Europa Regina
Europa regina, Lateinisch für Königin Europa, ist eine kartenverwandte, nach Westen ausgerichtete Darstellung des Europäischen Kontinents mit dem Motiv der Königin.[1][2] Das kartografische Motiv wurde während der Epoche des Manierismus erstmals verwendet und war zeitweise populär unter Kartographen.[3]
Herkunft
Im europäischen Mittelalter orientierten sich kosmographische Karten an Jerusalem und waren nach Osten ausgerichtet. Europa, Asien und Afrika waren auf den Radkarten in dem sogenannten TO-Schema angeordnet.[4] Karten, die auf Europa zentriert waren, blieben sehr selten; die einzigen bekannten Exemplare sind eine auf 1112 datierte Karte aus dem Liber Floridus von Lambert de Saint-Omer und eine byzantinische Karte aus dem 14. Jahrhundert.[4]
Erst der Tiroler Kartograph Johannes Putsch (latinisiert Johannes Bucius Aenicola[5]) produzierte 1537 wieder eine Europakarte.[4] Diese stellte erstmals die Europa regina dar, wenn auch nicht so benannt.[3][4][6] Die europäischen Gebiete formten die Figur eines weiblichen Menschen mit Krone, Zepter und Reichsapfel.[4] Diese Karte wurde durch den Calvinisten Christian Wechel gedruckt[5] und erfreute sich im Verlauf der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts größerer Beliebtheit.[6] Obwohl Details zur Entstehung unsicher sind,[6] ist bekannt, dass Putsch enge Kontakte zu Kaiser Ferdinand I. unterhielt, der aus dem Haus Habsburg stammte,[6][5] und dass Zeitgenossen das Bild als Europa in forma virginis bezeichneten, übersetzt etwa „Europa in Form einer Jungfrau“.[5]
1587 veröffentlichte Jan Bußemaker einen Kupferstich von Matthias Quad, der unter dem Namen Europae descriptio eine Adaption der Putsch-Figur zeigte.[6] Eine weitere Version wurde ab 1588 durchgängig in den Editionen von Sebastian Münsters Cosmographia präsentiert,[4][6] während frühere Ausgaben die Darstellungsform nur gelegentlich zeigten.[5] Auch Heinrich Büntings Itenerarium sacrae scripturae wies in der Ausgabe von 1582 eine Karte Europas in Frauengestalt auf.[6] Diese Form wurde ungefähr ab dem Jahr 1587 als „Europa regina“ bezeichnet.[6]
Beschreibung
Die Europa regina hat die Gestalt einer jungen, hübschen Frau.[2] Die Krone Portugal, geformt wie die karolingische Bügelkrone, ist platziert auf dem Kopf (Spanien).[2] Frankreich und das Heilige Römische Reich bilden den Oberkörper, geschmückt durch Alpen und Rhein als Halsgehänge. Das Herz liegt im Original in Böhmen.[2] Nach einer anderen Interpretation liegt das Herz der Jungfrau Europa in Deutschland. In einer zeitgenössischen Beschreibung von Büntings Europabildnis ist das Königreich Böhmen „wie ein Güldener Pfenning oder wie ein rundes gehenge von Kleinodt“ und „mein hertzliebes Vaterland/das Fürstenthumb Brunschwig“ das eigentliche Herz.[7]
Das lange Gewand umfasst Ungarn, Polen, Litauen, Livland, Bulgarien, Moskau, Albanien und Griechenland; die Donau symbolisiert Gürtel oder Leibketten als Schmuck. Die Arme werden durch Italien (das Königreich Neapel und Rom) und Dänemark gebildet, in den Händen trägt sie links das Zepter und rechts den Reichsapfel (Königreich Sizilien).[2] Die meisten Darstellungen zeigen Afrika, Asien und Skandinavien nur teilweise, die Britischen Inseln nur schematisiert.
Symbolik
Als die Darstellung der Europa regina erstmals veröffentlicht wurde, herrschte Kaiser Karl V., der die Besitzungen des Hauses Habsburg in seiner Hand vereinigt hatte, einschließlich seiner Heimat Spanien.[5] Die nach Westen ausgerichtete Karte mit Spanien als Kopf[5] unterstrich damit den universellen Herrschaftsanspruch Habsburgs, insbesondere über Europa.[2] Die Reichskleinodien Bügelkrone und Reichsapfel sind offensichtliche Anspielungen auf die Kaiserwürde des Heiligen Römischen Reichs.[2] Das Gewand der Königin entspricht der zeitgenössischen Mode am Hofe der Habsburger, ihr Gesicht soll Ähnlichkeiten zur Gemahlin Karls, Isabella aufweisen. Wie in Ehegemälden der Zeit blickt Europa nach rechts; was so interpretiert wurde, dass sie ihrem nicht abgebildeten Gemahl, dem Kaiser, das Gesicht zuwendet und ihm die Macht in Form des Reichsapfels darbietet.[2]
Verstanden wurde die Karte auch als kognitives Hilfsmittel, damit auch geographisch Ungebildete sich Europa vorstellen könnten.[7]
Ganz allgemein stellt die Europa die vereinte Christenheit (res publica christiana) in mittelalterlicher Tradition dar,[5][2] sowie als beherrschende Macht in der Welt.[2] Eine weitere Interpretation ist die einer Allegorie zum Paradies, aufgrund der Gewässer-Platzierung:[5] Zeitgenössische Ikonographie stellte das Paradies als geschlossene Form dar, umgeben von Meer und Flüssen. Besonders die Donau sei mit einer vierarmigen Deltamündung dargestellt wie der biblische Fluss durch das Paradies.[5]
Verwandte Karten
Auch in einer früheren Karte von Opicino de Canistris von 1340 wurden Kontinente bereits als Menschen dargestellt;[4] in jenem Fall mit Europa als Mann und Nordafrika als Frau.[3]
Allegorische Formen wurden von weiteren Kartographen des Humanismus gerne genutzt, so stellte Bünting Asien als Pegasus dar. Der Leo Belgicus war unter niederländischen Kartenmachern ein beliebtes Motiv.
Eine modernere Karte von 1709, Europa. Volgens de nieuwste Verdeeling von Hendrik Kloekhoff, publiziert durch François Bohn, zeigt Europa ebenfalls in Form einer Frau mit Spanien als Kopf; sie blickt jedoch nach Süden und rührt bucklig und vornübergebeugt in einem Topf, während Großbritannien wie ein Schal im Wind weht. Diese „Neueste Aufteilung“, auf die der Ersteller anspielte, war die Neuordnung Europas während der Koalitionskriege.[3]
Weblinks
- Evropae Descriptio: allegorische Darstellung der Europakarte in Frauengestalt von 1587- hochauflösendes Digitalisat in bavarikon
Einzelnachweise
- Achim Landwehr: Einführung in die europäische Kulturgeschichte, Schöningh, Paderborn 2004, ISBN 3-8252-2562-3. Seite 279.
- Elke Anna Werner: Triumphierende Europa – Klagende Europa. Zur visuellen Konstruktion europäischer Selbstbilder in der Frühen Neuzeit. Seite 243 ff. In: Roland Alexander Ißler; Almut-Barbara Renger (Hrsg.): Europa – Stier und Sternenkranz. Von der Union mit Zeus zum Staatenverbund. Bonn University Press, Vandenhoeck & Ruprecht, 2009, ISBN 3-89971-566-7, Seiten 241–260.
- Anke Bennholdt-Thomsen: Zur Hermetik des Spätwerks, Königshausen & Neumann, Würzburg 1999, ISBN 3-8260-1629-7, Seiten 22–24.
- Michael Borgolte: Perspektiven europäischer Mittelalterhistorie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. S. 16. In: Ralf Lusiardi, Michael Borgolte (Hrsg.): Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs, Akademie Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-05-003663-X, Seiten 13–28.
- Stephan Wendehorst: Lesebuch altes Reich, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-57909-6. Seite 63
- Wolfgang Schmale: Europa, Braut der Fürsten. Politische Relevanz des Europamythos im 17. Jahrhundert. S. 244. In: Klaus Bussmann; Elke Anna Werner (Hrsg.): Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08274-3.
- Marion Picker, Véronique Maleval, Florent Gabaude: Die Zukunft der Kartographie: Neue und nicht so neue epistemologische Krisen. transcript Verlag, 2014. ISBN 3839417953. Digitalisat, Seite 146 ff.