Energiestreit
Als Energiestreit, in speziellen Fällen auch Gasstreit oder Erdgasstreit, bezeichnen die europäischen Medien seit Ende 2005 die seit einigen Jahren zunehmend heftigen Preiskämpfe zwischen Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken an seiner Grenze, die Erdgas bisher zu sehr vergünstigten Konditionen bezogen. Diese Republiken wehren sich heftig gegen den Übergang zu den marktwirtschaftlich geregelten Preisen, die von Russland schon seit längerem von der WTO und der EU gefordert wurden. Eine zusätzliche Schärfe in diese Dispute bringt die Tatsache, dass diese Republiken meistens wichtige Transitländer für den Transport des Erdöls oder des Erdgases nach Westeuropa sind und diese Stellung mit Blockadedrohungen und ungenehmigten Abzapfungen in die Verhandlungswaagschale werfen.
Besonders heftig waren die folgenden Energiekonflikte zwischen Russland und den Nachbarrepubliken:
- Der russisch-ukrainische Gasstreit erreichte seinen bisherigen Höhepunkt im Januar 2009, als der russische Energiekonzern Gazprom die Gaslieferungen an die Ukraine und über die Ukraine nach Europa einstellte. Alexander Medwedew, der Vize-Chef von Gasprom wirft den ukrainischen Handelspartnern Diebstahl von Gas vor[1]. Zum Streit kam es vormals bereits im Jahre 2005, als Gazprom die der Ukraine gewährten Subventionen auf Gas kündigte und damit den Erdgaspreis für die Ukraine verdoppelte. Damals wurde auch Westeuropa von zeitweiligen Liefer-Engpässen betroffen, insbesondere als eine längere Kältewelle erhöhte Gaslieferungen erfordert hätte. Die 1994 gegen solche Fälle ausgehandelte Energiecharta hat Russland noch nicht ratifiziert. Im Laufe des Jahres 2006 wich Ukraines neue Regierung unter dem prorussischen Ministerpräsidenten Wiktor Janukowytsch einem neuerlichen Streit aus und einigte sich diesmal schon früh mit Gazprom über den Preis für 2007: 130 Dollar (100 Euro) für 1.000 m³ Gas sind zwar 40 % mehr als 2006, aber nur die Hälfte des Gaspreises, den Russland von anderen ehemaligen Sowjetrepubliken verlangt.
- Im Dezember 2006 kulminierte der Gasstreit zwischen Gazprom und Belarus, von dem statt bisher etwa 50 Dollar pro 1000 m³ (relativ günstig) nun 105 $ gefordert wurden. Gleichzeitig sollte Russlands westlicher Nachbarstaat 50 % der Anteile am Erdgas-Verteilersystem an den Energiekonzern abtreten. Anfang Januar stimmte Belarus zwar einem Gaspreis von 100 $ zu, forderte aber seinerseits eine Transitsteuer für die Weiterleitung der Energieträger nach dem Westen. Russland lehnte dies ab und seine Betreibergesellschaft Transneft sperrte am 9. Januar 2007 vorübergehend die wichtige Erdölleitung Freundschaft – wovon vor allem Deutschland, Tschechien und Ungarn betroffen waren.
- Zu Preisstreitigkeiten in etwas geringerem Maß kommt es auch mit zwei anderen Erdöl-Lieferanten der ehemaligen Sowjetunion – mit den zentralasiatischen Staaten Usbekistan und Turkmenistan. Ende 2006 musste das kleine Tadschikistan bzw. seine Versorgerfirma Tajikgaz einem fast verdoppelten Preis für Erdgas aus Usbekistan zustimmen; das diesbezügliche Marktvolumen wird 2007 insgesamt 700 Mill. Kubikmeter Gas für 70 Mill. Dollar betragen (100 $ pro 1000 m³). Usbekistan ist nach Russland und Turkmenistan der drittgrößte Erdgaslieferant der früheren Sowjetunion.
Solche Preisstreitigkeiten verschärfen sich regelmäßig gegen Jahresende und wurden bisher zumeist durch stark erhöhte Preisforderungen seitens Russlands an seine östlichen und südlichen Nachbarländer ausgelöst, die als ehemalige Sowjetrepubliken bisher zu relativ günstigen Energiepreisen beliefert wurden. Die Konflikte von Ende 2005 und 2006 ließen auch in der Westhälfte Europas die Sorge über die Zuverlässigkeit der russischen bzw. sibirischen Erdöl- und Erdgaslieferungen wachsen, weil sie von Moskau teilweise mit der Androhung von Lieferboykotts und Ultimaten gekoppelt wurden.
Die Wiederholung ähnlicher Liefer- und Preisstreitigkeiten zwingt die EU mittelfristig dazu, sich zu einer gemeinsamen Energiepolitik gegenüber Osteuropa zusammen zu finden. Im Jahr 2006 bemühte sich u. a. Deutschland zu entsprechenden Schritten, die allerdings nur teilweise Erfolg hatten. Im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes in der ersten Jahreshälfte 2007 sollen diese Bemühungen verstärkt werden, werden allerdings durch andere wirtschaftliche Dispute zwischen Polen und Russland, die den EU-Russland-Gipfel vom November 2006 überschatteten, erschwert.
Andererseits sollen beispielsweise mit der geplanten Nabucco-Pipeline, welche einen Anschluss an das rohstoffreiche Kaspische Meer ermöglichen würde, auch andere Erdgaslieferanten unter Umgehung Russlands für die EU zugänglich gemacht werden. Allerdings verzögert sich der Baubeginn immer wieder, die Fertigstellung der ersten Abschnitts ist daher frühestens 2017 zu erwarten, auch der Iran und Irak wären dann mögliche Lieferanten. Eine andere Methode stellt die sich bereits im Bau befindliche Nord Stream Pipeline, auch als Ostseepipeline bekannt, dar. Sie wird Deutschland bereits ab 2012 über die Ostsee direkt mit Russland verbinden. Weil den derzeitigen Transitstaaten damit Transitgebühren entgehen würden und ihre Bedeutung in Russlands Energiepolitik stark sinken würde, sind diese vehement gegen das Projekt.
Siehe auch
Literatur
Manfred Sapper/Volker Weichsel (Hrsg.): Blick in die Röhre. Europas Energiepolitik auf dem Prüfstand. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8305-1615-6.