FRMCS
Das Future Railway Mobile Communication System (Abkürzung FRMCS) ist die englischsprachige Bezeichnung für ein Kommunikationssystem bei Schienenverkehrssystemen. Es wird vom weltweiten Internationalen Eisenbahnverband (UIC) koordiniert und gemeinsam mit der Europäischen Union und wichtigen Unternehmen der westeuropäischen Eisenbahnindustrie entwickelt.
Die Entwicklung dient einer Nachfolgelösung für GSM-R. Für die beabsichtigte Ablösung ist aber eine vollständige Neuentwicklung gewählt worden. Die Ursachen liegen in stark erweiterten Anforderungen seitens des European Rail Traffic Management Systems (ERTMS) wie automatischer Zugbetrieb (ATO) und erhöhter Netzwerksicherheit (Cybersecurity).[1]
Hinsichtlich des OSI-Models ist das neue System oberhalb von Ebene 4 anzusiedeln, da es ausschließlich paketorientierte Kommunikation nach Internetstandards (TCP/IP) verwendet. Zur Bereitstellung des Gesamtsystems musste aber sehr viel Arbeit im Bereich der Kommunikationsgeräte, der Funknetzstrukturen sowie der Bereitstellung von spektraler Bandbreite geleistet werden. Aufgrund der durchgehenden IP-Technik sind keine inhaltlichen Datenkonvertierungen zwischen den Kommunikationsendpunkten mehr notwendig und es werden sehr schnelle Datenlaufzeiten erreicht.
Organisation
Die Europäische Union unterstützt ein Projekt 5GRail zur Validierung der FRMCS-Spezifikationen, für die die Prototypen sowohl für das strecken- als auch das fahrzeugseitige System entwickelt und getestet werden sollen. Bei 5GRAIL sind beteiligt:
- UIC (als Koordinator),
- UNIFE,
- DB,
- SNCF,
- SBB,
- ÖBB,
- IP,
- Nokia,
- Kontron,
- Alstom,
- Thales,
- Siemens,
- CAF und
- Teleste.
Weiterhin sind Forschungszentren und Universitäten aus Frankreich und Dänemark beteiligt.[2]
Geschichte
Als Verwalter der GSM-R-Spezifikationen EIRENE (Europe Integrated Railway Radio Network Enhancement) and MORANE (Mobile radio for Railway Networks in Europe) startete die UIC die Untersuchungen um FRMCS im Jahre 2015 in Zusammenarbeit mit der gesamten Eisenbahnbranche. Der Antrieb dazu war hauptsächlich die Abkündigung der bisherigen GSM-Funktechnik ab 2030 und die Ermittlung der Migrationsbedingungen für die Ablösung der westeuropäischen GSM-R-Installationen.
Nach ersten Übersichtsuntersuchungen legte die UIC ein strukturiertes Programm fest, um alle Aspekte der wichtigen Migration des Kommunikationsstandards im Eisenbahnsektor zu bedenken:
- Funktionsumfang von FRMCS mit den vermuteten Kommunikationsanforderungen für Modernisierung und Digitalisierung der Züge festlegen, welcher weit über den aktuellen von GSM-R hinausgeht;
- Spezifikationmethoden: Findung und Festlegung von Benutzer-, funktionellen and Systemanforderungen;
- Standardisierungsstrategie: Einbindung der internen speziellen Anforderungen in vorhandene Mobilfunk-Normierungsprozesse (3GPP) durch aktive Beiträge des Eisenbahnsektors in den Normierungsgruppen SA1, SA2 und S6 mit ständiger Unterstützung des Europäischen Institutes für Telekommunikationsnormen (ETSI) TC-RT (Technical Committee for Rail Telecommunications);
- Spectrum-Strategie und Unterstützung von ad-hoc-Netzen in CEPT- / ECC-Gruppen: Die Erweiterung der digitalen Anwendungsbereiche von FRMCS wird weitere spektrale Bandbreite erfordern.
- Definition einer neuen Telecom On-Board Architecture (TOBA): Zusammenfassendes Funkgerät für alle Außenkommunikationsverbindungen der betrieblichen Dienste des Zuges
- Prüfung verschiedener Migrationsszenarien: Auswirkungen und technische Vorschläge für Eisenbahnbetreiber;
Ende 2020 war FRMCS in einem Stadium, in dem
- die User Requirements Specification (URS) für eine erste Version (FRMCS V1) stabilisiert wird,
- die Functional Requirements Specification (FRS) und
- die System Requirements Specification (SRS) in einem vorläufigen Zustand sind,
- nach Review durch ETSI TC-RT die kompletten Listen für die Anwendungsfälle und für die Standardisierung entsprechend FRMCS V1 in den 3GPP-Prozess für Aufnahme in die Releases 16 and 17 eingereicht worden sind.[3]
Im Februar 2020 erschien die implementierungsunabhängige Anforderungsspezifikation der Benutzer an FRMCS in Version 5.0.0.[4]
Dabei gibt es drei Meilensteine:
- Praktische Überprüfung der technischen, funktionalen und Systemelemente von FRMCS V1 zusammen mit wichtigen Telekommunikationslieferanten, um nach Anpassungen und Justierungen eine betriebsfähige Spezifikation zu erhalten;
- Lieferung einer abgeschlossenen FRMCS V1-Spezifikation an die Europäische Eisenbahnagentur (ERA), die Ende 2022 in die CCS TSI-Revision aufgenommen werden kann;
- Schaffung aller Voraussetzungen zur Vorbereitung von praktischen FRMCS-Betriebserprobungen, die vor der produktiven Einführung 2025 notwendig sind.
Mit Beschluss vom 28. September 2021 verpflichtet die Europäische Kommission die Mitgliedsstaaten, bis zum 1. Januar 2022 die gepaarten Frequenzbänder 874,4–880,0 MHz und 919,4–925,0 MHz sowie, ab 1. Januar 2025, das ungepaarte Frequenzband von 1900 bis 1910 MHz für Bahnmobilfunk (GSM-R und FRMCS) auszuweisen.[5]
Die nächste TSI ZZS, deren Verabschiedung für Anfang 2023[6] erwartet wird, soll eine Schnittstelle zu FRMCS enthalten (“FRMCS Readiness”[6]). Der Fokus dieser TSI soll auf einer FRMCS-Vorbereitung liegen, sodass FRMCS später ohne wesentliche Änderung umgesetzt werden können soll. Ein Standard der ETSI soll bis Ende 2022 vorliegen.[7] 2024 soll eine abgeschlossene FRMCS-Spezifikation vorliegen. Ein flächendeckender Rollout könnte ab 2025 beginnen.[8]
In der Schweiz soll FRMCS bis 2035 GSM-R ablösen. Dabei sollen die GSM-R-Standorte möglichst weiterverwendet werden.[9]
Die Deutsche Bahn plant, FRMCS zwischen 2026 und 2035 einzuführen, in einem Spektrum bei 900 und 1900 MHz zu betreiben. Zur Versorgung von ca. 33.000 Streckenkilometern sind zwei zentrale Standorte, etwa 50 regionale Standorte und etwa 9.000 Antennenstandorte geplant. FRMCS soll zunächst parallel zu GSM-R betrieben werden. Ein Roaming mit öffentlichen Mobilfunkanbietern ist geplant.[10]
Für die Migration von GSM-R zur FRMCS wird ein zeitweiliger Parallelbetrieb beider Systeme als notwendig erachtet.[8]
Erprobung
Entlang der von der Erzgebirgsbahn betriebenen Strecke werden 5G-Funkmasten aufgebaut. Mit dem dadurch entstehenden Testfeld wollen die Technische Universität Chemnitz und die DB Technologien zur Digitalisierung und Automatisierung des Schienenverkehrs unter realen Bedingungen testen.[11] Dort sollen auch neue Mehrantennen-Funkverfahren (MIMO, Coordinated Multi-Point, Beamforming) erprobt werden. Ergebnisse, die auch in die laufende FRMCS-Standardisierung einfließen sollen, werden Ende 2021 erwartet.[12]
Die FRMCS-Migration soll, nach Angaben der Deutschen Bahn, bis 2035 abgeschlossen werden. Die DB rechnet damit, GSM-R noch bis zu 2035 zu betreiben.[13] Anforderungen zu FRMCS sollen in das Betriebliche Zielbild eingearbeitet werden.[14]
Bei der Fahrzeugnachrüstung für den Digitalen Knoten Stuttgart (DKS) ist FRMCS Gegenstand einer Innovationskooperation. 333 Triebzüge sollen im Rahmen ihrer ETCS-Ausrüstung bis 2024 für FRMCS vorbereitet und in den Jahren 2025 bis 2027 damit ausgerüstet werden.[15] Im September 2021 schrieb DB Cargo die Ausrüstung von mindestens 32 Lokomotiven der Baureihe 189 mit einer Vorrüstung einer Option für FRMCS aus, um dieses ab 2026 zu nutzen.[16][17] FRMCS ist eine Voraussetzung, um Fördermittel des Bundes aus einer Förderung im Rahmen des DKS zu erhalten.[18]
FRMCS über öffentlichen Mobilfunk wird in Finnland getestet.[19] Ein Labor dafür soll 2022 zur Verfügung stehen, eine Teststrecke 2024. Ab 2026 soll der Regelbetrieb folgen.[20]
Technik
Fahrzeuginfrastruktur
Telecom On-Board Architecture (TOBA): Zusammenfassendes Funkgerät für alle Außenkommunikationsverbindungen der betrieblichen Dienste des Zuges.[21]
Funknetz
Die FRMCS-Spezifikation sieht zunächst eigenständiges 5G (in den bahnspezifischen Frequenzbändern bei 900 MHz und 1900 MHz) vor. Für folgende Versionen ist vorgesehen, auch FRMCS über bahnfremde Zugangsnetze (öffentliche Mobilfunknetze) zu ermöglichen.[19]
In Europa war zeitweise geplant, eine Mindestbandbreite von 1,4 MHz innerhalb des bereits genutzten 4 MHz breiten UIC-Frequenzbandes zu nutzen.[22] Inzwischen ist eine Mindestbandbreite von 5 MHz vorgesehen, wofür das bestehende (erweiterte) GSM-R-Band bei 900 MHz und/oder ein neues, 10 MHz breites Band bei 1,9 GHz genutzt werden kann.
Nutzen
Im ETCS-Betrieb kann FRMCS durch gegenüber GSM-R verkürzten Laufzeiten zu einer erhöhten Fahrwegkapazität beitragen.[23]
Weblinks
Einzelnachweise
- FRMCS. In: https://5grail.eu/. 5GRAIL Project, Official Website, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
- Digitalisierung: UIC startet FRMCS-Projekt 5GRAIL. Eurailpress, 10. November 2020, abgerufen am 8. August 2021.
- FRMCS and 5G for rail: challenges, achievements and opportunities. (PDF; 2 MB) In: https://uic.org/. 15. Dezember 2020, S. 10, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
- Future Railway Mobile Communication System – User Requirements Specification. (PDF; 2 MB) In: uic.org. Internationaler Eisenbahnverband, 19. Februar 2020, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
- Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1730 der Kommission vom 28. September 2021 über die harmonisierte Nutzung der gepaarten Frequenzbänder 874,4–880,0 MHz und 919,4–925,0 MHz sowie des ungepaarten Frequenzbands 1 900–1 910 MHz für den Bahnmobilfunk , abgerufen am 2. Oktober 2021
- TSIs Revision Package: the Tool for Sustainable Railways. (PPTX) In: era.europa.eu. Europäische Eisenbahnagentur, 23. Februar 2022, S. 14, 23, abgerufen am 27. Februar 2022 (englisch).
- Ian Conlon: Digital Rail and Green Freight TSI Revision. (PDF) RISC 93. Europäische Kommission, 11. November 2021, S. 4, 8 f., abgerufen am 12. November 2021 (englisch).
- Amelie Wimpffen, Thorsten Büker, Silvio Döring, Matthias Becker, Bernd Potthof: Überbrückungsstrategien bis zur Einführung von FRMCS. In: Signal + Draht. Band 113, Nr. 5, Mai 2021, ISSN 0037-4997, S. 6–12 (PDF).
- Noël Binetti: Neue Netzabdeckung für das Läufelfingerli. In: Oltner Tagblatt. 14. Oktober 2021, S. 25.
- Markterkundung: Realisierung einer zukünftigen FRMCS Plattform für die bahnbetriebliche Kommunikationsplattform. In: bieterportal.noncd.db.de. DB Netz, 15. November 2021, abgerufen am 6. Dezember 2021 (Dokument Preisindikation und technische Fragen in verlinkter verschachtelter ZIP-Datei).
- Bund fördert Erforschung digitaler Schienentechnologie. In: bmvi.de. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 21. Januar 2021, abgerufen am 8. August 2021.
- Erprobung von innovativen Antennensystemen für das zukünftige Bahnfunknetz FRMCS startet. In: digitale-schiene-deutschland.de. Deutsche Bahn, 31. August 2021, abgerufen am 2. September 2021.
- Deutscher Bundestag (Hrsg.): Antwort der Bundesregierungauf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Victor Perli, Sabine Leidig, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/30742 –. Digitale Schiene – Stand und Probleme beim European Rail Traffic Management System und der digitalen automatischen Kupplung. Band 19, Nr. 31824, 29. Juli 2021, ISSN 0722-8333, S. 13 (BT-Drs. 19/31824).
- Matthias Kopitzki, Wolfgang Braun, Sebastian Post: Betriebliches Zielbild für den digitalen Bahnbetrieb. (PDF) In: ews.tu-berlin.de. DB Netz, 15. November 2021, S. 37, abgerufen am 22. November 2021.
- Frank Dietrich, Marco Meyer, Rene Neuhäuser, Florian Rohr, Thomas Vogel, Norman Wenkel: Fahrzeugnachrüstung für den Digitalen Knoten Stuttgart. In: Der Eisenbahningenieur. Band 72, Nr. 9, September 2021, ISSN 0013-2810, S. 39–45 (PDF).
- BR 189 ETCS-Nachrüstung. In: bieterportal.noncd.db.de. Deutsche Bahn, 5. September 2021, abgerufen am 15. Oktober 2021.
- Projektbeschreibung Vergabeeinheit: Ausrüstung von Lokomotiven der DB Cargo AG (Baureihe 189) mit ETCS für „First-in-class“ und Serie. In: bieterportal.noncd.db.de. DB Cargo, 15. Oktober 2021, S. 2, 7, 8, abgerufen am 15. Oktober 2021 (Datei Anhang B6 – BR189 Projektbeschreibung.pdf).
- Gratza: Bekanntmachung der Richtlinie zur Förderung der Ausrüstung von Schienenfahrzeugen mit Komponenten des Europäischen Zugsicherungssystems ERTMS (European Rail Traffic Management System) und des automatisierten Bahnbetriebs (ATO) im Rahmen der infrastrukturseitigen Einführung von ERTMS im „Digitalen Knoten Stuttgart“. In: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.): Bundesanzeiger, amtlicher Teil. Bundesanzeiger Verlag, 5. Februar 2021, ISSN 0344-7634 (PDF [abgerufen am 5. Februar 2021] Fundstelle BAnz AT 05.02.2021 B2).
- Juha Lehtola, Peteveikko Lyly: Implementierung von FRMCS im öffentlichen Funknetz auf der finnischen ERTMS-Teststrecke. In: Signal + Draht. Band 113, Nr. 5, Mai 2021, ISSN 0037-4997, S. 26–30.
- Esther Geerts: FRMCS tests in Finland to start in 2022. In: railtech.com. 6. Juli 2021, abgerufen am 11. September 2021 (englisch).
- Description and Evaluation of Possible FRMCS Migration Variants for Existing ETCS and Cab Radio On-Board Units. (PDF; 1,1 MB) In: https://uic.org/. 14. November 2019, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
- Coexistence of GSM-R with other Communication Systems – ERA 2015 04 2 SC. (PDF; 2 MB) In: https://era.europa.eu/. Europäische Eisenbahnagentur, 15. Juli 2016, abgerufen am 16. August 2021 (englisch).
- Marc Behrens, Mirko Caspar, Andreas Distler, Nikolaus Fries, Sascha Hardel, Jan Kreßner, Ka-Yan Lau, Rolf Pensold: Schnelle Leit- und Sicherungstechnik für mehr Fahrwegkapazität. In: Der Eisenbahningenieur. Band 72, Nr. 6, Juni 2021, ISSN 0013-2810, S. 50–55 (PDF).