Glasschwämme
Die Glasschwämme (Hexactinellida (Gr.: Sechsstrahlige)) sind eine Klasse aus dem Stamm der Schwämme (Porifera). Zu den Glasschwämmen zählen etwa 600 Arten (Stand 2013), die ausschließlich im Meer, vom Litoral bis in die Tiefsee leben. Glasschwämme stellen 8 % aller bekannten Schwammarten.[1] Zurzeit sind sie in 19 Familien und 125 Gattungen untergliedert.[2]
Glasschwämme | ||||||||||||
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Glasschwamm auf einer Koralle der Gattung Lophelia | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Hexactinellida | ||||||||||||
E. O. Schmidt, 1870 |
Übersicht
Glasschwämme weisen in ihrem Skelett sechsstrahlige oder davon ableitbare Nadelformen auf, die aus amorphem wasserhaltigem Siliziumdioxid (biogener Opal) aufgebaut sind. Die Bezeichnung der Klasse aufgrund der Morphologie ihrer Skelettelemente geht auf den Zoologen Eduard Oscar Schmidt zurück. In einer Glasschwammart können bis zu 20 verschieden geformte Nadeltypen auftreten. Die Glasschwämme sind entweder mit der Basis oder mit einem Bündel langer Glasfäden am Untergrund befestigt. Eine Ausnahme bildet die Art Monorhaphis chuni, welche eine gigantische einzelne Schwammnadel von bis zu 3 m Länge und 8 mm Dicke produziert, womit sich der Schwamm im Tiefseeboden des Indischen und Pazifischen Ozeans verankert.
Hexactinellida kommen in allen Weltmeeren vor, sie sind (mit wenigen Ausnahmen) Tiefseebewohner. Eine besonders große Dichte erreichen sie in den Gewässern rund um den antarktischen Kontinent in einer Tiefe von 100 bis 500 m. Obwohl sie dort nur in wenigen Arten vorkommen, können sie bis zu 90 % der am Meeresboden sitzenden Lebewesen (Benthos) ausmachen. Die großen Glasschwämme mit ihren zahlreichen Hohlräumen bieten wiederum anderen wirbellosen Tierarten, aber auch Jungfischen, eine Wohn- und Schutzstätte. Nach dem Absterben der Schwämme bleiben ihre Skelettnadeln am Boden liegen und bilden mit der Zeit bis zu 2 Meter mächtige glaswollartige Nadelmatten, die den Meeresboden strukturieren und verändern. Glasschwämme sind daher ein bedeutender ökologischer Faktor in der Antarktis.
Die höchste Artenzahl in einer begrenzten Region wurde mit etwa 70 verschiedenen Arten an der Ostküste Japans in der vor Tokio gelegenen Sagami-Bucht gezählt. Die Vorkommen von Glasschwämmen aus dieser Region, in Tiefen von 150 bis 1000 m, sind seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts der Wissenschaft bekannt. Die Art Hyalonema sieboldii, damals noch als „Glaspflanze“ oder „Glaskoralle“ bezeichnet, wurde im alten Japan zu Zimmerschmuck oder Haarnadeln verarbeitet.
Glasschwämme gehören zu den ältesten vielzelligen Tieren der Erdgeschichte. Sie wurden in etwa 545 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten (Ediacara-Formation, Oberes Präkambrium) nachgewiesen. Ihre höchste Verbreitung erreichten sie im Oberen Jura, vor etwa 200 Millionen Jahren, in den flachen Gewässern der Tethys. Zu dieser Zeit spannte sich ein 7000 km langer Schwammriff-Gürtel vom heutigen Kaukasus, über Rumänien, Süddeutschland, die Iberische Halbinsel bis an die heutige Küste Neufundlands. Damit waren die Hexactinellida bedeutende Riffbildner, vergleichbar mit den heute lebenden Korallen. Die Kalkfelsen in der Fränkischen Alb sind z. B. fossile Überreste solcher Glasschwammriffe. Das einzig heute bekannte größere Glasschwammriff umfasst ca. 1000 Quadratkilometer vor der Westküste Kanadas.[3]
Im Ostchinesischen Meer wurde ein Exemplar von Monoraphis chuni gefunden, das während seiner 11.000-jährigen Lebenszeit Nadeln von 3 Meter Länge und 1 Zentimeter Dicke ausbildete, deren „Jahresringe“ als Klimaarchiv dienen und stark schwankende Wassertemperaturen (zwischen 2 und 10 Grad Celsius) belegen.[4]
Der Mechanismus der Nadelbildung der Hexactinellida ist in seinen Grundzügen aufgeklärt. Die Nadeln bestehen aus konzentrisch abgeschiedenen Lagen um einen zentralen Hohlkanal, den ein organisches Axialfilament ausfüllt. Dieses besteht größtenteils aus dem silikat-abscheidenden Enzym Silicatein, das zur Cathepsin-Unterfamilie gehört. Ein weiteres Enzym, die Silicase, dient dazu, das amorphe Silizium in Lösung zu halten. Silicase ist verwandt zu den Kohlenstoff-Anhydrasen, aktives Zentrum ist ein Metallkomplex mit Beteiligung von Zink. Die fertigen Nadeln bestehen neben der amorphen Silikat-Glasmasse zu größeren Anteilen aus Strukturproteinen, vermutlich zu großen Teilen Kollagen. Der „Verbundwerkstoff“ aus Silikatglas und Protein ist elastischer als reines Glas: So ist es möglich, eine Schwammnadel bis zur Kreisform zu biegen; beim Loslassen kehrt sie unbeschädigt in ihre Ausgangsform zurück.
Systematik
Die Glasschwämme mit ihren etwa 500 bekannten Arten werden in zwei Unterklassen unterteilt:
Galerie
- Glasschwämme nach Zeichnungen von Franz Eilhard Schulze (1840–1921)
- Mikroskleren (sternförmig; dunkel) im Gewebe eines Glasschwammes
- Der japanische Hexactinellida-Forscher Isao Ijima (1861–1921) an seinem Arbeitsplatz umgeben von Trockenpräparaten großer Glasschwämme aus der Sagami-Bucht
- Der Glasschwamm Chaunangium crater, erbeutet auf der Valdivia-Expedition in den Jahren 1898–1899
- Eine nicht genauer bestimmte Hexactinellida-Art
- Unbekannte Hexactinellida-Art auf Kaurischnecken
Literatur
- John N. Hooper, Rob W. van Soest (Hrsg.): Systema Porifera: A Guide to the Classification of Sponges. Kluver Academic/Plenum Publishers, New York 2002, ISBN 978-0-306-47260-2.
Quellen
- Rob W. M. Van Soest, Nicole Boury-Esnault, Jean Vacelet, Martin Dohrmann, Dirk Erpenbeck, Nicole J. De Voogd, Nadiezhda Santodomingo, Bart Vanhoorne, Michelle Kelly, John N. A. Hooper, John Murray Roberts: Global Diversity of Sponges (Porifera). In: PLoS ONE. 7, 2012, S. e35105, doi:10.1371/journal.pone.0035105.
- World Porifera Database 2013
- Bernadette Calonego: Dinosaurier der Meere. In: Süddeutsche Zeitung. 11. Mai 2010 (sueddeutsche.de [abgerufen am 31. Dezember 2016]).
- Spektrum der Wissenschaft, Juni 2012, S. 11; nach: Klaus Peter Jochum, Xiaohong Wang, Torsten W. Vennemann, Bärbel Sinha, Werner E.G. Müller: Siliceous deep-sea sponge Monorhaphis chuni: A potential paleoclimate archive in ancient animals. In: Chemical Geology. Band 300/301, März 2012, S. 143–151, doi:10.1016/j.chemgeo.2012.01.009 (englisch).
Weblinks
- Glasschwämme – Dinosaurier der Meere. Süddeutsche Zeitung, 11. Mai 2010