Georg Popp
Georg Popp (* 31. Juli 1861 in Frankfurt am Main; † 15. Februar 1943 in Urberach) war ein deutscher Chemiker und Hochschullehrer in Frankfurt.
Popp gehörte zu den Begründern der mikroskopischen und naturwissenschaftlichen Kriminalistik und damit der „modernen Rechtsmedizin“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.[1]
Er formulierte den Popp’schen Grundsatz: „Die Unterschiede in den Böden von Ort zu Ort machen wertvolle Hinweise um die Verknüpfung zwischen einem Verdächtigen und einem Tatort zu beweisen.“[2]
Leben
Georg Popp, Sohn des Frankfurter Kaufmanns Friedrich Popp, besuchte die 1870 von der Frankfurter Polytechnischen Gesellschaft gegründete Wöhlerschule und kam so schon in jungen Jahren in Kontakt mit den chemischen Wissenschaften. Er absolvierte eine Lehrzeit als Handels- und Nahrungsmittelchemiker in Marburg, studierte in Leipzig und Zürich und gründete 1888 ein Laboratorium in Wiesbaden. Im gleichen Jahr promovierte er an der Fakultät für Chemie und Mineralogie in Leipzig. Er war Angehöriger der Corps Hasso-Nassovia (1882) und Saxonia Leipzig (1884).[3]
Als süddeutsche Kriminalpolizeistellen an ihn herantraten und um Untersuchungen giftverdächtiger Substanzen baten, erwachte in ihm die Leidenschaft für forensische Chemie und Toxikologie. Auf eigene Initiative gründete er 1889 in Frankfurt ein neues Labor, in dem er sich vorwiegend mit toxikologischen und mikroskopisch-chemischen Untersuchungen (etwa von Staub, Erde, Haaren, Textilien, Grashalmen und Blütenstaub) für kriminalistische Zwecke beschäftigte, das Institut für gerichtliche Chemie und Mikroskopie.[4]
Der Fall Lichtenstein
Es waren blutige Fingerabdrücke, die im Jahre 1904 Kriminalgeschichte schrieben. Zur Überführung eines Täters konnten sie freilich damals noch nicht dienen, dazu war die Daktyloskopie, 1901 ins englische Kriminalwesen eingeführt, zu neu. Im Gegenteil: Zunächst brachten die Abdrücke die Frankfurter Kriminalpolizei auf die falsche Spur.
Am 26. Februar 1904 wurde der 53-jährige Klavierhändler Hermann Richard Lichtenstein in einem Wohnhaus Frankfurt am Main, Zeil 69, in einer Ecke seines Lagers tot aufgefunden. Um den Hals war eine rote Vorhangschnur gezogen, und der Kopf wies vier schwere Hiebwunden auf, die von einem scharfkantigen eisernen Instrument herzurühren scheinen. Das Blut war bis auf Entfernungen von 10 Metern umher gespritzt. Im Blut des Opfers hatten sich Fingerspuren am Kragen abgedrückt. Der herbeigerufene Popp begutachtete die Spuren – und hielt sie für die Abdrücke einer Frau. Kommissar Bußjäger, dem der Raubmordfall übertragen worden war, ließ sich durch den renommierten 43-jährigen Gutachter nicht lange in seiner Meinung beirren: Um den großen, kräftigen Klavierhändler zu überwältigten, bedurfte es mit Sicherheit mehrerer Männer. Der Verdacht richtete sich auf den ehemaligen Metzger und nunmehrige Möbelträger und Klaviertransporteur Bruno Groß, 1876 in Sachsen geboren, der von Berufs wegen im Hause Lichtenstein aus- und eingegangen. Und nun war er verschwunden. Seine Bekanntschaft zu einem Kutscher und Pferdeknecht namens Fritz Stafforst, geboren 1879 in Goslar, war aktenkundig. Beide hatten in Leipzig Falschgeld unter die Leute gebracht. Nach kurzer Fahndung wurden beide festgenommen und schließlich zum Tode verurteilt. Popp hielt eingangs einen Vortrag über die Daktyloskopie, wobei er darauf verwies, dass eine genaue Sicherung von Fingerabdrücken am Tatort noch nicht möglich sei.[5]
Der Fall Disch
Zur Überführung des Arbeiters Karl Laubach, der am 7. Oktober 1904 die Näherin Eva Disch bei Wildthal überfallen hatte, trugen Popps Mikrofotografie vom Fingernagel des Täters, die ein rotes Seidenfädchen vom Halstuch des Opfers zeigt, sowie der mineralogische Vergleich der Erdbeschmierung an Laubachs Hose mit der Erde am Tatort bei.[6]
Der Fall Kroll
Bei den Ermittlungen zum „Liebesmord beim Böttingerhof“ fand Popp 1905 neben dem jungen Opfer (Caroline Kroll) zwei Taschentücher, wovon eines der Ermordeten, das andere ihrem Mörder, dem Pächtersohn Jakob Binkele gehörte. Popps mikroskopische Untersuchungen des Nasenschleims konnte bei der Aufklärung des Falls helfen, da in Binkeles Tuch unter anderem Strohteile und Sporen, die seine landwirtschaftliche Tätigkeit entsprachen, vorhanden waren.[7]
Der Fall Filbert
1908 erlangte Popp überregionales Ansehen nach der Bestellung zum Gutachter bei einem Mordfall der Margarethe Filbert in Falkenstein (Pfalz). Verdächtig war ein als Wilderer bekannter Mann. Die Ehefrau des Beschuldigten sagte aus, dass sie pflichtgemäß am Tage vor dem Verbrechen die Kleider und Schuhe ihres Gatten gereinigt hatte. An den Schuhen konnten im Fersenbereich drei Schichten Erde festgestellt werden. Die oberste Schicht und damit die älteste enthielt Gänsekot, der vermutlich im Hof des Wohnanwesens aufgetragen wurde. Die zweite Schicht enthielt Fragmente aus rotem Sandstein. Die unterste Schicht und damit die jüngste Schicht enthielt Teilchen aus Backsteinen, Kohlenstaub, Zement und eine Reihe anderer Mineralien. Diese Zusammensetzung entsprach im Vergleich den Proben, die an der Stelle an einer Burg genommen wurde, an der die Tatwaffe und die Kleidung der Toten versteckt waren. Der Beschuldigte sagte aus, dass er sei am Tattag ausschließlich auf seinen Feldern unterwegs gewesen. Die Felder waren von Porphyr mit Milchquarz unterlegt. Popp fand kein solches Material an den Schuhen, obwohl es an diesem Tage nass war. Popp hatte in diesem Falle die wesentlichen Elemente der kriminaltechnischen Untersuchungen von Bodenproben entwickelt, indem er Arten zwei Proben der Schuhe des Beschuldigten mit Bodenproben vom Tatort verglichen hatte.[8]
Gründung des ersten chemischen Polizeilabors
Die Idee, der Kriminalpolizei selbst naturwissenschaftliche Laboratorien anzugliedern und damit Toxikologen zu Kriminalisten zu machen, entstand schon vor der Jahrhundertwende, wurde aber erst 1911 durch Gründung eines ersten chemischen Polizeilabors in Dresden verwirklicht. In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg blieb das Feld der forensischen Chemie weitgehend sogenannten Gerichtschemikern überlassen, Wissenschaftlern aus Leidenschaft für die Sache wie Paul Jeserich in Berlin oder Georg Popp in Frankfurt, die in eigenen, oft behelfsmäßigen Laboratorien arbeiteten und sich für alle Gebiete der forensischen Wissenschaften interessierten.[9]
Der Fall Hopf
Im Frühjahr 1913 erschütterte eine Serie von Giftmordfällen die Mainmetropole Frankfurt. Der Täter, Karl Hopf, war ein berühmter Degenkünstler und die Frankfurter konnten es kaum fassen, dass ihr Publikumsliebling ein Giftmörder sein sollte. Karl Hopf, der stets auf großem Fuße lebte, stand im dringenden Verdacht, seine Eltern, sowie seinen unehelichen Sohn und seine erste Ehefrau mit Arsen vergiftet zu haben, um sich auf diese Weise vorzeitig in den Besitz der Erbschaft und der abgeschlossenen Lebensversicherungssumme zu bringen. Bei seiner zweiten und auch dritten Ehefrau versuchte er dies auf gleiche Weise. Seine zweite Frau schöpfte jedoch Verdacht und hielt sich von Hopf fern. Als er es bei seiner dritten Ehefrau wieder versuchte, lieferte der Hausarzt die schwer kranke Frau in das Frankfurter Diakonissenkrankenhaus ein. Dort verständigten die Ärzte die Polizei. Als Hopf seine Frau wieder besuchte, wurde er beim Verlassen des Krankenhauses festgenommen. Mit einer Giftampulle, die er immer bei sich trug, versuchte er sich umzubringen, was die Beamten im letzten Moment verhindern konnten. Nach der Sicherung von belastendem Beweismaterial wurde im Herbst 1913 vor dem Frankfurter Schwurgericht die Hauptverhandlung eröffnet. Um Karl Hopf die Giftmorde nachzuweisen zu können, stieß man damals noch auf große Schwierigkeiten. Es gab bis dahin immer noch kein zuverlässiges Verfahren, Arsen im menschlichen Körper nachzuweisen. Alle bedeutenden Gerichtschemiker dieser Zeit traten in dieser Verhandlung als Sachverständige auf. Der Gerichtssaal glich zeitweise einem wissenschaftlichen Kolloquium. Mit sehr viel Mühe gelang es schließlich, Hopf des Giftmordes an seiner ersten Frau zu überführen. Den Ausschlag hierfür gab Popp. Karl Hopf wurde vom Geschworenengericht zum Tode verurteilt und im Gefängnis Frankfurt-Preungesheim hingerichtet.[10]
Rechtsmedizin an der Universität
Die "moderne Rechtsmedizin" begann an der Universität Frankfurt am Main mit der Zusammenführung der in Kliniken und medizinischen Instituten verstreuten Einrichtungen und der Errichtung des Lehrstuhls an der neu gegründeten Frankfurter Stiftungsuniversität im Jahre 1914. Zuvor wurden die forensische Chemie und Toxikologie durch Georg Popp, die forensische Psychiatrie durch Julius Raecke, die Versicherungsmedizin durch Hans Liniger und die Rechts- und Standeskunde durch August de Bary vertreten.[1]
Der Fall Siefert
Im Jahre 1921 wurde der Bahnarbeiter Leonhard Siefert in einem der ersten Indizienprozesse der deutschen Justizgeschichte anhand von Fingerabdrücken, Blutuntersuchungen und Spuren von Pflanzenresten des Tatortes wegen Mordes an zwei Bürgermeistern verurteilt und mit dem Fallbeil in Bruchsal hingerichtet. Der Prozess hat Justizgeschichte geschrieben: Popp hatte am Tatort Proben von Harz, Schneckenschleim, Haselnuss-Schalen, Moose, Blätter von verschiedenen Baumarten und andere organische Ablagerungen entnommen und konnte diese den Spuren an Sieferts Kleidung zuordnen.[11]
Sonstiges
1924 wurde Popp als einer der ersten deutschen Gerichtschemiker zum Honorarprofessor für forensische Chemie ernannt. 1928 war er mit den Ermittlungen im Mordfall Anna Mehle, in Grünstadt und Bad Dürkheim betraut.[12]
Im Jahre 1929 gründete Georg Popp mit dem schweizerischen Kriminalisten Marc Bischoff, dem Franzosen Edmond Locard, dem Niederländer CJ van Ledden Hulsebosch und dem Österreicher Siegfried Türkel in Lausanne die in Wien ansässige «Académie Internationale de Criminalistique» (Internationale Akademie für Kriminalistik).[13]
Die Frankfurter nannten ihn „den Jäger“ – in doppeltem Sinne, denn sein größtes Hobby war die Jagd. Er starb 82-jährig in einer Jagdhütte bei Urberach.
Georg Popp galt als erklärter Gegner der NS-Ideologie, seine Schwiegertochter war Jüdin.[14] Sein ehemaliges Corps Hasso-Nassovia verzeichnete ihn auf einer Gedenktafel als NS-Opfer.
„Popp’scher Grundsatz“
„Die Unterschiede in den Böden von Ort zu Ort machen wertvolle Hinweise um die Verknüpfung zwischen einem Verdächtigen und einem Tatort zu beweisen. Der Boden ist ein komplexes Gemisch mit einer Vielzahl von mineralogischen, chemischen, biologischen und physikalischen Eigenschaften. Da Mineralien ein wichtiger Bestandteil der Böden sind, ist eine mineralogische Untersuchung des Bodens in der forensischen Identifikation von wesentlicher Bedeutung. Materialspuren sind mineralogische, biologische oder chemische Rückstände eines Gegenstandes, beispielsweise in den Formen von Abrieben und Anrieben. Wichtig für eine Untersuchung ist die geeignete Kombination von Methoden, die Berücksichtigung des Kontexts die Bodenproben zu wählen. Sie fasst ein breites Spektrum über die Analyse von Bodenkomponenten und der eng verwandten Materialien wie Pflanzenfragmente, Pollen und Sporen, und Kieselalgen. Der Bodenbildungprozess beinhaltet Grundwerkstoffe, Temperatur, Wasserzustand, Vegetation, die Uhrzeit und die chemischen Prozesse der Lösung, Oxidation, Reduktion, und sogar menschliche Aktivitäten. Die Geschichte der Entwicklung eines Bodens und die Ergebnisse solcher komplexer Prozesse der Bodenbildung bildet sich stark in Bodenfarbe wider. Die systematische Beobachtung der Erde im Hinblick auf die Farben ist besonders nützlich für die Untersuchung.“[15]
Literatur
- Popp: Die Beobachtung und Deutung von Blutspuren bei Kriminalforschungen. In: Zeitschrift für öffentliche Chemie 1904, 10, S. 355–363.
- F.W. Sieber: Georg Popp zum 70. Geburtstag, zugleich ein Beitrag zur Entwicklung der gerichtlichen Chemie und naturwissenschaftlichen Kriminalistik. Stuttgart 1971.
- Jürgen Thorwald: Die Stunde der Detektive. Werden und Welten der Kriminalistik. Droemer Knaur, Zürich und München 1966, S. 295–312 und Abbildung S. 288 f., 320 f. und 352 f.
Einzelnachweise
- formed-ffm.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. abgerufen am 28. September 2009.
- U.H. Puranen: Ein neues Verfahren zum Sammeln von kriminalistisch bedeutsamen Staub. ArchKrim 115, 1955, S. 96
- Kösener Corpslisten 1930, 101, 438; 96, 569.
- nikola-hahn.com (Memento des Originals vom 13. Mai 2008 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. abgerufen am 28. September 2009.
- frankfurt.frblog.de (Memento des Originals vom 24. August 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. abgerufen am 26. September 2009.
- Jürgen Thorwald (1966), S. 300–321.
- Jürgen Thorwald (1966).
- forensicgeology.net abgerufen am 26. September 2009.
- polizei.hessen.de abgerufen am 3. Januar 2011.
- kmffm.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. abgerufen am 29. September 2009.
- E. P. Junger: Assessing the Unique Characteristics of Close-Proximity Soil Samples: Just How Useful is Soil Evidence? In: Journal of Forensic Sciences, 41, 1996 S. 27–34.
- Grünstadter Zeitung vom 16. Juli 1928 (archiviert bei Stadtverwaltung Grünstadt).
- encyclopedia.com abgerufen am 15. September 2009.
- E. J. Wagner: Die Wissenschaft bei Sherlock Holmes, John Wiley & Sons, 2008, ISBN 3527503781, S. 161; (Digitalansicht)
- Popp: Identifizierungen von Bodenproben und kriminalistische Bodenforschung. In: Zeitschrift für öffentliche Chemie 1907, S. 473 ff.