Korbes
Korbes ist ein Drama von Tankred Dorst, das am 4. Juni 1988 unter der Regie von Wilfried Minks im Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Sepp Bierbichler in der Titelrolle uraufgeführt wurde.[1][A 1]
Den Titel hat Tankred Dorst wohl aus dem „Herrn Korbes“ entlehnt.[2] Der Autor hatte zunächst den Arbeitstitel „Finsternis“ gewählt.[3] Die Brüder Grimm schließen ihr Märchen ab der 6. Auflage mit dem Satz: „Der Herr Korbes muß ein recht böser Mann gewesen sein.“ Auch das Motiv der Blindheit ist in diesem Märchen angelegt.
Zeit und Ort
Korbes und auch andere Figuren sprechen ein Oberfränkisch, dass es eine Art hat. Ort der Handlung ist Zeckendorf östlich von Bamberg. Das ist die Gegend nördlich von Nürnberg. In dem Gegenwartsstück bezieht man „Rende“ und schaut „Delevischn“.
Inhalt
Korbes' Frau ist gestorben. Elfriede, die Betzn genannt, kommt ins Haus und setzt sich einfach zu dem Witwer auf den frei gewordenen Platz an den Esstisch. Nach der Mahlzeit kommandiert der Hausherr die Betzn. Die Frau mit dem schweren Körper muss dem geduschten Korbes ein frisches Hemd aus dem Schrank suchen. Währenddessen – die Tote liegt noch nicht im Sarg, sondern in ihrem Bett – bespringt Korbes die gerade ernannte neue Hausfrau von hinten. Die Betzn lässt es sich mit einem „Ach!“ gefallen.
Als die Tote dann unter der Erde ist, glaubt Korbes, er sei sie endlich los. Doch sie erscheint im Haus und schaut ihm und Elfriede zu. Korbes kann das Phänomen nur im Suff ertragen. Der Hausherr kommandiert die Betzn weiter. Die Frau will nicht gehorchen. Korbes' Tochter Hannelore und deren Gatte, der schweigsame Bleicher, schauen beim Vater nach dem Rechten. Der Vater hat für die Kinder ausschließlich grobe Beleidigungen parat.
Über Nacht erblindet Korbes unheilbar. Hilflos geworden, eckt er im Hause ständig an. Es ist dem Erblindeten, als ob die Gegenstände zum Angriff auf ihn übergegangen sind.
Die Betzn kann mit einem Blinden nichts mehr anfangen. Korbes veräußert sein Fernsehgerät. Da Korbes das Wort Heirat nicht hören will, räumt Elfriede zusammen mit ihrem Sohn Armin das Haus des Blinden bis auf einen Stuhl aus und sucht das Weite.
Hannelore, von Korbes gerufen, findet Vater und Haus verdreckt vor. Ihre darauf folgende Aufopferung wird ignoriert. Hannelore hält trotz alledem aus. Als sie der Bleicher heimholen will, harrt die junge Frau weiter aus, obwohl sie vom Vater mit der Faust zu Boden geschlagen worden war. Der Bleicher kann seine Frau nicht verstehen. War sie doch bereits als 16-Jährige vor den Hieben des Vaters davongelaufen. Als Korbes die Tochter wieder züchtigen will – diesmal mit dem Blindenstock – rächt sie sich. Korbes, auf dem schattigen Hof sitzend, erwartet die wärmenden Sonnenstrahlen. Hannelore zerrt den Stuhl mitsamt Vater immer wieder in Richtung verbleibenden Hofschattens.
Form
Das Stück hat auch noch eine religiöse Dimension. Tankred Dorst spricht von einer „Matthäus-Passion“ und fügt bei: „Eine vollkommen finstere Geschichte, ohne Licht, ohne Hoffnung“.[4] Dazu passend schreibt er als Schauspiel-Musiken Händels „Brockes-Passion“ sowie Händels Psalm „Nisi dominus“[5] vor.[6] Durch einige der 31 Bilder des Stücks wandeln – von Korbes und den anderen Figuren aus unserer Gegenwart unbemerkt – biblische Gestalten. So besingt zum Beispiel die „Gläubige Seele“[A 2] in Bild 1 den Tod von Korbes' Frau: „Es ging ihr die Seele aus, daß sie sterben mußte.“[7] Oder als Korbes im Bild 8 – „Die Finsternis“ – des Morgens erblindet erwacht, singen der Evangelist, die Tochter Zion[A 3], Jesus, Petrus, Johannes, Jakobus sowie Die Ungläubigen. Und im 16. Bild tritt die Gläubige Seele, anderthalb Sätze singend, solo auf: „Cum dederit dilectis suis somnium. Ecce haereditas -“[A 4].
- Sonstiges
Mitunter übertriebener nordbayerischer Dialekt kann bei manchem Zuschauer Unmut auslösen und erschwert streckenweise das Verständnis der gesprochenen Sätze.
Inszenierungen
- 1990, Dortmund. Regie: Guido Huonder. Bei Bekes ist auf S. 75 unten ein Bühnenfoto zu sehen.[8]
- 1995, Pfalztheater Kaiserslautern. Regie: Boris von Poser.
Rezeption
- 13. Juni 1988 im Spiegel: Hellmuth Karasek: „Ein zorniger Hiob aus Franken“.
- Bekes[9] nennt den „blindwütigen“ Korbes in seiner „existentiellen Situation“ „brutal und grausam“. Bekes beobachtet das barocke Ineinandergreifen der himmlischen und irdischen Welten.
Hörspiel
- 19. November 2008, Deutschlandradio Kultur: Regie: Hans Gerd Krogmann: Korbes
Literatur
Ausgaben
- Tankred Dorst: Korbes. Ein Drama. Mitarbeit Ursula Ehler. Mit farbigen Zeichnungen von Johannes Grützke. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1988. ISBN 3-458-32814-9. Erstausgabe, 78 Seiten
- Korbes. Ein Drama. S. 259–296 in Tankred Dorst. Wie im Leben wie im Traum und andere Stücke. Mitarbeit Ursula Ehler. Werkausgabe 5 (Inhalt: Eisenhans.[10] Der verbotene Garten. Ich, Feuerbach. Grindkopf. Korbes. Karlos. Wie im Leben wie im Traum). Nachwort: Georg Hensel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1990 (1. Aufl.), ISBN 3-518-40217-X (Verwendete Ausgabe).
Sekundärliteratur
- Peter Bekes: Tankred Dorst. Bilder und Dokumente. edition spangenberg, München 1991, ISBN 3-89409-059-6
- Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): text + kritik Heft 145: Tankred Dorst. Richard Boorberg Verlag, München im Januar 2000, ISBN 3-88377-626-2
- Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A–Z. Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83704-8, S. 126, linke Spalte
Anmerkungen
- Bei Bekes finden sich auf den Seiten 74 und 75 oben zwei Abbildungen zur Hamburger Inszenierung 1988.
- Die „Gläubige Seele“ ist eine Gestalt aus der Brockes-Passion.
- Tochter Zion: Vermutlich ist Maria gemeint.
- Das ist eine Passage aus dem Nisi dominus (Memento des Originals vom 3. November 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. .
Einzelnachweise
- Erken bei Arnold, S. 87, linke Spalte, 4. Eintrag und auch Bekes, Bildunterschrift S. 74
- Georg Hensel im Nachwort der verwendeten Ausgabe, S. 438, 20. Z.v.o.
- Bekes, S. 76, 5. Z.v.u.
- Tankred Dorst, zitiert von Hensel im Nachwort der verwendeten Ausgabe, S. 438, 18. Z.v.o.
- HWV 238
- Verwendete Ausgabe, S. 260, 1. Z.v.u.
- Verwendete Ausgabe, S. 261, 16. Z.v.u.
- Bekes, S. 75 unten
- Bekes, S. 76–77
- siehe auch Eisenhans (Film)