Eisenbahnunfall im Kaiser-Wilhelm-Tunnel (1948)
Der Eisenbahnunfall im Kaiser-Wilhelm-Tunnel am 22. November 1948 wurde durch eine Kohlenstaubexplosion ausgelöst, die den Führerstand einer Dampflokomotive in Brand setzte. Der Unfall wurde durch die überlegte Handlungsweise des Lokomotivführers August Vochtel, der eine Katastrophe abwendete, sehr bekannt.
Ausgangslage
Der internationale Schnellzug D 21 verkehrte von Paris Gare de l’Est über Luxemburg nach Koblenz Hauptbahnhof. Der Zug war mit etwa 700 Reisenden besetzt, davon etwa 200 Angehörige des Militärs und der Verwaltung der Französischen Besatzungszone.
In Trier Hauptbahnhof traf der Zug um 18:34 Uhr ein. Hier fand planmäßig ein Lokwechsel statt und weitere Personenwagen wurden angehängt. Die eingeplante Lokomotive erlitt an diesem Tag einen Tragfederbruch und fiel deshalb aus. Als Ersatz stand nur eine Güterzuglokomotive der Baureihe 50, die soeben von einem Einsatz in den Bahnhof zurückkehrte, zur Verfügung. In der Eile, die Maschine für ihren ungeplanten Einsatz herzurichten, verletzte sich deren Lokomotivführer schwer am Kopf, so dass er ausfiel. So musste August Vochtel, der eigentlich einen Zug nach Apach fahren sollte, als Ersatz einspringen. Beim Anstellen der Lichtmaschine brannten alle Glühlampen an der Lokomotive durch. So wurde die Beleuchtung vorne an der Lokomotive durch Petroleumlampen sichergestellt[Anm. 1], im Führerstand setzten Lokführer und Heizer ihre Karbidlampen ein, um die Anzeigen und den Buchfahrplan zu beleuchten.[1] Der Zug konnte um 19:07 Uhr seine Fahrt mit 25 Minuten Verspätung fortsetzen.
Unfallhergang
Die Fahrt über die Moselstrecke führte auch durch den 4,2 km langen Kaiser-Wilhelm-Tunnel. Für die Durchfahrt dieses langen Tunnels galten besondere Regeln. So durfte innerhalb des Tunnels die Tür zur Feuerbüchse auf der Lokomotive nicht geöffnet werden.[2] Der Heizer warf also beim Durchfahren von Bullay zum letzten Mal vor der Tunneldurchfahrt Kohle nach. Den letzten Bahnhof vor dem Tunnel, Eller, durchfuhr der Zug um 20:29 Uhr und anschließend mit etwa 70 km/h in den Tunnel hinein.[3]
Etwa 1200 Meter vor dem Tunnelende entstanden auf der rechten Seite des Führerstandes, der Seite des Lokomotivführers, zahlreiche kleine Stichflammen, die diesen Teil des Führerstandes in Brand setzten und sofort eine erhebliche Hitze entwickelten. Vermutlich handelte es sich um eine Kohlenstaubexplosion, ausgelöst durch die Karbidlampe des Lokführers, die eine explosive Kohlestaub-Luftmischung entzündete, die sich durch kleinräumige Luftströmungsverhältnisse in der oberen rechten Ecke des Führerstandes gebildet hatte.[4] Ob die Karbidlampe defekt war, konnte später nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden.[5] Ihr Aluminium war geschmolzen und Tröpfchen davon fanden sich im ganzen Führerstand.[6]
Die Kleidung des Lokomotivführers brannte. Die Instrumente der Lokomotive waren durch den Brand sofort so heiß, dass er sie nicht mehr anfassen konnte. Auch der Heizer, dessen linke Führerstandshälfte zunächst nicht betroffen war, konnte deshalb nicht eingreifen. Der Zug befand sich nun in einem leichten Gefälle, in ungebremster Fahrt auf den Bahnhof Cochem zu.[7]
Rettungsmaßnahmen
Der Lokomotivführer wich auf den seitlichen Umlauf der Lokomotive aus und versuchte zunächst, das Bremsventil durch das Fenster zu erreichen. Das war wegen der Hitze aber auch nicht möglich. Er zog sich dabei schwere Verbrennungen im Gesicht und am Arm zu. Daraufhin kletterte er auf dem Umlaufblech der weiterhin mit Reisegeschwindigkeit fahrenden Lok hinter dem Windleitblech durch zur vorderen Pufferbohle und öffnete dort den Hahn der Luftleitung vorsichtig mit dem Fuß. Mit der damit ausgelösten Bremsung kam der Zug etwa 300 Meter vor der Bahnhofseinfahrt, im Freien, zum Stehen.[8] Der Zugführer bemerkte erst, dass etwas nicht stimmte, als der Zug auf freier Strecke hielt. Er ging zur Lok vor, sah den brennenden Führerstand und fand den schwer verletzten Lokomotivführer. Mit dem nächstgelegenen Streckenfernsprecher verständigte er den Fahrdienstleiter in Cochem und brachte dann den Lokführer zu Fuß zum Bahnhof.[9]
Folgen
Von den Fahrgästen kam niemand zu Schaden.
Ein maschinentechnischer Beamter, der sich zufällig als Fahrgast im Zug befand, begab sich ebenfalls zur Lok. Ihm gelang es, das Feuer mit dem Wasserschlauch zu löschen, der sonst dazu genutzt wurde, die Kohlen zu nässen, damit sie nicht so stauben. Anschließend fuhr er den Zug in den Bahnhof Cochem. Das Bahnbetriebswerk Cochem stellte eine andere Lokomotive der Baureihe 50, mit der der Zug weiter nach Koblenz fahren konnte, wo er mit 73 Minuten Verspätung eintraf.[10]
August Vochtel wurde nach dem Unfall aufgrund seiner schweren bleibenden Verletzungen pensioniert. Sowohl der französische Militärgouverneur Marie-Pierre Kœnig als auch Bundespräsident Theodor Heuss zeichneten ihn für die Heldentat aus. Sie wurde mehrfach auch in Kurzgeschichten und Schulbüchern verarbeitet.
Ein vergleichbarer Unfall war bisher nicht aufgetreten[11] (und trat auch nicht mehr auf), es gab lediglich Zwischenfälle, bei denen Lokpersonal Kohlenmonoxidvergiftungen erlitten hatte. In der Folge des Unfalls wurden eine Reihe von Fahrversuchen angestellt, um die Ausgangssituation des Unfalls zu simulieren. Es gelang aber nicht, die Konzentration des entsprechenden Kohlenstaub-Luftgemischs wieder zu bilden. Die Betriebsvorschriften für den Kaiser-Wilhelm-Tunnel wurden angepasst, der Einsatz von Vorspannlokomotiven bedurfte nun einer besonderen Genehmigung. Eine zusätzliche Lokomotive sollte immer als Schublokomotive fahren, um zu verhindern, dass die Abgase der Zuglokomotive direkt in den Führerstand der Vorspannlokomotive geblasen wurden. Karbid- und Petroleumlampen im Tunnel waren nun verboten, der Kohlestaub musste vor der Tunneldurchfahrt gründlich aus den Führerständen gekehrt und die gesamte Oberfläche der Kohle im Tender genässt werden.[12]
Literatur
- Joachim Braun: Eine verhängnisvolle Tunnelfahrt. In: Lokmagazin Nr. 195 (1995), S. 509–513 [Auswertung der Unfallakte].
- Alfons Friderichs: Persönlichkeiten des Kreises Cochem-Zell. Trier 2004, ISBN 3-89890-084-3
- Alwin Mortzfeld und Kurt Siebrandt: Lokführer Vochtel kämpft gegen den Tod. In: Es geht um Minuten. Von selbstlosen Rettungstaten. Verlag Ensslin & Laiblin. Berlin o. J. ca. 1950.
- Eisenbahn-Journal, Februar 2007.
Anmerkungen
- Seit dem 6. August 1948 mussten alle Züge wieder ausnahmslos ein korrektes „Spitzensignal“ (vordere Zugbeleuchtung) führen (Eisenbahndirektion Mainz (Hg.): Amtsblatt der Eisenbahndirektion Mainz vom 20. August 1948, Nr. 39. Bekanntmachung Nr. 246, S. 152).
Einzelnachweise
- Braun, S. 510.
- Braun, S. 512.
- Braun, S. 510.
- Braun, S. 512.
- Braun, S. 510f.
- Braun, S. 512.
- Braun, S. 511.
- Die literarische Bearbeitung des Unfalls durch Mortzfeld und Siebrandt geht davon aus, dass der Zug noch im Tunnel zum Stehen kam. Aufgrund der Entfernung von Tunnelmund und Bahnhof muss aber zumindest die Lokomotive außerhalb des Tunnels gehalten haben.
- Braun, S. 511.
- Braun, S. 511.
- Braun, S. 512.
- Braun, S. 513.