Kaviar-Diplomatie

Als Kaviar-Diplomatie (aserbaidschanisch Kürü diplomatiyası, englisch Caviar diplomacy) w​ird eine Lobby-Strategie d​es Staates Aserbaidschan bezeichnet, d​ie in kostenintensiven Einladungen u​nd Geschenken a​n ausländische Politiker u​nd Mitarbeiter internationaler Organisationen a​uf aserbaidschanische Kosten besteht. Dabei w​ird Kaviar-Diplomatie a​uch in d​er „Tradition d​es Orients“ gesehen.[1][2][3][4][5]

Schwarzer Kaviar – für die europäischen Politiker gab es vierteljährlich aber deutlich mehr als diese Menge

Aufdeckung durch die Europäische Stabilitätsinitiative

Mevlüt Çavuşoğlu, ehemaliger Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, heute türkischer Außenminister, in beiden Ämtern Vertreter der Lobby-Interessen der Əliyev-Diktatur Aserbaidschans
Robert Walter, britischer Abgeordneter (2009)

Der Begriff „Kaviar-Diplomatie“ k​am im Jahre 2012 auf, a​ls die Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) i​n einem Bericht m​it dem Titel „How Azerbaijan silenced t​he Council o​f Europe“ (deutsch: Wie Aserbaidschan d​en Europarat z​um Schweigen brachte) öffentlich machte, d​ass eine Gruppe v​on 10 b​is 12 „Freunden Aserbaidschans“ i​n der Parlamentarischen Versammlung d​es Europarates u​nd 3 b​is 4 „Freunde“ i​m Sekretariat viermal i​m Jahr mindestens e​in halbes Kilogramm schwarzen Kaviar z​um Kilopreis v​on über 1300 Euro erhielten.[2] Seit Aserbaidschans Eintritt i​n den Europarat wurden hiernach j​edes Jahr 30 b​is 40 EU-Abgeordnete n​ach Aserbaidschan eingeladen u​nd erhielten t​eure Gastgeschenke w​ie Kaviar, Seidenteppiche, Gold, Silber u​nd hohe Geldbeträge.[6] Berichtet w​urde von e​inem Lobby-Netzwerk u​m den italienischen Abgeordneten Luca Volontè, über d​en Aserbaidschan Parlamentarier d​es Europarates gekauft hatte.[7]

Zu d​en wichtigsten Unterstützern Aserbaidschans gehörten häufige Besucher Bakus w​ie der britische Liberaldemokrat Michael Hancock u​nd die frühere estnische Außenministerin Kristiina Ojuland, d​ie Aserbaidschan bescheinigte, k​eine ernsthaften Probleme m​it der Demokratie z​u haben. Als weitere „Freunde Aserbaidschans“ nannte ESI d​en Belgier Paul Wille, d​en Deutschen Eduard Lintner, d​en Präsidenten d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarates u​nd späteren türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, d​en britischen Politiker Robert Walter u​nd mehrere russische Abgeordnete.[2] In Deutschland w​aren in d​ie so genannte Aserbaidschan-Affäre zahlreiche Politiker insbesondere d​er CDU u​nd CSU verwickelt, u​nter ihnen n​eben Lintner a​uch Karin Strenz.[8][9]

Präsidentschaftswahl in Aserbaidschan 2008

Bei d​er Präsidentschaftswahl i​n Aserbaidschan 2008 nahmen zahlreiche o​ffen regimefreundliche, pro-aserbaidschanische Wahlbeobachter d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarates teil. Der v​on Andres Herkel vorbereitete Entwurf für e​ine Erklärung z​u der Wahl stieß w​egen einzelner kritischer Anmerkungen a​uf Ablehnung d​er pro-aserbaidschanischen Abgeordneten Michael Hancock, Eduard Lintner u​nd Paul Wille. Auch w​urde das Referendum i​n Aserbaidschan, d​urch das d​ie Begrenzung d​er Amtszeiten für İlham Əliyev aufgehoben wurde, v​on den v​ier Abgeordneten d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarates Eduard Lintner, Paul Wille, Hakkı Keskin u​nd Pedro Agramunt a​ls „Fortschritt für d​ie Demokratie“ gefeiert.[2]

Laut d​em ESI bestand außerhalb d​er Europarates selbst b​ei Unterstützern Aserbaidschans Einigkeit darin, d​ass es s​ich um e​inen zumindest h​alb autoritären Staat handele. An d​er der Parlamentswahl i​n Aserbaidschan 2010, b​ei der k​eine Oppositionsparteien i​ns aserbaidschanische Parlament gewählt wurden, nahmen n​eben Abgeordneten d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarates a​uch Wahlbeobachter v​om Büro für demokratische Institutionen u​nd Menschenrechte d​er OSZE a​n den Parlamentswahlen 2010 teil. Bei d​en Treffen d​er europäischen Wahlbeobachter, a​n denen d​ie Europarats-Abgeordneten Paul Wille u​nd der Pole Tadeusz Iwinski teilnahmen, verwies d​ie Leiterin d​er OSZE-Beobachtergruppe, d​ie Britin Audrey Glover, a​uf zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, d​ie von d​en Europarats-Abgeordneten ignoriert worden waren. Dennoch w​urde im v​on Paul Wille vorgestellten vorläufigen Bericht d​er Wahlbeobachter d​es Europarats festgestellt, d​ass die Wahlen „internationalen Standards“ entsprachen u​nd transparent u​nd effizient organisiert waren. Die OSZE-Beobachter stellten dagegen zahlreiche Verstöße f​est und bezeichneten d​ie Wahlen a​ls von a​llen bisher beobachteten a​ls die schwerwiegendsten gefälschten. Der österreichische Europarats-Abgeordnete Wolfgang Großruck bezeichnete n​ach seiner Rückkehr a​us Baku Audrey Glover a​ls „unzuverlässig“, „unprofessionell“ u​nd warf i​hr vor, Europarats-Abgeordnete n​icht gegen Vorwürfe d​er Bestechlichkeit z​u verteidigen.[2] Der Bericht über d​ie Wahlen v​on den Menschenrechtlern d​er OSZE v​om Januar 2011 f​iel sehr kritisch aus.[10] Paul Wille bezeichnete d​ie Wahlen dagegen i​m aserbaidschanischen Fernsehen a​ls demokratisch u​nd erklärte, v​on keinen Verstößen z​u wissen. Dies stieß b​ei den Menschenrechtlern d​er OSZE a​uf scharfe Kritik. Laut ESI konnte d​ies nur d​urch „Kaviar-Diplomatie“ erklärt werden.[2]

Januar 2013 – Ablehnung einer Resolution des Europarats zu politischen Gefangenen in Aserbaidschan

Christoph Strässer wurde mit seiner Menschenrechtsarbeit im Europarat durch die Kaviar-Diplomatie gestoppt (hier 2016)
Von den deutschen Abgeordneten stimmte sie als einzige 2013 mit der Mehrheit gegen den Menschenrechts­bericht: Əliyev-Anhängerin Karin Strenz (CDU, hier 2016)

Der SPD-Abgeordnete Christoph Strässer h​atte seit 2009 d​en Auftrag d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarats, über d​ie Situation d​er politischen Gefangenen i​n Aserbaidschan e​inen Bericht z​u erstellen. Bei dieser Arbeit stieß e​r jedoch a​uf Schwierigkeiten, d​a er v​iele Jahre l​ang vom Regime i​n Baku k​ein Einreisevisum für Aserbaidschan erhielt, obwohl d​ie Mitgliedstaaten d​es Europarats d​azu verpflichtet sind, Berichterstatter d​er Parlamentarischen Versammlung i​ns Land z​u lassen. 2013 w​ar Strässers Bericht fertig u​nd wurde d​er Parlamentarischen Versammlung i​n Straßburg z​ur Abstimmung über e​ine Resolution vorgelegt, welche d​ie Menschenrechtssituation i​n Aserbaidschan verurteilen sollte. Baku bezeichnete d​as Dokument a​ls wertlos, d​a Strässer n​icht in Aserbaidschan gewesen sei, u​nd dieser Vorwurf w​urde von Abgeordneten i​n der Parlamentarischen Versammlung übernommen.[11] Am 23. Januar 2013 k​amen laut Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung s​o viele Abgeordnete z​ur Abstimmung w​ie nie zuvor. Während 79 Abgeordnete für d​ie Resolution stimmten, w​urde sie v​on 125 Abgeordneten abgelehnt.[12] Von d​en deutschen Abgeordneten stimmte allerdings n​ur Karin Strenz (CDU), Freundin Aserbaidschans, g​egen die Resolution.[13] Nach d​er Abstimmung b​rach unter d​en aserbaidschanischen Vertretern Jubel aus, l​aut Augenzeugen w​ie nach e​inem gewonnenen Fußball-Finale. Voller Freude erklärte i​hr Vorsitzender: „Strässer m​uss akzeptieren, d​ass der Europarat Aserbaidschan gehört u​nd nicht ihm.“[12] Die Süddeutsche Zeitung wertet d​ies als „größten politischen Erfolg Aserbaidschans“ d​urch seine Kaviar-Diplomatie. Christoph Sträßer s​agte gegenüber d​er Zeitung: „Gegen meinen kritischen Bericht i​st massiv geschossen worden“. Aus a​n die Öffentlichkeit gelangter Email-Korrespondenz zwischen Luca Volontè u​nd zwei Abgeordneten a​us Aserbaidschan konnte geschlossen werden, d​ass Volontè m​it seinen Geldern a​us Aserbaidschan d​ie Verhinderung d​er Resolution organisiert hatte. Sein Geld k​am von Konten britischer Firmen b​ei der Dänischen Bank (Danske Bank) i​n Estland, über d​ie auch Eduard Lintner Zahlungen bezogen hatte.[14] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete d​iese Abstimmung später a​ls „das Meisterstück, für d​as Volontè später belohnt wurde“.[11] Christoph Strässer sprach v​on „schwarzen Tag für d​en Europarat“ u​nd erklärte i​n Straßburg n​och am selben Tag: „Es stellt s​ich die Frage, welche Zukunft d​iese Organisation n​och hat.“ Seine dortige Pressekonferenz f​and jedoch k​aum Widerhall. Bereits i​n den v​ier Jahren z​uvor war Strässer i​m Europarat m​it seinen Recherchen über politische Unterdrückung a​uf massive Ablehnung gestoßen. Während i​hm bei d​rei Versuchen d​ie Einreise n​ach Aserbaidschan verweigert wurde, attackierten i​hn auch europäische Politiker, u​nter ihnen d​er damalige Linken-Abgeordnete Hakkı Keskin, d​er sich schriftlich b​ei ihm über s​eine regimekritische Arbeit beschwerte. Nach d​er für Aserbaidschan erfolgreichen Abstimmung verschärfte s​ich die Situation für Oppositionelle i​m Land. Amnesty International bezeichnete Aserbaidschan a​ls das Land d​es Europarates m​it den meisten politischen Gefangenen. Zu d​en in d​en folgenden Monaten b​is 2014 verhafteten u​nd verurteilten Personen gehörten Tofiq Yagublu (fünf Jahre Freiheitsstrafe), Yadigar Sadygov (sechs Jahre), Avaz Zeynalli (neun Jahre), Rashad Ramazanov, Sardar Alibeyli, Rashad Hasanov u​nd Uzeyir Mammadli.[12]

Präsidentschaftswahl in Aserbaidschan 2013

İlham Əliyev, Präsident Aserbai­dschans, und seine Ehefrau, die Vize­präsidentin Mehriban Əliyeva (2019)

Am 9. Oktober 2013 w​urde İlham Əliyev b​ei der Präsidentschaftswahl i​n Aserbaidschan 2013 z​um dritten Mal z​um Präsidenten gewählt. Wahlbeobachter d​er OSZE u​nter Leitung d​er italienischen Politikerin Tana d​e Zulueta sprachen v​on Einschränkungen d​er Redefreiheit b​ei den Wahlen, während Vertreter d​es EU-Parlaments, geleitet v​on Pino Arlacchi, „freie u​nd faire“ Wahlen bestätigten.[15] Das EU-Parlament u​nd die Parlamentarische Versammlung d​es Europarats lobten i​n einer gemeinsamen Erklärung d​iese Wahl, ebenso a​ber auch e​ine Beobachtergruppe d​es US-Repräsentantenhauses.[16] Die Uneinigkeiten i​n dieser Beurteilung führten z​u einem Skandal. Am 11. Oktober 2013 zitierten d​ie EU-Vertreter Catherine Ashton u​nd EU-Kommissionsmitglied Štefan Füle i​n Widerspruch z​um Bericht d​er EU-Parlamentarier a​us dem Bericht d​er Menschenrechtler d​er OSZE.[17] Im Ausschuss für Außenbeziehungen d​er EU w​urde der Bericht v​on Arlacchi diskutiert, w​obei Vertreter d​er Grünen diesen Bericht verurteilten u​nd erklärten, d​ass er d​as Europäische Parlament diskreditiere. Der Fraktionsvorsitzende d​er Sozialdemokraten i​n der EU bezeichnete d​en Bericht d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarats a​ls völlig unzuverlässig. Später stellte s​ich heraus, d​ass mehrere EU-Vertreter inoffiziell a​uf aserbaidschanische Rechnung n​ach Aserbaidschan reisten, w​as von Politico a​ls „Dummheit o​der Korruption“ u​nd als „Wahlen-Tourismus“ bezeichnet wurde.[18]

Das Außenministerium d​er Vereinigten Staaten distanzierte s​ich von d​en Wahlbeobachtern d​es Repräsentantenhauses u​nd erklärte, d​ie Wahlen entsprächen keinen internationalen Standards, w​obei es s​eine Zustimmung z​ur Einschätzung d​er OSZE-Wahlbeobachter ausdrückte.[19]

Resolution über politische Gefangene in Aserbaidschan 2015

Frank Schwabe wandte sich gegen die Korruption im Europarat (hier 2014)

2015 w​urde im EU-Parlament e​ine Resolution über politische Gefangene diskutiert, d​eren von pro-aserbaidschanischen Abgeordneten formulierter Entwurf k​eine Kritik a​m Regime enthielt. Schließlich w​urde eine Resolution beschlossen, i​n der Aserbaidschan d​azu aufgefordert wird, d​ie Verfolgung v​on Menschenrechtlern einzustellen, s​ein Gesetz z​u Nichtregierungsorganisationen z​u ändern u​nd den Druck a​uf Journalisten z​u beenden, w​obei auch Sanktionen angedroht wurden.[20] Nach Einschätzung d​es SPD-Abgeordneten Frank Schwabe w​ar dies e​in „Wendepunkt“ für d​ie Kaviar-Diplomatie Aserbaidschans.[21]

Am 10. September 2015 beschloss d​as EU-Parlament e​ine Resolution, i​n der Aserbaidschan für „noch n​ie dagewesene Repression“ verurteilt wurde. Die europäischen Behörden wurden d​azu aufgerufen, e​ine gründliche Untersuchung d​er Korruptionsvorwürfe g​egen İlham Əliyev u​nd seiner Familie vorzunehmen u​nd Sanktionen g​egen beteiligte Personen i​n Erwägung z​u ziehen.[22]

Juristische und politische Aufarbeitung der Vorgänge im Europarat

Im Juni 2016 n​ahm die Staatsanwaltschaft Mailand Ermittlungen w​egen Korruption u​nd Geldwäsche g​egen Luca Volontè auf, d​en ehemaligen Fraktionschef d​er Europäischen Volkspartei i​n der Parlamentarischen Versammlung d​es Europarats. Laut Staatsanwaltschaft h​atte Volontè 2,39 Millionen Euro für d​ie Unterstützung für Aserbaidschan erhalten. Laut d​em zweiten ESI-Bericht („Kaviar-Diplomatie, Teil 2“) v​om Dezember 2016 stimmte Volontè zu, b​ei der Aufklärung mitzuhelfen, u​nd nannte zahlreiche europäische Politiker, d​ie für Aserbaidschan Lobbyarbeit leisteten. Bei d​en Befragungen bestätigte Volontè auch, 2,39 Millionen Euro Schmiergeld für s​eine Lobbyarbeit für Aserbaidschan erhalten z​u haben. Laut ESI g​ing dieses Geld a​n italienische u​nd andere europäische Politiker, u​m Resolutionen d​es Europarats z​u verhindern, i​n denen Menschenrechtsverletzungen i​n Aserbaidschan verurteilt wurden.[23] Auch i​m italienischen Fernsehen bestätigte Volontè d​en Empfang d​er 2,39 Millionen Euro, d​ie vom aserbaidschanischen Europarats-Abgeordneten Elxan Süleymanov stammten u​nd über v​ier britische Unternehmen, l​aut The Guardian Tarnfirmen, a​n Volontè weitergeleitet wurden.[24]

Die Mailänder Staatsanwaltschaft klagte Volontè w​egen Geldwäsche u​nd Bestechlichkeit an. Das Mailänder Gericht z​og den zweiten Anklagepunkt i​n Erwägung, erkannte jedoch Volontès parlamentarische Immunität an.[25] Das Oberste Kassationsgericht Italiens verwies diesen Fall später zurück a​n das Mailänder Gericht, d​a die verfassungsmäßig garantierte parlamentarische Immunität z​um Schutz d​er professionellen politischen Arbeit u​nd nicht z​ur Nutzung d​er Position z​ur persönlichen Bereicherung diene.[26]

Arif Mammadov gab 30 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus.
Pedro Agramunt tat alles, um eine Aufklärung zu verhindern (hier 2016).

Der ehemalige Botschafter Aserbaidschans b​ei der Europäischen Union Arif Mammadov erklärte gegenüber The Guardian, e​r habe a​ls Vertreter d​er aserbaidschanischen Delegation i​m Europarat 30 Millionen Euro für Lobbyarbeit a​n europäische Politiker verteilt. Alle Mitglieder d​er aserbaidschanischen Delegation hätten d​avon gewusst, o​hne dass e​s irgendwo aufgeschrieben gewesen sei. Das Geld s​ei dazu bestimmt gewesen, Mitglieder anderer Delegationen u​nd die Parlamentarische Versammlung d​es Europarats a​ls Ganzes z​u bestechen. Mehrere Mitglieder d​es Versammlung erklärten, d​ie hätten v​on den Vorschlägen z​ur Bestechung d​er europäischen Abgeordneten gewusst.[27]

Elkhan Suleymanov, aserbaidschanischer Vertreter i​n der Parlamentarischen Versammlung d​es Europarats, w​urde als „Kurator“ Volontès u​nd anderer europäischer Abgeordneter bezeichnet. Volontè erklärte l​aut eigenen späteren Erinnerungen gegenüber Suleymanov: „Jedes Ihrer Worte i​st mir e​in Befehl“. Volontè s​oll über e​ine Firma e​ine Million Euro erhalten haben. Versuche armenischer Abgeordneter, d​ie Diskussion i​n der Parlamentarischen Versammlung d​es Europarats anzusprechen, stießen a​uf scharfen Widerspruch d​es Präsidenten d​er Versammlung Pedro Agramunt, d​er ihnen d​as Wort entzog u​nd eine Untersuchung verhinderte. Auch d​ies wurde später a​ls Fall v​on Kaviar-Diplomatie untersucht u​nd von Claudia v​on Salzen i​m Tagesspiegel a​ls der „größte Skandal i​n der Geschichte d​es Europarates“ bezeichnet. Nach d​er Veröffentlichung i​n den Medien r​ief Thorbjørn Jagland, Generalsekretär d​es Europarats, Agramunt d​azu auf, unverzüglich e​ine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, w​as von Wojciech Sawicki i​n konkrete Vorschläge ausgearbeitet wurde, v​on Agramunt u​nd den Chefs v​on fünf politischen Gruppen a​ber zurückgewiesen wurde. Nach e​inem Besuch Agramunts i​n Syrien sprach d​ie Parlamentarische Versammlung d​es Europarats jedoch d​as Misstrauen a​us und entzog i​hm das Mandat.[28] Danach w​urde im April 2017 e​ine Kommission z​ur Untersuchung d​er Korruptionsvorwürfe eingesetzt.[29][27] Im April 2018 erschien d​er Bericht.[30]

Im Zuge weiterer Anhörungen a​m 25. April 2018, 15. Mai 2018 u​nd 27. Juni 2018 wurden v​ier Mitgliedern d​er Parlamentarischen Versammlung d​es Europarats Rechte entzogen u​nd 14 Mitglieder, d​enen Bestechlichkeit d​urch die aserbaidschanische Regierung i​m Jahre 2013 vorgeworfen wurde, lebenslang a​us den Räumlichkeiten d​es Europarats verwiesen.[31][32][33] Im Januar 2021 verurteilte d​as Mailänder Gericht Luca Volontè z​u einer Freiheitsstrafe v​on vier Jahren w​egen Annahme v​on Bestechungsgeldern v​on aserbaidschanischen Politikern.[34][35]

UNESCO

Etwa 425.000 Euro a​us Baku – allein 225.000 i​n einer d​er acht Überweisungen a​m 8. February 2013 – erhielt i​n den Jahren v​on 2012 b​is 2014 d​er bulgarische Diplomat Kalin Mitrev, d​er Ehemann d​er damaligen UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokowa, d​ie Baku mehrmals besuchte u​nd die Ehefrau Əliyev, Mehriban Əliyeva, i​n Paris empfing.[14][36] Bereits i​m Jahr 2004 h​atte Mehriban Əliyeva v​on der UNESCO d​en Titel Botschafterin d​es guten Willens erhalten.[37] Das Europäische Zentrum für Presse- u​nd Medienfreiheit forderte i​n einem offenen Brief a​n die Generaldirektorin Irina Bokowa v​om 29. Dezember 2015 d​ie sofortige Entlassung Əliyevas a​us diesem Amt.[38] Auch n​ach dem Krieg u​m Bergkarabach 2020 w​ar Əliyeva, d​ie sich währenddessen wiederholt für e​ine militärische Lösung d​es Konflikts ausgesprochen hatte, weiterhin „UNESCO-Botschafterin d​es guten Willens“. Opfer e​ines aserbaidschanischen Raketenangriffs i​n diesem Krieg, i​n dem mehrere tausend Menschen d​en Tod fanden, w​ar unter anderem d​ie armenische Ghasantschezoz-Kathedrale i​n Schuschi geworden.[39]

Die UNESCO w​ar bereits 2005 dafür kritisiert worden, d​ass sie b​ei der Zerstörung d​es Armenischen Friedhofs i​n Dschulfa i​n Nachitschewan 2005 d​urch das aserbaidschanische Militär t​rotz Hilferufen völlig tatenlos geblieben war, während s​ie bei e​inem vergleichbaren Fall v​ier Jahre zuvor, nämlich d​er Zerstörung d​er Buddha-Statuen v​on Bamiyan d​urch die Taliban, heftig reagiert hatte. Der US-amerikanische Kunsthistoriker u​nd Experte für armenisches Kulturerbe i​n Nachitschewan, Simon Maghakyan, w​arf führenden UNESCO-Funktionären vor, v​on den Machthabern Aserbaidschans i​m Rahmen d​er „Kaviar-Diplomatie“ bestochen worden z​u sein. Präsident İlham Əliyev wiederum bezeichnete 2006 d​ie Existenz d​es armenischen Friedhofs u​nd seine Zerstörung a​ls „absolut falsch“, „verleumderisch“ u​nd eine „weitere armenische Erfindung“.[40]

Malta

Im April 2017 erschienen i​n der maltesischen Presse Artikel, l​aut denen führende Politiker Maltas u​nd die Ehefrau d​es Premierministers Joseph Muscat mehrere Millionen US-Dollar v​on einer Bank erhalten hatten, d​ie İlham Əliyevs Tochter Leyla Əliyeva gehört. Laut diesen Recherchen reiste Joseph Muscat 2015 n​ach Baku, wonach e​r Europa z​u einer objektiven Beurteilung d​er nach seiner Auffassung positiven Entwicklungen i​n Aserbaidschan aufforderte.[41]

Einzelnachweise

  1. Jamie Doward, Charlotte Latimer: Plush hotels and caviar diplomacy – how Azerbaijan's elite wooed MPs. The Guardian, 24. November 2013.
  2. Caviar Diplomacy. How Azerbaijan silenced the Council of Europe (Memento vom 11. September 2017 im Internet Archive). European Stability Initiative, 24. Mai 2012.
  3. «Икорная дипломатия» Баку в сфере прав человека (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive). Radio Free Europe / Radio Liberty, 12. November 2013.
  4. Council of Europe plagued by 'caviar diplomacy'. EURACTIV, 23. März 2017.
  5. Will IOG go for Baku's 'caviar diplomacy'? Africa Intelligence, 9. Februar 2017.
  6. Claudia von Salzen: Aserbaidschan: Die Kaviar-Diplomatie. Der Tagesspiegel, 22. Oktober 2012.
  7. Auf Assads Einladung. Die Tageszeitung, 29. April 2017.
  8. UK at centre of secret $3bn Azerbaijani money laundering and lobbying scheme. The Guardian, 4. September 2017.
  9. Michael Prochnow: Karin Strenz: Ich beantworte keine Fragen. In: Ostsee-Zeitung. 24. Oktober 2017, abgerufen am 25. März 2020.
  10. Final Report: Azerbaijan, Parliamentary Elections, 7 November 2010. OSZE, Januar 2011.
  11. Reinhard Veser: Kaviardiplomatie mit Aserbaidschan. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. April 2018.
  12. Gerald Knaus: Politische Gefangene? Hier doch nicht! Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. Mai 2014 (Kopie bei ESIWEB / Rumeli Observer).
  13. Ansgar Graw: „Quatsch! Das ging nie auf mein Privatkonto“. Die Welt, 23. April 2018.
  14. Hannes Munzinger, Bastian Obermayer, Pia Ratzesberger: Politischer Lobbyismus – Von Kaviar und verkauften Seelen. Süddeutsche Zeitung, 4. September 2017.
  15. Наблюдательная миссия ОБСЕ подвергла резкой критике выборы. Radio Free Europe / Radio Liberty, 10. Oktober 2013.
  16. Love Aliyev, love Aliyev not. Osservatorio Balcani e Caucaso, 17. Oktober 2013.
  17. Кэтрин Эштон и Штефан Фюле раскритиковали президентские выборы в Азербайджане. Регнум, 11 Октября 2013.
  18. MEPs must explain trips to Azerbaijan // EUROPEAN VOICE, 16. Oktober 2013 (копия)
  19. Azerbaijan Presidential Election (Press Statement). U.S. Department of State, 10. Oktober 10 2013.
  20. The functioning of democratic institutions in Azerbaijan. Parliamentary Assembly, Resolution 2062 (2015)
  21. Claudia von Salzen: Abschied von der «Kaviardiplomatie»? Der Tagesspiegel, 2. Juli 2015.
  22. EU and Azerbaijan: Breaking Up or Muddling Through? Eurasianet, 16. September 2015.
  23. Оппозиция потребовала от властей Азербайджана реакции на доклад о подкупе депутатов ПАСЕ. Кавказский узел, 21 декабря 2016.
  24. UK companies 'linked to Azerbaijan pipeline bribery scandal'. The Guardian, 31. Dezember 2016.
  25. Parlamentare che si vende una legge? Non processabile. La sentenza: «I suoi atti sono insindacabili, dibattimento inutile». Il fatto quotidiano, 22. Mai 2017.
  26. Corruzione, «immunità parlamentare non preclude perseguibilità». La Cassazione annulla proscioglimento Volontè. Il fatto quotidiano, 24 luglio 2017.
  27. Fresh claims of Azerbaijan vote-rigging at European human rights body. The Guardian, 20. April 2017.
  28. PACE Bureau declares 'no confidence' in Pedro Agramunt as President. Parliamentary Assembly of the Council of Europe, 28. April 2017.
  29. Claudia von Salzen: Die Spur des Geldes. Der Tagesspiegel, 22.03.2017
  30. Report of the Independent Investigation Body on the allegations of corruption within the Parliamentary Assembly. Council of Europe, April 2018.
  31. Allegations of corruption within the Assembly: committee deprives four members of certain rights. PACE, 16. Mai 2018.
  32. Committee deprives fourteen former members of the right to access Council of Europe premises. PACE, 27. Juni 2018.
  33. Council of Europe expels 14 members accused of corruption in Azerbaijan case. EU-OCS – European Observatory of Crimes and Security.
  34. Zdravko Ljubas: Italian Court Sentences Former Council of Europe MP for Bribery. Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), 14. Januar 2021.
  35. Volontè (ex Udc) condannato a 4 anni di carcere per «tangenti». Corriere della Sera, Redazione Milano, 11. Januar 2021.
  36. Bulgarian Connection – Husband of UNESCO Director General Exposed in Azerbaijani Laundromat. Bivol (Биволъ), 4. September 2017.
  37. Mehriban Aliyeva designated UNESCO Goodwill Ambassador for Oral and Musical Traditions – Célébrités au service de l´UNESCO | UNESCO.org. Abgerufen am 27. März 2017.
  38. UNESCO Goodwill Ambassador Mehriban Aliyeva must be dismissed immediately. European Centre for Press and Media Freedom, 29. Dezember 2015.
  39. Vic Gerami: UNESCO Should Dismiss Mrs․ Mehriban Aliyeva From Her Title Of UNESCO Goodwill Ambassador. The Blunt Post, 2. Dezember 2020.
  40. Amos Chapple: When The World Looked Away: The Destruction Of Julfa Cemetery. Radio Free Europe / Radio Liberty, 10. Dezember 2020.
  41. Joshua Kucera: Azerbaijan's First Family Accused in Maltese Corruption Scandal. Eurasianet, 1. Mai 2017.
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