukzessiven Abschaltung des Kraftwerkes (1991) starben diese Arten aufgrund der Abkühlung des Sees wieder aus.[10]
Werksbahn
Für den Transport der Kohle von den Gruben und Tagebauen ins Kraftwerk und für die Abfuhr der anfallenden Asche betrieb die PREAG eine Grubenanschluss- und Werksbahn mit Schmalspurweite 900 mm.[8][11]
Die werkseigene Schmalspurbahn bestand aus zwei Strecken:
- die nördliche, etwa 9 km lange Strecke vom Kraftwerk zum Verladepunkt beim Tagebau Utphe (1984 nach Auskohlung des Tagebaus stillgelegt)
- die südliche, etwa 6,3 km lange Strecke vom Kraftwerk zum Verladepunkt bei Reichelsheim (1991 stillgelegt)
Die Verladepunkte wurden aus den umliegenden Tagebauen mit Förderbandanlagen angedient. Auch der Transport von Abraum zwischen den verschiedenen Gruben geschah über Bänder. Die Asche wurde zum Verfüllen des ausgekohlten Tagebaus Heuchelheim genutzt; hierfür gab es etwa in der Mitte der südlichen Strecke ein Gleisdreieck mit Anschluss zur Kippe.
Zur Zeit des Schwelkraftwerkes vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Dampflokomotiven eingesetzt, später nur noch Elektro- und Diesellokomotiven:
- Hersteller Krupp, Elektrolok (Typ Boe) mit Motoren von AEG als Kohlezüge und Dieselloks (Typ B-dh) als Arbeitszug
- Hersteller Henschel, Elektrolok (Typ Boe) mit Motoren von SSW als Aschezüge
Beim Kraftwerk gab es auch einen Anschluss an das öffentliche Bahnnetz mit einer kleinen, werkseigenen Anschlussbahn in Normalspur.
Nach der Stilllegung des Betriebes wurden die Gleisanlagen vollständig zurückgebaut; einige der Lokomotiven und Wagen wurden zur Erinnerung als Denkmal (siehe Bilder) aufgestellt.
Wölfersheimer Energie-Museum
Zur Traditionspflege nach der Stilllegung des Kraftwerks- und Bergbaubetriebes in Wölfersheim gründete sich 1991 der Verein zur Pflege der Bergbau- und Kraftwerkstradition in Wölfersheim. Die Mitglieder trugen eine große Sammlung an Erinnerungsstücken aus eigenen Beständen und aus den Archiven der HEFRAG und PREAG zusammen.[4]
Die Sammlung wurde zunächst in kleinem Rahmen im Keller des Wölfersheimer Rathauses gezeigt.[12] Als geeigneteren Standort für eine großflächige Präsentation bekam der Verein Räume im als erhaltenswertes Industriedenkmal eingestuften Umspannwerkes des Kraftwerks (Baujahr 1932) zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2006 wurde dort als ständige Ausstellung das Wölfersheimer Energie Museum eingerichtet. Das Museum ist wöchentlich am Sonntag geöffnet. Hier präsentiert der Verein Exponate zur Geschichte des Wölfersheimer Kraftwerkes und des Bergbaus in der Wetterau. Herzstück der Ausstellung ist der originalgetreue Nachbau eines Stollenabschnittes aus originalem Grubenholz aus dem Revier.[4][12][13]
Unter freiem Himmel vor dem Museum, zum Bahnhof hin, stehen zwei Lokomotiven der PREAG-Werkbahn (siehe oben) mit angehängten Loren.
Zusätzlich zur Geschichte der Kohle werden im Museum auch Ausstellungen zur modernen Energietechnik und insbesondere zu Erneuerbaren Energieformen gezeigt.
Literatur
- Andreas Matlé: Unter Tage. Über Tage. Wetterauer Braunkohle - Energie der Vergangenheit. Erinnerungen in Wort und Bild. Hrsg.: Oberhessische Versorgungsbetriebe, OVAG Energie AG. OVAG, Friedberg (Hessen) 2010, ISBN 978-3-9812122-6-6.
Einzelnachweise
- Das Braunkohlekraftwerk Wölfersheim auf www.alexanderhitz.de (Memento vom 3. Oktober 2015 im Internet Archive)
- Wenn sich der Rauch verzog, gab es erstmal Frühstück – Auszug aus dem OVAG Magazin vom 27. März 2007, online auf den Internetseiten der Wirtschaftsförderung Wetterau (www.wfg-wetterau.de)
- Der Braunkohlebergbau auf www.alexanderhitz.de (Memento vom 12. Januar 2015 im Internet Archive)
- Braunkohleabbau in der Wetterau. Helmut Rieß und Rudolf Weinelt berichteten im Erzählcafé aus ihren Erfahrungen. www.hungen.info, archiviert vom Original am 20. August 2010; abgerufen am 29. April 2011.
- Stromversorgung in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auf www.mainova.de (Memento vom 13. Oktober 2003 im Internet Archive)
- Der Braunkohletagebau auf www.alexanderhitz.de (Memento vom 2. Februar 2015 im Internet Archive)
- Andreas Christopher: Eisenbahnen in der Wetterau. In: Drehscheibe, Heft 127 bis 129 (3-5/1998), online auf www.achristo.homepage.t-online.de
- Andreas Christopher: Die Werksbahnen der PreussenElektra, Wölfersheim, online auf www.achristo.homepage.t-online.de
- Freilebende Guppypopulationen in Deutschland auf www.diewasserwelt.de (Memento vom 2. April 2009 im Internet Archive)
- Angelsportverein Wölfersheim und Umgebung – Wir über uns – Vereinsgeschichte auf www.asv-woelfersheim.de (Memento vom 24. Oktober 2016 im Internet Archive)
- Winfried Barth, Andreas Christopher: Feldbahnen in Hessen. In: Drehscheibe Sonderheft 22 (2002), Auszug online auf www.drehscheibe-online.de (PDF; 429 kB)
- Unter Tage in der Wetterau – Artikel in der FAZ Rhein-Main-Zeitung, online auf www.faz.net
- Das Wölfersheimer Energie Museum – Informationsblatt, online auf www.woelfersheim.de (Memento vom 26. Oktober 2007 im Internet Archive) (PDF)