Genezarethkirche (Berlin-Neukölln)
Die Genezarethkirche im Schillerkiez des heutigen Berliner Ortsteils Neukölln wurde von Franz Schwechten im neogotischen Stil errichtet. Die Grundsteinlegung war am 18. September 1903, die Einweihung am 4. Juni 1905. Im Zweiten Weltkrieg richteten Luftangriffe der Alliierten schweren Schaden an. 1955 begann der Wiederaufbau. Am 20. September 1959 wurde die Kirche am Herrfurthplatz 14 wieder eingeweiht. Mit der Fürbitt-Melanchthonkirchengemeinde bildet sie den Pfarrsprengel Nordwest-Neukölln im Evangelischen Kirchenkreis Neukölln.
Geschichte
Im nahegelegenen Berlin führte die Industrialisierung zu einem Anstieg der Einwohnerzahl durch zuwandernde Arbeitssuchende. Als Folge des ständigen Einwohnerzuwachses wurde städtischer Boden für Wohngebäude knapp, sodass sich das Interesse auf die Gemeinden vor den Toren Berlins richtete, zu denen auch Rixdorf gehörte. Die einzige größere Kirche war die Magdalenenkirche, die für die vielen Gläubigen inzwischen zu klein war. So entstand der Wunsch nach einer zweiten Predigtstätte. Es bildete sich eine neue Gemeinde, die 1891 ihren ersten eigenen Gottesdienst ohne eigenen Kirchenraum hielt. Der Kirchengemeinde wurde ein Vermächtnis in Höhe von 100.000 Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 710.000 Euro) zur Errichtung einer Kirche zuteil. Zusätzlich stellte der Kirchenbauverein einen Betrag von 20.000 Mark zur Verfügung. Die Gemeinde Rixdorf übereignete den Herrfurthplatz der Kirchengemeinde unentgeltlich mit der Bestimmung, eine Kirche zu bauen. 1901 wurde mit dem Bebauungsplan der Stadt Rixdorf das Straßenraster mit der Schillerpromenade, dem Herrfurthplatz und den angrenzenden Straßen in seiner jetzigen Form festgelegt. In den Folgejahren wurden durch Terraingesellschaften Miethäusern gebaut.
Vom August 1915 bis November 1918 war die Genezarethkirche zugleich Garnisonkirche für die Infanterietruppen, die in den umliegenden Schulen untergebracht waren. Im April 1917 wurden die 23 Prospektpfeifen der Orgel, die aus reinem Zinn waren, durch die Militärverwaltung für die Verwendung im Ersten Weltkrieg beschlagnahmt.
Im Oktober 1927 wurden vor den Kirchenfenstern Drahtgitter angebracht, um diese vor dem Hineinwerfen von Steinen zu schützen. Am 1. Juli 1928 wurde die aus acht rotleuchtenden Neonröhren bestehende Turmbeleuchtung zum Schutz der in der Dunkelheit verkehrenden Flugzeuge in Betrieb genommen. Im Winter 1939/1940 wurde wegen der Nähe des Tempelhofer Flughafens die 24 Meter hohe Turmspitze abgetragen und der Turm bis auf die Giebel auf 38 Meter verkürzt. Ansonsten blieb die Kirche unverändert. Das Innere der Kirche hatte durch die Bauarbeiten am Turm erhebliche Schäden davongetragen. Von April 1941 bis Mai 1942 fand daher eine gründliche Neugestaltung des Innenraums der Kirche statt. Die bunten Fenster wurden gegen eine helle Verglasung ausgetauscht.
Am 29. Januar 1945 richteten Bomben schweren Schaden an. Das ganze Kirchendach wurde abgedeckt, sämtliche Fensterrahmen mit ihren Schutzgittern herausgerissen und Türen zersplitterten, das Gestühl und die Kanzel wurden beschädigt. Die Decke über dem linken Seitenschiff war auf die Empore gestürzt, die übrigen Decken waren durchlöchert. Die Dachsparren waren abgebrannt und das Uhrwerk herausgefallen. Aus der zerstörten, unbenutzbaren Kirche wurde insbesondere brennbares Material von der Bevölkerung entwendet.
Auf Befehl des amerikanischen Hauptquartiers in Berlin wurde der letzte Teil des Glockenturms, in dem sich die Glockenstube befand, zur Sicherung der Flugzeuge bei An- und Abflügen abgetragen. Die drei Glocken lagen nun im Kirchenschiff. Sie wurden im September 1947 zur Aufbewahrung ins Gemeindehaus gebracht und die kleine Glocke in einen, am 2. November 1947 im Garten des Gemeindehauses eingeweihten, Glockenstuhl aufgehängt.
Am 1. April 1948 wurde die Genezareth-Kirchengemeinde selbstständig. 1955, zum 50-jährigen Kirchenjubiläum, standen nur die Umfassungsmauern der Kirche, wurde mit dem Wiederaufbau der Glockenstube begonnen. Der Turm durfte allerdings nur noch eine Höhe von 30 Meter haben. Erst 1957, nachdem der Glockenstuhl wieder aufgebaut war, konnten die Glocken wieder zurück in die Kirche.
Gebäude
Schwechten hielt sich noch an das Eisenacher Regulativ, das für Kirchenbauten hauptsächlich gotische Stilformen vorschrieb. Jedoch wählte er für seinen unverputzten Backsteinbau kein Langhaus mehr, sondern einen zentralen Grundriss in der Form eines Kreuzes mit gleich langen Armen. Fenster und Türen hatten aber noch gotische Spitzbogenformen. Der 62 Meter hohe Turm wurde über der Vierung angeordnet. In den folgenden Jahren wurde die Ausstattung ergänzt.
Die drei Gussstahlglocken, 1904 vom Bochumer Verein hergestellt und am 27. Juli 1904 im Turm aufgehängt, haben beide Weltkriege überstanden, weil für Stahlguss bei den Behörden kein Interesse bestand.
Eine Inventarliste der Gießerei enthält folgende Angaben: das Ensemble aus Glocken mit Klöppel, Lager, Achsen und Läutehebel kostete in der Herstellung 3.649 Mark[1] (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 26.000 Euro).
Glocke | Schlagton | Gewicht (kg) | Durchmesser (mm) | Höhe (mm) | Inschrift |
---|---|---|---|---|---|
1. | dis' | 1280 | 1430 | 1275 | ICH BIN´S. |
2. | fis' | 820 | 1260 | 1120 | KOMM HERR! |
3. | gis' | 555 | 1124 | 1005 | HERR HILF MIR! |
Die Farbverglasungen kamen 1907, 1911 und 1912 hinzu. Die Orgel befand sich auf der Empore hinter dem Altar. Seit 1961 steht hinter dem Altar die Schuke-Orgel mit drei Manualen und 38 Registern. Ihre Disposition kann bei Orgel Databank[2] eingesehen werden.
Zwischen 2003 und 2006 wurde die Kirche nach einem Entwurf von Gerhard Schlotter umgebaut und erweitert, was zu einer anderen Wahrnehmung des ursprünglichen Sakralbaus führt. Die Kubatur passt nicht mehr zu der Dimension des Platzes. Auch ist der Kirchraum kleiner geworden. Neben einem Café entstanden Büro- und Gruppenräume zur Nutzung für Gruppen und Initiativen aus Gemeinde und Wohnumfeld. Darüber hinaus werden alle Aktivitäten der Gemeinde aus dem Gemeindehaus an der Schillerpromenade in die Kirche verlagert. Die Krypta wird von Fenstern geziert, die von hinten beleuchtet werden. Sie entstammen dem Umbau vom Ende der 1950er Jahre und mussten im Zuge der Erweiterung 2003 ausgebaut werden. Der Altar in der Krypta besteht aus zwölf Sandsteinplatten aus einem Steinbruch nordöstlich des Sees Genezareth. Seit 2002 steht auf diesem Altar ein Kruzifix der Berliner Künstlerin Anna Franziska Schwarzbach, das aus drei Edelstahlelementen besteht. Das Leiden Christi wird symbolisch durch einen geneigten Kopf angedeutet.
Innenraum
Der Innenraum war in hellen Farben gehalten, die hohen gotischen Bogenfenster hatten einfaches Glas. 1906 wurden wegen der Zugluft überall Doppelfenster eingebaut. Die Innenwände und das Deckengewölbe erhalten einen Farbanstrich, auch die Treppenhäuser und die Nebenräume werden ausgemalt. In den Jahren 1907, 1911, 1912 erhalten die Fenster unter den Emporen, dann auch die hohen Fenster in den Giebeln eine bunte figürliche Verglasung. Über den Wandflächen erhob sich ein durch Gurten in Felder geteiltes Kreuzgewölbe. Das Gestühl, der Altar, die Emporen-Balustraden und der Orgelprospekt waren in braun gehalten. Das Altarbild aus der Glasmosaik-Werkstatt Puhl & Wagner stellt den sinkenden Petrus dar. Es hängt jetzt in der östlichen Fensternische. Dieses Bild bezieht sich auf den Namen der Kirche, denn die dargestellte Szene spielt sich auf dem See Genezareth ab.
Als beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg das Dach gedeckt war, konnten die Arbeiten im Innenraum der Kirche beginnen. Zunächst wurden die Innendecken wieder eingezogen. Die Sakristei wurde ausgebaut und die Vorhalle umgebaut. Die Fenster wurden wieder verglast und die Wände wieder abgeputzt. Anschließend wurden die Tischler- und die Malerarbeiten erledigt. Nachdem die Kirche soweit instand gesetzt war, wurde 1959 Werner Harting mit der Ausgestaltung des Innenraums beauftragt. Um den zentralen Charakter des Bauwerks zu betonen, wurde das Taufbecken in die Mitte des Raumes gestellt und das Kirchengestühl um das Taufbecken herum angeordnet. Die Orgel fand wie ursprünglich ihren Platz hinter dem Altar. Der hinter dem Altar liegende Chorraum wurde durch eine durchbrochene farbige Glaswand, den Brennenden Dornbusch von HAP Grieshaber, vom Kirchenraum abgetrennt. Der 18 Meter hohe Brennende Dornbusch ist innerhalb der Genezarethgemeinde bis heute umstritten. An der Glaswand wurde 1964 ein großes Kruzifix von Christian Höpfner, einem Schüler von Richard Scheibe, angebracht, das inzwischen wieder entfernt wurde. Der Altar, der Taufstein und das Pult sind nach Hartings Entwürfen gefertigt.
Literatur
- Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin: Berlin und seine Bauten. Teil VI. Sakralbauten. Berlin 1997.
- Günther Kühne, Elisabeth Stephanie: Evangelische Kirchen in Berlin. Berlin 1978.
- Der Gemeindekirchenrat der Genezareth-Gemeinde: Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum der Genezareth-Kirche. Berlin 1980.
- Der Gemeindekirchenrat der Genezareth-Gemeinde: 100 Jahre Genezareth. Berlin 2005.
- Klaus-Dieter Wille: Die Glocken von Berlin (West). Geschichte und Inventar. Berlin 1987.
Weblinks
- Genezareth-Kirchengemeinde
- Die Orgel der Genezarethkirche Berlin – Beitrag auf Orgel-Verzeichnis
Einzelnachweise
- Zusammenstellung der nach Berlin und Umgegend gelieferten Geläute; Bochumer Verein, um 1900. Im Archiv der Köpenicker Kirche St. Josef, eingesehen am 6. August 2019.
- Disposition der Orgel