Dunkelfeld
In der Kriminologie bezeichnet das Dunkelfeld die Differenz zwischen den amtlich registrierten Straftaten – dem Hellfeld – und der vermutlich begangenen Kriminalität. Die Dunkelziffer quantifiziert die Größe des Dunkelfelds.
Die Relation zwischen Hell- und Dunkelfeld ist nicht konstant. D.h. beispielsweise, dass aus einem Anstieg der registrierten Fälle einer bestimmten Straftat nicht geschlossen werden kann, dass diese Straftat tatsächlich häufiger begangen wurde. Die Größe des Hellfelds ist vor allem abhängig vom Kontrollverhalten der Polizei und dem Anzeigeverhalten der Bevölkerung.
Dunkelfeldforschung
Allein durch die Kriminalstatistiken kann vom Hellfeld nicht auf die tatsächliche Kriminalität geschlossen werden. Daher bedarf es der Dunkelfeldforschung, um das Dunkelfeld aufzuhellen und einen systematischen Überblick über die Kriminalitätsentwicklung zu erreichen. In der Regel wird die Dunkelfeldforschung auf quantitativer Ebene geführt, meist durch Täter- oder Opferbefragungen, bei denen eine repräsentative Gruppe der Bevölkerung zu ihren individuellen Täter- oder Opfererfahrungen befragt wird. Qualitative Verfahren sind aufgrund von Finanzierungsengpässen in der Praxis noch eher selten anzutreffen.
Die Dunkelfeldforschung ist jeweils ein Teilgebiet der Kriminologie, der Empirischen Sozialforschung, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Medizin.
Erkenntnisse
Die genannten Befragungen kommen zu dem Ergebnis, dass insgesamt weniger als die Hälfte der tatsächlich begangenen Straftaten den Strafverfolgungsbehörden bekannt werden.
Das Verhältnis zwischen tatsächlich begangenen und angezeigten Straftaten ist von Delikt zu Delikt verschieden. Delikte mit hohen Schäden wie Tötungsdelikte, Raub, Erpressung und Geiselnahme werden grundsätzlich eher angezeigt als solche, die lediglich einen niedrigen Schaden verursachen bzw. nicht zur Tatvollendung führen. Die Geschädigten schätzen in diesen Fällen oftmals den Aufwand, der mit einer Anzeige verbunden ist, im Verhältnis zum Schaden als unverhältnismäßig hoch ein.
Ein höherer Verfolgungsdruck, beziehungsweise eine intensivere Aufmerksamkeit der Polizei an bestimmten Orten oder für bestimmte Straftaten fördert mehr Straftaten ans Licht (Lüchow-Dannenberg-Syndrom). Delikte, deren Schäden durch Versicherungen abgedeckt sind, werden häufiger registriert, weil eine polizeiliche Anzeige von den Versicherungen zur Schadensregulierung verlangt wird. Deswegen werden nahezu alle Kfz-Diebstähle angezeigt und sind somit im erfassten Feld der PKS, dem Hellfeld enthalten.
Ein Grund für eine Nichtanzeige trotz hohen Schadens kann eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer sein. Weitere mögliche Gründe sind u. a. eine Tatbeteiligung des Geschädigten und die daraus folgende Angst vor eigener Strafverfolgung (z. B. im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität), Angst vor Repressalien des Täters (vor allem bei Gewaltdelikten, auch sexueller Gewalt, im familiären Umfeld), fehlendes Vertrauen in die Tätigkeit oder die Erfolgsaussichten der Strafverfolgungsbehörden oder auch prinzipielle Ablehnung staatlicher Strafverfolgung oder von Bestrafung überhaupt. Bei Opfern sexueller Gewalt und Opfern von Gewalt in Beziehungen kann hinzukommen, dass sich das Opfer schuldig fühlt und sich dafür schämt, dass es zum Opfer geworden ist und deshalb schweigt.[1]
Eine Sensibilisierung der Bevölkerung durch massenmediale Berichterstattung kann den Blick für bestimmte Straftaten schärfen (z. B. Sexueller Missbrauch von Kindern, MeToo-Debatte). Die Akzeptanz von Gewalt verändert sich im Laufe der Zeit und sinkt. Dieser Effekt wirkt dem allgemeinen Kriminalitätsrückgang entgegen.[2]
Grenzen
Grundsätzlich lassen jedoch auch derartige Befragungen keine endgültige Einschätzung über die Zahl der tatsächlich begangenen Delikte zu. Nicht alle Delikte werden überhaupt von den Geschädigten bemerkt. Solche mit geringen Schäden werden oft wieder vergessen oder von den Betroffenen gar nicht als Straftat, sondern als normale Lappalie wahrgenommen.
Teilweise berichten die Befragten, die aus Schamgefühl die Straftat nicht zur Anzeige bringen, auch Dunkelfeldforschern nicht davon. Über diese Delikte können daher auch Täter- und Opferbefragungen keine Auskunft geben. Man spricht insoweit von einem doppelten Dunkelfeld.
Dunkelziffer
Eine Dunkelziffer stellt eine Quantifizierung des Dunkelfeldes dar. Die Bezeichnung stammt aus der Kriminalstatistik, heute wird sie auch erweitert verwendet.
Ursprung
Ursprünglich beruht sie auf einer falschen Übersetzung des englischen Ausdrucks „dark number“ (Dunkelzahl) in einer deutschen Dissertation, die im Jahr 1908 vom japanischen Staatsanwalt Shigema Oba angefertigt wurde.[3] In der Folgezeit hat sie sich in der deutschsprachigen Forschung eingebürgert, auch wenn die Dunkelziffer keine Ziffer, sondern eine Zahl bezeichnet.
Im Bereich der Kriminologie ist die Dunkelziffer weitgehend identisch mit dem Dunkelfeld. Basierend auf der Erhebung empirischer Daten durch repräsentative Befragungen sieht man sich heute in der Lage, in gewissem Rahmen die Dunkelziffer zu schätzen und das Dunkelfeld aufzuhellen. Befragungen sind aber nicht zuverlässig, wenn Scham oder die Angst vor Strafe die Antwort beeinflussen. In manchen Fällen kann eine geeignete mathematische Methode zu einer Schätzung der Dunkelziffer führen. Wenn es um illegales Verhalten geht und in der Anzeigenstatistik die Mehrfachanzeigen der gleichen Person ausgewiesen sind, dann kann mit einer verallgemeinerten Poisson-Verteilung auf die Zahl der noch nie angezeigten Personen in der betreffenden Gruppe geschlossen werden.[4]
Verwendung bei Straßenverkehrsunfällen
Der Begriff Dunkelziffer wird auch bei Straßenverkehrsunfällen verwendet. Hier bezeichnet er Unfälle, die der Polizei nicht zur Kenntnis gelangen und die damit nicht in die amtliche Unfallstatistik eingehen. Dies betrifft besonders Alleinunfälle, aber insbesondere auch Fahrradunfälle und Fußgängerunfälle mit Beteiligung von Kraftfahrzeugen mit Personenschaden werden häufig nicht gemeldet. Durch Befragungen oder Vergleiche mit ärztlichen oder Krankenhausunterlagen ist die Dunkelziffer abgeschätzt worden. Demnach gelangen beispielsweise fast 99 Prozent der Fahrrad-Alleinunfälle der Polizei nicht zur Kenntnis; von den Unfällen zwischen Rad- und Pkw-Fahrern gehen 82 Prozent nicht in die Verkehrsunfallstatistik ein.[5]
Verwendung im Gesundheitswesen
Im übertragenen Sinn wird der Begriff Dunkelziffer auch im Gesundheitswesen verwendet; er bezeichnet das Missverhältnis von diagnostizierten (oder auch statistisch erfassten bzw. gemeldeten) Krankheitsfällen zur tatsächlichen Krankheitshäufigkeit (Prävalenz).
Siehe auch
Literatur
- Uwe Dörmann: Zahlen sprechen nicht für sich: Aufsätze zu Kriminalstatistik, Dunkelfeld und Sicherheitsgefühl aus drei Jahrzehnten. Luchterhand (Hermann), München 2004, ISBN 3-472-06077-8.
- Tilman Köllisch: Vom Dunkelfeld ins Hellfeld. Anzeigeverhalten und Polizeikontakte bei Jugenddelinquenz. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg (Breisgau) 2004, urn:nbn:de:bsz:25-opus-16869
- Eckard L Pongratz: Zum Umgang mit kindlichen Auffälligkeiten: Eine Untersuchung zum Dunkelfeld und zur Prävention von Kinderdelinquenz in Grundschulen. Dissertation. Weißer Ring, Mainz 2000, ISBN 3-9806463-4-3.
- Christiane H. I. Häring: Blutdiagnostik im Dunkelfeld und Bioelektronigramm. Ein Patientenleitfaden zu einer ganzheitlichen Diagnostik bei chronischen Krankheiten und Krebs. Pro Medicina, Wiesbaden-Naurod 1998, ISBN 3-932935-30-6.
- Hans-Claus Leder: Dunkelfeld. Bemerkungen aus devianz- und kriminalsoziologischer, kriminologischer und wissenschaftstheoretischer Sicht. ISBN 3-631-32805-2.
- Hans Joachim Schneider: Prüfe dein Wissen. 3. Auflage. H.20/1, Kriminologie. C.H. Beck Verlag, 1992, ISBN 3-406-36969-3.
- Sabine Rückert: Tote haben keine Lobby: die Dunkelziffer der vertuschten Morde Hoffmann und Campe, 1. Aufl. Hamburg 2000. 302 S., ISBN 3-455-11287-0.
- Hans Göppinger: Kriminologie. Beck Verlag (1997), ISBN 3-406-07343-3.
- Gerhard Heilenz: Kindesmißhandlung: Häufigkeit und Dunkelziffer: eine Querschnittsuntersuchung an 1003 stationären PatientInnen der Universitäts-Kinderklinik Freiburg. Freiburg im Breisgau, Univ., Dissertation 1995. 114 S.
- Klaus Scheib: Die Dunkelziffer bei Tötungsdelikten aus kriminologischer und rechtsmedizinischer Sicht. Logos-Verl., Berlin 2002. 289 S. (Zugl. Berlin, Humboldt-Univ., Dissertation 2001), ISBN 3-8325-0050-2.
- Karl Brasse: Dunkelziffer von Unfalltoten. Münster (Westfalen), Univ., Dissertation 1990.
- Helmut Hartmann: Sozialhilfebedürftigkeit und „Dunkelziffer der Armut“: Bericht über das Forschungsprojekt zur Lage potentiell Sozialhilfeberechtigter. Kohlhammer, Stuttgart 1981. 187 S., ISBN 3-17-007496-2.
- Hans-Dieter Schwind: Kriminologie. 19. Auflage, Heidelberg 2009, ISBN 3-7832-0800-9.
- Klaus-Uwe Henschelhard: Absolutbestimmung der Dunkelziffer, Univ. Heidelberg, Dissertation.
- Siegfried Lamnek: Kriminalität. In: Bernhard Schäfers/ Wolfgang Zapf (Hrsg.): Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. Opladen: Leske + Budrich. 1998. S. 382–393.
Einzelnachweise
- Anita Heiliger, Brigitta Goldberg, Monika Schröttle, Dieter Hermann: Gender-Datenreport. 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2. Fassung Auflage. München 2005, ISBN 3-938968-05-2, Kap. 10 Gewalthandlungen und Gewaltbetroffenheit von Frauen und Männern, S. 612 f. (bmfsfj.de [PDF; abgerufen am 5. Februar 2010]). bmfsfj.de (Memento vom 10. November 2011 im Internet Archive) (Unter Verweis auf: Anita Heiliger: Täterstrategien und Prävention. Sexueller Mißbrauch an Mädchen innerhalb familialer und familienähnlicher Strukturen. München 2000)
- Michael Tonry: Why Crime Rates Are Falling Throughout the Western World, 43 Crime & Just. 1 (2014). S. 5,6, abgerufen am 6. Juni 2019 (englisch).
- Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, S. 240
- Helmut Knolle: Zunehmender Heroin- und Kokainkonsum in der Schweiz seit 1990: Anwendung eines verallgemeinerten Poisson-Ansatzes auf Anzeigedaten. In: Sozial- und Präventivmedizin. Band 42, 1997, S. 105–113.
- Heinz Hautzinger et al: Dunkelziffer bei Unfällen mit Personenschäden. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen M 13, Bergisch Gladbach; zitiert nach: Dankmar Alrutz et al. 1997: Sicherheit des Radverkehrs in Erschließungsstraßen. Berichte der BASt V 37, S. 39.