Dankmar Alrutz
Dankmar Alrutz (* 29. Juni 1950 in Hann. Münden) ist ein deutscher Verkehrswissenschaftler, Bauingenieur, Verkehrsplaner und Gutachter in Hannover. Er ist einer der führenden deutschen Forscher und Planer im Bereich Rad- und Fußverkehr.
Leben
Alrutz hat 1971 bis 1978 an der damaligen Technischen Universität Hannover Bauingenieurwesen mit Vertiefung Verkehrsplanung studiert. Nach vier Jahren von 1978 bis 1982 als Mitarbeiter bei der Beratungsstelle für Schadenverhütung des HUK-Verbandes (jetzt: Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)) absolvierte er ein Referendariat in Niedersachsen, das er erfolgreich als Bauassessor abschloss. Er war von 1984 bis 1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehrswirtschaft, Straßenwesen und Städtebau der Universität Hannover bei Professor Robert Schnüll. 1986 gründete er als einer von drei Geschäftsführern das Ingenieurbüro Planungsgemeinschaft Verkehr (PGV) in Hannover. Im Jahr 2012 entstanden aus der PGV zwei eigenständige Büros, darunter die PGV-Alrutz, deren Geschäfte er gemeinsam mit zwei Partnern führt. Alrutz ist verheiratet und hat drei Kinder.
Werk
Alrutz beschäftigte sich bereits in der Zeit beim HUK-Verband (seit 1978) mit der Sicherheit des Radverkehrs, dem seitdem ein wesentlicher Teil seiner Arbeit gewidmet ist. Er ist einer der Autoren der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) in der Ausgabe 1982 (damals noch Empfehlungen für Bau, Betrieb und Unterhaltung von Radverkehrsanlagen). Er war wesentlich an deren Neufassungen beteiligt, an der ERA 95 (1995) und der aktuell gültigen ERA 2010. Diese Werke, besonders die Ausgaben der ERA 95 und ERA 2010, die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) herausgegeben werden, haben (bei konsequenter Anwendung) wesentlich zu einer deutlichen Steigerung des Radverkehrs in zahlreichen deutschen Kommunen beigetragen. Alrutz war auch an einigen Kapiteln der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) maßgeblich beteiligt. Die RASt 06 ist heute das bedeutsamste Regelwerk für die Gestaltung von Straßen innerorts in Deutschland.
In zahlreichen Forschungsprojekten hat Alrutz Erkenntnisse gesammelt zur Verkehrssicherheit, dem Verhalten und den Präferenzen von Radfahrern sowie, in geringerem Maß, zu Fußgängern. Er hat unter anderem zu Radverkehrsführungen und Gestaltungsmöglichkeiten an Knotenpunkten mit oder ohne Lichtsignalanlagen und an Kreisverkehren, in Erschließungsstraßen, in für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffneten wie auch nicht geöffneten Einbahnstraßen, in Fahrradstraßen, auf Radfahrstreifen und Schutzstreifen in Hauptverkehrsstraßen, auch außerorts, Erkenntnisse gewonnen. Diese Ergebnisse aus zahlreichen Forschungsarbeiten unter der Leitung von Alrutz führten zur Weiterentwicklung der Regelwerke der FGSV, zur Anpassung von rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. der Öffnung von Einbahnstraßen für den gegengerichteten Radverkehr in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)) und zur Weiterentwicklung von Radverkehrsführungen in der Praxis.
1986 hat er mit zwei Co-Autoren die 2. Auflage des Handbuch für Radverkehrsanlagen im Otto Elsner Verlag veröffentlicht, lange Zeit ein Standardwerk zum Thema (die erste Auflage von Heinrich Richard stammt von 1981). Als weitere Publikationen hervorzuheben sind die umfangreiche Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs von 1989 (mit Hans W. Fechtel und Juliane Krause), vereinzelt scherzhaft wegen ihres Umfangs "Die Bibel" genannt (557 A-4-Seiten Text, 43 Seiten Literaturverzeichnis). Obwohl die Logik dazu nicht ganz stimmt, wird Alrutz selbst seit den frühen 1990er Jahren vereinzelt „Fahrrad-Papst“ oder auch „ERA-Papst“ genannt.
Zu erwähnen sind die Gutachten zum ersten (1999)[1] und zweiten Fahrradbericht (2007)[2] nebst Anhang[3] der Bundesregierung, in deren Folge der (erste) Nationale Radverkehrsplan (NRVP) 2002-2012[4] und der zweite Nationale Radverkehrsplan 2020[5] erarbeitet und vom Kabinett verabschiedet wurden. Diese sind Grundlage der gestiegenen Investitionsbereitschaft wie auch der inzwischen erhöhten politischen Aufmerksamkeit von Bundesregierung und Bundestag beim Radverkehr.
Für mehrere Bundesländer hat Alrutz strategische Empfehlungen gutachterlich und moderierend erarbeitet, so 2007 für Hamburg die Radverkehrsstrategie, deren (zeitweise schleppende) Umsetzung alle zwei Jahre in Fortschrittsberichten dokumentiert wird, 2014 Wirkungskontrollen in Baden-Württemberg durchgeführt[6] und seit 2017 das Fahrradmobilitätskonzept für Niedersachsen.[7]
Alrutz hat seit 2010 das Thema Radschnellverbindungen in Deutschland thematisch vorangebracht. Er ist Leiter des Arbeitskreises 2.5.4 der FGSV zu diesem Thema.[8] Seit 2017 besteht nach einer Änderung am Bundesfernstraßengesetz die Möglichkeit, den Bau von Radschnellverbindungen durch den Bund fördern zu lassen, wie schon zuvor in mehreren Bundesländern.
Alrutz war von 2001 bis 2015 Mitglied der Jury beim Landespreis Fahrradfreundliche Kommune Niedersachsen. Dies ist ein mit bis zu 25.000 Euro dotierter Preis des Landes Niedersachsen für besonders aktive Kommunen oder herausragende Einzelprojekte. Andere Jurymitglieder waren Vertreter der Fraktionen im Niedersächsischen Landtag, der kommunalen Spitzenverbände und des ADFC.[9] Die Ergebnisse des jährlichen Wettbewerbs wurden jeweils in Broschüren „Fahrradland Niedersachsen“ veröffentlicht.[10] Der Landespreis hat einen wichtigen Grundstein gelegt für die Gründung der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/ Bremen (AGFK).
Zu vielen Erkenntnissen aus Forschungsprojekten und Planungspraxis hat Alrutz Artikel in Fachzeitschriften, im Handbuch für kommunale Verkehrsplanung und anderen Veröffentlichungen verfasst, teils mit Co-Autoren. Alrutz ist mit 47 Veröffentlichungen seit 1980 in der Literaturdatenbank zum Nationalen Radverkehrsplan auf nrvp.de vertreten, die auch graue Literatur enthält.
Alrutz hielt und hält bei zahlreichen Veranstaltungen unterschiedlicher Institutionen Vorträge und Präsentationen, u. a. beim Allgemeinen Deutschen Automobil-Club, dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), dem deutschen Straßen- und Verkehrskongress, der Fahrradakademie, beim Nationalen Radverkehrskongress sowie den AGFKs in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen/Bremen.
Tätigkeit in Verbänden
Alrutz war lange Zeit Vorsitzender des Arbeitsausschuss 2.5 Fußgänger- und Radverkehr der FGSV und war seit dessen Gründung bis 2019 Mitglied des Arbeitskreises 2.5.1 Aktuelle Fragen des Radverkehrs, inzwischen Fortschreibung der ERA. In diesem wurden unter anderem die Fassungen der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 95 und ERA 2010) erarbeitet. Im Arbeitskreis 2.5.1 und mit Alrutz’ wesentlicher Mitwirkung ist auch das Merkblatt zur wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr 1998 veröffentlicht worden. Danach hat sich in zahlreichen Regionen Deutschlands eine mehr oder weniger flächendeckende, relativ einheitliche Fahrrad-Wegweisung etabliert. Die Beachtung des Merkblatts mit landesspezifischen Abwandlungen ist in den meisten Bundesländern inzwischen eine Fördervoraussetzung. Alrutz war und ist darüber hinaus Leiter des Ad-hoc-Arbeitskreises (inzwischen Arbeitskreis 2.5.4) der FGSV, in dem das 2014 veröffentlichte Arbeitspapier Einsatz und Gestaltung von Radschnellverbindungen entwickelt wurde, das heute wesentlich die Planungen zu Radschnellwegen beeinflusst. An dessen laufender Überarbeitung ist er weiterhin als Leiter des Arbeitskreises 2.5.4 beteiligt.
Weitere Mitgliedschaften bestehen in der Vereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure in Niedersachsen (VSVI), wo er in inzwischen fast allen Landesverbänden zahlreiche Vorträge bei deren Seminaren gehalten hat, sowie im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Auszeichnungen
Alrutz hat 2008 auf dem Deutschen Straßen- und Verkehrskongress die FGSV-Ehrennadel verliehen bekommen. Diese Auszeichnung wird alle 2 Jahre an meist nicht mehr als sieben Personen verliehen.[11] Er wurde dort als „Vater der ERA 95“ bezeichnet.[12]
Zitate
- „Besser kein Radweg als ein schlechter.“[13]
- „Kritisch muss die Praxis vieler Kommunen bewertet werden, Radwege auf schnelle und kostengünstige Art, insbesondere durch Abmarkieren von Gehwegen anzulegen. Die Erfahrung zeigt, dass derartige Radwege sehr häufig nicht den gewünschten Sicherheitsgewinn bringen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt auch der Mängelbeseitigung auf bestehenden Radwegen ein sehr hoher Stellenwert zu.“ (Hervorhebungen im Original)[14]
- „Die Gefahr kommt von rechts!“ Bonmot von Alrutz bei einem Vortrag über Schutzstreifen, dass Gefährdungen für Radfahrer eher durch unerwartet geöffnete Autotüren entstehen als durch nachfolgende und überholende Autos
Veröffentlichungen
Auswahl, teilweise mit (weiteren) Co-Autoren
- Untersuchungen zum Radverkehr in Köln: Unfallanalyse, Empfehlungen, Radverkehrsnetz für Porz. Köln 1980
- Verkehrsspezifische Unfallsituationen und -folgen von Fahrradfahrern, mit Dietmar Otte. Berlin 1986
- Ortsdurchfahrten in Dörfern und kleinen Städten: Analyse und Dokumentation von Entwurfs- und Gestaltungsmassnahmen. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik 487. Bonn 1986
- Handbuch für Radverkehrsanlagen (2. Auflage), mit Heinrich Richard, Johannes Wiedemann, Darmstadt 1986.
- Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs, mit Hans W. Fechtel, Juliane Krause, Bergisch Gladbach 1989, ISBN 3-88314-892-X, Zusammenfassung im ForschungsDienst Fahrrad 123.
- Radverkehr in Einbahnstraßen, mit Constanze Lenz, Hannover, Köln 1991, Zusammenfassung im ForschungsDienst Fahrrad 139.
- Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten, mit Robert Schnüll und anderen, Forschungsberichte der Bundesanstalt für Straßenwesen 262, Bergisch Gladbach 1992, Zusammenfassung im ForschungsDienst Fahrrad 189.
- Optimierung für den Radverkehr an Lichtsignalanlagen, Münster 1996, Zusammenfassung im ForschungsDienst Fahrrad 288.
- Sicherheit des Radverkehrs in Erschließungsstraßen, mit Jörg Stellmacher-Hein, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen V 37, Bergisch Gladbach 1997, Zusammenfassung im ForschungsDienst Fahrrad 317
- Bewertung der Attraktivität von Radverkehrsanlagen, mit Wolfgang Bohle, Elke Willhaus, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, V 56, Bergisch Gladbach 1998, Zusammenfassung im ForschungsDienst Fahrrad 329.
- Flächenansprüche von Fußgängern, mit Wolfgang Bohle, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen V 71, Bergisch Gladbach 1999
- Planungshinweise für Stadtstraßen, PLAST 9: Anlagen des Radverkehrs, Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg, Hamburg 2000.
- Verkehrssicherheit in Einbahnstraßen mit gegengerichtetem Radverkehr, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, V 83, Bergisch Gladbach, 2001, Kurzfassung auf Bast.de.
- Schutzstreifen für den Radverkehr in Ortsdurchfahrten', Herausgeber Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV), Hannover, 2007
- Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen V 184, Bergisch Gladbach 2009. Zusammenfassung auf nrvp.de, ISBN 978-3-86509-920-4.
- Verbesserung der Bedingungen für Fußgänger an Lichtsignalanlagen, Berichte der Bast V 217, Bergisch Gladbach 2012. Kurzfassung auf bast.de.
- Leitfaden Radverkehr, Herausgeber NLStBV, Hannover 2013
- Nutzung von Radwegen in Gegenrichtung - Sicherheitsverbesserungen, mit Wolfgang Bohle, Stefanie Busek, Berichte der BASt V 261, Bergisch Gladbach 2015.
- Einfluss von Radverkehrsaufkommen und Radverkehrsinfrastruktur auf das Unfallgeschehen, mit Reinhold Maier, Marcel Schreiber. Berlin 2015
- Evaluierung Fahrradstraßen. Schlussbericht, im Auftrag der Landeshauptstadt München, mit Detlev Gündel, Stefanie Busek. Hannover 2016
- (Gutachten zum) Fahrradmobilitätskonzept Niedersachsen, mit Elke Willhaus, Linn Schröder, Peter Bischoff, Kristina Bröhan. Hannover 2021
- Hinweise für Radvorrangrouten und Radschnellverbindungen, H RSV, Ausgabe 2021, als Leiter des federführenden Arbeitskreises 2.5.4 der FGSV. Köln 2021
Weblinks
Einzelnachweise
- Erster Bericht der Bundesregierung über die Situation des Fahrradverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland 1998. (PDF) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, März 1999, abgerufen am 28. Januar 2020.
- Zweiter Fahrradbericht der Bundesregierung – Schlussbericht. (PDF) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Mai 2007, abgerufen am 28. Januar 2020.
- Zweiter Fahrradbericht der Bundesregierung – Schlussbericht – Anhang. (PDF) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Mai 2007, abgerufen am 28. Januar 2020.
- Nationaler Radverkehrsplan für Deutschland 2002 bis 2012 – FahrRad! Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, archiviert vom Original am 5. Juni 2012; abgerufen am 5. Januar 2012.
- Nationaler Radverkehrsplan 2020. In: Fahrradportal. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), abgerufen am 28. Januar 2020.
- 1. Wirkungskontrolle 2014 auf fahrradland.de
- Dankmar Alrutz: Das landesweite Fahrradmobilitätskonzept für Niedersachsen. (PDF, 1,5 MB) Fachtagung Fahrradland Niedersachsen am 30. November 2017 in Oldenburg. Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Niedersachsen/Bremen, 30. November 2017, abgerufen am 28. Januar 2020.. Abrufbar auf Fachtagung 2017
- 2.5.4 Radschnellverbindungen. Leitung Dipl.-Ing. Dankmar Alrutz. Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 29. August 2016, abgerufen am 28. Januar 2020 (Gremium: AG 2 (Straßenentwurf), Arbeitsausschuss 2.5 (Radverkehr), Arbeitskreis 2.5.4 (Radschnellverbindungen)).
- Presseerklärung des nds. Wirtschaftsministeriums
- beispielhaft Broschüre Fahrradland Niedersachsen 2015
- Ehrungen bei FGSV.de
- Fahrradportal NRVP.de: FGSV-Ehrennadel für Dankmar Alrutz
- Forschungsdienst Fahrrad 174 zu Pfundt, Alrutz 1992
- Alrutz, Fechtel, Krause: Dokumentation zur Sicherung des Fahrradverkehrs, Bergisch Gladbach 1989.