Ingrid Caven
Ingrid Caven (* 3. August 1938 als Ingrid Schmidt in Saarbrücken, mit bürgerlichem Namen heute: Ingrid Fassbinder) ist eine deutsche Chanson-Sängerin und Schauspielerin.
Leben
Ingrid Caven wurde als Tochter eines Saarbrücker Zigarettenhändlers geboren.[1] Sie wuchs in einem musikalischen Elternhaus auf, ihre Schwester war die Mezzosopranistin Trudeliese Schmidt (1941–2004).[2] In ihrer Jugendzeit sang sie vor allem deutsche Lieder von „Schumann, Schubert, Brahms, Hugo Wolf, später Kurt Weill“.[3] Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Pädagogik[4] arbeitete sie zunächst als Lehrerin.[1]
1967 wurde sie von Rainer Werner Fassbinder in einem Münchner Varieté bei der Aufführung eines Stückes von Peer Raben im Saal entdeckt. Caven stand in zahlreichen seiner Filme vor der Kamera, wenn auch teilweise nur in Nebenrollen, einmal wirkte sie als Produktionsleiterin in Händler der vier Jahreszeiten mit.[4] Die beiden waren von 1970 bis 1972 verheiratet. Caven trat bisher in rund 50 Spiel- und Fernsehfilmen auf, unter anderem mit den Regisseuren Daniel Schmid, Werner Schroeter und Dani Levy. Neben Fassbinder wurde sie auch für Schmid zu einer künstlerischen Muse und trat in fünf von Schmids Filmen auf, darunter in La Paloma (1974) als die Verkörperung einer Einheit von Liebe, Traum und Tod.[5] Mit diesem Melodram als Nachtclub-Sängerin La Paloma wurde sie international bekannt.[6]
1970 erhielt sie gemeinsam mit dem weiblichen Ensemble des antiteaters um Hanna Schygulla und Irm Hermann den Bundesfilmpreis als Beste Darstellerin. Elf Jahre später wurde sie für ihr Porträt einer alten und gedemütigten Schaustellerin in Walter Bockmayers und Rolf Bührmanns Drama Looping (1980) erneut mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet.
Caven zog 1978 nach Paris[6] und in einer zweiten Karriere als Chanson-Sängerin feierte sie seitdem Bühnenerfolge, vor allem in Frankreich, wo sie häufig mit Diven wie Édith Piaf, Marlene Dietrich und Greta Garbo verglichen wurde.[6] Bei ihren Auftritten sorgte auch ihr von Yves Saint Laurent entworfenes schwarzes Samtkleid für Aufsehen. Ihr Repertoire besteht vor allem aus Kompositionen von Peer Raben mit Texten von ihm, Rainer Werner Fassbinder, Wolf Wondratschek, Hans Magnus Enzensberger, Jean-Jacques Schuhl und anderen. Das französische Publikum schätzt ihrer Ansicht nach vor allem ihre Art, Chansons „wie deutsche Lieder“ zu interpretieren, d. h. in der Tradition des romantischen Liedgesangs im 19. Jahrhundert.[3]
Caven lebt im Pariser Quartier Saint-Germain-des-Prés[3] gemeinsam mit dem französischen Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, der mit einem Roman über ihr Leben (Ingrid Caven, Paris 2000; Übersetzung bei Eichborn 2001) in Frankreich Erfolge feierte (Prix Goncourt 2000).[4] Im Jahr 2000 wirkte Caven in Rosa von Praunheims Film Für mich gab's nur noch Fassbinder mit. In den frühen 2000er Jahren erlebte sie als Chanteuse eine Renaissance.
2007 kritisierte Caven in einem Interview mit Katja Nicodemus für die Wochenzeitung Die Zeit Juliane Lorenz und deren Rainer Werner Fassbinder Foundation wegen der systematischen Ausschließung der engsten Fassbinder-Mitarbeiter aus der von der Stiftung dargestellten Geschichte. Caven bestreitet vor allem eine Ehe von Juliane Lorenz mit Fassbinder, die erst Lorenz vor Fassbinders Mutter zur Geschäftsführerin einer Stiftung legitimieren konnte.[7] Lorenz habe daher „fast alle engen Fassbinder-Mitarbeiter ausgeschlossen, die um dieses Lügengespinst wissen.“ Damit würde auch ein „recht einfältiger Geniekult“ betrieben, der diametral dem kollaborativen Zusammenwirken des Fassbinder-Gruppe entgegenstünde. Kameramann Michael Ballhaus bestätigte Cavens Aussagen einer „Ausradierung“ der engsten Fassbinder-Freunde aus der Stiftungsgeschichte, darunter Peer Raben, Günther Kaufmann und Caven selbst.[7]
Ingrid Caven spielte 2010 die Hauptrolle in dem Musikvideo „Im Zweifel für den Zweifel“ der Hamburger Gruppe Tocotronic,[8] deren Konzerte seit 2005[9] mit dem Abspielen des Chansons „Die großen weißen Vögel“ aus Cavens Album „Der Abendstern“ abgeschlossen werden.
2018 spielte Caven an der Volksbühne Berlin an der Seite von Helmut Berger in Albert Serras Stück Liberté eine gealterte Herzogin der Barockzeit.[10]
Filmografie (Auswahl)
- 1969: Liebe ist kälter als der Tod
- 1970: Warum läuft Herr R. Amok?
- 1970: Der amerikanische Soldat
- 1971: Rio das Mortes
- 1971: Händler der vier Jahreszeiten
- 1972: Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König
- 1972: Heute Nacht oder nie
- 1972: Der Tod der Maria Malibran
- 1972: Zahltag
- 1973: Die Zärtlichkeit der Wölfe
- 1973: Welt am Draht
- 1974: 1 Berlin-Harlem
- 1974: La Paloma
- 1974: Meine kleinen Geliebten (Mes petites amoureuses)
- 1975: Faustrecht der Freiheit
- 1975: Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel
- 1975: Angst vor der Angst
- 1975: Schatten der Engel
- 1976: Satansbraten
- 1976: Nea – Ein Mädchen entdeckt die Liebe (Néa)
- 1976: Goldflocken
- 1977: Violanta
- 1978: Despair – Eine Reise ins Licht
- 1978: In einem Jahr mit 13 Monden
- 1980: Narziss und Psyche (Nárcisz és Psyché)
- 1980: Looping
- 1981: Malou
- 1981: Der Mond ist nur a nackerte Kugel
- 1981: Heute spielen wir den Boß – Wo geht’s denn hier zum Film?
- 1981: Tag der Idioten
- 1982: Dirty Daughters - Die Hure und der Hurensohn
- 1982: Vorstadt-Tango
- 1983: Die Krimistunde (Fernsehserie, Folge 7, Episode: "Die Dame und der Jüngling")
- 1983: Die wilden Fünfziger
- 1986: L'Araignée de satin
- 1987: Des Teufels Paradies
- 1987: Verbieten verboten
- 1992: Zwischensaison (Hors saison)
- 1993: Meine liebste Jahreszeit (Ma saison préférée)
- 1995: Stille Nacht – Ein Fest der Liebe
- 1999: Die wiedergefundene Zeit (Le Temps retrouvé)
- 2006: Deep Frozen (Deepfrozen)
- 2008: 35 Rum
- 2008: Weitertanzen
- 2016: Belle Dormant
- 2018: Suspiria
Diskografie
Alben
- Au Pigall’s (1978 LP bei Barclay, Live in Paris, 2001 auf CD bei Barclay wiederveröffentlicht)
- Der Abendstern (1979 LP bei RCA, 1999 auf CD bei Viellieb Rekords wiederveröffentlicht)
- Live in Hamburg (1980 LP bei RCA, Konzert im Audimax Hamburg, 9. Mai 1980)
- Erinnerungen an Édith Piaf (1983 LP bei RCA, Chansons von Édith Piaf mit deutschen Texten)
- Spass (1986 LP bei Schariwari)
- Chante Piaf ‘En Public’ (1989 LP bei Clever, Aufnahme 1988, Live im Théâtre de l'Athénée-Louis-Jouvet, Paris, 2001 auf CD bei Fpr Music wiederveröffentlicht.)
- Chambre 1050 (1996 CD bei Arcade, 2000 CD bei Tricatel, 13 Titel von Helle Nacht auf Französisch)
- Helle Nacht (1998 CD bei Viellieb Rekords, 16 Titel)
Singles
- Cette chose molle / Les goélands (1980 bei RCA.)
- Beim letzten Tango / Lilli und Hans-Otto (1981 bei RCA, aus dem Fernseh-Film Vorstadt-Tango.)
Filmmusik
- Chansons und Themen aus Fassbinder-Filmen (1994 CD bei Alhambra, enthält drei Caven-Titel aus dem Film Mutter Küsters Fahrt zum Himmel, 1975.)
- Hors saison (1993 in Japan veröffentlichte CD des Films Zwischensaison / Hors saison, enthält sechs von Ingrid Caven interpretierte Titel.)
Auszeichnungen (Auswahl)
- 1970: Bundesfilmpreis als Beste Darstellerin
- 1981: Filmband in Gold für Looping
- 2001: Chevalier des Arts et des Lettres
- 2011: Commandeur des Arts et des Lettres
Literatur
- Hermann J. Huber: Langen Müller’s Schauspielerlexikon der Gegenwart. Deutschland. Österreich. Schweiz. Albert Langen • Georg Müller Verlag GmbH, München • Wien 1986, ISBN 3-7844-2058-3, S. 151.
- Im kleinen Leben liegt der große Schmerz. Liederbuch • Ingrid Caven • Peer Raben. Mit Texten von Hans Magnus Enzensberger. Albino, Berlin 1983; 1990, ISBN 3-88803-011-0.
- Jean-Jacques Schuhl: Ingrid Caven. Roman, Eichborn, Frankfurt am Main 2001, ISBN 978-3-8218-4719-1, (Prix Goncourt 2000).[11]
- C. Bernd Sucher (Hrsg.): Theaterlexikon. Autoren, Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner, Kritiker. Von Christine Dössel und Marietta Piekenbrock unter Mitwirkung von Jean-Claude Kuner und C. Bernd Sucher. 2. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1999, ISBN 3-423-03322-3, S. 112.
- Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 2: C – F. John Paddy Carstairs – Peter Fitz. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 24.
- Ingrid Caven – Chaos? Hinhören, singen. Ein Gespräch mit Ute Cohen. Kampa Verlag, Zürich 2021, ISBN 978-3-311-14023-8
Dokumentarfilme
- Ein Leben, ein Roman. Die Saarländerin Ingrid Caven. Dokumentarfilm, Deutschland, 2001, 29:40 Min., Buch und Regie: Hans Emmerling, Produktion: Saarländischer Rundfunk, Inhaltsangabe der ARD.
- In Memoriam Daniel Schmid Werner Schroeter. Dokumentarfilm, Frankreich, 2010, 72 Min., Buch und Regie: Gérard Courant, Produktion: Les Amis de Cinématon.[12]
- Petite intrusion dans l’univers incandescent de Werner Schroeter. Dokumentarfilm, Frankreich, 2010, 83 Min., Buch und Regie: Gérard Courant, Produktion: Les Amis de Cinématon, L'Harmattan.[13]
Weblinks
- Offizielle Seite von Ingrid Caven
- Ingrid Caven in der Internet Movie Database (englisch)
- Ingrid Caven bei filmportal.de
- Katja Nicodemus: Fassbinder: Man kann uns nicht einfach ausradieren. In: Die Zeit 22/2017. 24. Mai 2017 .
- Egbert Hörmann: Fassbinder-Schauspielerin Caven: Eine Diseuse wird 70. In: die tageszeitung. 2. August 2008 .
- Literatur von und über Ingrid Caven im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- Manuel Brug: Die Frau, die Fassbinder heiratete: Schauspielerin, Sangesdiva. Ingrid Caven wird 70. In: Die Welt. 2. August 2008, abgerufen am 3. August 2018.
- Aryeh Oron, Manfred Krugmann: Trudeliese Schmidt (Contralto, Mezzo-soprano). In: bach-cantatas.com. Februar 2010, abgerufen am 3. August 2018 (englisch).
- Dirk Fuhrig: Deutsch-französische Diva. Ingrid Caven wird 75 Jahre alt. In: Deutschlandfunk-Sendung „Corso“. 2. August 2013, abgerufen am 3. August 2018.
- Ingrid Caven: Schauspielerin – Biografie. In: deutsches-filmhaus.de. 2. März 2016, abgerufen am 3. August 2018.
- Jan Künemund: Daniel Schmid – Le chat qui pense. (PDF, 149 kB) Edition Salzgeber, 3. Juli 2010, S. 6, abgerufen am 3. August 2018 (Presseheft zur Berlinale 2010).
- Hans-Joachim Fetzer: Hommage à Ingrid Caven. In: Kino Arsenal. Februar 2014, abgerufen am 3. August 2018 (mit Filmbeschreibungen).
- Katja Nicodemus: Fassbinder: Man kann uns nicht einfach ausradieren. In: Die Zeit 22/2017. 24. Mai 2017, abgerufen am 3. August 2018.
- Tocotronic – Im Zweifel für den Zweifel. (Video, 3:42 Minuten) In: MyVideo. Archiviert vom Original am 8. April 2016; abgerufen am 3. August 2018.
- Jens Balzer: Die Tocotronic Chroniken. Blumenbar, Berlin 2015, ISBN 978-3-351-05020-7, Seite 268, Anmerkung 293.
- Berliner Morgenpost - Berlin: Helmut Berger debütiert in „Liberté“ an der Volksbühne. (morgenpost.de [abgerufen am 3. Januar 2022]).
- Jürg Altwegg: Rezension: Belletristik: Niemand hat sie je gelesen. Alle werden sie lesen: Ingrid Caven wird zur umjubelten französischen Romanfigur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26. Oktober 2000, abgerufen am 3. August 2018.
- Filmographie de Gérard Courant. In Memoriam Daniel Schmid Werner Schroeter. In: gerardcourant.com. 12. Dezember 2010, abgerufen am 3. August 2018 (französisch).
- Werner Schroeter par Gérard Courant, volume 1. In: harmattantv.com. 2012, abgerufen am 3. August 2018 (französisch).
Petite intrusion dans l’univers incandescent. (Filmausschnitt auf YouTube; 11:11 Minuten) Gérard Courant, abgerufen am 3. August 2018 (französisch).