Huthi
Die als Huthi (von arabisch الحوثيون, DMG al-Ḥūṯiyyūn; Aussprache des th wie im Englischen als stimmloser dentaler Frikativ [θ]) bekannte politisch-militärische Bewegung, die sich selbst Ansar Allah (arabisch أنصار الله, DMG anṣār allāh ‚Helfer Gottes‘) nennt, ist eine Bürgerkriegspartei im Jemen. Gegründet wurde sie in erster Linie von dem religiösen und politischen Führer Hussein Badreddin al-Huthi (1956–2004), nach dem sie benannt wurde.[2] Die Huthi gehören den Zaiditen, einer schiitischen Gruppierung mit eigener Rechtsschule, an. Die USA beschuldigen den Iran, die Huthi zu unterstützen,[3] was der Iran zurückweist.[4] Die sich im Besitz der Huthis befindenden Mittelstreckenraketen und Kampfdrohnen werden zu einem Großteil im Iran hergestellt.[5]
Laut dem Thinktank Sana'a Center for Strategic Studies herrschen die Huthi-Rebellen mit einem „höchst effektiven System der Gewalt, der Waffen und eines flächendeckenden Spitzelapparats“.[6]
Geschichte
Die Zaiditen treten für den Erhalt des zaiditischen Glaubens ein. Sie bilden eine eigene Rechtsschule und herrschten seit dem 9. Jahrhundert in der südwestlichen Region der arabischen Halbinsel, wo ihre Imame als Könige bis zur Revolution 1962 über Jemen, den späteren „Nord-Jemen“, mit der Hauptstadt Sanaa herrschten. Bis 1970 bekämpften sie die republikanische Regierung in Sanaa.
1994 bis 2000
Erste schiitische Kampfgruppen bildeten sich 1994 im Zuge des Bürgerkriegs im Jemen, als die wahhabitische saudische Regierung die Abspaltung des Südens (früher Volksdemokratische Republik Jemen) unterstützte. Die beidseits von Sunniten eingeengten Schiiten griffen damals jedoch kaum in die Kämpfe ein.
2001 bis 2004
Die Huthi-Bewegung radikalisierte sich laut einer Analyse der Brookings Institution stark in zeitlicher Nähe zur Irak-Invasion der USA 2003. Die Invasion wurde von der Bewegung – wie von vielen Arabern – sehr kritisch gesehen.[7] Die jemenitische Regierung verfolgte hingegen einen proamerikanischen Kurs. Kritik an den USA wurde von Regierungsseite wenig toleriert, erst recht nach dem Bomben-Anschlag von al-Qaida auf die USS Cole im jemenitischen Hafen Aden 2000 (noch verschärft durch einen Gefängnisausbruch von 10 des Anschlags Verdächtigen im April 2003).[8]
In diesem Umfeld wurde ein seit ca. 2002 bekannter Slogan in der Huthi-Bewegung populärer: „Gott ist groß! Tod den USA! Tod Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!“ Der auf den Iran spezialisierte Journalist Shahir Shahidsaless weist dazu auf die außenpolitischen Parallelen der Huthis und der iranischen Regierung hin, die Sätze Tod den USA! Tod Israel! seien dem revolutionären Iran nachgeahmt.[9] Als wichtigstes Vorbild und Inspiration für die Huthis, noch vor dem Iran, sieht die Brookings-Analyse die ebenfalls schiitische Hisbollah, denen die Befreiung des Libanon von der israelischen Armee gelungen war;[7] die Huthis ersetzten zum Beispiel bei mindestens einer Gelegenheit an einem Regierungsgebäude die jemenitische Flagge mit einer Flagge der Hisbollah.[8]
Der Slogan wurde unter anderem bereits im Januar 2003 in Protest gegen den jemenitischen Präsidenten gesungen, wonach 600 Personen festgenommen wurden; später wurde er auch bei Protesten gegen den US-Botschafter und anderen Gelegenheiten eingesetzt. Noch im Jahr 2003 wurde er zum offiziellen Slogan der Huthi-Bewegung. Die Regierung betonte in diesen Jahren, dass sie den Slogan nicht tolerierte, die Huthi-Bewegung hielt daran mit Hinweis auf das Recht freier Meinungsäußerung fest. Huthis sollen wegen der Benutzung des Slogans ins Gefängnis gekommen sein.[10]
2004 bis 2010
Eine neue Eskalation im Konflikt der Huthi mit der Regierung erfolgte im Sommer 2004.[11] Die Regierung warf der Bewegung separatistische Bestrebungen vor und die Anstrebung eines Imamats.[12] Tatsächlich wurde der Jemen bis 1962 als (eine Form von einem) Imamat regiert, die Kernregion der Huthis wurde bis 1967 von Unterstützern dieses Imamats kontrolliert. Auch sprach sich der Huthi-Anführer Badr al-Din al-Huthi 2005 in einem Interview mit der jemenitischen Zeitung al-Wasat für ein Imamat aus und verurteilte Demokratie als ein ausländisches Konzept. Huthis haben in der Folge aber argumentiert, dabei gehe es um eine „doktrinale Interpretation“[13], d. h. nicht im wörtlichen, politischen Sinne um ein Imamat. Dennoch bleiben aufgrund der doktrinalen Befürwortung eines Imamats und der Unklarheit, welche Form es haben könnte, Zweifel an den politischen Zielen.[8]
Die Regierung ging stärker gegen die Huthi-Bewegung vor. Es entbrannten schwere Kämpfe, als die Regierung versuchte, den Prediger und ehemaligen Abgeordneten Hussein al-Huthi zu verhaften. Hussein und seine Brüder Abdul-Malik und Yahia Badreddin waren damals die bedeutendsten Vertreter der Zaiditen im Nordjemen.[14] Bei einer großen Demonstration am 18. Juni 2004 vor der Hauptmoschee in Sanaa hatte die Polizei 640 Anhänger al-Huthis verhaftet und am 20. Juni 55.000 Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Nach zahlreichen Morden und wochenlangen Kämpfen kam al-Huthi am 14. September auf nicht ganz geklärte Weise ums Leben. Die Führung der Huthi übernahmen daraufhin der Vater des Getöteten, Imam Badr Addin Al-Huthi und diesen wiederum ablösend, sein Bruder Abdul-Malik.[15] Sie verfuhren dabei mit einer an die schiitischen Hisbollah im Südlibanon erinnernde Guerilla-Taktik, angeblich unterstützt aus dem Iran.[16] Die Regierung wurde in ihrem Vorgehen gegen die Huthis auch von Saudi-Arabien unterstützt. Allerdings führten al-Huthis Tod und das militärische Vorgehen auch zu weiterer Polarisierung. Die Huthis waren sehr gut organisiert, bewaffnet und zeigten sich in direkter Auseinandersetzung mit Regierungstruppen immer wieder überlegen.[7]
Im August 2009 begannen jemenitische Streitkräfte eine neue Offensive gegen die Rebellen der Provinz Sa'da, die über 100.000 Menschen in die Flucht trieb. Der in westlichen Medien kaum erwähnte Konflikt nahm jedoch internationale Dimension an, als es im November an der Grenze zu Zusammenstößen zwischen den Rebellen und Saudi-Arabien kam, wobei auch die USA mit Luftangriffen intervenierten.[17] Anfang 2010 erklärten die Huthi-Rebellen eine einseitige Waffenruhe, die im Februar 2010 seitens der Zentralregierung für das Land bestätigt wurde.
2010 bis 2014
Nach gescheiterten Friedensvereinbarungen kam es im Laufe des Jahres 2012 erneut zu einem, diesmal landesweiten Bürgerkrieg. Als nach den Wahlen vom Februar 2012 der seit 34 Jahren herrschende Präsident Salih zurücktrat, verlor sein Nachfolger Mansur Hadi bald die Kontrolle über seinen Machtapparat, und einzelne Generäle begannen, mit ihren Truppen auf eigene Faust zu kämpfen.[18] Dennoch eroberten die vom Norden kommenden Huthi-Milizen nach der Hauptstadt Sanaa auch die wichtige Hafenmetropole Hudeida und stießen dabei in den Küstenregionen mit den von Osten kommenden Al-Qaida-Kämpfern zusammen. Die Kämpfe nahmen im Herbst 2014 noch an Heftigkeit zu.
Trotz der US-Drohnenangriffe auf den jemenitischen Al-Qaida-Ableger gelang es diesem 2014, die Provinzhauptstadt Ibb und Gebiete westlich davon einzunehmen.
Seit 2015
Im Februar 2015 lösten die Huthi-Machthaber, die sich selbst Shabab Al Mu'mineen (übersetzt etwa „Gläubige Jugend“) nennen, das Parlament Jemens auf und erklärten, dass das „Revolutionskomitee“ nun die Macht über das Land übernehmen werde.[19] Der abgesetzte jemenitische Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi stand nach der Machtübernahme durch die Huthi-Milizen in der Hauptstadt unter Hausarrest. Es gelang ihm aber die Flucht nach Aden bzw. Saudi-Arabien, welches ihm Asyl gewährt.[20]
Seit März 2015 flog die so genannte arabische Militärallianz in einer Militärintervention im Jemen mehr als 2000 Angriffe auf die Huthi-Milizen[21] und warf dem Iran zugleich militärische Unterstützung der Huthi vor. Ob Iran tatsächlich Einfluss auf die Huthi hat, ist umstritten und wird vom Iran dementiert.[22] Jedoch verfügt der Iran Stand März 2021 als einziges Land weltweit über offizielle diplomatische Beziehungen mit der Huthi-Regierung.[23]
Der Versuch der US-saudi-arabischen Allianz, ihre vom Ausland aus in den Jemen getragenen Angriffe nachträglich durch ein UN-Mandat legitimieren zu lassen, ist Stand Mai 2015 im UN-Sicherheitsrat auf keine Resonanz gestoßen.[24] Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sowie der Iran forderten hingegen eine sofortige Einstellung der Angriffe und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen.[25]
Huthi bekannten sich am 15. September 2019 zu den am Tag zuvor erfolgten Angriffen auf die Ölraffinerie Abqaiq und das Ölfeld Churais im Osten Saudi-Arabiens.[26]
Stand 2021 trieben die Huthi-Rebellen fünfmal so viele Steuern im Jemen ein, wie dies der einstige Diktator Ali Abdullah Saleh tat. Während der COVID-19-Pandemie im Jemen war der Gesundheitsminister der Huthi-Rebellen ein Moscheeprediger.[6]
Im Oktober 2021 beschossen Huthi-Rebellen aus Jemen den König-Abdullah-Flughafen in Jisan in Saudi-Arabien und verletzten dabei fünf Menschen leicht.[27]
Weblinks
- Ghaith Abdul-Ahad: Diary. In: London Review of Books, 21. Mai 2015
- Ariela Gross: Jemens bedingungslose Kapitulation. Präsident Hadi wird nur noch durch die internationale Gemeinschaft gestützt. Zur Freude eines gewissen Ali Abdullah Salehs... Internationale Politik und Gesellschaft (IPG), Friedrich-Ebert-Stiftung, 29. September 2014
Einzelnachweise
- Benjamin Wiacek: In Pictures: The scars of North Yemen's wars. In: aljazeera.com. 2. Juli 2012, abgerufen am 16. April 2015.
- Abgleiten in die Anarchie, 12. Juni 2015, FAZ, Abruf 8. Juni 2016
- TAZ.de „Staatskrise im Jemen – Huthi-Rebellen ergreifen die Macht“
- welt.de „Teheran weist aber den Vorwurf zurück“
- Devices found in missiles, Yemen drones link Iran to attacks. In: apnews.com. 20. April 2021, abgerufen am 3. August 2021 (englisch).
- Christoph Reuter: Saudi-Arabien und der Krieg am Persischen Golf: »Der Jemen, den wir kannten, ist Geschichte«. In: Der Spiegel. Abgerufen am 26. April 2021.
- Bruce Riedel: Who are the Houthis, and why are we at war with them?. In: Brookings. 18. Dezember 2017. Abgerufen am 11. August 2019.
- Lucas Winter: Conflict in Yemen: Simple People, Complicated Circumstances. In: Middle East Policy Council. Abgerufen am 20. April 2019.
- Shahir Shahidsaless: Does Iran really control Yemen. In: Al Monitor. 30. März 2015, archiviert vom Original am 13. Februar 2015; abgerufen am 1. Februar 2021.
- Nashwannews, 3. Oktober 2009, zitiert in: Lucas Winter: Conflict in Yemen: Simple People, Complicated Circumstances. In: Middle East Policy Council. Abgerufen am 20. April 2019.
- A. Barak Salmoni, Bryce Loidolt, Madleine Wells, Regime and Periphery in Northern Yemen. The Huthi Phenomenon. Santa Monica, 2010
- Sarah Phillips, Cracks in the Yemini System, in Middle East Report, 28. Juli 2005
- doctrinal interpretation laut Lucas Winter: Conflict in Yemen: Simple People, Complicated Circumstances. In: Middle East Policy Council. Abgerufen am 20. April 2019.
- Profile: Yemen's Houthi fighters. Al Jazeera, 12. Juli 2009
- April Longley, Abdul Ghani al-Iryani: Fighting brushfires with Batons: An Analysis of the political crisis in Soth Yemen. In: The Middle East Institute Policy Brief, Nr. 7, Februar 2008, S. 1–13
- Johannes Krug: Ein Ausdruck der Krise. DW, 27. April 2009
- Olivier Guitta: Iran and Saudi Arabia drawn to Yemen, Asia Times Online, 11. November 2009
- Michael Schmölzer: Jemenitischer Albtraum. Arabischer Frühling mündete direkt ins Chaos: Al-Kaida und schiitische Rebellen bekämpfen einander – hunderte Tote. Wiener Zeitung 22. Oktober 2014, S. 7
- Schiitische Rebellen übernehmen die Macht im Jemen, 7. Februar 2015.
- Abgesetzter Präsident aus Sanaa geflohen. Zeit Online, 21. Februar 2015.
- Im Jemen wird weiter gekämpft (Memento vom 24. April 2015 im Internet Archive), 22. April 2015.
- Spiegel online vom 6. April 2015: Gefechte im Jemen – „Aden ist eine Geisterstadt“.
- Monika Bolliger: Jemen: Wie der Konflikt zum Vielfrontenkrieg wurde. In: Der Spiegel. Abgerufen am 3. April 2021.
- Jemen. Mandat zum Einmarsch. Süddeutsche Zeitung, 7. Mai 2015.
- Iran fordert Waffenstillstand, Saudi-Arabien lehnt ab. Zeit Online, 12. April 2015.
- Attacke auf Ölraffinerie in Saudi-Arabien. Welt Online, 17. September 2019.
- Huthi-Rebellen beschiessen aus Jemen Flughafen in Saudi-Arabien, in: NZZ, 9. Oktober 2021.