Komplet
Die Komplet (lateinisch completorium ‚Schlussandacht‘) ist das Nachtgebet im Stundengebet der Christenheit. Im Byzantinischen Ritus wird sie griech. Ἀπόδειπνον Apódeipnon (wörtlich „nach dem Essen“) genannt.
Entstehung und Prägung
Die liturgische Tradition sowohl der katholischen als auch der anglikanischen und lutherischen Breviere geht auf die Benediktsregel zurück, die von der Magisterregel beeinflusst war, einer anonymen Mönchsregel aus dem 6. Jahrhundert. Die Komplet trat in dieser Zeit als Nachtgebet zum traditionellen Abendgebet, der Vesper, hinzu, da nach der Vesper in den Klöstern zu Abend gegessen und noch nötige Arbeiten erledigt wurden. Die Komplet wurde von den Mönchen unmittelbar vor der Nachtruhe im Schlafsaal gehalten.[1] Sie umfasste täglich die traditionellen drei Psalmen 4, 91 und 134. Auch das Responsorium breve „In manus tuas, Domine“ (Ps 31,6 ) und die Oration „Visita, quaesumus“ gehen auf mittelalterliche Tradition zurück. Das Canticum Nunc dimittis (Lk 2,29–32 ) wurde ursprünglich in der Vesper gesungen und ging später auf die Komplet über.
Die traditionellen Texte der Komplet sind geprägt von Gottvertrauen und Zuversicht und der Parallele von Schlaf und Tod: „Die Betenden dürfen gewiss sein, dass sie behütet sind, wenn sie im Schlaf ihr Bewusstsein aufgeben und die Kontrolle und Sicherheit über ihre Lebensgestaltung verlieren. […] Vor dem Hintergrund von Tod und Auferstehung Jesu wird jedes Einschlafen zu einer Vorausschau des eigenen Sterbens in die Hand Gottes hinein, dem das Auferstehen in die Gegenwart Gottes am nächsten Morgen (und darin versinnbildlicht nach der Auferweckung vom Tod) als Spiegelbild gegenübersteht.“[2] Gegen Ende des ersten Jahrtausends kam der Brauch auf, die Komplet mit einem marianischen Gesang zu schließen.
Die klösterliche Tradition wurde in Martin Luthers Abendsegen (im Kleinen Katechismus 1529) rezipiert, der damit eine Popularisierung der Komplet für den Gebrauch in der evangelischen Familie darstellt und eine große Breitenwirkung erreichte.
Komplet seit der Brevierreform 1911
Im römischen Brevier wechselten seit der Brevierreform Papst Pius’ X. 1911 die Texte in einem wöchentlichen Zyklus. Das heutige, 1975 erschienene Stundenbuch führte für die Psalmen in den Horen einen vierwöchigen Turnus (Vierwochenpsalter) ein, für die Komplet wurde jedoch der einwöchige Turnus beibehalten, wenn auch mit anderer Psalmenauswahl. Die Psalmen 4, 91 und 134 wurden von 1911 bis 1975 am Sonntag gebetet, jetzt sieht das Stundenbuch nach der ersten Vesper des Sonntags die Psalmen 4 und 134 und den Psalm 91 nach der zweiten Vesper des Sonntags vor, für die übrigen Wochentage andere Psalmen. Man kann diese wechselnde Ordnung aber auch durch das tägliche Gebet der Sonntagspsalmen ersetzen, vor allem dann, wenn man die Komplet auswendig beten will.[3]
Im Stundengebet der monastischen Orden (beispielsweise Benediktiner, Zisterzienser, Trappisten) wird die ältere Form der Komplet bis heute gebetet. In diesen Orden segnet der Obere die Mitglieder des Konvents nach der Komplet mit Weihwasser. Danach gilt bis zum Morgen das nächtliche Stillschweigen.
Die Kirche empfiehlt allen nicht zum vollen Stundengebet verpflichteten Gläubigen vor allem das Gebet von Laudes und Vesper als den „Eckpunkten“ des liturgischen Tages. Viele Menschen haben aber zur Komplet – gerade wegen ihres vertrauensvollen Charakters als Nachtgebet der Kirche – einen besonders guten Zugang.
Komplet und liturgische Bewegung
Zwischen den beiden Weltkriegen entdeckten im katholischen Bereich die liturgische Bewegung und die Jugendbewegung die Komplet neu. Große Bedeutung hatten dabei das Heft Deutsche Komplet zum Singen für die Gemeinde, das 1933 vom Oratorium in Leipzig herausgegeben wurde und bis in die 1950er-Jahre mehrfach wieder aufgelegt wurde,[4] wie auch von Pius Parsch Das kirchliche Nachtgebet (Komplet) für Gesang eingerichtet, erschienen ab 1929 im Volksliturgischen Apostolat Klosterneuburg.[5]
Als in der Zeit des Nationalsozialismus 1937 die kirchliche Jugendarbeit stark eingeschränkt wurde, versammelten sich viele Jugendliche regelmäßig zur Komplet und beteten um Vertrauen und Zuversicht.[6]
Der Komponist Christian Lahusen schuf 1948 Eine ruhige Nacht, einen vierstimmigen Kanon, dessen Worte aus dem Segen der Komplet stammen. Das Lied findet sich im Stammteil des Evangelischen Gesangbuches, EG 493 und im Gotteslob, GL 102.
Aufbau
Es geht in der Regel ein Schuldbekenntnis voraus. Die Hore besteht aus einem Hymnus, Psalmen, einer Kurzlesung, dem Responsorium, dem neutestamentlichen Gesang Nunc dimittis (Lobgesang des Simeon; Lk 2,29–32 ) mit der Antiphon, einem Gebet und dem Segen für die Nacht.
Üblicherweise wird in der römisch-katholischen Kirche nach der Komplet noch die der Zeit im Kirchenjahr entsprechende marianische Antiphon gesungen.
Ablauf
Katholisch (Stundenbuch, 1975) | Katholisch (vor 1911, einzelne Orden) | Lutherisch (Agende II/ Evangelisches Gesangbuch) |
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Eröffnung und Schuldbekenntnis | ||
Eröffnungsversikel (Ps 70,2 ) | ||
Gloria Patri, Alleluia | ||
Bitte um Segen, Segen („Eine ruhige Nacht…“) |
Aufforderung zum Gebet, Segen („Eine ruhige Nacht…“) | |
Lesung (1 Petr 5,8–9 ) | Lesung (1 Petr 5,8–9) | |
Versikel (Ps 124,8 ) [7] | Versikel (Ps 124,8) | |
Vaterunser | ||
Confiteor und Vergebungsbitte | Confiteor und Vergebungsbitte | Confiteor und Vergebungsbitte |
obiges ggf. gegenseitig Bekenntnis und Fürbitte: (Liturg-> Gem./Gem. ->Lit) | ||
Versikel Ps 85,4 | Versikel Ps 85,4 | |
Eröffnungsversikel (Ps 70, 2) | Ingressus | |
Gloria Patri, Alleluia |
obiges bestehend aus versikelhaftem Eröffnungsruf, Gloria Patri, Halleluja | |
Psalmgebet | Psalmgebet | |
Psalmen 4/91/134 | Psalmen 4/91/134 (Kürzung möglich) | |
Hymnus täglich wechselnd |
Hymnus Te lucis ante terminum |
Hymnus Te lucis ante terminum (übersetzt) oder ein anderes Lied |
Psalmgebet | ||
Samstag: Psalmen 4 und 134 Sonntag: Psalm 91 Montag: Psalm 86 Dienstag: Psalm 143 Mittwoch: Psalmen 31,2–6 und 130 Donnerstag: Psalm 16 Freitag: Psalm 88 |
||
Lesung (Kapitel, wechselnd) | Lesung (Capitulum, Jer 14,9 b ) | Lesung (Jer 14,9) |
Responsorium (nach Ps 31,6 ) |
Responsorium (nach Ps 31,6) |
Responsorium (nach Ps 31,6) |
Versikel (Ps 17,8 ) | Versikel (Ps 17,8) | |
Nunc dimittis (Lobgesang des Simeon) mit Antiphon Sei unser Heil, o Herr, wenn wir wachen |
Nunc dimittis mit Antiphon Salva nos, Domine, vigilantes… |
Nunc dimittis |
Schlussgebet | ||
Kyrie | ||
Vaterunser | ||
Gebet (Sonntag) | Wechselgebet (Preces) (nicht im EG) | |
Oration (wechselnd) |
Nachtgebet (fest) |
Nachtgebet (fest) |
Abschluss | ||
Wechselgruß | Wechselgruß | |
Benedicamus | Benedicamus | |
Segen („Eine ruhige Nacht…“) |
Segen (trinitarische Formel) |
Segen (trinitarische Formel) |
ggf. marianische Antiphon | ggf. marianische Antiphon |
Textbeispiel: Komplet aus dem römischen Stundenbuch nach der zweiten Vesper am Sonntag und an Hochfesten
Zeichen bei den Psalmversen:
* Der erste und zweite Psalmversabschnitt wird durch den Asteriskus, das Sternchen, geteilt. An dieser Stelle soll der Beter kurz innehalten. Beim Gesang der Psalmen geht dem Asteriskus die Mediatio (Mittelkadenz) voraus.
+ Ein Kreuzchen oder ein Schrägstrich bezeichnet bei längeren Psalmversen die erste Teilung, die sogenannte Flexa (Beuge). Bei der Flexa wird keine metrische Pause gemacht, nur geatmet, beim Singen auf den Flexa-Ton gewechselt.[8]
P = Priester, A = Alle, V = Vorsänger, Ch = Choralschola
P: Deus, in adiutorium meum intende, |
P: O Gott, komm mir zur Hilfe, |
In der Fastenzeit entfällt das Halleluja. Es folgt eine Gewissenserforschung in der Stille. | |
A: Confiteor Deo omnipotenti |
A: Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, |
1. Te lucis ante terminum, |
1. Bevor des Tages Licht vergeht, |
An Sonntagen und Hochfesten nach der ersten Vesper werden die Psalmen 4 und 134 gesungen, nach der zweiten Vesper der Psalm 91. | |
Antiphon: | |
V/A: Alis suis obumbrabit tibi; |
V/A: Mit Seinen Fittichen schirmt Er dich; |
In der Osterzeit stattdessen: Alleluia, Alleluia, Alleluia. | |
Psalm 91: Zuflucht bei Gott | |
V: Qui habitat in protectione Altissimi * |
V: Wer im Schutz des Höchsten wohnt * |
Wiederholung der Antiphon: | |
A: Alis suis obumbrabit tibi; |
A: Mit seinen Fittichen schirmt er dich; |
In der Osterzeit stattdessen: Alleluia, Alleluia, Alleluia. |
Lesung (Kapitel)
Ein Schrifttext (Bsp: Dtn 6,4–7 oder Offb 22,4–5 )
Ch/A: In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum. |
Ch/A: Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben. |
Antiphon: | |
Ch/A: Salva nos, Domine vigilantes, |
Ch/A: Sei unser Heil, o Herr, wenn wir wachen, |
In der Osterzeit: Alleluia/Halleluja. |
An Sonntagen: | |
P: Oremus. Vox nostra te, Domine, |
P: Lasset uns beten. Allmächtiger Gott, |
P: Noctem quietam et finem perfectum |
P: Eine ruhige Nacht und ein gutes Ende |
Marianische Antiphon
Die marianische Antiphon schließt sich meist an die Komplet an und entbietet den letzten Gruß des Tages an die Gottesmutter. Beim Gebet in Gemeinschaft kann die Antiphon auch am Ende der Vesper gesungen werden, wenn diese die letzte in Gemeinschaft gebetete Hore des Stundengebetes ist.
Literatur
- Liborius Olaf Lumma: Liturgie im Rhythmus des Tages. Eine kurze Einführung in Geschichte und Praxis des Stundengebets. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2011, ISBN 978-3-7917-2396-9.
- Liborius Olaf Lumma: Die Komplet. Eine Auslegung des römisch-katholischen Nachtgebets. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2017, ISBN 978-3-7917-2878-0.
- Nikolaus Nonn, Matthias E. Gahr: Sieben Mal am Tag singe ich dein Lob. Eine Einführung in das Stundengebet der Mönche. Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2012, ISBN 978-3-89680-814-1.
Weblinks
- Komplet. In: Stundenbuch online. Deutsches Liturgisches Institut, abgerufen am 3. November 2016.
- Allgemeine Einführung in das Stundengebet (PDF; 263 kB)
- Die Komplet in der Abtei Mariawald (PDF; 36 kB)
- Die Komplet in lateinischer Sprache (Memento vom 1. August 2012 im Internet Archive) (PDF; 2,4 MB) 1. August 2012
- Die Komplet (PDF; 844 kB) in der Erzabtei Sankt Ottilien
- Die Komplet der Evangelisch-Lutherischen Gebetsbruderschaft in deutscher Sprache mit Luthertext (PDF; 314 kB)
Einzelnachweise
- Liborius Olaf Lumma: Liturgie im Rhythmus des Tages. Eine kurze Einführung in Geschichte und Praxis des Stundengebets. Regensburg 2011, S. 47f.
- Liborius Olaf Lumma: Liturgie im Rhythmus des Tages. Eine kurze Einführung in Geschichte und Praxis des Stundengebets. Regensburg 2011, S. 96.
- Allgemeine Einführung ins Stundengebet AES, Nr. 88
- z. B. 1933: Verlag Jakob Hegner, Leipzig; 1935: Selbstverlag des Oratoriums, Leipzig (31.–50. Tsd.); 1947/1951/1954: Kösel Verlag, München; 1953: Benno Verlag, Leipzig.
- Reihe: Volksliturgische Andachten und Texte Heft 37; 4. Auflage, 1932.
- Theodor Schnitzler: Was das Stundengebet bedeutet. Hilfe zum geistlichen Neubeginn. Herder, Freiburg-Basel-Wien 1980, S. 187.
- Bei der Punktierung und Kommentierung des hebräischen Bibeltextes durch die Masoreten kam es auch zu einer Revision in der Aufteilung und Nummerierung der Psalmen. Dadurch ergibt sich für die jetzt gültige hebräische Bibel zwischen den Psalmen 9 und 146 eine andere Einteilung als in der griechischen Septuaginta und der lateinischen Vulgata. Da Luther und die anderen Reformatoren den hebräischen Grundtext als Übersetzungsvorlage hatten, weichen die Nummerierungen bis ins 20. Jahrhundert zwischen evangelischen und katholischen Bibeln ab. Die Anführung der Bibelstellen folgt in der Tabelle einheitlich der Kapiteleinteilung, die in den heute üblichen deutschen Bibelübersetzungen verwendet wird. Die hier zitierten Psalmen und Psalmverse (Ausnahme: Psalm 4) finden sich in der Vulgata jeweils einen Psalm vor der angegebenen Stelle.
- Heinz-Walter Schmitz: Psalmenbegleitung – Eine Hinführung. Passau 2006