Keuschheitsgürtel
Ein Keuschheitsgürtel oder Florentiner Gürtel ist ein Instrument, von dem unter Historikern umstritten ist, ob es zum Teilentzug der Selbstkontrolle, zur Prävention von Vergewaltigung, als Sexspielzeug, als Druckmittel oder zur Garantie von Abstinenz erfunden wurde.
Heutige Varianten finden vor allem bei BDSM-Praktiken Anwendung und dienen dazu den Geschlechtsverkehr beziehungsweise die Masturbation des Trägers oder der Trägerin zu verhindern. Die typische Konstruktion besteht aus einem Stahlgürtel um die Taille in Verbindung mit einem Stahlband durch den Schritt und einem Schloss oder Peniskäfigen für die Anwendung beim Mann.
Geschichte und Theorien zur Verwendung
Historiker sind sich nicht einig, was die Verbreitung und die Anwendungsbereiche von Keuschheitsgürteln betrifft und ihr ursprünglicher Hauptzweck ist noch immer umstritten.[1]
In der Zeit der italienischen Frührenaissance, wurde um 1400 in Padua ein Keuschheitsgürtel erwähnt. Ob dieser in erster Linie die Enthaltsamkeit der Ehefrau bei Abwesenheit des Mannes gewährleisten sollte, ist ungewiss. Man vermutet eher, dass es sich auch um ein Sexspielzeug handelte oder der Keuschheitsgürtel als Straf- und Folterwerkzeug verwendet wurde. Um 1500 soll der Keuschheitsgürtel eingeführt oder sogar in Massen produziert worden sein.(Beleg fehlt)
Eine plausiblere Erklärung wäre jedoch, dass der Keuschheitsgürtel (ähnlich wie ein Rape-aXe) dem präventiven Schutz vor Vergewaltigung diente. Der Keuschheitsgürtel kam, gemäß dieser Theorie bei Raubzügen oder Überfällen durch Feinde zum Einsatz und wurde von Frauen, die sich schützen wollten präventiv angelegt.[1]
Der Vermutung, dass der Keuschheitsgürtel die Enthaltsamkeit der Frau über einen langen Zeitraum gewährleisten sollte, etwa während der Mann auf Kreuzzügen unterwegs war, widersprechen hygienische Erkenntnisse, da die Materialien der damaligen Zeit die Haut wund scheuerten und durch die ungenaue anatomische Anpassung sich Urin und Menstruationsblut im Gürtel hätten sammeln können. Dies hätte zu schmerzhaften Infektionen der Haut beziehungsweise der Scheide geführt, was in früheren Zeiten wegen der geringen medizinischen Möglichkeiten lebensgefährlich gewesen wäre. Auch parasitär hervorgerufene Erkrankungen, wie z. B. die Krätze, wären bei einem dauerhaften Tragen wahrscheinlicher geworden.[2][1]
Es gibt keinen eindeutigen Beleg dafür, dass der Keuschheitsgürtel bereits im Mittelalter bekannt war. Man vermutet, dass es sich um einen Mythos handelt, der in der Barockzeit erfunden und verbreitet wurde, um das Bild des „finsteren Mittelalters“ zu zeichnen. Andere Geschichten erzählen, der Keuschheitsgürtel sei von den Dogen Venedigs erfunden worden, um fällige Steuerschulden bei Prostituierten wirksam eintreiben zu können.
Anton Pachinger, ein österreichischer Sammler von Antiquitäten, behauptete, 1889 einen Leder-Eisen-Gürtel auf einem Friedhof an einem Skelett einer jungen Frau gefunden zu haben; das Fundstück ist verloren gegangen und die Authentizität kann heute nicht nachgewiesen werden. Die gelegentlich in Museen gezeigten angeblich mittelalterlichen Exponate haben sich alle als Produkte aus dem 19. Jahrhundert erwiesen. Diese wurden unter anderem in England von Dienstmädchen zum Schutz vor Vergewaltigungen getragen.
Aus dem 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundertsind sogenannte Onaniebandagen bekannt, die zur Anwendung bei Kindern und Jugendlichen bestimmt waren und die, zur damaligen Zeit als krankhaft angesehene, Masturbation verhindern sollten. Insbesondere die Vertreter der großen Kirchen verteufelten Masturbation lange als unberechenbare Gefahr für die Gesundheit und die Zeugungsfähigkeit. Bei der Katholischen Kirche, die hat sich die Verurteilung der Masturbation bisher zwar noch gehalten, es wurde aber 2020 über eine Neubewertung nachgedacht.[3]
Gegenwart
Heute ist der Keuschheitsgürtel eher als Utensil bei erotischen Rollenspielen, besonders im BDSM-Bereich, von Bedeutung. Er wird aus modernen Werkstoffen wie Acryl oder Silikon, aber auch aus Leder oder aus rostfreiem Stahl hergestellt. Er kann sich bei Maßanfertigungen vieler Hersteller der Anatomie des Trägers millimetergenau anpassen. Spezielle Polsterungen und penible Intimhygiene sind unbedingt nötig, um bei längerem Tragen Gesundheitsschäden (Wundreiben, Dekubitus, Infektionen) möglichst gering zu halten. Manche Keuschheitsgürtel haben die Möglichkeit, einen Dildo anzuschrauben, der dann vom Körper absteht wie ein erigierter Penis.
Keuschheitsgürtel bei Erpressungsversuchen
Gegenseitiges Vertrauen ist bei der einvernehmlichen Nutzung von Keuschheitsgürteln normalerweise selbstverständlich. Wird der Schlüssel ohne Einverständnis des Trägers einbehalten, besteht die Möglichkeit die Polizei zu rufen, wie in dem Fall des eingeschlossenen 38-Jähriger Hamburgers. Nach zwei Wochen Tragzeit befreite die Hamburger Feuerwehr die Geschlechtsteile des Mannes mit einem Winkelschleifer aus einem verschlossenen Keuschheitsgürtel. Der Fall ging 2019 an die Staatsanwaltschaft, da die beiden Beteiligten sehr unterschiedliche Versionen des Vorfalls schilderten und der Verdacht auf Erpressung im Raum stand.[4]
Moch unangenehmer ist es, wenn ein Hacker Zugriff auf die Steuerung eines elektronischen Keuschheitsgürtels erlangt und dann versucht seine Opfer zu erpressen. Dass die Möglichkeit der Notfallentsperrung bei Keuschheitsvorrichtungen normalerweise nicht vorgesehen ist, wurde zum Problem, als die Entriegelung aufgrund von einer Sicherheitslücke plötzlich nicht mehr von den Nutzern kontrolliert werden konnte.[5] Nachdem die Sicherheitslücke aufgefallen war, wurde eine Programmierschnittstelle online gestellt, damit Nutzer diese selbst beheben konnten, die Anleitung war jedoch auch für Erpresser von Interesse. Ein Opfer berichtete von einer Lösegeldforderung von umgerechnet 750 Euro, die glücklicherweise ausgesprochen wurde, als er den elektronischen Cellmate gerade nicht trug. Dennoch bestätigte er, dass dieser fest verschlossen war und sich nur mit Hilfe eines Bolzenschneiders hätte öffnen lassen.[6] Der gehackte Cellmate zählt zu diversen "smarten" Sexspielzeugen, die seit 2016 wegen interessanten Sicherheitsproblemen, die externe Steuerung ermöglichen und/ oder dem laxen Umgang mit sensiblen Nutzerdaten kritisiert wurden.[5]
Moderne Modelle
- Moderner Keuschheitsgürtel für Männer
- Der sogenannte Mikrokäfig stellt eine Extremform des Keuschheitsgürtels für männliche Träger dar
- Auswahl von Keuschheitsgürteln für den Mann
- Zeichnung eines Edelstahlmodells für Frauen
- Moderner Keuschheitsgürtel für Frauen
Literatur
- Albrecht Classen: The Medieval Chastity Belt. A Myth-Making Process. New York u. a.: Palgrave, Macmillan 2007.
- Eva Larrass: Der Keuschheitsgürtel, Phantasie und Wirklichkeit. In: Waffen- und Kostümkunde. Band 34, 1992, S. 1–12.
- Alexander Schulz: Das Band der Venus: die Geschichte des Keuschheitsgürtels. Isny 1984.
- Lexikon der populären Irrtümer, Bd. 2, S. 173.
Weblinks
- Literatur über Keuschheitsgürtel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- Mythos Keuschheitsgürtel. Sonderausstellung „Ohne Schlüssel und Schloss?“ vom 2. November 2017 Bezirksverband Pfalz, aufgerufen am 23. Februar 2022
- Mythos Keuschheitsgürtel vom 4. Januar 2012 Geschichte Wissen, aufgerufen am 23. Februar 2022
- Reformen gefordert. Es wird ernst: Die katholische Kirche berät über Masturbation vom 5. September 2020 Der Stern, aufgerufen am 23. Februar 2022
- Feuerwehr muss 38-Jährigen von Keuschheitsgürtel befreien vom 1. April 2019 Hamburger Abendblatt, aufgerufen am 23. Februar 2022
- Hacker übernahm Kontrolle über "smarten" Keuschheitsgürtel und erpresste Nutzer vom 12. Januar 2021 Der Standard, aufgerufen am 23. Februar 2022
- ‘Your Cock Is Mine Now:’ Hacker Locks Internet-Connected Chastity Cage, Demands Ransom vom 11. Januar 2021 (engl.) Vice, aufgerufen am 23. Februar 2022