Emil Berliner
Emil Berliner (in den USA nannte er sich Emile Berliner; * 20. Mai 1851 in Hannover; † 3. August 1929 in Washington, D.C.) gilt als Erfinder der Schallplatte und des Grammophons.[1] Er erhielt auch Patente auf andere Erfindungen. 1881 erhielt er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.
Familie
Emils Urgroßvater, Jacob Abraham Joseph († 1811), dessen Ehefrau Dina Friedberg († 1840), seine Mutter und eine Schwester hatten sich in den frühen 1770er-Jahren in der damals noch eigenständigen hannoverschen Calenberger Neustadt niedergelassen. In der jüdischen Gemeinschaft wurde er, entsprechend seinem Geburtsort, Jokew (Jacob) Berlin genannt. 1776 erwarb er einen Schutzbrief. In ihrem Haus, Lange Straße 27, bot die Familie einen koscheren Mittagstisch an. Ihre Kinder waren Bella Betty (* 1778) und Moses (1786–1854).
Moses konnte während der Gewerbefreiheit infolge der französischen Besatzung ein Textilgeschäft in der Bergstraße eröffnen. 1811 heiratete er Friederike Enoch aus Celle (1785–1838; die Tochter von Wolf Samuel Enoch (1747–1797) und Ester Berliner[2]), mit der er sechs Kinder hatte.[3] 1833 zog er mit seinem Geschäft in die Lange Straße 33.
Moses’ ältester Sohn, Samuel Berliner (1813–1872), betrieb ebenfalls ein Textilgeschäft. 1846 erwarben er und seine Ehefrau Sally Friedmann (1826–1903) die Bürgerrechte. Ihre Kinder waren: Hermann (* 1848), Jacob (1849–1918), Adolph (* 1850), Emil (* 1851), Manfred (1853–1931), Franzisca (* 1854; verh. Friedberg), Rebecka (* 1855), Moritz (* 1856), Johanne (* 1857, starb jung), Joseph (1858–1938), Rahel (* 1864) und Else (* 1869). Vier von Moses’ Söhnen blieben in Hannover.
Emil wuchs mit seinen Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen auf. Er war Onkel von Cora, Siegfried und Bernhard Berliner. Der Sohn Henry Berliner war ein US-amerikanischer Flugzeug- und Helikopter-Pionier.
Leben
Von 1861 bis 1865 besuchte Emil Berliner die Samson-Schule in Wolfenbüttel. Anschließend machte er eine kaufmännische Lehre und musste mit Arbeiten in einer Druckerei und später in einem Krawattengeschäft zum Unterhalt der Familie beitragen.
Er wanderte 1870 als junger Mann in die USA aus, um der Einberufung zum preußischen Militär zu entgehen. Er begleitete einen Freund seines Vaters, Nathan Gotthelf, nach Washington und arbeitete drei Jahre in dessen Kurzwarengeschäft Gotthelf, Behrend and Co. Er zog dann nach New York, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt, 1875 letztendlich als Flaschenspüler im Labor von Constantin Fahlberg. Nachts studierte er am Cooper Institute (heute Cooper Union). Dann richtete er sich ein provisorisches Labor in seiner Wohnung ein und machte Versuche mit elektrischen Geräten. Als erstes gelang es ihm, ein funktionierendes Mikrophon für den Telefonapparat von Alexander Graham Bell zu konstruieren. 1877 konnte er seine Erfindung für 50.000 US-$ an die Bell Telephone Company verkaufen. Dieses Geld machte ihn zunächst wirtschaftlich unabhängig, so dass er sich ein professionelles Labor einrichten konnte.[4] Später lebte er abwechselnd in Großbritannien, Kanada und Deutschland.
Zwischen 1881 und 1883 besuchte Emil Berliner Hannover. Dort gründete er mit seinem Bruder Joseph Berliner die erste europäische Gesellschaft zur Produktion von Telefonteilen, die J. Berliner Telephongesellschaft. 1887 meldete er ein Patent auf einen scheibenförmigen Tonträger an, in den von außen nach innen schneckenförmig und in Seitenschrift eine Rille geritzt und so die Schwingungen der Aufnahme-Membran analog konserviert wurden. Bestandteil des Patents war auch ein Aufnahme- und Abspielgerät, das ursprüngliche Grammophon.
Der große Vorteil gegenüber der zur damaligen Zeit verwendeten Phonographenwalzen war, dass diese einzeln bespielt werden mussten und hierdurch ein höheres Preisniveau aufwiesen. Eine nach 1902 erfundene Methode, um die Rotationswalzen in einem Gießverfahren in größeren Stückzahlen und damit kostengünstiger herzustellen, kam zu spät und war dem Pressen der Schellackplatte auch immer unterlegen. Damit war es möglich, Schallplatten in großen Mengen preisgünstiger zu produzieren.
Berliners Platten bestanden anfangs (1890–1893) aus Hartgummi, waren einseitig bespielt und hatten einen Durchmesser von 12,5 cm.[5] Später wurden die Schallplatten aus einem preiswerteren Gemisch aus Baumwollflocken, Schieferpulver, Ruß (daher die schwarze Farbe) und Schellack (daher die Zerbrechlichkeit) gefertigt. Bei der heißen Pressung drückte sich der Schellack an die Oberfläche und versiegelte damit die Rillen. Das ermöglichte die industrielle Fertigung großer Mengen, die er 1889 aufnahm und bis etwa 1910 nach und nach perfektionierte, z. B. das Aufkleben von Papier-Etiketten und das Beschreiben beider Seiten.
Emil Berliner machte Aufnahmen von Künstlern in neu errichteten Tonstudios und vertrieb diese Schallplatten. Dazu gründete er 1893 in den USA die United States Gramophone Company. Sein erster Aufnahmeleiter wurde der damalige Klavierbegleiter Fred Gaisberg. 1895 gründete er in Philadelphia mit weiteren Kapitalgebern die Berliner Gramophone Company. Diese ging 1904, wiederum zwecks Erweiterung der Kapitalgrundlage, in die Victor Talking Machine Company, an der Berliner seit 1901 beteiligt war, über, deren Direktor Frank Seaman war. Diese Gesellschaft wurde 1929 von RCA übernommen. Das Plattenlabel hieß RCA Victor. 1897 gründete er in Großbritannien die UK Gramophone Company. 1898 errichteten die Aufnahmespezialisten Fred Gaisberg und Joe Sanders in London das erste europäische Schallplattenaufnahmestudio. Als es mit Frank Seaman zum Streit kam, der für den Vertrieb der Schallplatten zuständig war, gründete Emile Berliner mit seinem Bruder Joseph in Hannover im selben Jahr eine Schallplattenproduktionsfirma, die Deutsche Grammophon-Gesellschaft.[6]
Schellackplatten mit 78 Umdrehungen pro Minute wurden von ihrer Grundkonstruktion her faktisch unverändert mehr als 60 Jahre lang, von ca. 1895 bis etwa 1958 , in der DDR und Osteuropa bis 1961 und in Teilen Asiens bis 1968, hergestellt und dann von Schallplatten aus Vinyl, „45er“ Singles und „33er“ Langspielplatten, abgelöst. Aber auch bei den Vinylplatten blieb – außer einem wesentlich engeren Abstand der Rillennachbarschaft (Füllschrift), den das Kunststoffmaterial erlaubte und damit auch Stereo-Aufnahmen ermöglichte – das Grundprinzip Emil Berliners erhalten.
Weitere Erfindungen
Emil Berliner machte eine Reihe weiterer Erfindungen. Darauf erhielt er zahlreiche Patente in den Vereinigten Staaten, beispielsweise am 4. September 1883 auf einen nach seiner Idee konzipierten Parkettboden.[7]
Zwischen 1907 und 1926 arbeitete Berliner zusammen mit John Newton Williams und später auch mit seinem Sohn Henry Berliner an Helikoptern, die er – aus heutiger Sicht irreführend – Gyrocopter nannte. Darunter verstehen wir heute die technisch unterschiedlichen Tragschrauber. Mit einem Testflug am 11. Juli 1908 bewies er, dass sein Flugapparat das Doppelte des eigenen Gewichts anheben konnte. Danach wendete er erstmals Umlaufmotoren in der Luftfahrt an, die er gemeinsam mit dem Spezialisten Adams-Farwell zu diesem Zweck weiterentwickelt hatte. Es folgten das größere Aeromobile und Arbeiten an Konzepten mit Koaxialrotor und koaxialem Tandemrotor. Letzterer, gebaut 1910, lieferte wichtige Grundlagen für die US-Doppelrotor-Hubschrauber der 1940er Jahre. 1924 bauten die Berliners einen Experimentalhubschrauber, der bis zu Sikorskys Hubschrauber VS-300 im Jahr 1939 der leistungsfähigste Hubschrauber in den USA blieb.[8] Das Modell existierte noch im Jahre 2018 und befindet sich im College Park Aviation Museum.[9] Als Spin-off dieser Entwicklungen gründete Emil Berliner 1909 eine Firma zum Bau von Umlaufmotoren für die Luftfahrt, die Gyro Motor Company in Washington, D.C., die bis etwa 1926 produzierte.[10]
Sonstiges
Sein Bruder Joseph Berliner, der in Hannover die Deutsche Grammophon Gesellschaft (eine Zweigniederlassung der in London gegründeten Gramophone Company) leitete und die Villa Simon bewohnte, stellte 1898 die ersten Tonträger in Massenproduktion her. Er hatte auch maßgeblichen Anteil an der Verbreitung des Telefons in Deutschland. 1914 stiftete Emil Berliner zu Ehren seiner Mutter das Sarah-Berliner-Stipendium (Sarah Berliner Research Fellowship). Mit dieser Auszeichnung werden Frauen unterstützt, die einen akademischen Grad in Chemie, Physik oder Biologie haben. Seit 1928 wird das Stipendium von der American Association of University Women vergeben.[11]
Die Emil Berliner Studios in Langenhagen waren bis Mai 2008 das hauseigene Tonstudio des Klassiklabels Deutsche Grammophon (DG); dann verkaufte die DG sie im Rahmen eines Management-Buy-out an die EBS Productions GmbH & Co. KG. Seitdem ist EBS (Emil Berliner Studios) ein unabhängiges Produktionsstudio für akustische Musik (Klassik-, Jazz-, Crossover- und Filmmusik-Produktionen). Im Frühjahr 2010 zog EBS ins Zentrum von Berlin.[12]
Siehe auch
- Musée des ondes Emile Berliner in Montréal, ein Technikmuseum, zu seiner Ehre benannt, in den Räumen einer seiner kanadischen Fabriken
- Emil Berliner Studios
- Geschichte der Juden in Hannover
Auszeichnungen
- 1987: Grammy Trustees Award
- 1913: Elliott Cresson Medal
- 1913: National Inventors Hall of Fame
- 1929: Benjamin Franklin Medal
- 2000: Walt Grealis Special Achievement Award
Literatur
- Martin Fischer: Faszination Schellack. Grammophone, Schellackplatten, Nadeldosen. Battenberg Verlag, Regenstauf 2006, ISBN 3-86646-008-2.
- Stefan Gauß: Nadel, Rille, Trichter. Kulturgeschichte des Phonographen und des Grammophons in Deutschland (1900–1940), Köln, Weimar, Berlin: Böhlau, 2009, ISBN 978-3-412-20185-2.
- Friedrich Klemm: Berliner, Emile. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 99 f. (Digitalisat).
- K. Jäger, F. Heilbronner (Hrsg.): Lexikon der Elektrotechniker, VDE Verlag, 2. Auflage von 2010, Berlin/Offenbach, ISBN 978-3-8007-2903-6, S. 49
Weblinks
- Library of Congress: Emile Berliner and the Birth of the Recording Industry
- Die etwas andere Geschichte der Schall-Platte. Eine Chronik von Peter K. Burkowitz auf den Webseiten der Emil Berliner Studios
- Nipper vor dem Trichter. In: Die Zeit, 21, 16. März 2007 (zuerst 2001), von Lothar Baier
- Smithsonian Institute; Berliner Helicopter No. 5 (englisch, abgerufen am 27. März 2012)
- Emil Berliner in: Planet Wissen
- Cyrus Adler: Berliner, Emil. In: Isidore Singer (Hrsg.): Jewish Encyclopedia. Funk and Wagnalls, New York 1901–1906.
- Emil Berliner in Encyclopædia Britannica (englisch)
- Musik aus der Dose. Emil Berliner und das Grammophon bei Google Arts & Culture
- Emil Berliner in der Datenbank von Find a Grave (englisch)
- Berliner Gramophone Company (englisch, französisch) In: The Canadian Encyclopedia. Abgerufen am 3. Oktober 2019.
- The Berliner Gram-o-phone Company of Canada bei Library and Archives Canada, mit Link: Berliner in Canada
Einzelnachweise
- Andreas Steen: Zwischen Unterhaltung und Revolution – Grammophone, Schallplatten und die Anfänge der Musikindustrie in Shanghai; 1878–1937. Harrassowitz, Wiesbaden 2006, ISBN 978-3-447-05355-6, S. 34 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Silke Lindemann: Jüdisches Leben in Celle. S. 303
- Descendants of Abraham Joseph Berliner. (PDF; 134 kB) Abgerufen am 30. August 2013.
- Curt Riess: Knaurs Weltgeschichte der Schallplatte. Droemersche Verlagsanstalt, Zürich 1966, S. 27 ff.
- Hartgummiplatten von Emil Berliners Gramophon, ca. 1890-1893. In: Digitale Sammlungen der Universitätsbibliothek Eichstätt-Ingolstadt. Abgerufen am 19. August 2020.
- Chronik. Emil Berliner Studios; abgerufen 13. Dezember 2014.
- US-Patent Nummer 284.268 für Emil Berliner, abgerufen am 20. April
- Berliner Helicopter, Model 1924 National Air and Space Museum.
- Berliners | MNCPPC, MD. Abgerufen am 11. Oktober 2020.
- Berliner Helicopter, Model 1924 National Air and Space Museum
- Bulletin of the National Research Council in der Google-Buchsuche, Ausgaben 69–72. S. 5
- Emil Berliner Studios: Geschichte